[95] Caspar und Balthasar, einander begegnend.
CASPAR.
Habt Ihrs gesehn?
BALTHASAR.
Ich sahs. Doch werde ich
Mir morgen nicht mehr glauben, daß ichs sah.
Kaum einer Fliege hätt ichs zugetraut,
Daß sie auf so abschüssig-steilem Rand
Sich halten könnt![95]
CASPAR.
Ich hab es nicht gesehn.
Ich hab den Golo lieb, wie meinen Sohn,
Drum eilt ich schnell ins Haus hinein, der Sturz
Schien unvermeidlich mir.
BALTHASAR.
Die alte Frau,
Die Katharina, die ihm Amme war,
Und, nichts von allem wissend, eben ihn
Zum Frühtrunk rufen wollte, kreischte laut,
Als sie ihn hoch in Lüften schweben sah;
Er strauchelte, als er den Schrei vernahm,
Sie aber rief: Nimm, Teufel, meine Seel,
Nur führ mir ungefährdet ihn zurück!
Dann ballte sie die Hand, und schrie hinauf:
Du Bösewicht, bist du dir selbst so gram,
Daß du durchaus den Hals dir brechen willst,
So warte doch, bis ich begraben bin!
Dann wieder: Komm herab, mein liebes Kind,
Es soll die Untat dir verziehen sein!
Dann ward sie still und blaß, und ging ins Haus.
CASPAR.
Warum ers doch wohl tat?
BALTHASAR.
Warum? Um nichts!
Ja, stand der Kaiser unten mit der Kron,
Und sprach: Wer das vollführt, dem schenk ich sie –
Da würde alles mir begreiflich sein!
Doch er – er riß die Dohlennester ab,
Weil ihn zu schwarz die öde Brut bedünkt.
Der Tor! Sie bauen neue, eh ers denkt.
Ich haß den Menschen, der sich selbst nicht liebt.
CASPAR.
Da kommt er!
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