I

Unser Erdball ist eine große Werkstätte zur Organisation sehr verschiedenartiger Wesen

[51] Sosehr uns in den Eingeweiden der Erde alles noch als Chaos, als Trümmer vorkommt, weil wir die erste Konstruktion des Ganzen nicht zu übersehen vermögen, so nehmen wir doch selbst in dem, was uns das Kleinste und Roheste dünkt, ein sehr bestimmtes Dasein, eine Gestaltung und Bildung nach ewigen Gesetzen wahr, die keine Willkür der Menschen verändert. Wir bemerken diese Gesetze und Formen; ihre innern Kräfte aber kennen wir nicht, und was man in einigen allgemeinen Worten, z. E. Zusammenhang, Ausdehnung, Affinität, Schwere, dabei bezeichnet, soll uns nur mit äußern Verhältnissen bekannt machen, ohne uns dem innern Wesen im mindesten naher zu führen.

Was indes jeder Stein- und Erdart verliehen ist, ist gewiß ein allgemeines Gesetz aller Geschöpfe unsrer Erde; dieses ist Bildung, bestimmte Gestalt, eignes Dasein. Keinem Wesen kann dies genommen werden; denn alle seine Eigenschaften und Wirkungen sind darauf gegründet. Die unermeßliche Kette reicht vom Schöpfer hinab bis zum Keim eines Sandkörnchens, da auch dieses seine bestimmte Gestalt hat, in der es sich oft der schönsten Kristallisation nähert. Auch die vermischtesten Wesen folgen in ihren Teilen demselben Gesetz; nur weil so viel und mancherlei Kräfte in ihnen wirken und endlich ein Ganzes zusammengebracht werden sollte, das mit den verschiedensten Bestandteilen dennoch einer allgemeinen Einheit diene, so wurden Übergänge, Vermischungen und mancherlei divergierende Formen. Sobald der Kern unsrer[51] Erde, der Granit, da war, war auch das Licht da, das in den dicken Dünsten unsres Erdchaos vielleicht noch als Feuer wirkte; es war eine gröbere mächtigere Luft, als wir jetzt genießen; es war ein vermischteres schwangeres Wasser da, auf ihn zu wirken. Die andringende Säure lösete ihn auf und führte ihn zu andern Steinarten über; der ungeheure Sand unsers Erdkörpers ist vielleicht nur die Asche dieses verwitterten Körpers. Das Brennbare der Luft beförderte vielleicht den Kiesel zur Kalkerde, und in dieser organisierten sich die ersten Lebendigen des Meers, die Schalengeschöpfe, da in der ganzen Natur die Materie früher als die organisierte lebendige Form scheinet. Noch eine gewaltigere und reinere Wirkung des Feuers und der Kälte ward zur Kristallisation erfodert, die nicht mehr die Muschelform, in die der Kiesel springt, sondern schon eckigte geometrische Winkel liebet. Auch diese ändern sich nach den Bestandteilen eines jeden Geschöpfs, bis sie sich in Halbmetallen und Metallen zuletzt der Pflanzensprossung nähern. Die Chemie, die in den neuen Zeiten so eifrig geübt wird, öffnet dem Liebhaber hier im unterirdischen Reich der Natur eine mannigfaltige zweite Schöpfung; und vielleicht enthält diese nicht bloß die Materie, sondern auch die Grundgesetze und den Schlüssel zu alle dem, was über der Erde gebildet worden. Immer und Überall sehen wir, daß die Natur zerstören muß, indem sie wieder aufbauet, daß sie trennen muß, indem sie neu vereinet. Von einfachen Gesetzen sowie von groben Gestalten schreitet sie ins Zusammengesetztere, Künstliche, Feine; und hätten wir einen Sinn, die Urgestalten und ersten Keime der Dinge zu sehen, so würden wir vielleicht im kleinsten Punkt die Progression der ganzen Schöpfung gewahr werden. –

Da indes Betrachtungen dieser Art hier nicht unser Zweck sind, so lasset uns nur eins, die überdachte Mischung, betrachten, durch die unsre Erde zur Organisation unsrer Pflanzen, mithin auch der Tiere und Menschen fähig ward. Wären auf ihr andre Metalle zerstreut gewesen, wie jetzt das Eisen ist, das sich allenthalben, auch in Wasser, Erde, Pflanzen,[52] Tieren und Menschen, findet; hätten sich die Erdharze, die Schwefel in der Menge auf ihr gefunden, in der sich jetzt der Sand, der Ton und endlich die gute fruchtbare Erde findet: welch andre Geschöpfe hätten auf ihr leben müssen! Geschöpfe, in denen auch eine schärfere Temperatur herrschte, statt daß jetzt der Vater der Welt die Bestandteile unsrer nährenden Pflanzen zu mildern Salzen und Ölen machte. Hiezu bereitet sich allmählich der lose Sand, der feste Ton, der moosige Torf; ja selbst die wilde Eisenerde und der harte Fels muß sich dazu bequemen. Dieser verwittert mit der Zeit und gibt trocknen Bäumen, wenigstens dem dürren Moose Raum; jene war unter den Metallen nicht nur die gesundeste, sondern auch die lenkbarste zur Vegetation und Nahrung. Luft und Tau, Regen und Schnee, Wasser und Winde düngen die Erde natürlich; die ihr zugemischten kalischen Kalkarten helfen ihrer Fruchtbarkeit künstlich auf, und am meisten befördert diese der Tod der Pflanzen und Tiere. Heilsame Mutter, wie haushälterisch und ersetzend war dein Zirkel! Aller Tod wird neues Leben, die verwesende Fäulung selbst bereitet Gesundheit und frische Kräfte.

Es ist eine alte Klage, daß der Mensch, statt den Boden der Erde zu bauen, in ihre Eingeweide gedrungen ist und mit dem Schaden seiner Gesundheit und Ruhe unter giftigen Dünsten daselbst die Metalle aufsucht, die seiner Pracht und Eitelkeit, seiner Habgier und Herrschsucht dienen. Daß vieles hierin wahr sei, bezeugen die Folgen, die diese Dinge auf der Oberfläche der Erde hervorgebracht haben, und noch mehr die blassen Gesichter, die als eingekerkerte Mumien in diesen Reichen des Pluto wühlen. Warum ist die Luft in ihnen so anders, die, indem sie die Metalle nährt, Menschen und Tiere tötet? Warum belegte der Schöpfer unsre Erde nicht mit Gold und Diamanten, statt daß er jetzt allen ihren Wesen Gesetze gab, sie tot und lebend mit fruchtbarer Erde zu bereichern? Ohne Zweifel, weil wir vom Golde nicht essen konnten und weil die kleinste genießbare Pflanze nicht nur für uns nützlicher, sondern auch in ihrer Art organischer und edler ist als[53] der teureste Kiesel, der Diamant, Smaragd, Amethyst und Sapphir genannt wird. – Indessen muß man auch hiebei nichts übertreiben. In den verschiednen Perioden der Menschheit, die ihr Schöpfer voraussah und die er selbst nach dem Bau unsrer Erde zu befördern scheinet, lag auch der Zustand, da der Mensch unter sich graben und über sich fliegen lernte. Verschiedne Metalle legte er ihm sogar gediegen nahe dem Auge vor; die Ströme mußten den Grund der Erde entblößen und ihm ihre Schätze zeigen. Auch die rohesten Nationen haben die Nützlichkeit des Kupfers erkannt, und der Gebrauch des Eisens, das mit seinen magnetischen Kräften den ganzen Erdkörper zu regieren scheinet, hat unser Geschlecht beinah allein von einer Stufe der Lebensart zur andern erhoben. Wenn der Mensch sein Wohnhaus nützen sollte, so mußte er's auch kennenlernen; und unsre Meisterin hat die Schranken enge gnug bestimmt, in denen wir ihr nachforschen, nachschaffen, bilden und verwandeln können.

Indessen ist's wahr, daß wir vorzüglich bestimmt sind, auf der Oberfläche unsrer Erde als Würmer umherzukriechen, uns anzubauen und auf ihr unser kurzes Leben zu durchleben. Wie klein der große Mensch im Gebiet der Natur sei, sehen wir aus der dünnen Schichte der fruchtbaren Erde, die doch eigentlich allein sein Reich ist. Einige Schuhe tiefer, und er gräbt Sachen hervor, auf denen nichts wächset, und die Jahre und Jahreszeiten erfodern, damit auf ihnen nur schlechtes Gras gedeihe. Tiefer hinab, und er findet oft, wo er sie nicht suchte, seine fruchtbare Erde wieder, die einst die Oberfläche der Welt war; die wandelnde Natur hat sie in ihren fortgehenden Perioden nicht geschonet. Muscheln und Schnecken liegen auf den Bergen; Fische und Landtiere liegen versteint in Schiefern, versteinte Hölzer und Abdrücke von Blumen oft beinah anderthalbtausend Fuß tief. Nicht auf dem Boden deiner Erde wandelst du, armer Mensch, sondern auf einem Dach deines Hauses, das durch viel Überschwemmungen erst zu dem werden konnte, was es dir jetzt[54] ist. Da wächst für dich einiges Gras, einige Bäume, deren Mutter dir gleichsam der Zufall heranschwemmte und von denen du als eine Ephemere lebest.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bände, Band 1, Berlin und Weimar 1965, S. 51-55.
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