[125] Golo und der Maler treten ein.
GENOVEVA.
Mein Bild?
MALER.
Verzeiht, daß ich nicht längst erschien!
Ich war inzwischen krank, und, daß ichs nur
Bekenne, unzufriedner, wie noch je,
Mit meiner Arbeit, fing ich vier Mal sie,
Vernichtend das Geschaffne, wieder an.
Er hat inzwischen das Bild aufgestellt.
GOLO vor dem Bilde.
O, welch ein Bild! Ich mögt ein Maler sein,
Und, ins Geheimnis ewger Schönheit mich
Versenkend, diese Züge fort und fort
Nachbilden, bis der öden Qual mein Herz
Erläge, daß es mir unmöglich sei.
MALER.
Wohl ist das Qual!
Zu Genoveva.
Ich bitt Euch, edle Frau,
Nur einen Blick – ob Ihr zufrieden seid.
GENOVEVA.
Mich schmerzt, daß mir von meiner Schwester nicht
Ein Konterfei verblieb, wie dieses hier.
Man sieht die Toten, wie im Nebel nur,
Und immer weiter weichen sie zurück.
GOLO.
Hier seh ich Tod und Leben wunderbar
In eins gemischt, die Unbeweglichkeit
Des Todes, und des Lebens frischen Reiz,[125]
Der sich verändern mögte, und nicht kann.
Bild, lächle! Denn ich sehe, daß dus willst.
GENOVEVA.
Zufrieden würd ich sein, wenn dies das Bild
Von meinem Herrn wär, und das meine nicht.
MALER.
Ich mal ihn Euch, obgleich er ferne ist.
Doch, wie? Zu Pferd? In kriegerischem Kleid?
Das Auge vorwärts dringend, wie ein Pfeil?
GENOVEVA.
So ist er, wenn er auszieht. Malt ihn mir,
Wie er zurück kehrt, sei es vom Gefecht,
Seis von der Jagd.
MALER.
Nachlässig sitzt er da,
Wie Herkules, der ausruht, und sein Blick –
GENOVEVA.
Ist auf die Burg gerichtet, wo ich ihm
Entgegenharre.
MALER.
Deutlich drückt er aus,
Daß alles eitel, nur die Liebe nicht.
Die Finsternis verhüllt die Welt, doch hell
Winkt ihm ein Licht ins trauliche Gemach –
GENOVEVA.
Das angezündet ward von meiner Hand.
MALER.
Ich mal ihn so!
Ab.
GENOVEVA.
Was soll mir nun dies Bild!
Wenns Flügel hätt, so spräch ich: eil ihm nach
Ins ferne Land.
GOLO der die ganze Zeit vor dem Bilde stand, wie im Traum.
Gebt mir es.
GENOVEVA.
Euch mein Bild?
GOLO für sich, aber von Genoveva beobachtet.
Halte dich! Sieh nicht mehr hin! Wie Funken springts
Mir aus dem Bild entgegen, Funken strömt
Der Boden aus, die hellen Funken zieht
Mein Aug aus allem, was mich rings umgibt.
Dort steht ein Stuhl – ich trat hier einmal ein,
Sie saß darauf, und er stand neben ihr,
Verwirrt und rot erhob sie sich, er sprach
Mit mir, doch war die Stimme ihm bedeckt.
Ich ging, und träumte in der Nacht – Still! Still!
Hier steht ihr Bett. Dort schläft sie. Er dabei!
Das ist doch – – Ha, ich sehe sie, die zwei,[126]
Zu Eins verstrickt im Wollustknoten! Er
Will plaudern, sie versiegelt ihm den Mund
Mit einem Kuß, und trotz der tiefen Nacht
Erglüht sie – –
Er blickt nach Genoveva, die starr zu ihm hinüber sieht.
Sie erglüht? Nein, sie ist bleich,
Bleich, kalt, ein Geist, mir zum Gericht bestellt!
Mich friert!
Er kehrt sich wieder gegen das Bild.
Ich wende mich zur dir zurück!
Du bist nicht blaß geworden, seit ich dich
Verschlang mit Blicken, du verfluchst mich nicht,
Wenn ich dir näher trete, wenn ich dir
Mein Herz verrate, wenn ich einen Kuß
Dir drücke auf den roten
Er küßt das Bild.
kalten Mund!
Dir will ich alles sagen, und dabei
In jenen Spiegel schauen, der mir zeigt,
Ob sie zu meiner Beichte freundlich blickt,
Ob sie, das Weltgericht im Angesicht,
Die Hand erhebt und mich verdammt. Doch nein,
Das wäre feig!
Er wendet sich rasch wieder zu Genoveva, die starr da steht.
Sie steht, als wär sie Stein. Ihr Atem stockt,
Sie fürchtet sich, mit mir dieselbe Luft
Zu trinken; wenn sie nicht ohnmächtig jetzt
Hinsinkt, so unterbleibts aus Scheu vor mir,
Aus Angst, ich könnt – und könnt ichs denn nicht auch?
Weib, sprich! Ich bin gewiß, Gott legt ein Wort
Dir auf die Lippen, das mich, wie ein Blitz,
Zerschmettert dir zu Füßen niederwirft!
Sie schweigt! Mir schwindelt. Woran halt ich mich?
Woran? An ihr! Die Heidenjungfrau steht
Vor meinem Blick, sie lächelt stolz herab
Auf meinen Schwur. Ha! Edle Frau, ein Wort!
GENOVEVA tritt einen Schritt zurück.
GOLO.
Weicht nicht vor mir. Da ich vor Gottes Thron[127]
Nicht treten kann, so wend ich mich an Euch.
Euch ruf ich auf zum Spruch, den Jüngsten Tag
Auf diesen Tag verlegend. Hört und sprecht!
Dumpf und leise.
Wenn einer fühlt, daß ihn die nächste Stund
Zum ungeheuren Frevler stempeln wird;
Wenn ein Verbrechen, das die Hölle selbst
Aufs neu entzünden könnt, wär sie verlöscht,
Aus seiner Brust hervor bricht, hat er dann
Das Recht, sich selbst zu töten? Sprecht für Gott!
GENOVEVA nach langem Stillschweigen.
Bleibt ihm die Wahl noch zwischen Sünd und Tod,
So ist er edel, und wird nimmermehr
Vollbringen, was er schaudernd selbst verdammt.
GOLO.
Er wirds! Ich schwörs Euch! Doch, ich schwör Euch auch:
Er wird sich töten, sagt Ihr, daß ers darf.
Ich kann das wissen, denn ich bin es selbst.
Seht hier mein Schwert – ein Wort, ich geh sogleich,
Und ruft Ihr mich zurück, so denke ich:
Zuerst sprach Gott aus ihr, nun spricht sie selbst,
Ein mitleidvolles Weib, und kehre nicht.
Ich suche einen Ort mir, wo mich nie
Ein Mensch, ein Rabe höchstens, finden wird,
Ihr werdet nicht den blutgen Leichnam schaun!
Ihr schweigt? Ich sag dir mehr noch. Du bist schön,
O, himmelschön! Du weißt doch? Sieh dies Bild!
Nicht weiß ich, ob die Schönheit von sich selbst
Ein Sklave sein muß, wie wir andern sind,
Ich – still! Sie zittert! Seht, Ihr habt mein Schwert
Geweiht zu schlimm bedrohter Frauen Schutz,
Ihr seid bedroht, wie keine noch, von mir. –
Darf ich mich töten? Haltets nicht zurück,
Das Ja, das Gott Euch in die Seele legt!
Aus seinem Munde wärs ein Donner mir,
Aus Eurem ists ein letzter süßer Laut.
GENOVEVA.
Verstummen will ich eh auf immerdar,
Als daß ich Euch erwiderte ein Wort,
O Golo![128]
GOLO.
Schweigst du? Wohl! Mir gilts für ja!
Er geht.
GENOVEVA in höchster Verwirrung.
Halt ein!
GOLO bleibt stehen.
So sagst du nein? Das ist ein Ja
Zu bösen Dingen. Noch einmal!
GENOVEVA zögert; Golo geht; da sagt sie.
Halt ein!
GOLO schleudert das Schwert, das er gezogen hatte, von sich.
GENOVEVA erfaßt ein Cruzifix.
Allmächtger Gott, tritt zwischen mich und ihn!
GOLO.
Nun bist du mein!
Er tritt ihr nah, sie hält ihm das Cruzifix entgegen, er entreißt es ihr und schleudert es fort.
Und ob der Heiland selbst
Sich stellen wollte zwischen dich und mich:
Zu seinen sieben Wunden gäb ich ihm
Die achte – du erstarrst, das tu ich auch,
Und doch, ich täts, und wärs ein Stich zum Tod.
Weißt du, was Liebe ist? Und wenn dus weißt –
Von deinem Siegfried hast dus nicht gelernt.
Der liebt – ja, ihn verklag ich! Als du bleich,
Geschloßnen Augs, dahin gesunken warst,
Des tiefen Schmerzes stummes Monument:
Mir war, als würd es Nacht, als öffnete
Die uralt-ewge Finsternis den Schlund,
Als schluckte sie die Schöpfung wieder ein;
Doch er, erwägend, daß es rühmlich sei,
Der erste aller in das Feld zu ziehn,
Er nahm den Vorteil wahr und schlich sich fort.
Held! Dieser Abschied kostet dich dein Weib!
Muß man sich trennen, sei es, wie ein Glied
Vom Leib sich trennt: Schmerz – Blut – und ein Gefühl,
Daß das uns fehlt, was unersetzlich ist!
Er schied so kalt von dir! Da warf er dir
Dein Herz vor deine Füße, und du mußt
Es wieder nehmen, seis dir noch so schwer!
Weißt du, was Liebe ist? Ha, weiß ichs selbst?
Noch weiß ich nur, wie sie mich elend macht,
Mir alle Lebensbrunnen rings verstopft,[129]
So daß der tausendfach gespaltne Strahl
Nur einen Weg noch findet: den durch dich!
Doch, wissen will ich auch, wie sie beglückt!
Umarmen will ich dich! Ich schwörs bei Gott!
GENOVEVA stürzt auf ihre Kniee.
Aus Asche schufst du mir den armen Leib,
Zu Asche wandle, Ewiger, ihn schnell,
Daß dieser, wenn ich still vor deinem Hauch
Zerstäube, mit der Asche, die ihn jetzt
So frech empört, sein Haupt bestreuen kann!
GOLO.
In diesem Augenblick empfängt der Tod
Von Gott Befehl, daß er mit kalter Hand
Dich nimmermehr berühre, weil die Zeit,
Die allen nimmt, dir ewig geben soll.
O, zweifle nicht! Die bildende Natur
Hat sich bisher im Schaffen nur versucht
Und Form nach Form zerbrochen, weil ihr nie
Gelang, was wert war der Unsterblichkeit.
Du bist, wie keine noch, und dürfte dir
Der Tod sich nahen, o, da würde sie
Dem Maler gleich tun, dessen Meisterstück
Der hämsche Neid zerfetzte: starr und stumm
Hieb er den Arm sich ab, und schuf nichts mehr.
GENOVEVA.
Nur zu! Nur zu! Des Opfrers Weihrauch zieht
Aufs Götzenbild des Himmels Blitz herab!
Gott wird dir zeigen, daß ich sterben kann.
GOLO.
Und kannst du sterben, warum mahnst du mich?
Die Rose sagts nicht selbst, wenn sie ihr Feind
Entzückt betrachtet, daß sie morgen welkt,
Sie weiß es, daß er dann schon heut sie pflückt.
Ja, es ist wahr, und weil es wahr ist, will
Ich gleich mein volles Maß der Seligkeit.
Der unsichtbare Hauch, der dich und mich
Ins Nichts hinein bläst, facht in mir zugleich
Die Lebensglut zur höchsten Flamme an.
O komm! und stirb mit mir den Liebestod!
Ha, Aug in Auge wurzelnd, Mund in Mund
Einwachsend, drängen wir, bis sie zerspringt,[130]
In unsre Brust den Odem still zurück.
GENOVEVA tritt zum Fenster.
Seht, Golo, Ritter Tristan zieht erst fort.
Ein Ruf aus diesem Fenster – er vernimmt
Und eilt herbei!
Sie tritt weit vom Fenster weg.
Ich rufe nicht. Nun geht!
GOLO.
Wer jetzt noch bleibt, der muß ein Schurke sein.
Ich
Er nimmt sein Schwert auf und steckt es ein.
bin ein Schurk. Nun hab ich Schurken-Recht!
Denn auch ein Schurk hat Recht. Er kann nicht mehr
Zurück, drum muß er vorwärts. Wie es sich
Vergessen läßt, daß man ein Räuber war?
Man wird ein Mörder. Vater-Mörder dann,
Welt-Mörder! Gottes-Mörder! Schüttelts dich?
O Genoveva, halte mich! Du siehst,
Ich habe nichts, als dich! O, einmal nur,
Nur einmal gib mir, was du geben kannst!
Nur einmal laß mich ruhn an deiner Brust!
Wohl ist das viel! Doch biete ich noch mehr:
Aus meinem Arm entlassen will ich dich,
Sobald ich dich umschlang. Das sei der Preis.
Wenns Sünde ist, so ists die kleinste doch;
Begehe denn die kleinste Sünde, Weib,
Damit du vor der größten mich bewahrst.
Denn rauben muß ichs, wenn du mirs versagst,
Und rauben will ichs.
Er umschlingt sie.
Wohl! Nun hab ich dich!
Nun halt ich dich! In Flammen tauch ich dich!
KATHARINA tritt ein.
GENOVEVA stößt ihn von sich.
Zurück! Und ehrst du nicht das Weib in mir,
So ehr in mir die Mutter, denn ich bins!
GOLO.
Die Mutter! Ha, sie glüht, indem sies sagt,
Dies Wort – weicht, Bilder!
GENOVEVA.
Gott!
GOLO in höchster Raserei.
Was hält mich noch?
Wer stürzt hinunter in des Abgrunds Nacht,[131]
Und reißt die letzte rote Beere nicht,
Die sich ihm bietet, noch im Fallen ab?
Er dringt wieder auf sie ein.
GENOVEVA.
Jetzt ruf ich!
KATHARINA.
Golo!
GOLO zieht das Schwert gegen Katharina.
Weib, was willst du hier;
KATHARINA.
Komm, Bösewicht, durchstoße meine Brust!
Sie wars, die dir die Kraft gab, daß dus kannst.
GENOVEVA zu Katharina.
Habt Ihrs gesehn?
KATHARINA.
Ich – habe nichts gesehn!
GOLO zerbricht sein Schwert.
GENOVEVA zu Golo.
Wohl Euch, daß keiner kam. Ich schweige!
GOLO.
Weib!
Du siehst, was Liebe ist! So sag mir an:
Trieb es dich je zu ihm, wie mich zu dir?
Sprich nicht zu schnell dein Ja! Dies eine Ja
Stößt Gottes Welt in Nacht und Graus zurück.
Wenn das, worauf mein ganzes Sehnen geht,
Was ich nicht missen kann, ein anderer
Mit gleichem, ja mit größerm Recht besitzt,
Dann raste die Natur, als sie mich schuf.
Trieb es dich nicht zu ihm, wie mich zu dir?
Dann wars ein Mord, den du an mir begingst,
Als du, den Schauder, der dich warnte, feig
Erstickend, ihm, weil er der erste warb,
Die Hand gereicht zu einem ewgen Bund,
Dann, Ehweib, sei verflucht!
Er hält schaudernd inne.
Verflucht?
Stark.
Verflucht!
Ab.
KATHARINA.
Wenn das der Graf erfährt – – ich muß ihm nach!
Ab.
GENOVEVA drückt ihre Hände erst gegen das Haupt, dann gegen die Brust. Darauf nimmt sie das Kruzifix und geht ab.[132]
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Genoveva
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