22.

[235] Königen den Mund zu schließen,

Darf es oft nur eines Weibes

Freier Rede. Don Fernando,

Eine Beute jetzt des Todes,

Hörend seiner Tochter Klagen,

Hatte Kraft genug, zu seufzen

Über ihre stolze Kühnheit,

Aber kaum genug der Kräfte

Zu antworten. Lange sucht' er

Worte, bis er also sprach:


»Tochter, flössen Eure Tränen,

Die Ihr jetzt um eitle Güter

Weinet, so um Euren Vater,

Sie verlängerten, ich glaub es,

Selber noch mein Leben jetzt;

Aber da Ihr, stolze Tochter,

Hier vor meinem Todesbette

Nur um Erdengüter weint,

So bedenkt, was nehm ich jetzo

Sterbend mit mir aus der Welt?


Und ich dank es meinem Schöpfer,

Daß er mir, Euch zuzureden,[235]

Euch zu reinigen die Seele,

Kraft noch und Vermögen schenkt.

Graden Weges geht zum Himmel

Jetzo, hoff ich, meine Seele;

In dem Feuer Eurer Worte

Litt sie ihre Läutrung schon;

Denn bedenket es, o Tochter:

War die Stunde meines Scheidens,

Mich noch also zu betrüben,

Ein erlesner Augenblick?


Eurer Brüder Reich' und Güter

Neidet Ihr und wollt nicht sehen,

Daß mit dem Besitz ich ihnen

Auch auflege Pflicht und Last?

Pflicht, die Länder zu beschützen,

Last, sie weise zu regieren.

Alles des bedürft Ihr nicht.

Sie vielleicht sind arm bei vielem,

Ihr bei wenigem die Reiche;

Denn Personen Eures Standes,

Denen niemand gleich sich schätzt,

Was bedürfen sie für Reichtum

Als, ihr Leben hinzuleben,

Eines Klosters Einsamkeit!


Freilich seid Ihr meine Tochter,

Denk ich, aber eine Eitle;

Wohl dacht ich an Eitelkeiten,

Als ich Euch erzeugete.

Euch trug eine edle Mutter;

Aber eine böse Amme

(Denn das zeugen Eure Reden)

Säugte Euch mit schlechter Milch.


Drohet Ihr, in fremde Lande

Euch zu flüchten: wer, o Tochter,[236]

So der Zunge läßt den Zügel,

Reißet auch der Ehre Zaum;

Längst hatt er ihn schon zerrissen,

Als er so verwegen sprach. – –

Leichter wird mirs, der Verwirrung

Eures Kopfes zu gedenken,

Tochter, als daß meines Blutes

Also Euer Herz verdarb.


Euch, die Schwestern, sollten Eure

Brüder – dieses war mein Wille –

Unterhalten; jetzt befehl ich,

Um mit mir den Segen aller

Meiner Kinder mitzunehmen,

Jetzt befehl ich – höret mich:


Arm will ich Euch nicht verlassen,

Seit Ihr, was Ihr sprachet, spracht.

Edel ist Dein Blut, Uraca,

Doch ich kenne Dein Geschlecht.

Also meine Stadt Zamora

Laß ich dir, die wohlverwahrte,

Wohlbevölkerte. Dich werden Tapfre

Männer in ihr schützen

Und dir solche Ehr erzeigen,

Daß der Ehre zu gedenken

Du durch sie gezwungen wirst.

Ob mich deine jüngste Schwester

Gleich mit keinen Bitten anging,

Setz ich ihr, wie dir Zamora,

Das Gebiet von Toro aus.


Dieses ist mein ernster Wille;

Und wenn meiner Söhne einer,

Euer Erbteil Euch zu rauben,

Je gedenkt, dem geb ich meinen

Schwersten väterlichen Fluch!«
[237]

Alle, die den König also

Reden hörten, sprachen: »Amen!

Fluch dem Räuber seiner Schwestern!

Schrecklich treff ihn Tod und Fluch!«

Don Garzia, Don Alfonso

Sprachen Amen; doch Don Sancho,

Er allein in der Versammlung

Vor dem Bett des Vaters – schwieg.[238]

Quelle:
Herders Werke in fünf Bänden, Band 1, Weimar 1963, S. 235-239.
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