Caput XIX

[395] Aber als der Schönheit Kleeblatt

Ragten in des Zuges Mitten

Drei Gestalten – Nie vergeß ich

Diese holden Frauenbilder.


Leicht erkennbar war die eine

An dem Halbmond auf dem Haupte;

Stolz, wie eine reine Bildsäul',

Ritt einher die große Göttin.


Hochgeschürzte Tunika,

Brust und Hüfte halb bedeckend.

Fackellicht und Mondschein spielten

Lüstern um die weißen Glieder.


Auch das Antlitz weiß wie Marmor,

Und wie Marmor kalt. Entsetzlich

War die Starrheit und die Blässe

Dieser strengen edlen Züge.


Doch in ihrem schwarzen Auge

Loderte ein grauenhaftes

Und unheimlich süßes Feuer,

Seelenblendend und verzehrend.[395]


Wie verändert ist Diana,

Die, im Übermut der Keuschheit,

Einst den Aktäon verhirschte

Und den Hunden preisgegeben!


Büßt sie jetzt für diese Sünde

In galantester Gesellschaft?

Wie ein spukend armes Weltkind

Fährt sie nächtlich durch die Lüfte.


Spät zwar, aber desto stärker

Ist erwacht in ihr die Wollust,

Und es brennt in ihren Augen

Wie ein wahrer Höllenbrand.


Die verlorne Zeit bereut sie,

Wo die Männer schöner waren,

Und die Quantität ersetzt ihr

Jetzt vielleicht die Qualität.


Neben ihr ritt eine Schöne,

Deren Züge nicht so griechisch

Streng gemessen, doch sie strahlten

Von des Keltenstammes Anmut.


Dieses war die Fee Abunde,

Die ich leicht erkennen konnte

An der Süße ihres Lächelns

Und am herzlich tollen Lachen!


Ein Gesicht, gesund und rosig,

Wie gemalt von Meister Greuze,

Mund in Herzform, stets geöffnet,

Und entzückend weiße Zähne.
[396]

Trug ein flatternd blaues Nachtkleid,

Das der Wind zu lüften suchte –

Selbst in meinen besten Träumen

Sah ich nimmer solche Schultern!


Wenig fehlte und ich sprang

Aus dem Fenster, sie zu küssen!

Dieses wär mir schlecht bekommen,

Denn den Hals hätt ich gebrochen.


Ach! sie hätte nur gelacht,

Wenn ich unten in den Abgrund

Blutend fiel zu ihren Füßen –

Ach! ich kenne solches Lachen!


Und das dritte Frauenbild,

Das dein Herz so tief bewegte,

War es eine Teufelinne,

Wie die andern zwo Gestalten?


Ob's ein Teufel oder Engel,

Weiß ich nicht. Genau bei Weibern

Weiß man niemals, wo der Engel

Aufhört und der Teufel anfängt.


Auf dem glutenkranken Antlitz

Lag des Morgenlandes Zauber,

Auch die Kleider mahnten kostbar

An Scheherezadens Märchen.


Sanfte Lippen, wie Grenaten,

Ein gebognes Liliennäschen,

Und die Glieder schlank und kühlig

Wie die Palme der Oase.
[397]

Lehnte hoch auf weißem Zelter,

Dessen Goldzaum von zwei Mohren

Ward geleitet, die zu Fuß

An der Fürstin Seite trabten.


Wirklich eine Fürstin war sie,

War Judäas Königin,

Des Herodes schönes Weib,

Die des Täufers Haupt begehrt hat.


Dieser Blutschuld halber ward sie

Auch vermaledeit; als Nachtspuk

Muß sie bis zum Jüngsten Tage

Reiten mit der Wilden Jagd.


In den Händen trägt sie immer

Jene Schüssel mit dem Haupte

Des Johannes, und sie küßt es;

Ja, sie küßt das Haupt mit Inbrunst.


Denn sie liebte einst Johannem –

In der Bibel steht es nicht,

Doch im Volke lebt die Sage

Von Herodias' blut'ger Liebe –


Anders wär ja unerklärlich

Das Gelüste jener Dame –

Wird ein Weib das Haupt begehren

Eines Manns, den sie nicht liebt?


War vielleicht ein bißchen böse

Auf den Liebsten, ließ ihn köpfen;

Aber als sie auf der Schüssel

Das geliebte Haupt erblickte,
[398]

Weinte sie und ward verrückt,

Und sie starb in Liebeswahnsinn.

(Liebeswahnsinn! Pleonasmus!

Liebe ist ja schon ein Wahnsinn!)


Nächtlich auferstehend trägt sie,

Wie gesagt, das blut'ge Haupt

In der Hand, auf ihrer Jagdfahrt –

Doch mit toller Weiberlaune


Schleudert sie das Haupt zuweilen

Durch die Lüfte, kindisch lachend,

Und sie fängt es sehr behende

Wieder auf, wie einen Spielball.


Als sie mir vorüberritt,

Schaute sie mich an und nickte

So kokett zugleich und schmachtend,

Daß mein tiefstes Herz erbebte.


Dreimal auf und nieder wogend

Fuhr der Zug vorbei, und dreimal

Im Vorüberreiten grüßte

Mich das liebliche Gespenst.


Als der Zug bereits erblichen

Und verklungen das Getümmel,

Loderte mir im Gehirne

Immerfort der holde Gruß.


Und die ganze Nacht hindurch

Wälzte ich die müden Glieder

Auf der Streu – (denn Federbetten

Gab's nicht in Urakas Hütte) –
[399]

Und ich sann: Was mag bedeuten

Das geheimnisvolle Nicken?

Warum hast du mich so zärtlich

Angesehn, Herodias?


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 395-400.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Atta Troll
Gedichte Von Heinrich Heine, Vierter Band. Deutschland. Atta Troll
Atta Troll. Ein Sommernachtstraum
Atta Troll - Ein Sommernachtstraum Deutschland - Ein Wintermärchen
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Atta Troll Ein Sommernachtstraum. Deutschland Ein Wintermärchen
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Aristophanes

Die Wolken. (Nephelai)

Die Wolken. (Nephelai)

Aristophanes hielt die Wolken für sein gelungenstes Werk und war entsprechend enttäuscht als sie bei den Dionysien des Jahres 423 v. Chr. nur den dritten Platz belegten. Ein Spottstück auf das damals neumodische, vermeintliche Wissen derer, die »die schlechtere Sache zur besseren« machen.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon