Caput XXII

[409] Phöbus, in der Sonnendroschke,

Peitschte seine Flammenrosse,

Und er hatte schon zur Hälfte

Seine Himmelsfahrt vollendet –


Während ich im Schlafe lag

Und von Bären und Gespenstern,

Die sich wunderlich umschlangen,

Tolle Arabesken! träumte.


Mittag war's, als ich erwachte,

Und ich fand mich ganz allein.

Meine Wirtin und Laskaro

Gingen auf die Jagd schon frühe.
[409]

In der Hütte blieb zurück

Nur der Mops. Am Feuerherde

Stand er aufrecht vor dem Kessel,

In den Pfoten einen Löffel.


Schien vortrefflich abgerichtet,

Wenn die Suppe überkochte,

Schnell darin herumzurühren

Und die Blasen abzuschäumen.


Aber bin ich selbst behext?

Oder lodert mir im Kopfe

Noch das Fieber? Meinen Ohren

Glaub ich kaum – es spricht der Mops!


Ja, er spricht, und zwar gemütlich

Schwäbisch ist die Mundart; träumend,

Wie verloren in Gedanken,

Spricht er folgendergestalt:


»Oh, ich armer Schwabendichter!

In der Fremde muß ich traurig

Als verwünschter Mops verschmachten

Und den Hexenkessel hüten!


Welch ein schändliches Verbrechen

Ist die Zauberei! Wie tragisch

Ist mein Schicksal: menschlich fühlen

In der Hülle eines Hundes!


Wär ich doch daheim geblieben,

Bei den trauten Schulgenossen!

Das sind keine Hexenmeister,

Sie bezaubern keinen Menschen.
[410]

Wär ich doch daheim geblieben,

Bei Karl Mayer, bei den süßen

Gelbveiglein des Vaterlandes,

Bei den frommen Metzelsuppen!


Heute sterb ich fast vor Heimweh –

Sehen möcht ich nur den Rauch,

Der emporsteigt aus dem Schornstein,

Wenn man Nudeln kocht in Stukkert!«


Als ich dies vernahm, ergriff mich

Tiefe Rührung; von dem Lager

Sprang ich auf, an das Kamin

Setzt ich mich, und sprach mitleidig:


»Edler Sänger, wie gerietest

Du in diese Hexenhütte?

Und warum hat man so grausam

Dich in einen Hund verwandelt?«


Jener aber rief mit Freude:

»Also sind Sie kein Franzose?

Sind ein Deutscher und verstanden

Meinen stillen Monolog?


Ach, Herr Landsmann, welch ein Unglück,

Daß der Legationsrat Kölle,

Wenn wir bei Tabak und Bier

In der Kneipe diskurierten,


Immer auf den Satz zurückkam,

Man erwürbe nur durch Reisen

Jene Bildung, die er selber

Aus der Fremde mitgebracht!
[411]

Um mir nun die rohe Kruste

Von den Beinen abzulaufen

Und, wie Kölle, mir die feinern

Weltmannssitten anzuschleifen:


Nahm ich Abschied von der Heimat,

Und auf meiner Bildungsreise

Kam ich nach den Pyrenäen,

Nach der Hütte der Uraka.


Bracht ihr ein Empfehlungsschreiben

Vom Justinus Kerner; dachte

Nicht daran, daß dieser Freund

In Verbindung steht mit Hexen.


Freundlich nahm mich auf Uraka,

Doch es wuchs, zu meinem Schrecken,

Diese Freundlichkeit, ausartend

Endlich gar in Sinnenbrunst.


Ja, es flackerte die Unzucht

Scheußlich auf im welken Busen

Dieser lasterhaften Vettel,

Und sie wollte mich verführen.


Doch ich flehte: ›Ach, entschuld'gen

Sie, Madame! bin kein frivoler

Goetheaner, ich gehöre

Zu der Dichterschule Schwabens.


Sittlichkeit ist unsre Muse,

Und sie trägt vom dicksten Leder

Unterhosen – Ach! vergreifen

Sie sich nicht an meiner Tugend!
[412]

Andre Dichter haben Geist,

Andre Phantasie, und andre

Leidenschaft, jedoch die Tugend

Haben wir, die Schwabendichter.


Das ist unser einz'ges Gut!

Rauben Sie mir nicht den sittlich

Religiösen Bettelmantel,

Welcher meine Blöße deckt!‹


Also sprach ich, doch ironisch

Lächelte das Weib, und lächelnd

Nahm sie eine Mistelgerte

Und berührt' damit mein Haupt.


Ich empfand alsbald ein kaltes

Mißgefühl, als überzöge

Eine Gänsehaut die Glieder.

Doch die Haut von einer Gans


War es nicht, es war vielmehr

Eines Hundes Fell – seit jener

Unheilstund' bin ich verwandelt,

Wie Sie sehn, in einen Mops!«


Armer Schelm! Vor lauter Schluchzen

Konnte er nicht weitersprechen,

Und er weinte so beträglich,

Daß er fast zerfloß in Tränen.


»Hören Sie«, sprach ich mit Wehmut,

»Kann ich etwa von dem Hundsfell

Sie befrein und Sie der Dichtkunst

Und der Menschheit wiedergeben?«
[413]

Jener aber hub wie trostlos

Und verzweiflungsvoll die Pfoten

In die Höhe, und mit Seufzen

Und mit Stöhnen sprach er endlich:


»Bis zum Jüngsten Tage bleib ich

Eingekerkert in der Mopshaut,

Wenn nicht einer Jungfrau Großmut

Mich erlöst aus der Verwünschung.


Ja, nur eine reine Jungfrau,

Die noch keinen Mann berührt hat

Und die folgende Bedingung

Treu erfüllt, kann mich erlösen:


Diese reine Jungfrau muß

In der Nacht von Sankt Silvester

Die Gedichte Gustav Pfizers

Lesen – ohne einzuschlafen!


Blieb sie wach bei der Lektüre,

Schloß sie nicht die keuschen Augen –

Dann bin ich entzaubert, menschlich

Atm' ich auf, ich bin entmopst!«


»Ach, in diesem Falle« – sprach ich –

»Kann ich selbst nicht unternehmen

Das Erlösungswerk; denn erstens

Bin ich keine reine Jungfrau,


Und imstande wär ich zweitens

Noch viel wen'ger, die Gedichte

Gustav Pfizers je zu lesen,

Ohne dabei einzuschlafen.«
[414]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 409-415.
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