10.

[95] Und ward ein Blühen an dem Rosenbusche,

Daß besser mir kein Paradies gefällt,

Womit ich der Natur ins Handwerk pfusche,

Phantastisch dichtend eine »schönere« Welt ...

Was gibt es köstlicher als eine Dusche?

Hat Adam wonniger sich dem Weib gesellt?

Umspielten sie noch blühendere Ranken,

Wenn tief im Negligé sie Fruchtsaft tranken?


Das Paradies und die gesamte Hölle

Sind Tag für Tag auf dieser Welt daheim,

Da braucht's kein unterirdisches Gerölle

Und keinen überirdischen Honigseim.

Wem der Gemarterten Geschrei erschölle,

Dem kläng' es grauser als aus Dantes Reim,

Und staunend würde Miltons Satan lachen,

Säh er Lyddit- und Splitterbomben krachen.
[95]

Schlägt ewig Kains Neid auf Bruder Abel,

Weil gottgesegneter sein Opfer dampft?

Wird trotz der internationalen Kabel

Die Saat vom Ungeheuer Krieg zerstampft?

Der Schlachtengeier wetzt voll Gier den Schnabel,

Daß sich vor Weh das Herz zusammenkrampft –

Es wühlt der Haß von Zone fort zu Zone,

Dumpf heult die menschenhungrige Kanone.


Noch hält der rohe Wahnsinn racheschäumend

Bluternte, bis die Scheuern übervoll,

In Knäueln packt sich durcheinanderbäumend

Der zähnefletschend eingefleischte Groll.

Was weltversöhnend, völkerfriedeträumend,

Moloch verschlingt es, blindhinwütend, toll,

Gefüttert mit Verleumdung, lügenstrotzend,

Auf Leichenpyramiden grausig glotzend.


Doch Heer und Flotte sind die Heiligtümer

Vom europäischen Weltmachtkontinent,

Fall nieder, Mensch, und sei ein frommer Rühmer

Der großen Götzen, die mit Furcht man nennt!

Sei aller Schanden schmeichelnder Verblümer

Und weih dem evangelischen Regiment

Der Massenmordsarmeen und -marinen

Den Kult, den solche Fetische verdienen!
[96]

Hinweg! Wer wird am Wahnsinn sich ereifern?

Ich tat es lang. Mein Hirn blieb dennoch heil.

Mich wundert's nur. Ohnmächtig Schaum zu geifern,

Dafür ist Geisteskraft mir nicht mehr feil.

So schreit Hurra gekrönten Volkseinseifern,

Die Ehrgeiz selber hält am Narrenseil!

Ihr wißt's und mögt und wollt es ja nicht besser,

Drum bleibt euch treu und wetzt mit Gott das Messer!


Nie kann ich mich auf einen Wahn verpflichten,

Dem mein Vernunftgewissen widerstrebt,

Ich muß auf einen Fahneneid verzichten,

An dem das Wehe der Besiegten klebt.

Mögt ihr die »nationalen« Anker lichten,

Bis Schwarz-Weiß-Rot ob allen Meeren schwebt –

Tragt ihr nur Großmannssucht von Pol zu Pole,

Bedaur' ich euch und eure Machtidole.


Ein schlechter Deutscher werd' ich vielen heißen,

Kein patriotisch respektabler Mann,

Die Jungfrau wird mich aus dem Busen reißen,

Die Dichter loyal nur lieben kann.

Doch wer gewohnt ans Bellen und ans Beißen,

Lenkt unbekümmert weiter sein Gespann,

Denn dieses Himmels ewige Leuchte können

Sie mir nicht rauben, machtlos nur mißgönnen.
[97]

Was bleibt, ist schmerzlich schweigendes Verachten.

Es scheint, du bist aus anderm Holz geschnitzt.

Du kannst sie nicht verkaufen noch verpachten,

Die Wahrheit, die dir zäh im Blute sitzt.

Verschieden ist der Menschen Sinn und Trachten,

Und ob Erkenntnis donnert, kracht und blitzt

Vom Sinai, Mönch, Montblanc oder Brocken –

Die Pauke dröhnt, vom Kalbe gellt Frohlocken.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 1: Buch des Lebens, München 1921, S. 95-98.
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