Dritte Szene

[183] HAGEN.

Er rennt in seiner Wut gewiß zu ihr,

Und wenn er fertig ist, so folg ich nach.

GUNTHER.

Ich will nicht weiter gehn.

HAGEN.

Wie meinst du, König?

GUNTHER.

Laß neue Boten kommen, die uns melden,

Daß alles wieder ruhig ist.

HAGEN.

Das wird

Sogleich geschehn, wenn ich bei Kriemhild war

Und das Geheimnis habe.

GUNTHER.

Hast du denn

Metallne Eingeweide, daß du dich

Nicht auch erschüttert fühlst?

HAGEN.

Sprich deutlich, Herr,

Das kann ich nicht verstehn.

GUNTHER.

Er soll nicht sterben.

HAGEN.

Er lebt, solange dus befiehlst! Und ständ ich

Im Wald schon hinter ihm, den Speer gezückt,

Du winkst, und statt des Frevlers stürzt ein Tier!

GUNTHER.

Er ist kein Frevler! Konnte er dafür,

Daß er den Gürtel mitgenommen hatte,

Und daß Kriemhild ihn fand? Er ist ihm ja

Entfallen, wie ein Pfeil, der sitzen blieb,

Weil mans vergaß, sich nach dem Kampf zu schütteln,

Und den man selbst am Klirren erst bemerkt.

Sprich selbst, sprecht alle: Konnte er dafür?

HAGEN.

Nein! Nein! Wer sagts? Auch dafür konnt er nichts,

Daß ihm der Witz gebrach, sich auszureden,

Er ward gewiß schon beim Versuche rot.[183]

GUNTHER.

Nun denn! Was bleibt?

HAGEN.

Der Schwur der Königin!

GISELHER.

Sie töt ihn selber, wenn sie Blut verlangt.

HAGEN.

Wir streiten, wie die Kinder. Darf man denn

Nicht Waffen sammeln, wenn man auch nicht weiß,

Ob man sie jemals brauchen wird? Man forscht

Ein Land doch aus mit allen seinen Pässen,

Warum nicht einen Helden? Ich versuche

Mein Glück jetzt bei Kriemhild, und wärs auch nur,

Damit die schönste List, die wir erdachten,

Doch nicht umsonst ersonnen sei! Sie wird

Mir nichts verraten, wenn er selbst ihr nichts

Vertraut hat, und es steht ja ganz bei euch,

Ob ihr das nützen wollt, was ich erfahre;

Ihr könnt ja wirklich tun, wenns euch gefällt,

Was ich nur heucheln will, und ihm im Krieg

Die Stelle decken, wo er sterblich ist,

Doch immer müßt ihr wissen, wo sie sitzt.


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 183-184.
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