Analytischer Inhalt.

  • [3] 1. Es ist unbillig, Leßing auf Winkelmanns Kosten zu loben. Unterschied beider Schriftsteller in Materie, Denkart und Styl.
  • 2. Sophokles Philoktet leidet nicht mit brüllendem Geschrei. Die Helden Homers fallen nicht mit Geschrei zu Boden. Schreien kam nicht ein nothwendiger Charakterzug einer Helden- und Menschlichen Empfindung seyn.
  • 3. Die Empfindbarkeit der Griechen zu sanften Thränen zeigt sich ganz anders. Sie ist auch den Griechen nicht allein und ausschliessend eigen. Proben und Charakter der alten Hersischen Gesänge.
  • 4. Eine philosophische Geschichte der Elegischen Dichtkunst über Völker und Zeiten, oder Gründe der alten Heldenmenschlichkeit, aus ihrer Empfindung für Vaterland, Geschlecht, Heroische Freundschaft, einfältige Liebe und die Menschlichkeit des Lebens hergeleitet, nicht aber als ob sie einen Schlag mehr empfunden, und besser geschrien hätten, wie wir. Empfindbarkeit der Homerischen Helden zeigt sich würdiger.
  • 5. Sophokles macht in seinem Philoktet gewiß nicht Geschrei zum Hauptmittel der Rührung. Bessere Eindrücke des Griechischen Drama. Ob körperlicher Schmerz je die Hauptidee eines Trauerspiels werden könne? Daß ers bei Sophokles nicht sey.
  • 6. Die Behauptung: der Griechische Künstler schilderte das Schöne, ist wahr. Grenzen und Erklärung dieses Satzes aus ihrem Mythischen Cirkel und ihrer Heldengeschichte. Warum Timanthes seinen Agamemnon verhüllt gemalet?
  • 7. Von den Hörnern des Bacchus. Von dem Einfluß der verschiednen Mythologischen Zeitalter auf Poesie und Kunst.
  • 8. Wen Virgil in Schilderung seines Laokoon nachgeahmet haben möge? Urtheil über Quintus Calaber, und Petron, in ihren Schilderungen. Nach wem der Künstler gebildet haben könne?
  • 9. Soll die Kunst nichts Vorübergehendes zu ihrem Anblicke wählen: so verliert sie ihr Leben. Soll sie für jede wiederholte Erblickung arbeiten: so ihr Wesen. Ursache, warum die Kunst ein Ideal der Schönheit habe, und insonderheit die stille Ruhe liebe, aus dem Grundsatz, daß sie für Einen ewigen Anblick arbeite.
  • 10. Ueber Spence's Erläuterungen der Alten aus Kunstwerken. Rettung seines herunterschwebenden Mars. Frage, ob die Kunst schwebend Körper vorstellen könne?
  • 11. Dem Künstler sind Götter und geistige Wesen nicht blos personisirte Abstrakta, so bald er sie in Handlung kann erscheinen lassen. Die Mythologie ist eigentlich Poetisch, und hat Dichterische Gesetze. Dem Dichter geht Individualität seiner Götter weit über Charakter; so hat er sie dem Künstler übergeben.
  • 12. Ueber die Poetischen Attributen von Horaz, dem großen Liebhaber symbolischer Wesen, wird seine Ode an das Glück, sein Bild der Nothwendigkeit u.s.w. erklärt. Die Maschinen des Epischen Dichters müssen nicht Allegorische Abstrakta seyn: bei Homer sind sie es nicht.
  • 13. Homers Nebel und Unsichtbarwerden sind keine Poetische Phrases: sondern gehören mit zum Mythischen Wunderbaren seiner Epopee. Unsichtbar seyn ist nicht der natürliche Zustand der Homerischen Götter.
  • 14. Auch die Größe derselben ist bei ihm nicht solch ein Hauptzug, als Macht und Schnelligkeit. Unter welchen Bedingungen, und mit welcher Mäßigung er ihre Größe schildert? Erklärung des Helms der Minerva. Von wem er das Colossalische seiner Götter entlehnet?
  • 15. Ob Homer für uns Deutsche übersetzt werden solle? Das Fortschreitende seiner Manier, und die beständig zirkelnden und wiederkommenden Züge in seinen Bildern sind kaum übersetzbar.
  • 16. Das Succeßive in den Tönen ist nicht das Wesen der Dichtkunst. Ganz und gar auch nicht mit dem Coexsistenten der Farben zu vergleichen. Aus dem Succeßiven der Poesie folgt nicht, daß sie Handlungen schildere. Das Succeßive der Töne kommt jeder Rede zu.
  • 17. Fehlschlüsse, wenn man die Succeßion der Töne für das Hauptmerkmal der Poesie annimmt. Homer wählt gar nicht das Fortschreitende seiner Schilderungen, um sie nicht coexsistent zu schildern; sondern weil jedesmal in dem Fortschreiten seiner Bilder die Energie derselben und seiner Gedichtart liegt.
  • 18. Homers Gedichtart kann nicht allen Dichtarten Gesetze, und aus ihrer Manier ein oberstes Gesetz geben. Aus der Succeßion der Töne folgt keine Achtserklärung gegen die malende Poesie.
  • 19. Energie ist das oberste Gesetz der Dichtkunst: sie malet also nie Werkmäßig. Urtheil über Harris Vergleichung und Unterscheidung der schönen Künste.
  • 20. Ob die Schilderung körperlicher Schönheit der Dichtkunst verboten sey? Wo sie jede Schönheit durch Reiz zeigen könne? Ob sie jemals an einer Schönheitsschilderung Werkmäßig arbeite? Ob, wenn der Dichter häßliche Formen nutzen kann, er nicht auch schöne nutzen könne?
  • 21. Homer macht Thersites nicht häßlich, um ihn lächerlich zu machen. Häßlichkeit an Seele und Körper ist sein Charakter, der blos dadurch gemildert wirb, daß er auf nichts Schädliches ausläuft. Es wird also der Person Thersites noch diesmal erlaubt, in Homer zu bleiben.
  • 22. Wenn das Häßliche zum Lächerlichen hilft: so ists zum Contrast des Lächerlichen wesentlich. Zum Schrecklichen nicht so. Ja zum Schrecklichen thut es niemals nichts, sondern zum Abscheu. Ekel kommt eigentlich allein dem Geschmack und Geruch zu; andern Sinnen nur, so fern sie sich an deren Stelle setzen. Nicht alles Häßliche also ist ekelhaft.
  • 23. Gebrauch des Lächerlichen, Schrecklichen, Ekelhaften in Poesie und Malerei. Abschied vom Laokoon.
  • 24. Einzelne Fehler der Winkelmannischen Schriften. Sein Tod – – – Beschluß.
Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 3.
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