Dritte Szene

[358] DER KAUFMANN WOLFRAM tritt ein. Guten Tag, Jungfer Klara, ist Ihr Vater nicht zu Hause?

KLARA. Er ist eben fortgegangen.

WOLFRAM. Ich komme – – meine Juwelen haben sich wiedergefunden.

KLARA. O Vater, wärst du da! Er hat seine Brille vergessen, dort liegt sie! Daß ers bemerkte und umkehrte! Wie denn? – Wo? – Bei wem?

WOLFRAM. Meine Frau – Sag Sie mir aufrichtig, Jungfer, hat Sie nicht auch schon etwas Wunderliches über meine Frau gehört?

KLARA. Ja!

WOLFRAM. Daß sie – Er deutet auf die Stirn. Nicht wahr?

KLARA. Daß sie nicht recht bei sich ist, freilich!

WOLFRAM ausbrechend. Mein Gott! Mein Gott! Alles umsonst! Keinen Dienstboten, den ich einmal in mein Haus nahm, hab ich wieder von mir gelassen, jedem habe ich doppelten Lohn gegeben und zu allen Nachlässigkeiten die Augen zugedrückt, um mir ihr Stillschweigen zu erkaufen, dennoch – die falschen, undankbaren Kreaturen! O meine armen Kinder! Bloß euretwegen suchte ichs zu verbergen!

KLARA. Schelt Er Seine Leute nicht! Die sind gewiß unschuldig! Seit das Nachbarhaus abbrannte, und Seine Frau aus dem geöffneten Fenster dazu lachte und in die Hände klatschte, ja[358] sogar mit vollen Backen ins Feuer hinüber blies, als wollte sie es noch mehr anfachen, seitdem hatte man nur die Wahl, ob man sie für einen Teufel, oder für eine Verrückte halten wollte. Und das haben Hunderte gesehen.

WOLFRAM. Es ist wahr. Nun, da die ganze Stadt mein Unglück kennt, so wäre es törigt, wenn ich Ihr das Versprechen abfordern wollte, es zu verschweigen. Höre Sie denn! Den Diebstahl, wegen dessen Ihr Bruder im Gefängnis sitzt, hat der Wahnsinn begangen!

KLARA. Seine eigne Frau –

WOLFRAM. Daß sie, die früher die edelste, mitleidigste Seele von der Welt war, boshaft und schadenfroh geworden ist, daß sie jauchzt und jubelt, wenn vor ihren Augen ein Unglück geschieht, wenn die Magd ein Glas zerbricht, oder sich in den Finger schneidet, wußte ich längst; daß sie aber auch Sachen im Hause auf die Seite bringt, Geld versteckt, Papiere zerreißt, das habe ich leider zu spät erfahren, erst heute mittag. Ich hatte mich aufs Bett gelegt und wollte eben einschlafen, da bemerkte ich, daß sie sich mir leise näherte und mich scharf betrachtete, ob ich schon schliefe. Ich schloß die Augen fester, da nahm sie aus meiner über den Stuhl gehängten Weste den Schlüssel, öffnete den Sekretär, griff nach einer Goldrolle, schloß wieder zu und trug den Schlüssel zurück. Ich entsetzte mich, doch ich hielt an mich, um sie nicht zu stören, sie verließ das Zimmer, ich schlich ihr auf den Zehen nach. Sie stieg zum obersten Boden hinauf und warf die Goldrolle in eine alte Kiste hinein, die noch vom Großvater her leer da steht, dann sah sie sich scheu nach allen Seiten um und eilte, ohne mich zu bemerken, wieder fort. Ich zündete einen Wachsstock an und durchsuchte die Kiste, da fand ich die Spielpuppe meiner jüngsten Tochter, ein Paar Pantoffeln der Magd, ein Handlungsbuch, Briefe und leider, oder Gott Lob, wie soll ich sagen, ganz unten auch die Juwelen!

KLARA. O meine arme Mutter! Es ist doch zu schändlich!

WOLFRAM. Gott weiß, ich würde den Schmuck darum geben, könnt ich ungeschehen machen, was geschehen ist! Aber nicht ich bin schuld! Daß mein Verdacht, bei aller Achtung vor Ihrem Vater, auf Ihren Bruder fiel, war natürlich, er hatte den[359] Sekretär poliert, und mit ihm waren die Juwelen verschwunden, ich bemerkte es fast augenblicklich, denn ich mußte aus dem Fach, worin sie lagen, Papiere herausnehmen. Doch es fiel mir nicht ein, gleich strenge Maßregeln gegen ihn zu ergreifen, ich teilte die Sache nur vorläufig dem Gerichtsdiener Adam mit und ersuchte ihn, ganz in der Stille Nachforschungen anzustellen, aber dieser wollte von keiner Schonung wissen, er erklärte mir, er müsse und werde den Fall auf der Stelle anzeigen, dem Ihr Bruder sei ein Säufer und Schuldenmacher, und er gilt bei dem Bürgermeister leider so viel, daß er durchsetzen kann, was er will. Der Mann scheint bis aufs äußerste gegen Ihren Vater aufgebracht zu sein, ich weiß nicht, warum, es war nicht möglich, ihn zu beschwichtigen, er hielt sich die Ohren zu, und rief, als er fortrannte: wenn Er mir den Schmuck geschenkt hätte, ich wäre nicht so vergnügt wie jetzt!

KLARA. Der Gerichtsdiener hat im Wirtshaus einmal sein Glas neben das meines Vaters auf den Tisch gestellt und ihm dabei zugenickt, als ob er ihn zum Anstoßen auffordern wolle. Da hat mein Vater das seinige weggenommen und gesagt: Leute im roten Rock mit blauen Aufschlägen mußten ehemals aus Gläsern mit hölzernen Füßen trinken, auch mußten sie draußen vor dem Fenster, oder, wenns regnete, vor der Tür stehenbleiben und bescheiden den Hut abziehen, wenn der Wirt ihnen den Trunk reichte; wenn sie aber ein Gelüsten trugen, mit jemandem anzustoßen, so warteten sie, bis der Gevatter Fallmeister vorüberkam. Gott! Gott! Was ist alles möglich auf der Welt! Das hat meine Mutter mit einem jähen Tode bezahlen müssen!

WOLFRAM. Man soll keinen reizen und die Schlimmen am wenigsten! Wo ist Ihr Vater?

KLARA. Im Gebirg beim Holzhändler.

WOLFRAM. Ich reite hinaus und such ihn auf. Beim Bürgermeister war ich schon, leider traf ich ihn nicht daheim, sonst würde Ihr Bruder schon hier sein, aber der Sekretär hat sogleich einen Boten abgefertigt, Sie wird ihn noch vor Abend sehen. Ab.[360]


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 358-361.
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