Dritte Szene

[539] Soemus tritt ein.


HERODES.

Ist mein Schwäher Joseph draußen?

SOEMUS.

Er harrt mit Sameas.

HERODES.

Führ ihn hinweg!

Ich gab ihm einen Brief! Er soll den Brief

Alsbald bestellen! Du begleitest ihn

Und sorgst, daß alles treu vollzogen wird,

Was dieser Brief befiehlt!

SOEMUS.

Es soll geschehn!


Ab.


HERODES.

Was du auch ahnen, denken, wissen magst,

Du hast mich doch mißkannt!

MARIAMNE.

Dem Brudermord

Hast du das Siegel der Notwendigkeit,

Dem man sich beugen muß, wie man auch schaudert,

Zwar aufgedrückt, doch es gelingt dir nie,

Mit diesem Siegel auch den Mord an mir

Zu stempeln, der wird bleiben, was er ist,

Ein Frevel, den man höchstens wiederholen,

Doch nun und nimmer überbieten kann!

HERODES.

Ich würde nicht den Mut zur Antwort haben,

Wenn ich, was ich auch immer wagen mogte,

Des Ausgangs nicht gewiß gewesen wäre,

Das war ich aber, und ich war es nur,

Weil ich mein Alles auf das Spiel gesetzt!

Ich tat, was auf dem Schlachtfeld der Soldat

Wohl tut, wenn es ein Allerletztes gilt,

Er schleudert die Standarte, die ihn führt,

An der sein Glück und seine Ehre hängt,

Entschlossen von sich ins Gewühl der Feinde,

Doch nicht, weil er sie preiszugeben denkt:

Er stürzt sich nach, er holt sie sich zurück,

Und bringt den Kranz, der schon nicht mehr dem Mut,

Nur der Verzweiflung noch erreichbar war,

Den Kranz des Siegs, wenn auch zerrissen, mit.

Du hast mich feig genannt. Wenn der es ist,

Der einen Dämon in sich selber fürchtet,[539]

So bin ich es zuweilen, aber nur,

Wenn ich mein Ziel auf krummen Weg erreichen,

Wenn ich mich ducken und mich stellen soll,

Als ob ich der nicht wäre, der ich bin.

Dann ängstigts mich, ich mögte mich zu früh

Aufrichten, und um meinen Stolz zu zähmen,

Der, leicht empört, mich dazu spornen könnte,

Knüpf ich an mich, was mehr ist, als ich selbst,

Und mit mir stehen oder fallen muß.

Weißt du, was meiner harrte, als ich ging?

Kein Zweikampf und noch minder ein Gericht,

Ein launischer Tyrann, vor dem ich mich

Verleugnen sollte, aber sicher nicht

Verleugnet hätte, wenn – Ich dachte dein,

Nun knirscht ich nicht einmal – und was er auch

Dem Mann und König in mir bieten mogte,

Von Schmaus zu Schmaus mich schleppend und den Freispruch

Mir doch, unheimlich schweigend, vorenthaltend,

Geduldig, wie ein Sklave, nahm ichs hin!

MARIAMNE.

Du sprichst umsonst! Du hast in mir die Menschheit

Geschändet, meinen Schmerz muß jeder teilen,

Der Mensch ist, wie ich selbst, er braucht mir nicht

Verwandt, er braucht nicht Weib zu sein, wie ich.

Als du durch heimlich-stillen Mord den Bruder

Mir raubtest, konnten die nur mit mir weinen,

Die Brüder haben, alle andern mogten

Noch trocknen Auges auf die Seite treten

Und mir ihr Mitleid weigern. Doch ein Leben

Hat jedermann und keiner will das Leben

Sich nehmen lassen, als von Gott allein,

Der es gegeben hat! Solch einen Frevel

Verdammt das ganze menschliche Geschlecht,

Verdammt das Schicksal, das ihn zwar beginnen,

Doch nicht gelingen ließ, verdammst du selbst!

Und wenn der Mensch in mir so tief durch dich

Gekränkt ist, sprich, was soll das Weib empfinden,

Wie steh ich jetzt zu dir und du zu mir?[540]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 539-541.
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