Sechste Szene

[185] Hagen und Kriemhild treten auf.


HAGEN.

So früh

Schon in der Halle?

KRIEMHILD.

Ohm, ich halt es drinnen

Nicht länger aus.

HAGEN.

Wenn ich nicht irrte, ging[185]

Dein Gatte eben von dir. Ganz erhitzt,

Als ob er zornig wäre. Ist der Friede

Noch zwischen euch nicht wieder hergestellt?

Will er vielleicht sein Mannesrecht mißbrauchen?

Sags mir, so rede ich mit ihm.

KRIEMHILD.

O nein!

Wenn mich nichts andres an den bösen Tag

Mehr mahnte, wär er schon ein Traum für mich:

Mein Gatte hat mir jedes Wort erspart!

HAGEN.

Mich freuts, daß er so mild ist.

KRIEMHILD.

Lieber hätt ichs,

Wenn er mich schölte, doch er mag wohl wissen,

Daß ich es selber tu!

HAGEN.

Nur nicht zu hart!

KRIEMHILD.

Ich weiß, wie schwer ich sie gekränkt, und werde

Mirs nie vergeben, ja, ich mögte eher,

Daß ichs erlitten hätte, als getan.

HAGEN.

Und treibt dich das so früh aus deiner Kammer?

KRIEMHILD.

Das? Nein! Das triebe eher mich hinein!

Mich quält die Angst um ihn.

HAGEN.

Die Angst um ihn?

KRIEMHILD.

Es gibt ja wieder Streit.

HAGEN.

Ja, das ist wahr.

KRIEMHILD.

Die falschen Buben!

HAGEN.

Sei nicht gleich so bös,

Daß du im Packen unterbrochen wirst!

Fahr ruhig fort und laß dich gar nicht stören,

Du legst nachher den Panzer oben auf.

Was schwatz ich da! Er trägt nicht einmal einen

Und hats ja auch nicht nötig.

KRIEMHILD.

Glaubst du das?

HAGEN.

Fast mögt ich lachen. Wenn ein andres Weib

So greinte, spräch ich: Kind, von tausend Pfeilen

Kommt einer nur auf ihn, und der zerbricht!

Doch deiner muß ich spotten und dir raten:

Fang eine Grille ein, die klüger singt!

KRIEMHILD.

Du sprichst von Pfeilen! Pfeile eben sinds,

Die ich so fürchte. Eines Pfeiles Spitze[186]

Braucht höchstens meines Daumennagels Raum

Um einzudringen, und er tötet auch.

HAGEN.

Besonders, wenn man ihn vergiftet hat,

Und diese Wilden, die den Damm durchstachen,

Wohinter wir uns alle angebaut,

Und den wir selbst im Krieg noch heilig halten,

Sind wohl im Stande, dies, wie das, zu tun.

KRIEMHILD.

Du siehst!

HAGEN.

Was geht das deinen Siegfried an?

Er ist ja fest. Und wenn es Pfeile gäbe,

Die sichrer, wie die Sonnenstrahlen, träfen,

Er schüttelte sie ab, wie wir den Schnee!

Das weiß er auch, und dies Gefühl verläßt

Ihn keinen Augenblick im Kampf. Er wagt,

Was uns, die wir doch auch nicht unter Espen

Geboren wurden, fast zum Zittern bringt.

Wenns ers bemerkt, so lacht er, und wir lachen

Von Herzen mit. Das Eisen kann ja ruhig

Ins Feuer gehn: es kommt als Stahl heraus.

KRIEMHILD.

Mich schaudert!

HAGEN.

Kind, du bist zu kurz vermählt,

Sonst freut ich mich, daß du so schreckhaft bist.

KRIEMHILD.

Hast dus vergessen, oder weißt du nicht,

Was doch in Liedern schon gesungen wird,

Daß er an einem Fleck verwundbar ist?

HAGEN.

Das hatt ich ganz vergessen, es ist wahr,

Allein ich weiß, er sprach uns selbst davon.

Es war von irgend einem Blatt die Rede,

Doch frag ich mich umsonst, in welchem Sinn.

KRIEMHILD.

Von einem Lindenblatt.

HAGEN.

Ja wohl! Doch sprich:

Wie hat ein Lindenblatt ihm schaden können?

Das ist ein Rätsel, wie kein zweites mehr.

KRIEMHILD.

Ein rascher Windstoß warfs auf ihn herab,

Als er sich salbte mit dem Blut des Drachen,

Und wo es sitzen blieb, da ist er schwach.

HAGEN.

So fiel es hinten, weil ers nicht bemerkte! –

Was tuts! Du siehst, daß deine nächsten Vettern,[187]

Ja, deine Brüder, die ihn schützen würden,

Wenn nur ein Schatten von Gefahr ihn streifte,

Den Fleck nicht kennen, wo er sterblich ist:

Was fürchtest du? Du marterst dich um nichts.

KRIEMHILD.

Ich fürchte die Valkyrien! Man sagt,

Daß sie sich stets die besten Helden wählen,

Und zielen die, so trifft ein blinder Schütz.

HAGEN.

Da wär ihm denn ein treuer Knappe nötig,

Der ihm den Rücken deckte. Meinst du nicht?

KRIEMHILD.

Ich würde besser schlafen.

HAGEN.

Nun, Kriemhild!

Wenn er – du weißt, er war schon nah daran –

Aus schwankem Nachen in den tiefen Rhein

Hinunterstürzte und die Rüstung ihn

Hernieder zöge zu den giergen Fischen,

So würde ich ihn retten oder selbst

Zu Grunde gehn.

KRIEMHILD.

So edel denkst du, Ohm?

HAGEN.

So denk ich! Ja! – Und wenn der rote Hahn

Bei dunkler Nacht auf seine Burg sich setzte,

Und er, schon vorm Erwachen halb erstickt,

Den Weg nicht fände, der ins Freie führt,

Ich trüge ihn heraus auf meinen Armen,

Und glückt es nicht, so würden zwei verkohlt.

KRIEMHILD will ihn umarmen.

Dich muß ich –

HAGEN wehrt ab.

Laß. Doch schwör ichs, daß ichs täte.

Nur setze ich hinzu: seit kurzem erst!

KRIEMHILD.

Er ist seit kurzem erst dein Blutsverwandter!

Und hab ich dich verstanden? Wolltest du,

Du selbst? –

HAGEN.

So meint ichs! Ja! Er kämpft für mich

Und tritt das kleinste von den tausend Wundern

Mir ab, die er vollbringt, sobald er zieht,

Ich aber schirme ihn!

KRIEMHILD.

Das hätt ich nie

Von dir gehofft!

HAGEN.

Nur mußt du mir den Fleck[188]

Bezeichnen, daß ichs kann.

KRIEMHILD.

Ja, das ist wahr!

Hier! In der Mitte zwischen beiden Schultern!

HAGEN.

In Scheibenhöhe!

KRIEMHILD.

Ohm, Ihr werdet doch

An ihm nicht rächen, was nur ich verbrach?

HAGEN.

Was träumst du da.

KRIEMHILD.

Es war die Eifersucht,

Die mich verblendete, sonst hätt ihr Prahlen

Mich nicht so aufgebracht!

HAGEN.

Die Eifersucht!

KRIEMHILD.

Ich schäme mich! Doch wenns auch in der Nacht

Bei Schlägen blieb, und glauben will ichs ja,

Selbst seine Schläge gönnte ich ihr nicht!

HAGEN.

Nun, nun, sie wirds vergessen.

KRIEMHILD.

Ist es wahr,

Daß sie nicht ißt und trinkt?

HAGEN.

Sie fastet immer

Um diese Zeit. Es ist die Nornenwoche,

Die man in Isenland noch heilig hält.

KRIEMHILD.

Es sind drei Tage schon!

HAGEN.

Was kümmerts uns?

Nichts mehr. Man kommt.

KRIEMHILD.

Und? –

HAGEN.

Scheint es dir nicht gut,

Ihm aufs Gewand ein feines Kreuz zu sticken?

Das Ganze ist zwar törigt, und er würde

Dich arg verhöhnen, wenn dus ihm erzähltest,

Doch da ich nun einmal sein Wächter bin,

So mögt ich nichts versehn.

KRIEMHILD.

Ich werd es tun!


Schreitet Ute und dem Kaplan entgegen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 185-189.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
Die Nibelungen
Dramen (Judith - Maria Magdalena - Gyges und sein Ring - Die Nibelungen)
Agnes Bernauer - Die Nibelungen - Deutsche Klassiker Bibliothek der literarischen Meisterwerke

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die zärtlichen Schwestern. Ein Lustspiel in drei Aufzügen

Die beiden Schwestern Julchen und Lottchen werden umworben, die eine von dem reichen Damis, die andere liebt den armen Siegmund. Eine vorgetäuschte Erbschaft stellt die Beziehungen auf die Probe und zeigt, dass Edelmut und Wahrheit nicht mit Adel und Religion zu tun haben.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon