18. Literatura

[357] Das Reich der Wissenschaft ist Flora's großem Reich,

Voll Gras und Kraut und Blumen, gleich.[357]

Die kommen da, die bunten Auen

Nur höflichst anzuschauen;

Der reißt die Faust voll Kraut und Gras

Und hat nun – was?

Der dürret, presset sehr genau

Sich – dürres Heu und Thau;

Der Vierte gar possirlich ist,

Sogar das Gras er frißt;

Der tändelt, und Der spielet gern

Mit Farben und Gerüchen,

Für Damen und für Herrn

Holt sich Bouquette nah und fern,

Bis Blümlein all verblichen;

Der kränzt sich, eia! selbst sein Haar;

Der gräbt sich ein in Blumen gar

Und modert in Gerüchen;

Viel sind, sehr viel der Herren zwar,

Dort, dort kommt eine andre Schaar,

Schwirrt fröhlich hin zur Blumenau.

Die Morgenröthe lacht;

Die holden Bräute stehn im Thau

Und duften süße Pracht!

Die Bienlein laben sich im Thau,

Verschmähen nichts auf weiter Au,

Zerstören nichts, gehn gar genau,

Sie rauben sanft; der süße Raub

Wird Honig und war Blumenstaub.

Sie schwirren fort – die Sonn' erwacht!

Sieh, wie die Aue lacht!


Quelle:
Johann Gottfried Herder: Werke. Erster Theil. Gedichte, Berlin 1879, S. 357-358.
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