Georg Herwegh

Deutschlands Unglück

[161] Produkte sind: Rindvieh, Schafe, Esel, Pferde zahmes und wildes Federvieh usw.

Cannabichs Geographie.


Gott hat seine Welt, Rußland seinen Schnee, Frankreich seinen Louis Philipp, Herr Ado Schütt meine Kritiken, und Deutschland seine Professoren. Wer ist am unglücklichsten?

Es hat mit diesem zweiten Aufsatze über denselben Gegenstand[161] eine eigene Bewandtnis. Die Feder obgenannten Herrn Ados, meines verehrten Zensors, hatte mir bei dem ersten einen großen Liebesdienst erwiesen und mich auf den Gedanken gebracht, eine weitere Ausführung meines Themas möchte eben nicht unpassend sein; der Aufsatz auf den vorhergehenden Seiten laboriere noch an Dunkelheit. Wenn ich hier also einige wesentliche Züge nachtrage, so mag sich die Welt nicht bei mir, sondern bei dem Gänsekiel in Konstanz bedanken.

Der Humor hat mich, wie bereits gestanden, bereits verlassen. Er verläßt mich noch mehr, wenn ich an den Vorwurf denke, den hundert deutsche Leser mir laut und im stillen machen. Ich höre von braven Leuten und Ehrenmännern munkeln. »Sie sind doch auch jung gewesen und haben nichts gewußt, und wenn Sie nun fünfe zählen können, wessen Schuld ist das? Wer hat Sie in den Tempel der Weisheit eingeführt, ehe Sie noch hinter den Ohren trocken waren?« In den Tempel der Weisheit! Ich habe schon einmal in gebundener Rede erklärt, wie wohlfeil ich meine Weisheit abgebe, ich muß dasselbe heute in ungebundener tun.

Nicht jedermann wird so höflich sein und mich, wie ich es wünsche, per Sie titulieren; da wird mancher kommen und sagen: »Gut, du hast keine Frau, keine Kinder; wie willst du reden? Du hast noch nicht ausgegoren; hier aber ist ein gestandener Mann! Warte nur, bis du für Brot zu sorgen hast, und dein hitziges Fieber wird vergehen!« Nein! ich will dieses hitzige Fieber behalten, und daran sterben, ehe ich nach einem Arzt schicke. »Ich habe Frau und Kinder!« Die stündliche Phrase der Vogelscheuchen, die sich Professoren schelten lassen. Als ob auch die Freiheit unter den Pantoffel müßte! Der Teufel hole die Liebe, wenn sie mir die Freiheit nimmt! Ärgere dich nur, meine Schöne! Ich wollte einmal das Übel Deutschlands an der Wurzel fassen und fand, daß diese Wurzel seine Professoren seien. Und wie tief sie steckt! Die Waffe, sie auszurotten, darf schon scharf sein.

Er wird es hübsch finden, daß Athen eine Republik war, aber strafbar, wenn einer seiner Schüler den Gedanken hat, sie auch in unsern Tagen für nichts so Entsetzliches zu halten.

Das Wort »Ideal« hat schon viel Unglück angerichtet, das meiste aber im Munde eines deutschen Professors. »Es ist wohl etwas Schönes um die Freiheit, aber sie kann nicht so leicht eingeführt werden auf dieser Welt. Die Freiheit ist ein Ideal!« Ein Ideal! Ist denn auch die Luft ein Ideal, die wir einatmen? Ist das Brot ein Ideal, das wir essen?

Wir werden arm und nackt geboren und bringen nichts mit[162] als die Freiheit, um ihrer mit Hilfe unserer Lehrer in Bälde wieder los zu werden. Ach! man setzt uns nur auf die Welt, um zu verlieren!

Börne sagt ungefähr, die Freiheit ist nichts, sie ist bloße Bedingung des Lebens und gibt die Möglichkeit, alles zu werden. Es ist ein eitel Geschwätz, zu behaupten, man sei nicht reif für die Freiheit. Nein – man kann nicht reif werden ohne die Freiheit.

Großer Börne! Sie werden deine enthusiastische Logik nie begreifen wollen! Sie werden es nicht glauben, daß die Freiheit nur der Boden ist, in den gesäet werden muß, und nimmermehr die Pflanze, die aus dem Schlamme der Tyrannei erwächst. Die Freiheit ist der Boden für alles, und die Wissenschaft ohne sie nur ein luftig Schloß.

O über euer Ideal! Eurem Ideal hat man das Unglück von tausend Jünglingen zu danken. Ihr habt den edlen Champagner so lange gepfropft, bis er die Flasche gewaltsam zersprengte. Sie wollten nachholen, was sie in der Schule versäumt, und sie hatten recht. Man bezahlt so etwas nie zu teuer, und euer Glück ist eine Metze gegen ihr stolzes Unglück.

Ich sehe voraus, ihr werdet mich unwissenschaftlich schelten. Es ist unwissenschaftlich, von den Menschen zurückfordern, was uns Gott gegeben, es ist unwissenschaftlich, die Polen zu lieben und den Kosaken zu fluchen, es ist unwissenschaftlich, Preßfreiheit zu verlangen, es ist unwissenschaftlich, das Unglück gegen den Übermut des Glückes zu schützen. Ihr unwissenschaftlichen Patrioten.[163]

Quelle:
Herweghs Werke in drei Teilen. Band 2, Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart [1909], S. 161-164.
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