Siebente Szene

[209] KAPLAN tritt ein.

GUNTHER ihm entgegen.

Zu spät!

KAPLAN.

Und solch ein Mann im Tann erschlagen!

DANKWART.

Der Zufall hat des Schächers Speer gelenkt,

Daß er die Stelle traf. So können Riesen

Durch Kinder fallen.

UTE fortwährend mit den Mägden um Kriemhild beschäftigt.

Steh nun auf, Kriemhild!

KRIEMHILD.

Noch eine Trennung? Nein! Ich faß ihn so,

Daß ihr mich mit begraben, oder mir

Ihn lassen müßt. Ich hab den Lebenden

Nur halb umarmt, das lern ich jetzt am Toten.

O wär es umgekehrt! Ich küßt ihn noch

Nicht einmal auf die Augen! Alles neu!

Wir glaubten, Zeit zu haben.

UTE.

Komm, mein Kind!

Er kann doch nicht im Staub so liegen bleiben.

KRIEMHILD.

O, das ist wahr! Was reich und köstlich ist,

Muß heute wohlfeil werden.


Sie steht auf.


Hier die Schlüssel!


Sie wirft Schlüssel von sich.


Es gibt ja keinen Festtag mehr! Die Seide,

Die goldnen Prachtgewänder und das Linnen,

Bringt alles her! Vergeßt die Blumen nicht,

Er liebte sie! Reißt alle, alle ab,

Sogar die Knospen derer, die erst kommen,

Wem blühten sie wohl noch! Das tut hinein

In seinen Sarg, mein Brautkleid ganz zu oben,

Und legt ihn sanft darauf, dann mach ich so


Sie breitet die Arme aus.


Und deck ihn mit mir selber zu!

GUNTHER zu den Seinigen.

Ein Eid!

Ihr tut kein Mensch mehr weh.

KRIEMHILD wendet sich.

Die Mörder da?[209]

Hinweg! Damit er nicht aufs neue blute!

Nein! Nein! Heran!


Sie faßt Dankwart.


Damit er für sich zeuge!


Sie wischt sich die Hand am Kleide ab.


O pfui, nun darf ich ihn mit meiner Rechten

Nicht mehr berühren! Kommt das arme Blut?

Mutter, sieh hin! Ich kann nicht! Nein? So sinds

Nur noch die Hehler, und der Täter fehlt.

Ist Hagen Tronje hier, so tret er vor,

Ich sprech ihn frei und reiche ihm die Hand.

UTE.

Mein Kind –

KRIEMHILD.

Geh nur hinüber zu Brunhild,

Sie ißt und trinkt und lacht.

UTE.

Es waren Schächer –

KRIEMHILD.

Ich kenne sie.


Sie faßt Giselher und Gerenot bei der Hand.


Du warst nicht mit dabei! –

Du auch nicht!

UTE.

Hör doch nur!

RUMOLT.

Wir hatten uns

Im Wald verteilt, es war sein eigner Wunsch,

Auch ist es Brauch, und fanden ihn im Sterben,

Als wir zusammentrafen.

KRIEMHILD.

Fandet ihr?

Was sprach er da? Ein Wort! Sein letztes Wort!

Ich will dir glauben, wenn dus sagen kannst,

Und wenns kein Fluch ist. Aber hüte dich,

Denn leichter wächst dir aus dem Mund die Rose,

Als dus ersinnst, wenn du es nicht gehört.


Da Rumolt stockt.


Du logst!

KAPLAN.

Doch kanns so sein! Die Elstern ließen

Schon Messer fallen, welche töteten,

Was Menschenhänden unerreichlich war,

Und was ein solcher Dieb der Lüfte trifft,

Weil ihm sein blanker Raub zu schwer geworden,

Das trifft wohl auch der Schächer.[210]

KRIEMHILD.

Frommer Vater,

Du weißt nicht!

DANKWART.

Fürstin, heilig ist dein Schmerz,

Doch blind zugleich und ungerecht. Dir zeugen

Die ehrenwertsten Recken –


Inzwischen ist die Tür zugemacht worden und die Leiche nicht mehr sichtbar.


KRIEMHILD als sie dies bemerkt.

Halt? Wer wagts –


Eilt zur Türe.


UTE.

Bleib! Bleib! Er wird nur leise aufgehoben,

Wie du es selber wünschtest –

KRIEMHILD.

Her zu mir!

Sonst wird er mir gestohlen und begraben,

Wo ich ihn nimmer finde.

KAPLAN.

In den Dom!

Ich folge nach, denn jetzt gehört er Gott.


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 209-211.
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