Erster Akt


[9] Halle.

Kandaules und Gyges treten auf. Kandaules schnallt sich das Schwert um, Thoas folgt mit dem Diadem.


KANDAULES.

Heut sollst du sehn, was Lydien vermag! –

Ich weiß, ihr Griechen, wenn auch unterwürfig,

Weil ihr nicht anders könnt, tragt knirschend nur

Das alte Joch und spottet eurer Herrn.

Auch wird nicht leicht was auf der Welt erfunden,

Das ihr nicht gleich verbessert: wärs auch nur

Der Kranz, den ihr hinzufügt, einerlei,

Ihr drückt ihn drauf und habt das Ding gemacht!

THOAS reicht ihm das Diadem.

KANDAULES.

Das neue Diadem! Was soll mir dies?

Hast du dich auch vielleicht im Schwert vergriffen?

Ja, beim Herakles, dessen Fest wir feiern!

Ei, Thoas, wirst du kindisch vor der Zeit?

THOAS.

Ich dachte –

KANDAULES.

Was?

THOAS.

Seit fünf Jahrhunderten

Erschien kein König anders bei den Spielen,

Die dein gewaltger Ahn gestiftet hat,

Und als du es das letzte Mal versuchtest,

Die alten Heiligtümer zu verdrängen,

Da stand das Volk entsetzt und staunend da

Und murrte, wie noch nie!

KANDAULES.

Nun meinst du denn,

Ich hätts mir merken und mich bessern sollen,

Nicht wahr?

THOAS.

O Herr, nicht ohne einen Schauder

Berühre ich dies Diadem, und nie

Hab ich dies Schwert am Griff noch angefaßt,

Das alle Herakliden einmal schwangen.

Doch deinen neuen Schmuck betracht ich ganz,

Wie jedes andre Ding, das glänzt und schimmert,

Und das man hat, wenn mans bezahlen kann.[9]

Nicht an Hephästos brauche ich dabei

Zu denken, der dem göttlichen Achill

Die Waffen schmiedete, und in dem Feuer,

Worin er Zeus die Donnerkeile stählt,

Auch nicht an Thetis, die durch ihre Töchter

Ihm Perlen und Korallen fischen ließ,

Damit es an der Zierde nicht gebreche:

Ich kenn den Mann ja, der das Schwert geliefert,

Und jenen, der das Diadem gefügt!

KANDAULES.

Nun, Gyges?

THOAS.

Herr, die Treue spricht aus mir,

Bin ich zu kühn, so bin ichs deinetwegen!

Und glaube mir: die vielen Tausende,

Die hier zusammenströmen, wenn sie auch

In feinrer Wolle gehn und leckrer essen,

Sind ganz so törigt oder fromm, wie ich.

Dein Haupt und dieser Reif, das sind für sie,

Trau deinem Knecht, zwei Hälften eines Ganzen,

Und ebenso dein Arm und dieses Schwert.

KANDAULES.

Das denken alle?

THOAS.

Ja, bei meinem Kopf!

KANDAULES.

So darfs nicht länger bleiben! Nimm denn hin

Und tu, was ich gebot.

THOAS mit dem alten Schmuck ab.

GYGES.

Du tatst ihm weh.

KANDAULES.

Ich weiß, doch sprich: wie hätt ichs ändern können?

Wahr ist, was er gesagt! Hier gilt der König

Nur seiner Krone wegen und die Krone

Des Rostes wegen. Weh dem, der sie scheuert,

Je blanker, um so leichter an Gewicht.

Allein, was hilfts, wenn man sich nun einmal

So weit vergaß, weil mans nicht mehr ertrug,

Bloß durch den angestammten Schmuck zu glänzen,

Zu gelten, wie geprägte Münzen gelten,

Die keiner wägt, und mit den Statuen,

Die in geweihten Tempelnischen stehn,

Die schnöde Unverletzlichkeit zu teilen:

Man kann doch nicht zurück?[10]

THOAS kommt mit dem neuen Schmuck.

KANDAULES.

So ist es recht!


Er setzt das Diadem auf.


Das sitzt! Und alles, was mein Königreich

Im Schacht der Berge und im Grund des Meeres

An Perlen und Kleinodien nur liefert,

Nicht mehr, noch weniger, ist hier vereint:

Der Edelstein, den man bei uns nicht findet,

Und wär er noch so schön, ist streng verbannt,

Doch freilich ließ ich auch für den noch Platz,

Den man in hundert Jahren erst entdeckt. –

Begreifst du nun?


Zu Gyges.


Das andre eignet sich

Für einen Riesenkopf, wie eure Bildner

Ihn meinem Ahnherrn wohl zu geben pflegen,

Wenn er im Löwenfell mit plumper Keule

Von eines Brunnens moosgem Rand herab

Die Kinder euch erschrecken helfen soll.


Er gürtet sich das Schwert um.


Dies Schwert ist etwas leichter, wie das alte,

Doch dafür kann mans schwingen, wenn man muß,

Und nicht bloß draußen, unterm freien Himmel,

Wo die Giganten sich mit Felsen werfen,


Er ziehts und schwingts.


Nein, auch in menschlich engem Raum, wie hier!

Drum Thoas, spar dir ja die dritte Rede,

Die zweite hört ich heut!

THOAS.

Vergib mir, Herr!

Doch weißt du: nicht die jungen Glieder sinds,

In denen sich ein Wittrungswechsel meldet,

Die alten Knochen spüren ihn zuerst!


Ab.


GYGES.

Er geht betrübt.

KANDAULES.

Gewiß, er siehts nicht gern,

Daß jetzt der nächste Donnerkeil mich trifft,

Und das steht fest für ihn, es wäre denn,

Daß mich die Erde früher schon verschlänge,[11]

Wenn nicht der Minotaurus gar erscheint! –

So sind sie, denke darum aber nicht

Gering von ihnen! Nun, noch heute wirst du

Sie spielen sehn!

GYGES.

Und wünsche, mitzuspielen.

KANDAULES.

Wie, Gyges?

GYGES.

Herr, ich bitte dich darum!

KANDAULES.

Nein, nein, du sollst an meiner Seite sitzen,

Damit ein jeder sieht, wie ich dich ehre,

Und wie ich will, daß man dich ehren soll.

GYGES.

Wenn du mich ehrst, so schlägst du mirs nicht ab.

KANDAULES.

Du weißt nicht, was du tust! Kennst du die Lyder?

Ihr Griechen seid ein kluges Volk, ihr laßt

Die andern alle spinnen und ihr webt.

Das gibt ein Netz, wovon kein einzger Faden

Euch selbst gehört, und das doch euer ist!

Wie leicht wärs zugezogen und wie rasch

Die ganze Welt gefangen, wenn der Arm

Des Fischers nur ein wenig stärker wäre,

Der es regieren soll. Da aber fehlts!

Ihr könnt durch keine Kunst die Nervenstränge

Uns aus dem Leibe haspeln, darum stellen

Wir uns viel blinder, als wir wirklich sind,

Und gehn zu unsrem eignen Spaß hinein:

Ein kleiner Ruck macht uns ja wieder frei.

GYGES.

Wir feiern diese Spiele auch.

KANDAULES.

Ja, ja!

So unter euch! Da ringt der Dorier

Mit dem Jonier, und mischt am Ende

Gar der Böotier sich mit hinein,

So glaubt ihr, Ares selber schaue zu

Und merke sich mit Schaudern jeden Streich.

Gyges, und wenn du alle Preise dort

Errungen hättest, warnen müßt ich dich,

Hier auch nur um den letzten mitzukämpfen.

Denn wild und blutig ging es immer her,

Doch würbest du, der Grieche und mein Günstling,

Auch nur um einen Zweig der Silberpappel,[12]

Wie man sie heut zu Tausenden verstreut:

Du kämst mit deinem Leben nicht davon.

GYGES.

Nun habe ich dein Ja, du kannst mirs jetzt

Nicht länger vorenthalten!

KANDAULES.

Nimmst dus so?

Dann muß ich schweigen!

GYGES.

Herr, ich kam nicht bloß,

Zu bitten!


Er zieht einen Ring hervor.


Nimm! Es ist ein Königsring!

Du siehst ihn an, du findest nichts an ihm,

Du staunst, daß ich ihn dir zu bieten wage,

Du wirst ihn nehmen, wie vom Kind die Blume,

Nur um die arme Einfalt nicht zu kränken,

Die dir sie brach, nicht, weil sie dir gefällt.

Unscheinbar ist er, das ist wahr, und schlicht,

Und dennoch kannst du für dein Königreich

Ihn dir nicht kaufen, noch ihn mit Gewalt

Trotz aller deiner Macht, dem Träger rauben,

Wenn er ihn dir nicht willig reichen will.

Trägst du ihn so,


Mit Zeichen und Gebärden.


daß das Metall nach vorn

Zu sitzen kommt, so ist er bloß ein Schmuck,

Vielleicht auch keiner, aber drehst du ihn

So weit herum, daß dieser kleine Stein,

Der dunkelrote, um sich blitzen kann,

So bist du plötzlich unsichtbar und schreitest,

Wie Götter in der Wolke, durch die Welt.

Darum verschmäh ihn nicht, denn noch einmal:

Es ist ein Königsring, und diesen Tag

Ersah ich längst, ihn dir zu übergeben,

Du bist der einzge, der ihn tragen darf!

KANDAULES.

Von unerhörten Dingen kam auch uns

Die Kunde zu, man sprach von einem Weibe,

Medea hieß sie, welche Künste trieb,

Die selbst den Mond herab zur Erde zogen,

Doch nie vernahm ich noch von diesem Ring.[13]

Woher denn hast du ihn?

GYGES.

Aus einem Grabe,

Aus einem Grabe in Thessalien!

KANDAULES.

Du hast ein Grab erbrochen und entweiht?

GYGES.

Nein, König, nein! Erbrochen fand ichs vor!

Ich kroch nur bloß hinein, um mich vor Räubern

Zu bergen, die in großer Überzahl

Mir auf der Fährte waren und mich hetzten,

Als ich in abenteuerlichem Triebe

Das öde Waldgebirge jüngst durchstrich.

Die Aschenkrüge waren umgestoßen,

Die Scherben lagen traurig durcheinander,

Und in dem falben Strahl der Abendsonne,

Der durch die Ritzen des Gemäuers drang,

Sah ich ein Wölkchen blassen Staubes schweben,

Das vor mir aufstieg, als der letzte Rest

Der Toten, und so seltsam mich bewegte,

Daß ich, um meinesgleichen, meine Väter

Vielleicht, nicht unwillkürlich einzuatmen,

Den Odem lange anhielt in der Brust.

KANDAULES.

Nun? Und die Räuber?

GYGES.

Hatten meine Spur

Verloren, wie's mir schien, denn fern und ferner

Verhallten ihre Stimmen, und ich glaubte

Mich schon gesichert, wenn ich auch noch nicht

Mein dämmriges Asyl verließ. Als ich

Nun so auf meinen Knieen kauerte,

Erblickte ich auf einmal diesen Ring,

Der aus dem wüsten Trümmerhaufen mir

Mit seinem Stein, wie ein Lebendiges,

Fast an ein scharfes Schlangen-Auge mahnend,

Entgegenfunkelte. Ich hob ihn auf,

Ich blies die Asche von ihm ab, ich sprach:

»Wer trug dich einst am längst zerstäubten Finger?«

Und, um zu sehen, obs ein Mann gewesen,

Steckt ich ihn an. Doch das war kaum geschehn,

So schrie man draußen: »Halt! dort muß er sein!

Siehst du das Grab? Heran, heran, Gefährten,[14]

Wir haben ihn!« und rasch erschien der Trupp.

Ich aber, um nicht wehrlos, wie ein Tier,

Das man in eine Höhle trieb, geschlachtet

Zu werden, sprang hervor und stürzte ihnen

Entgegen, hoch in meiner Hand das Schwert.

Die Sonne war dem Untergange nah

Und strahlte, wie die Kerze, welche bald

Erlöschen soll, noch einmal doppelt hell.

Doch sie, als wär für sie allein die Nacht

Schon eingebrochen, stürmten, grimmig fluchend,

An mir vorbei und reihten sich ums Grab.

Das ward nun streng durchsucht, und als sie mich

Nicht fanden, höhnten sie: »Was tuts, er trug

Wohl auch nichts bei sich, als das trotzge Auge,

Das uns mit seinem kecken Blick so reizte,

Und dieses bläst ihm schon ein andrer aus!«

Nun abermals, doch langsam und verdrießlich,

Ja, spähend, und mir selbst ins Antlitz stierend,

An mir vorbei und wieder nicht gesehn!

KANDAULES.

Da dachtest du –

GYGES.

Nicht an den Ring! Noch nicht!

Ich glaubte, daß ein Gott mich durch ein Wunder

Gerettet, auf die Kniee warfs mich nieder,

Und zu dem Unsichtbaren sprach ich so:

Ich weiß nicht, wer du bist, und wenn du mir

Dein Antlitz nicht enthüllst, so kann ich dir

Das Tier nicht opfern, das dir heilig ist,

Allein zum Zeichen, daß ich dankbar bin

Und nicht des Muts ermangle, bring ich dir

Den wildesten von diesen Räubern dar,

Dies schwör ich hier, wie schwer es immer sei.

Nun eilt ich ihnen nach und mischte mich

In ihren Haufen, und ein Grauen faßte

Mich vor mir selbst, wie sie mich nicht allein

Gar nicht bemerkten, sondern durch mich hin,

Als wär ich bloße Luft, zusammen sprachen,

Ja selbst das Brot sich reichten und den Wein.

Mein Blick umflorte sich und schweifend fiel[15]

Er auf den Stein des Ringes, der mir rot

Und grell von meiner Hand entgegen sprühte

Und rastlos quellend, wallend, Perlen treibend

Und sie zerblasend, einem Auge glich,

Das ewig bricht in Blut, was ewig raucht.

Ich drehte ihn, aus Notwehr mögt ich sagen,

Aus Angst, denn alle diese Perlen blitzten,

Als wärens Sterne, und mir ward zumut,

Als schaut ich in den ewgen Born des Lichts

Unmittelbar hinein, und würde blind

Vom Übermaß, wie von der Harmonie

Der Sphären, wie es heißt, ein jeder taub.

Da aber fühlt ich kräftig mich gepackt,

Und: »Was ist das? Ei, wer hielt ihn versteckt?

Der Spaß ist gut!« erklangs um mich herum.

Zehn Fäuste griffen nun mir nach der Kehle,

Zehn andre rissen am Gewande mir,

Und, blieb die plumpste für den Ring nicht übrig,

So war ein schmählich Ende mir gewiß.

Doch plötzlich hieß es: »Ei, der ist nicht arm,

Das ist ein guter Fang, seht, blankes Gold,

Sogar ein Edelstein, nur her damit!«

Allein fast in demselben Odemzug

Erscholls: »Ein Gott! Ein Gott ist unter uns!«

Und alle lagen mir zu Füßen da.

KANDAULES.

Sie hatten, wie sie an dem Ring dir zerrten,

Ihn wieder umgedreht und schauderten,

Als du verschwandest, wie ein Wolkenbild.

GYGES.

So muß es sein. Ich aber drehte ihn,

Jetzt endlich eingeweiht in sein Geheimnis,

Stolz und verwegen noch einmal und rief:

Ein Gott, ja wohl, und jeder büßt mir nun!

Dann drang ich auf sie ein, und sie, entsetzt,

Als hätte ich den Donner in den Händen

Und tausend neue Tode mir zur Seite,

Behielten kaum zur Flucht noch Mut und Kraft.

Doch ich verfolgte sie, als müßte ich

Für die Erinnyen den Dienst versehen,[16]

Und nicht ein einziger kam mir davon!

Dann wollt ich mit dem Ring zurück zum Grabe,

Allein obgleich ich mir mit blutgen Leichen

Den weg bezeichnet hatte: nicht am Abend

Und nicht des Morgens ließ es sich mehr finden,

Und wider meinen Willen blieb er mein.

KANDAULES.

Das ist ein Schatz, wie keiner!

GYGES.

Sagt ichs nicht?

Ein Königsring! Drum, König, nimm ihn hin!

KANDAULES.

Erst nach dem Kampfe!

GYGES.

Herr, ich trug ihn nie

Seit jenem Tag und trag ihn niemals wieder!

Bist du mit Holz so geizig? Keines Waldes

Bedarf es ja zu meinem Scheiterhaufen,

Ein Baum genügt, und traue diesem Arm,

Er wird dir auch wohl noch den Baum ersparen!

KANDAULES.

So gib! Ich prüf ihn!

GYGES.

Und ich wappne mich!


Beide ab.

Gemach der Königin.

Rhodope nebst ihren Dienerinnen, Lesbia und Hero darunter tritt auf.


RHODOPE.

Nun freut euch, liebe Mädchen, heute ist

Es euch vergönnt! So sehr ichs tadeln muß,

Wenn ihr an andern Tagen auch nur lauscht,

So hart ich meine muntre Hero gestern,

Als sie den Baum erstieg, gescholten hätte,

Wenn nicht zu ihrer Strafe gleich ein Zweig,

So leicht sie ist, mit ihr gebrochen wäre,

Weil er zu schwach für so viel Neugier war –

HERO.

O Königin, wenn dus gesehen hast,

So weißt du auch, daß ich den dichtesten

Von allen Bäumen unsers Gartens wählte.

RHODOPE.

Den dichtesten? Kann sein! Doch ganz gewiß

Den, der am nächsten an der Mauer stand.

HERO.

Den allerdichtesten! Ich kletterte

In eine wahre grüne Nacht hinein![17]

Es war fast schauerlich, den goldnen Tag

So hinter sich zu lassen und im Dunkeln

Doch fortzukriechen.

RHODOPE.

Warum tatst dus denn?

HERO.

Nicht, weil ich dem Olymp um ein paar Fuß

Mich nähern wollte! Nein, das überließ ich

Der Nachtigall, die mir zu Häupten schlug.

Ich wollte – – Aber lache nicht! Ich kann

Das Wiegen nicht vergessen, und ich wollte

Mich oben etwas wiegen!

RHODOPE.

Weiter nichts?

HERO.

Und nebenbei, doch wirklich nebenbei,

Ganz nebenbei, ein wenig spähn, ich wüßte

Es gar zu gern, ob diesen unsern Garten,

Wie uns der finstre Karna immer sagt,

Ein See umgibt.

LESBIA.

Ein See!

HERO.

Du weißt es besser!

LESBIA.

Ei, hast dus hier noch jemals rauschen hören,

Und ist ein See so ruhig, wie du selbst?

RHODOPE.

Ich will nicht weiter fragen, denn ich weiß,

Daß dus nicht wieder tust. Nie fiel ein Mädchen

So sanft, wie du, und nie erschrak es so!

LESBIA.

Ja, alle Glieder waren hin!

HERO.

Ich wäre

Gar nicht gefallen, denn ein stärkrer Zweig

War nah genug, der aber schaukelte

Ein Nest mit jungen Vögeln, und ich wollte

Ihn nicht betreten, um die zarte Brut,

Die schon die federlosen Flügel regte,

Nicht aufzuscheuchen!

LESBIA.

Dieses also wars?

Sie flogen aber dennoch auf, du griffst

Zuletzt gewiß noch zu, um dich zu halten!

RHODOPE.

Neckt euch, solang ihr wollt, dies ist der Tag,

An dem für euch das enge Haus sich öffnet,

Nun treibt es, wie ihr mögt, und seht euch satt.

HERO.

Und du?[18]

RHODOPE.

Schaut nicht auf mich! Was euch erlaubt,

Ist mir nur nicht verboten, heute kann

Ich euch nicht Muster und nicht Vorbild sein.

HERO.

So willst du abermals das Fest nicht sehn?

RHODOPE.

Um dich nicht in der Fröhlichkeit zu stören! –

Bei uns ist das nicht Sitte, und mir wärs,

Als ob ich essen sollte ohne Hunger

Und trinken ohne Durst. Auch scheint es mir,

Daß unsre Weise besser ist, als eure,

Denn niemals kommt ihr ohne Schauder heim

Von diesen Festen, die euch erst so locken,

Und das ist mir die Liebste, die den tiefsten

Empfindet und zum zweiten Mal nicht geht.

Das soll für euch kein Tadel sein, o nein,

Es freut mich nur, daß meine Lesbia,

Die unter euch erwuchs, so fühlt, wie ich!

LESBIA.

Wirst du mir heut vergeben – –

RHODOPE.

Was denn nur?

Was soll ich dir vergeben? Willst du mit?

O, hätt ich dieses Lob zurück! Sie schämt

Sich jetzt, die Tochter ihres Volks zu sein,

Und hats nicht Ursach. Bin ich selbst was andres?

Geh, geh und sag mir, wer der Sieger war!

HERO.

Gewiß wird auch der junge Gyges kämpfen,

Der diese schöne Stimme hat.

RHODOPE.

Du kennst

Schon seine Stimme?

HERO.

Ja, doch weiter nichts!

Heut werden wir ihn sehn, und glaube mir,

Auch sie geht nur, weil er erscheint!

LESBIA.

Ich kann

Noch immer bleiben und dich Lügen strafen!

HERO.

Du tust es nicht!

KANDAULES tritt rasch ein.

Rhodope, sei gegrüßt! –

Doch – Weißt du, wer ich bin? Ein Hermenwächter,

Ein Grenzpfahlkönig, der die Ellen freilich,

Doch nie die Schwerter mißt und schuld dran ist,

Daß die zwölf Taten des Herakles nicht[19]

Durch vierundzwanzig andre, größere

Längst überboten sind. Wenn dus nicht glaubst,

So frage nur den grimmigen Alkäos,

Du kennst ihn nicht? Ich auch seit heute erst!

Und weißt du, wie ich Menschen glücklich mache?

Ich spreche: Jüngling komm, da ist ein Kern,

Den stecke in die Erde und begieße

Den Fleck mit Wasser, tu es Tag für Tag

Und sei gewiß, daß du mit weißen Haaren

Für deine Mühe Kirschen essen wirst,

Ob süße oder saure, siehst du dann!

Als Währsmann stelle ich den Agron dir,

Den würdgen Freund des würdigen Alkäos,

Ihm völlig gleich, nur nicht so weiß im Bart.

RHODOPE.

Du bist vergnügt!

KANDAULES.

Wie sollte ichs nicht sein?

Wenn auch Alkäos mir in offnem Aufstand

Entgegen treten will, sobald ichs wage,

Vor ihm so zu erscheinen, wie vor dir,

Ich meine mit dem neuen Diadem:

Agron wird mich beschützen, und ich soll

Zum Dank mich nur verpflichten, du wirst staunen,

Wie mild ers mit mir vor hat, nie den Putz

Mehr zu verändern und ein Schwert zu tragen,

Das meine ganze Kraft durchs Ziehn erschöpft.

RHODOPE.

Woher denn weißt du das?

KANDAULES.

Durch keinen Späher,

Noch weniger durch einen falschen Freund:

Von ihnen selbst, durch ihren eignen Mund.

RHODOPE.

Du spottest meiner Frage.

KANDAULES.

Nein doch, nein!

Ich sprech im vollsten Ernst! Ich stand dabei,

Wie sie, die Nägel in die Tische grabend,

Und mit gewetztem Zahn die eigne Lippe,

Als wär es fremdes, wildes Fleisch, benagend,

Sichs schwuren, und sie halten es gewiß.

Es gilt hier eine Art von Gottesurteil,

Der eine haut nach mir, der andre wehrt,[20]

Und Dike kann entscheiden, wenn sie mag.

RHODOPE.

So hättest du gelauscht? Das glaub ich nicht.

Wenn ich wo bin, wo man mich nicht erwartet,

So mach ich ein Geräusch, damit mans merkt

Und ja nicht spricht, was ich nicht hören soll,

Und du – nein, nein, das tut ein König nicht!

KANDAULES.

Gewiß nicht! – Doch, du kannst es nicht erraten!

Siehst du den Ring? Wie teuer hältst du ihn?

RHODOPE.

Ich weiß ja nicht, von wem er kommt.

KANDAULES.

Von Gyges!

RHODOPE.

Da wird er dir unschätzbar sein!

KANDAULES.

Er ists!

Doch ahnst du nicht, warum. Vernimms und staune,

Unsichtbar macht er jeden, der ihn trägt.

RHODOPE.

Unsichtbar?

KANDAULES.

Eben hab ichs selbst erprobt.

Nicht wieder klettern, Hero! Nur die Vögel

Verstecken sich im Laube!

RHODOPE.

Lesbia!

KANDAULES.

Durch alle Türen schreit ich hin, mich halten

Nicht Schloß noch Riegel fern!

RHODOPE.

Wie fürchterlich.

KANDAULES.

Für jeden Bösen, meinst du.

RHODOPE.

Nein doch, nein!

Für jeden Guten noch viel mehr!


Zu Lesbia.


Kannst du

Noch ruhig atmen, wirst du nicht in Scham

Verglühn, nun du dies weißt? Herr, wirf ihn fort,

Hinunter in den tiefsten Fluß! Wem mehr

Als Menschenkraft beschieden ist, der wird

Als Halbgott gleich geboren! Gib ihn mir!

Man sagt bei uns, daß Dinge, die die Welt

Zertrümmern können, hie und da auf Erden

Verborgen sind. Sie stammen aus der Zeit,

Wo Gott und Mensch noch miteinander gingen

Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring

Gehört dazu! Wer weiß, an welche Hand

Ihn eine Göttin steckte, welchen Bund

Er einst besiegeln mußte! Graust dich nicht,[21]

Dir ihre dunkle Gabe anzueignen

Und ihre Rache auf dein Haupt zu ziehn?

Mich schaudert, wenn ich ihn nur seh! So gib!

KANDAULES.

Um einen Preis! Wenn du als Königin

Beim Feste heut erscheinen willst.

RHODOPE.

Wie kann ich!

Du holtest dir von weit entlegner Grenze

Die stille Braut, und wußtest, wie sie war.

Auch hats dich einst beglückt, daß vor dem deinen

Nur noch das Vaterauge auf mir ruhte,

Und daß nach dir mich keiner mehr erblickt.

KANDAULES.

Vergib! Ich denke nur, der Edelstein,

Den man nicht zeigt –

RHODOPE.

Lockt keine Räuber an!

KANDAULES.

Genug! Ich bin ja an dies Nein gewöhnt!

Bläst auch der frische Wind an allen Orten

Die Schleier weg: du hältst den deinen fest.


Musik.


Der Zug! Da darf der König ja nicht fehlen.

RHODOPE.

Und die Empörer? Heute tuts mir weh,

Daß ich nicht mit dir gehen darf.

KANDAULES.

Hab Dank!

Doch ängstige dich nicht. Es ist gesorgt.

RHODOPE.

Gewiß?

KANDAULES.

Gewiß! Zwar nicht, weil ich mich fürchte,

Nur, weil ich strafen müßte, und nicht mag.

Das Leben ist zu kurz, als daß der Mensch

Sich drin den Tod auch nur verdienen könnte,

Darum verhinge ich ihn heut nicht gern!


Ab.


RHODOPE.

Nun geht auch ihr!

LESBIA.

Ich bleibe, Königin!

RHODOPE.

Ei nein! Dir sangs die Amme nimmer vor,

Daß Mannes Angesicht der Tod für dich!


Lesbia, Hero und die übrigen ab.


Das Träumen kennt hier keine! Auch der Besten

Ist Opfer, was mir einzge Freude ist!


Ab.

[22] Freier Platz.

Viel Volk. Der König auf einem Thron. Lesbia, Hero usw. an der Seite auf einem Balkon. Die Spiele sind eben beendigt. Allgemeine Bewegung und Sonderung in Gruppen. Ringer, Faustkämpfer, Wagenlenker usw. werden nach und nach sichtbar, alle mit Zweigen von der Silberpappel bekränzt. Wein wird gereicht, Musik ertönt, das Fest beginnt.


VOLK.

Heil, Gyges, Heil!

KANDAULES in den Hintergrund schauend.

Im Diskuswerfen auch?

Zum dritten Mal? Das sollt ich übelnehmen!

Da kommt ja gar nichts auf die Meinigen.


Heruntersteigend und dem aus dem Hintergrunde kommenden Gyges, dem das Volk noch immer zujubelt und Platz macht, entgegenschreitend.


Bescheiden bist du, das ist wahr! Du nimmst

Nicht mehr, als da ist.

GYGES.

Herr, ich kämpfte heut

Als Grieche, nicht als Gyges.

KANDAULES.

Um so schlimmer

Für uns, wenn du die neue Regel bist!

Da tuts ja not, die alten Drachenhäute

Hervor zu suchen und sie auszustopfen,

Die, vom Herakles her, noch irgendwo

Im Winkel eines Tempels faulen sollen,

Den Balg der Schlange mit den hundert Köpfen

Und andres mehr, was euch erschrecken kann!

Du hörst mich nicht!

GYGES.

Doch! doch!

KANDAULES.

Ei nein, ich sehs,

Du bist zerstreut, du schielst zu jenen Mädchen

Hinüber, sie bemerkens auch, schau hin,

Die Kleine neckt die Große! Du wirst rot?

Pfui, schäme dich!

GYGES.

Mich dürstet, Herr!

KANDAULES.

Dich dürstet?

Das ist was andres! Wer so kämpft, wie du,

Der hat das Recht auf einen guten Trunk,[23]

Und, wenn auch ohne Recht, ich trinke mit!

Nun kommt der Teil des Festes, den ich liebe!


Winkt einem Diener.


Heran!

EIN DIENER bringt einen Pokal mit Wein.

KANDAULES gießt einige Tropfen auf die Erde.

Die Wurzel erst! Und dann der Zweig!


Er trinkt und will Gyges den Pokal reichen. Dieser sieht wieder zu dem Balkon hinüber.


Komm! – Ha! – Schwarz oder braun, das ist die Frage,

Nicht wahr?

GYGES.

O Herr!

KANDAULES.

Hat dir der Wein geschmeckt?

GYGES.

Ich trank noch nicht.

KANDAULES.

Das weißt du? Nun, so laß

Dich mahnen, daß du durstig bist und mach!

Ich stehe dir dafür, daß sie so lange

Verweilt, bis du heraus hast, was dich quält!

GYGES trinkt.

Das kühlt!

KANDAULES.

O weh! hinunter geht dein Stern!


Die Mädchen entfernen sich, aber man sieht sie noch.


Nun, es war Zeit. Sieh dich nur um! Die drehen

Sich schon, als wärs um einen Thyrsosstab,

Der, plötzlich aus der Erde aufgeschossen,

Noch rascher, wie ein Pfeil, gen Himmel steigt

Und Millionen Trauben fallen läßt.

Der Wein ist für geflügelte Geschöpfe,

Nicht für die Welt, worin man hinkt und kriecht!

Die stellt er auf den Kopf. Der Alte da

Wär gleich bereit, den Tiger zu besteigen

Und sich die welken Schläfe zu bekränzen,

Wie Dionys, als er zum Ganges zog!

Doch das behagt mir eben! – War sie schön?

GYGES.

Ich weiß nicht, ob das schön, was mir gefällt?

KANDAULES.

Sprich ruhig: Ja! Ein Auge, wie die Kohle,

Die zwar nur glimmt, doch vor dem kleinsten Hauch

Schon Funken gibt, dabei ein Farbenspiel,[24]

Daß man nicht weiß, obs schwarz ist, oder braun,

Und dann, als liefe dieses ewge Schillern

Durch jeden Tropfen ihres Bluts hindurch,

Ein Wechseln zwischen Scham und stiller Glut,

Das ihr Erröten reizend macht, wie keins.

GYGES.

Du tust das ganz für mich, was halb der Wind,

Er lüftete den Schleier, du erhebst ihn!

KANDAULES.

Ich tus nicht, weil du vor ihr knieen sollst!

Nein! Wenn ich vor ein andres Bild dich führte,

Du würdest dies, so lieblich es auch ist,

Wie einen Fleck dir aus dem Auge wischen,

Der dir den Spiegel trübte!

GYGES.

Meinst du, Herr?

KANDAULES.

Gewiß! Doch halt! Man soll den Schatz nicht preisen,

Den man nicht zeigen kann! Man wird verhöhnt,

Wer glaubt an Perlen in geschloßner Hand!

GYGES.

Ich!

KANDAULES.

Gyges, schon der Schatten, den Rhodope

Im Mondschein wirft – du lächelst! Trinken wir!

GYGES.

Ich lächle nicht!

KANDAULES.

So solltest du! Wer kann

Denn nicht so prahlen? Sprächst du so zu mir,

Wie ich zu dir, ich sagte: zeig sie mir,

Sonst schweige still!

GYGES.

Ich traue dir!

KANDAULES.

Ei was!

Dem Auge soll man trauen, nicht dem Ohr.

Du traust mir! Ha! Vor diesem blöden Kinde

Erglühtest du und jetzt – – Genug, genug,

Ich will mich nicht mehr schwatzend vor dir brüsten,

Wie ichs so lange Zeit nun schon getan,

Du sollst sie sehn!

GYGES.

Sie sehn!

KANDAULES.

Noch diese Nacht!

Ich brauche einen Zeugen, daß ich nicht

Ein eitler Tor bin, der sich selbst belügt,

Wenn er sich rühmt, das schönste Weib zu küssen,[25]

Und dazu wähl ich dich.

GYGES.

O, nimmermehr!

Erwägst du – Für den Mann wärs eine Schmach,

Doch für ein Weib, und für ein Weib, wie sie,

Das selbst bei Tag –

KANDAULES.

Sie kanns ja nie erfahren!

Hast du den Ring vergessen? Und ich bin

Erst glücklich, wenn dein Mund mir sagt, ich seis.

Ei, frag dich selbst, ob du die Krone mögtest,

Wenn du sie nur im Dunkeln tragen solltest!

Nun, so ergeht es mir mit ihr! Sie ist

Der Frauen Königin, doch ich besitze

Sie, wie das Meer die Perlen, keiner ahnt,

Wie reich ich bin, und ist einst alles aus,

So kanns kein Freund mir auf den Grabstein setzen,

Und Bettler unter Bettlern lieg ich da.

Drum widerstrebe nicht und nimm den Ring!


Er reicht ihn Gyges, dieser nimmt ihn nicht.


Die Nacht bricht ein, ich zeig dir das Gemach,

Und wenn du siehst, daß ichs mit ihr betrete,

So folgst du uns!


Er faßt Gyges bei der Hand und zieht ihn mit sich fort.


Ich fordre es von dir!

Und bist dus deiner Lesbia nicht schuldig?

Vielleicht ist sie die Siegerin!


Beide ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 9-26.
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