3.

[213] Und so begleite ich ihn auch bei der Scene Thersites. Wenn Hr. Klotz dieselbe nicht aus der Lateinischen Uebersetzung beurtheilte, so würde er kaum das γελοιον,1 sondern das αισχρον zu ihrem Hauptcharakter machen: wenn er sie nicht aus dem Zusammenhange risse, so würde er finden, daß sie nicht blos an ihrem Orte stehe,2 sondern auch, welches noch kühner ist, nirgends anders stehen könne: und wenn Hr. Kl. sich auf die Zeiten Achills und Homers erinnerte: so würde er finden,3 daß das Colorit des Niederträchtigen, Pöbelhaften, Häßlichen im Thersites Original Griechisch sey, nach den Sitten der damaligen Zeit nicht anders, und nach dem Epischen[213] Zwecke Homers nicht schwärzer, und nicht weißer seyn könne. Hier muß ich also Hr. Klotzen verlassen; denn er redet mir Bogenlang von einem Possenreißer, von einem unleidlichen Gaukler, von einem beschwerlichen unanständigen Lachenerwecker vor, den ich nicht kenne.

Beinahe eben so tief ists, wenn er den Zank Ulysses und Irus tadelt.4 Was dieses Gezänk in der Odyssee5 ist, das sind die Zänkereien zwischen Achilles und Agamemnon6 in der Helden-Iliade, nur nach Verschiedenheit des Stoffes und der Menschengattung: Zank bleibt an sich Zank. Und was dieser Hader unter Menschen, ist der Zank unter den Göttern, der sich noch mehr und öfter auszeichnet. – Und was dieser; das sind hundert Scenen, die alsdenn aus Homer wegmüssen, wenn eine solche ehrbar feine Critik unsres Zeitgenossen gelten sollte, kein Held der Iliade, die wenigsten Auftritte der Odyssee sind alsdenn für unsern Zoilus: denn heißt es aufs neue:


ibis, Homere, foras.


Wenn es darauf ankäme, könnte ich Hr. Kl. selbst noch eine Reihe unwürdiger, unanständiger, unartiger Züge in Homer anführen, »wo Homer geschlummert, als welches, ich glaube, aus den Oertern erhellet, wo er sich den Sitten seiner Zeit bequemet, die noch nicht gnug gefeilt, bei ihrer Einfalt etwas Bäurisches und Rauhes haben, wo er sich zu dem herabläßt, was der Würde und Erhabenheit des Epischen Gedichts, wie ich achte, gar nicht geziemet: wo er demselben nicht leichte Flecken angespritzt, wo er es nicht auf eine geringe Art verunstaltet, wo er dem Leser einen nicht kleinen Verdruß erwecket.« Ueber alles könnte ich mit vielen Beispielen aufwarten, und alsdenn im würdigen Ton auf Homer schmähen; ob aber daraus Homerische Briefe, oder eine Satyre würde: mag der Kenner Homers urtheilen, und Gott Lob! daß Deutschland wahre Kenner Homers besitzet![214]

Jetzt muß ich Homer verlassen, denn ich sehe, daß Hr. Klotz, zornig, wie die Göttinn Ate bei Homer, auf den Köpfen der größesten Genies aller Zeiten und Völker wandelt.7 »Lächerliches mit dem Ernsthaften, mit dem Nachdrucke Scherz, und das Große mit dem Niedrigen vermischen, hat zu aller Zeit für unanständig angesehen werden sollen, muß von jedem getadelt werden, es sey denn, wer mit Lopez di Vega glaubt, es stehe ihm frei, mit Vernachläßigung aller Regeln, was und wie ers wolle vorzubringen, und das Wahre mit der Fabel, die Komödie mit dem Trauerspiele, das Lächerliche mit dem Ernsthaften so zu vermischen, daß aller Unterschied zwischen dem Soccus und Kothurn aufhöre.« Und das sollte Lopez di Vega geglaubt haben? Das kann Hr. Klotz von einem Manne schreiben, dessen Namen ihm Ehrfurcht erwecken sollte? Der Spanische Dichter mag selbst reden,8 er wird doch besser wissen, was er glaube, oder nicht glaube, als Hr. Kl. »Dem Himmel sei gedankt, noch ehe ich völlig zehn Jahre gewesen bin, habe ich die Bücher durchgelesen, die von den Regeln der dramatischen Dichtkunst handeln. Als ich aber zu schreiben anfieng, fand ich die Komödie bei uns beschaffen, nicht wie die Alten gedacht haben, daß man sie nach ihnen einrichten würde; sondern wie sie viele Unwissende verunstaltet, die dem Volke ihren groben Geschmack beigebracht haben. Dieser schlechte Geschmack ist so sehr eingerissen, daß derjenige, der es wagt, nach den Regeln zu arbeiten, in Gefahr steht, ohne Ruhm und Belohnung zu sterben; denn unter Leuten, die sich der Vernunft nicht bedienen wollen, vermag die Gewohnheit mehr, als alle Vorstellungen. Es ist wahr, daß ich zuweilen den Regeln der Kunst, die so wenige kennen, gefolgt bin; so bald ich aber, auf der andern Seite, jene blendenden Ungeheuer, wozu das Volk schaarenweise läuft, und welche das Frauenzimmer[215] vergöttert; so bald ich diese auftreten sehe, so kehre ich sogleich zu meiner barbarischen Gewohnheit zurück, und wenn ich eine Komödie schreiben soll, verschließe ich geschwinde den Aristoteles und den Horaz unter 5 Schlössern, und lege den Terenz und Plautus aus meiner Studierstube weg, damit sie nicht zu klagen anfangen: denn die Wahrheit schreit aus vielen Büchern laut hervor, u.s.w.« Nur ein Hr. Klotz kann also schreiben:9 Lupum Felicem de Vega, Carpionem persuasum habuisse, licere sibi, omnibus praeceptis neglectis, quascunque res, quocunque modo in scenam producere etc. ut omne socci et cothurni discrimen tollatur.

Von einem Herkules gehts zum andern, vom Spanischen Homer zum Brittischen: von Lopez zum Milton.10 »So wie in großen Vorzügen, so ist auch hierin Milton dem Homer gleich: ich sehe ihn scherzen und spotten, wo er ernsthaft und nachdrücklich sein sollte.« Nun werden Stellen angeführt, die längst in England selbst bessere Tadler und zugleich ihre Vertheidiger gefunden, der Streit Gabriels mit dem Satan, der bittre Spott im Munde Satans, der Limbus der Eitelkeit u.s.w. Hr. Kl. schlage Addison, oder die erste beste Englische Ausgabe Miltons mit Anmerkungen, oder auch nur unsere ältere gute Schweizerübersetzung auf: – er wird finden, daß seine Vorwürfe wiederholt, mit Gründen vorgetragen, und mit Gründen widerlegt – veraltet sind.

Mit Gründen veraltet: und er hat geglaubt, Gründe nicht anführen zu dörfen. Der Satz selbst: »in einem Epischen Gedichte will man ernsthaft seyn, folglich soll man nicht lachen, folglich soll sich auch keine Spur des Lächerlichen einstehlen,« dünkte ihm Grund gnug: er wiederholt ihn also als ein Axiom, das wohl gar ein Hauptgesetz der Epopee werden könnte. Ein solches furchtbares Hauptgesetz über die höchste Dichtungsart des Menschlichen[216] Geistes verdient doch, ehe es so unbestimmt eingeführt würde, eine Berathschlagung.

Deutlich unterschieden hat das Problem verschiedne Seiten. Fodert es die Proprietät des Epischen Gedichts, und die Congruenz aller Theile desselben, daß kein Zug des Lächerlichen erscheine? Oder fodert es meine Empfindung, jede Bewegung meiner Seele, die sich zum Lachen neiget, zu unterdrücken, um nicht die Epische Wirkung in mir zu schwächen? Fodert es die Würde Epischer Personen, daß sie nicht lachen, oder daß ich nicht über sie lache? – Mir scheint die letzte Frage die faßlichste: Lasset uns also die Sache am leichtesten Ende angreifen.

Fodert es die Würde Epischer Personen, daß ich nicht über sie lache? durchweg lache, so lache, daß dies der Ton meiner Empfindung bleibe – wer kann noch fragen? Aus der Epopee wird alsdenn eine Burleske, ein komisches Gedicht: oder wenn der Dichter es eigentlich nicht einmal zum Zwecke hatte, Lachen zu erregen, und erregt es doch: schafft er Ekel, Verachtung, Mißvergnügen. Würdig sey der Epische Held; nicht aber seinem Hauptcharakter nach lächerlich.

Davon also war die Rede nicht; aber kann der Held nicht hie und da eine Blöße verrathen, die lächerlich sey? Ich bitte hier den Unterschied zwischen lä cherlich und belachenswerth zu beobachten. So bald der Held auch nur in einer Handlung eine Seite giebt, die nicht anders, als belachenswerth, seyn kann; aber belachenswerth nach Grundsätzen, und mit Rechte: freilich so hat sich der Dichter mit diesem Zuge selbst geschadet; denn nichts hebt die Würde seiner Person so sehr auf, als dieser Anstrich. Den Belachenswerthen verachten wir zugleich: er dünkt uns niedrig: und wie viel verliert ein Episches Subjekt, eine Epische Handlung, die dies wäre?

Hieher der Vorfall Ulysses mit Irus11 – wäre er wirklich niederträchtig und unwürdig von Seiten Ulysses, verminderte er[217] die Hochachtung, die wir für den alten, weit gereiseten, abgehärteten Mann haben, müßten wir in der Folge verwünschen, ihn in dieser Situation gekannt zu haben; allerdings unterschreibe ich alsdenn: Iri cum Ulysse concertatio epici carminis gravitatem minime decet. Wer aber, der Homer auch nur aus der Uebersetzung kennet, wird dies finden? Der arme Ulysses, so weit herunter gekommen, daß er vor seiner eignen Thüre in Ithaka endlich, als ein elender zerlumpter Bettler, anlanget: und, siehe da! stößt ihm ein andrer Bettler in den Weg; ein Bettler von einer ganz andern Art, der fräßige, nichtswürdige Irus. Dieser Lüderliche will jenen ehrwürdigen Greis von der Thüre wegdrängen, wegstoßen, wegschrecken; und Ulysses, jetzt nichts, als ein Bettler, antwortet ihm so ruhig, so unneidisch, aber auch mit solcher gesetzten Fassung, daß der andre, wie es auch bei gelehrten Bettlern gewöhnlich ist, nur zu Schimpf- und Scheltworten seine Zuflucht nimmt. Der anwesende Antinous hört den Bettlergoliath, freut sich nach seinem Charakter darüber, erzälts den Freiern der Penelope, und hat den lustigen Einfall: der Junge und Alte sollten kämpfen – freilich ein Einfall, den nur die Seele eines Antinous für schön halten, und nur Schwelger, wie seine Mitgenossen, billigen konnten. Der unerkannte Greis redet wider die Unbilligkeit des Vorschlages, den man ihm, einem alten Manne, thue; aber, da hier die Sache seiner Ehre, als Bettler betrachtet, und als ein Hungriger die Sache seines Magens im Spiele ist: so fasset er Entschluß. Er gürtet sich, und selbst die üppigen Zuschauer bewundern den Bau seines Heldenkörpers. Er erwäget, ob Ein Schlag seinem zitternden, schwachen, und aus Fräßigkeit entnervten Gegner den Tod geben solle; und seine Großmuth spricht das mildere Urtheil. Er schont des Elenden: ein Backenstreich ist zu seinem Siege, zu der Entwafnung seines unwürdigen Feindes gnug: da liegt der jämmerliche Mensch blutend und ohnmächtig. Ulysses richtet ihn an die Wand auf, und giebt ihm seinen Bettlerstab in die Hand, um Hunde weg zu wehren, nicht um über Bettler den Herrn spielen zu wollen.[218]

Was ist nun in der Geschichte Unwürdiges, Unanständiges für den Ulysses? Daß er zum Bettler herunter gekommen? So muß man den ganzen Lauf der Odyssee, das Subjekt des ganzen Gedichts ändern. So muß die Muse Homers gar nicht den besingen, den sie besingen wollte:


ανδρα πολυτροπον – – ος μαλα πολλα

πλαγχϑη – – –

Πολλων δ᾽ ανϑρωπων ιδεν ασεα, και νοον εγνω

Πολλα δ᾽ ο γ᾽ εν ποντῳ παϑεν αλγεα ον κατα ϑυμον

Αρνυμενος ην τε ψυχην – – –


So schreibe man eine bessere; anständigere, artigere Odyssee, die ihren Helden im Wohlstande lasse, ihn in dem Arme einer Göttin nach Ithaka trage, auf ein weiches Polster setze, und was man mehr für Decenz hinein zu bringen wisse. Ich mag sie nicht lesen, kein Grieche wird sie lesen wollen.

Oder ists unanständig, daß Ulysses sich dem unverschämten Bettler nicht gleich, als Herr des Hauses, als Ulysses, als König entdecket – wahrlich! eine würdige, sehr gelegene, sehr glaubwürdige, sehr Epische Entdeckung!

Oder, daß Ulysses den Freiern bei seiner Penelope sich nach ihrem Zumuthen mit einmal verrathe? Wieder ein würdiger Verrath, der nichts mehr, als den ganzen Lauf der Odyssee, stört.

Oder, daß er keinem Bettler begegne? So wird aber in der sich nähernden Entdeckung eine Lücke; und ein Hauptaugenmerk Homers verschwindet, daß der ανηρ πολυτροπος sich auch in dieser tiefsten Situation, als ein Ulysses πολυτροπος zeigen sollte.

In dem sich zubereitenden Ausgange geschieht ein Sprung – und ich mag diesen Sprung nicht. Ich will gerne den Ulysses, als einen Bettler, sehen, wenn er auch nur in diesen Kleidern meine Achtung, als Ulysses, sich zu erwerben weiß; und wie sehr weiß er dieses? So, wie bei seiner Gürtung und Entblößung, seine Heldenhüfte, seine erhabne Brust, seine starken Arme, sein[219] vester Rücken den Helden auch im Bettlersrocke verrathen:12 so soll dieser Sieg vor der Schwelle, und vor den Augen seiner schwelgerischen Feinde das Vorzeichen seyn von größern Thaten im Hause, von unerwartetern Entwickelungen. Nichts ist, was den großmüthigen und tapfern Ulysses auch hier erniedrigt; vielmehr würde mit Auslassung dieses Auftrittes, die Steigerung seiner Enthüllung, und der sanfte allmäliche Fortfluß der ganzen Odyssee gehemmet.

Wo ist nun das Belachenswerthe, das Unanständige? wo ists insonderheit, nach den Sitten Ulysses, nach den Zeiten, nach dem Zwecke Homers? Ich woll te, daß es Hr. Kl. zeige.

Eben so wenig finde ich die Neden in dem Munde Gabriels, auch nur einem Zuge nach, belachenswerth und unwürdig seiner Größe: denn eben die verächtliche Begegnung gegen den dumm spottenden Satan ist die Mine seiner Hoheit –


the warlike Angel mov'd,

Disdainfully half smiling thus reply'd etc.


Ich fühle in seinem Betragen so wenig Hervorspringendes, und so viel charakteristischen Gegensatz zwischen ihm, und seinem Gegenparte, daß ich mit Addison gern diesen Wortwechsel für einen der charakteristischen im ganzen Milton halte.

Der Charakter Achilles sey so groß in seinen Fehlern, als in seinen Tugenden; diese Fehler gehören zu einer Griechischen Heldenseele, zu einem Achilles; aber wahrhaftig belachenswerth, unwürdig, unanständig sey er nicht, und wo ist ers? Nur nehme man ihn, und jeden Helden einer Epopee nach den Begriffen seines Landes, und seiner Zeit; sonst kann freilich ein ehrbarer, seiner und ernsthafter Kunstlichter einen höhern Aether zum Athemholen nöthig haben, um einen Ulysses, wie einen aus der Canaille in Bettlerskleidern, und nicht in einem ansehnlichen Carosselle etwa, oder mit prächtiger Equipage, zu sehen – –

Doch ich kehre um: wenn eine würdige Epische Person nicht belachenswerth seyn muß, darf sie auch selbst nicht lachen? Welche[220] Frage! welche Verwirrung der Begriffe! Muß ein Held die Würde seines Epischen Charakters dadurch behaupten, daß er, wie ein Karthäuser, nur sein memento mori! ernsthaft und sauertöpfisch grunze? Vergeben die Götter dadurch ihrer himmlischen Hoheit, daß sie lachen? Stört Homer damit die feierliche Harmonie seines Gedichts, daß seine Griechen über den häßlichen Thersites nach seiner Züchtigung lachen? O die abentheuerliche Mönchsfeierlichkeit! So wollen wir das Wort γελαειν, mit allen seinen Abkömmlingen, aus Homer ausstreichen: so wollen wir die Mine des Disdainfully half-smiling von dem Antlitze des herrlichen Miltonischen Engels wegwischen, und in tiefe kritische Runzeln verwandeln: so soll aus der ganzen Iliade ein Gothisches Kloster, und aus seinen Helden eine Reihe feierlicher Prälaten werden, denen der Ernst häßliche Falten in die Stirne gekniffen, und die, wie der vortrefliche Hudibras –


a Knight he was, whose very Sight wou'd

Entitle him Mirrour of Knighthood

That never bow'd his stubborn Knee

To any Thing but Chivalry

His tawny Beard was th' equal Grace

Both of his Wisdom and his Face – –


Alsdenn, alsdenn wollen wir diese hochansehnlichen Personen, die Geschöpfe unsrer Ehrbarkeit, mit dem zufriednen Blicke ansehen, als unser Homerist, da er den Thersites aus Homer, in einer glücklichen Stunde seines Kopfs, auswerfen wollte, und zu sich selbst sprach:13 »wie aber, wenn wir diesen Menschen hinaus würfen, und alle Verse wegschnitten, die von ihm handeln; laß sehen, ob wir nicht ernsthaft bleiben werden? nonne retinebimus animi gravitatem? –« Herrlicher Einfall! »wer lachen will, soll in einer Satyre und Komödie auftreten, nicht in einer Epopee[221]in gravi ridere, quis decere existimat?« herrlicher Einfall!

Ich thue es ungern, daß ich Hrn. Kl. Epischen Verboten so etwas Schuld geben muß; aber wie kann ich anders? Er führt ja Beispiele, wo kaum das Wort Lachen im Texte Homers steht, ohne zu untersuchen, ob wir, ob der Leser lache? ob eine Person sey, mit der wir Theil nehmend lachen? ob wir uns nicht vielmehr über das Lachen desselben ärgern? ob dieser Unwille nicht eben die Absicht des Dichters gewesen? Nichts von allem! Die Schwelger bei der Penelope lachen; Ulysses und Irus geben dazu Anlaß – in der Epopee soll keiner lachen: – Ulyssus und Irus aus der Odyssee hinweg! Die Teufel in Milton spotten und lachen: sie beweisen zwar dadurch nichts anders, als daß sie Teufel, dumme Bösewichter sind, und lachen so charakteristisch, als sie nicht reden könnten – aber doch lachen sie, und in der Epopee soll keiner lachen – weg damit!

Ehe nun ein so feierliches Gebot gegeben wird, soll voraus ausgemacht werden: ob das Lachen ein wirklich entehrender Zug eines Menschen- eines Helden-eines Götterantlitzes sei? Ob es nicht Fälle geben könne, da das Hohnlächeln sowohl, als das Hohnlachen, und das Lächeln der Freude sowohl, als das Freudengelächter, den Epischen Zweck mit befördern muß? Ob nicht ein hohnlachender Satan, und ein erhaben lächelnder Engel, selig lächelnde Götter, und närrisch lachende Wollüstlinge, und schadenfroh lachende Griechen zum ganzen Epischen Gemälde unentbehrliche Gruppen ausmachen können? Ob der Ton jeder Epopee gleich hoch gestimmet sey, und auch die Concente des Ernsts in gleichem Maaße haben müsse? Ob alle Personen, die im Epos erscheinen, wie in der Iliade, bis auf einen Thersites; wie im Paradiese Miltons, bis auf den Satan; wie in der Odyssee, bis auf die Freier; wie im Olymp, bis auf Vulkan; wie auf dem Theater, bis auf den Lichterputzer, gleich ernsthaft, groß, Heldenmäßig[222] Wunderwürdig seyn sollen? Sind diese Fragen ausgemacht, so kann das obige Gebot gegeben werden: so lange will ich mich indessen mit Tristram Shandy erholen, und vest versichert seyn, »daß dies kurze Leben nur dadurch etwas verlängert wird, wenn man beständig aufgeräumt ist; und noch mehr, wenn man lachet.« Wenigstens lache ich so lange für mich, und für keine Epische Person im Heiden- Christen- und Judenthume.

1

p. 31.

2

p. 31.

3

p. 32.

4

p. 25.

5

Odyss. L. 18.

6

Iliad. ά.

7

p. 32. 33.

8

Neue Bibl. d. sch. W. 1. B. 2. St. p. 213.

9

Epist. Hom. p. 33.

10

p. 34. 35.

11

Odyss. σ᾽ v. 1–100.

12

Odyss. σ᾽ v. 66. etc.

13

Epist. Hom. p. 31.

Quelle:
Johann Gottfried Herder: Kritische Wälder oder Betrachtungen, die Wissenschaft und Kunst des Schönen betreffend, nach Maßgabe neuerer Schriften. 1769, in: Herders Sämmtliche Werke. Band 3, Berlin 1878, S. 213-223.
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