II. Der achtzehnte Mai 1845.


Das kleine, hübsche Haus dicht am Thor der alten Augusta Trevirorum, das kleine, hübsche Haus, weiß angestrichen und mit Schiefer elegant bedacht, mit grünangestrichenen Jalousieen und grünbemalter Thür gehört dem jungen Advocaten Daniel Wolfshagen, dem es sein Schwiegervater, der reiche Leu aus Augsburg, zum Hochzeitgeschenk gemacht hat.

Eine junge Frau, eben so schmuck wie das Häuschen, ist in dem Gärtchen zwischen der weißen Wand des Hauses und dem grünen Stacket beschäftigt, wir wissen nicht, ob es Zwiebeln sind, oder was sonst, was die junge Frau dem Mutterschooß der Erde anvertraut, aber das wissen wir, daß wir es dem Herrn Advocaten Daniel Wolfshagen gar nicht übel nehmen sich eine so hübsche Frau erküret zu haben unter den Töchtern des Landes.

Der Herr Advocat sitzen seit einer halben Stunde vielleicht schon im knappen, schwarzen Frack und[31] Unaussprechlichen von gleicher Farbe in seiner Studierstube und schneiden aus Langerweile bereits die dritte Feder. Das Gesicht des jungen Rechtsgelehrten verräth eben nicht den außerordentlichen Scharfsinn, den Herr Wolfshagen, ein zweiter, weiser Daniel, so oft gezeigt, sondern es ist unbedeutend und verliert ganz und gar, weil, ganz modern, die Augen durch ein Paar ungeheure Brillengläser maskirt sind.

Die Hausthüre knarrt, der junge Advocat springt auf, ein leiser, leichter Tritt knirscht auf dem Sande, mit dem das Vorhaus bestreut ist.

»Ach, Antonie ist's!« murmelt der scharfsinnige Ictus, der den Tritt seiner schönen Frau sehr genau kennt, und placirt sich aufs Neue auf seinen Nußbaumenen, zierlich mit Saffian beschlagenen Lehnstuhl, dann faltet er die Hände über dem Tisch zusammen und starrt gelangweilt ein Portrait Savigny's an, das ihm gegenüber an der Wand hängt.

Der junge Herr war sichtlich gelangweilt und wir sind großmüthig genug ihn schnell aus dieser peinlichen Lage zu befreien, wir lassen die Thüre knarren, an die Thüre des Zimmers klopfen, den Advocaten erfreut aufspringen und herein! rufen und sehen ihn endlich von Angesicht zu Angesicht mit einem alten Menschen,[32] der sich vergeblich bemüht sein lederfarbiges Gesicht zu einem freundlichen Grinsen zu verziehen, aber dieses schwere Geschäft nach einigen mißrathenen Bemühungen aufgiebt und sich begnügt mit den Enden seines grauen Schnurrbarts und den Ohren zugleich recht freundschaftlich zu wedeln.

»Unser Herr Landrath, der Herr Oberstwachtmeister von Ponickau schickt mich hierher, Sie wüßten schon Alles; ich heiße Mensdorf, vormals im königlich preußischen Infanterieregiment Prinz Heinrich vacat.«

»A ja, lieber Freund!« rief der Advocat freudig, »setzen Sie sich doch, ich habe gestern die Briefe des Herrn Landraths von Ponickau erhalten, die Documente find richtig, Sie sind wirklich ein Sohn des wohlseligen Herrn Rittmeisters Johann Mensdorf; ich habe Ihnen eine Mittheilung zu machen, doch gedulden Sie sich eine Weile, es sind mir noch einige Glieder der Familie angemeldet.«

Der Unterofficier Mensdorf nahm still und stocksteif Platz auf einem Stuhl und verfolgte mit den Augen eine Fliege, die hin und her lief an der weißen Wand des Zimmers. Der Advocat legte Papiere zurecht, suchte, sah nach der Uhr und sprang endlich nach der Thür, um Röschen und deren Vater eintreten zu lassen.[33]

»Herr Mensdorf, wenn ich nicht irre und Madame Strobel?«

»Ja, Herr Advocat, Sie haben meinen Brief erhalten?« fragte Röschen, die, seit wir sie nicht gesehen haben, sehr blaß geworden ist.

»Allerdings Madame,« erwiederte Wolfshagen, »die Documente sind zweifellos richtig, Ihr Herr Vater ist der ältere Sohn des zweiten Sohns des wohlseligen Herrn Rittmeisters Johann Mensdorf; nehmen Sie Platz, wenn ich bitten darf.«

Röschen und ihr Vater nahmen Platz; der Unterofficier ließ seine Fliege laufen und starrte unverwandt den Mensdorf an, bis dieser endlich anfing: »Mein Herr, Sie haben eine große Aehnlichkeit mit meinem verstorbenen Vater!«

»Hm!« erwiederte der Unterofficier, spuckte an die Erde, wedelte mit den Ohren und sah den Advocaten an.

»Warum antworten Sie Ihrem Neffen nicht, Herr Unterofficier? Sie sind ja der jüngste Bruder von Herrn Mensdorf's Vater!« nahm der Advocat das Wort.

»Es freut mich herzlich Sie zu sehen, Oheim, Sie noch so spät kennen zu lernen!« rief der ehemalige Fabrikarbeiter.[34]

»Es ist also der Sohn des Bruders Johann Wilhelm? na freut mich und das ist die Tochter? na freut mich, hätte nicht gedacht, daß ich so propre Verwandtschaft hätte!« mit diesen Worten drückte der Unterofficier die Hände seiner Verwandten und brachte dabei Schnurrbart und Ohrlappen in eine so heftige Bewegung, verzerrte sein Gesicht so komisch, daß sich Röschen Gewalt anthun mußte, um nicht laut auf zu lachen. Eben drohte der heftige Anreiz zum Lachen alle ihm entgegengesetzten Dämme zu durchbrechen, als Röschens Aufmerksamkeit glücklicher Weise auf einen andern Gegenstand geleitet wurde. Die Thür des Zimmers wurde nämlich hastig geöffnet und heftig wieder zugeschlagen. »Donnerwetter, ich dachte ich käme zu spät!« sagte eine jugendlich frische Stimme und ein hübscher, etwa dreiundzwanzigjähriger junger Mann in einem blauen Schnurenrock und weißen Kasimirbeinkleidern stand am Tisch des Advocaten.

»Guten Morgen, altes Haus!« rief er, dem Rechtsgelehrten die Hand schüttelnd, »ich hatte es verschlafen, auf grand cerevis, das verdammte Kameel, der Kellner, hatte mich blos zweimal geweckt!«

Der Advocat lächelte und sprach dann: »Ich stelle den geehrten Anwesenden einen Verwandten, den Studiosus[35] der Theologie, Herrn Mensdorf vor; lieber Mensdorf, hier Ihre Cousine, Madame Strobel, geborne Mensdorf, hier Herr Particülier Mensdorf, der Bruder Ihres Vaters; hier Herr Unterofficier Mensdorf, der Oheim Ihres Vaters!«

»Erlauben Sie Cousinchen, daß ich Ihre schönen Lippen küsse!« rief der Student und that, was er gesagt, ohne die Erlaubniß abzuwarten. »Morgen, Oheim, freut mich sehr ihre Bekanntschaft zu machen und auch Ihre Großoheim; ha, ha, ha! Oheim, warum wackelt Ihr denn mit den Ohren?«

»Na, freut mich, na, freut mich!« murmelte der Unterofficier »und wenn ich mich freue, wackele ich mit den Ohren!«

»Hast Du je so was gesehen, Wolfshagen, daß man sich vor Freude wälzen kann, ja das begreif ich, aber mit den Ohren wackeln?« wendete sich der Student an den Advocaten, dieser aber antwortete ernst:

»Ich bitte Dich, Mensdorf, sei ein wenig ruhig, setz Dich neben Deine schöne Frau Cousine, wir haben hier Wichtiges zu thun.«

»Ja, bei Euch Philistern ist Alles wichtig!« brummte der Student, ließ sich aber doch neben seiner Cousine[36] nieder und fragte sie leise: »Wie heißen Sie, diamant'nes Cousinchen?«

»Therese!« erwiederte Madame Strobel lächelnd.

»Himmlische Therese,« declamirte der Student, »Du bist mir doch nicht böse, denn ich, ich liebe Dich!«

Der Advocat warf seinem ehemaligen Universitätsfreunde einen bittenden Blick zu und räusperte sich; der Student wisperte seiner Cousine zu: »Wie viel verdient der Großoheim täglich, wenn er sich als Vogelscheuche vermiethet? Sehen Sie, Königin meines Herzens, sehen Sie, wie er mit den Ohren wackelt?«

»Verehrte Anwesende!« begann der Advocat mit einigem Aufwande von Würde, die ihm etwa stand, wie dem Affen ein Generalshut, »ich habe Ihnen eine Eröffnung zu machen und zwar, nach dem Willen meines hochverehrten und wohlseligen Herrn Committenten, gemeinsam und in Gegenwart keines Menschen, der nicht den Namen Mensdorf führt –« bei diesen Worten hub der Advocat seine Augen von ungefähr auf und erblickte das liebliche Gesicht seiner jungen Frau an dem Fenster, das sich oberhalb der in's Nebengemach führenden Thüre befand, dieser Anblick verwirrte den würdigen Priester der Themis etwas, doch fand er sich bald wieder und begann auf's Neue: »da nun alle[37] Glieder der Familie Mensdorf hier versammelt sind und kein fremdes Ohr zugegen, so will ich mit meiner Eröffnung beginnen.« –

»Finden Sie das nicht schauderhaft ledern, zuckersüßes Cousinchen?« flüsterte der Student und küßte Theresens Hand, »sehen Sie selbst, der Großoheim freut sich nicht, denn er wackelt nicht mehr mit den Ohren.«

»– Der hochgeborene Graf Emanuel von Mensdorf,« sprach der Advocat, »fiel als kaiserlicher General-Feldwachtmeister auf dem Bette der Ehren bei Nördlingen –«

»Famose Paukerei das, Cousinchen, zwischen den Schweden und den Kaiserlichen!« erläuterte der Theolog.

»– und hinterließ, abgesehen von dem hochgräflichen, annoch florirenden, Hause Mensdorf einen Sohn erster Ehe, der sich seines gräflichen Wappens entschlagen und in's Ausland gegangen war. Ist aber urkundlich schon ein Sohn dieses Mensdorf wieder zurückgekehrt und hat in Belgien, in Frankreich und auch im Reich, namentlich aber im damaligen Erzstifte Trier bedeutende Güter besessen, die ihm vermuthlich von seines Vaters Mutter, einer Holländischen von Adel, deren Name selbst in den Urkunden nicht gewiß ist, verlassen[38] worden sind. Dieser zurückgekehrte Sohn war der Zweite des Stammvaters der ältern, nicht mehr gräflichen, Linie der Mensdorfe; von dem ältern Sohne fehlen die Nachrichten, doch hat im Jahr 1735 und dann wieder 1745 sich der nachmalige Rittmeister Johann Wilhelm Mensdorf, als einzigen rechtmäßigen Nachkommen des ältern Sohnes des Stammvaters der ältern Linie, hinlänglich und urkundlich ausgewiesen, ist demnach für Sie, verehrte Anwesende, nur nothwendig gewesen Ihren Zusammenhang mit gedachten Herrn Johann Wilhelm Mensdorf, weiland königl. preuß. Rittmeister, nachzuweisen; da solches von Ihnen nun überall genügend geschehen ist, so –«

»sind wir wieder da, wo wir angefangen haben!« ergänzte der Student und lehnte sich gähnend in seinen Stuhl zurück;

»so will ich Ihnen die letztwillige Verfügung meines hochgeehrten und wohlseligen Herrn Comittenten eröffnen.«

Der Advocat nahm ein offenes Papier in die Hand und las mit vernehmlicher Stimme:

»Am 18ten Mai 1845 soll der Advocat Daniel Wolfshagen zu Trier mein Testament eröffnen und[39] deßhalb alle Glieder meiner Familie durch öffentlichen Aufruf einladen. Dies ist mein Wille.


Geschrieben am 11. Juli 1842 in meinem

Pallaste zu Afranib auf der Insel Berna.


Unterzeichnet

Carl Johann,

souverainer Fürst und Herr von Berna, dem

Hause Mensdorf in Deutschland entsprossen. mp.


(L. S.) gegengez.

Karl Laube, Kanzler.«


»Geehrte Anwesende,« erklärte der Addocat, »Sie ersehen aus diesem auf Pergament geschriebenen Documente, daß mein hochverehrter und wohlseliger Herr Auftraggeber eine Art von König einer Insel im stillen Meer gewesen, daß Sie also als Verwandte eines souverainen Herrn hier erschienen sind, um dessen letzten Willen zu vernehmen.« Darauf nahm er ein zweites Papier und las:


»Gestern Nachmittag gegen vier Uhr ist unser Durchlauchtigster Fürst und Herr, Herr Carl Johann, aus dem Hause Mensdorf, eines sanften Todes verblichen und seinem Wunsche gemäß heute Morgen blos mit militairischer Begleitung und unter Vortritt der großen Hofchargen in dem von ihm erbauten St. Annendome[40] beigesetzt worden. Das ganze Reich ist in tiefster Trauer. Sie werden davon unverzüglich in Kenntniß gesetzt und Ihnen die Beilagen A. B. C. D. nach dem Willen des hohen Verstorbenen übersendet.


Afranib am 19. Juli 1842.


An den Advocaten

Wolfshagen

zu Trier in Europa.


Das fürstliche Oberhofmarschallamt.

Ritter Anton

Riemschneider,

in Vertretung Sr. Excellenz des

Oberhofmarschalls.


Letzter Wille

des

Fürsten Carl Johann von Berna.


Verhandelt im fürstlichen Pallaste zu Afranib auf Berna am 9ten Juni 1842.«


Der Befehl Sr. Hoheit des Fürsten berief uns Endesunterzeichnete am heutigen Tage um die Mittagsstunde in das fürstliche Residenzschloß und leider fanden wir das umlaufende Gerücht bestätigt: unser geliebter Fürst und Herr lag schwer erkrankt darnieder und begehrte sein Testament zu machen, sein Haus zu bestellen und dictirte mir Carl Lauben, Reichskanzler von Berna, in Bezug darauf Folgendes:[41]

Gleich nach meinem Hintritt wird mein Tod dem Advocaten Daniel Wolfshagen in Trier gemeldet und ihm ein Kästchen, mit dem Buchstaben A. bezeichnet, welches der Oberhofmarschall bis dahin in Verwahrung nimmt, übersendet, die Originalschrift dieses Testamentes beigefügt und das Alles möglichst rasch durch ein Segelschiff über Amerika befördert und verlange ich von dem Advocaten, er wolle der ihm gewordenen Instruction treulich nachkommen, sich aber für seine Mühe durch Annahme von eintausend Stück Ducaten bezahlt machen. Die Instruction, die ich ihm gebe, ist die: wenn meine Verwandten, nach gehörigem Nachweis ihrer Abstammung von meinem Vetter Johann Wilhelm Mensdorf, an einem später von mir festzusetzenden Tage versammelt sind, so soll ihnen der Advocat eine Schrift vorlesen, die sich bei dem oben bezeichneten Kästchen befindet und eine Geschichte meiner Familie und meines Lebens enthält, dann soll er diese Papiere dem Gliede der Familie übergeben, welches das höchste Gebot darauf thut und die gebot'ne Summe soll den Armen der Stadt Trier zufließen. Ist das beendet, so wird der Advocat mein Privatvermögen aus dem Kästchen nehmen, es, nicht nach Stämmen, sondern nach Köpfen vertheilen und zwar so, daß jede Frau, oder überhaupt[42] jede Person weiblichen Geschlechts, noch einmal so viel bekommt als ein Mann; sodann verleihe ich kraft meiner fürstlichen Prärogative jedem Mitgliede der Familie Mensdorf Staatsbürgerrechte in meinem Fürstenthume Berna; mein treues Volk wird die Glieder meiner Familie gern unter sich wohnen lassen und mein Nachfolger wird sie gnädig ansehen, denn, wen auch die Stimme des Volkes erheben sollte, ein Feind von mir kann nicht mein Nachfolger werden. Mein herzlicher Gruß für Alle, die den Namen Mensdorf tragen im alten Europa.


Carl Johann,

souverainer Fürst und Herr.

(L. S.)


Ludwig Baring, Hans Berthold Wagner,

Vorsitzender der Kammer. Reichsobermarschall.


Otho Hübschmann, Friedrich Anton Bernd,

Bürgermeister von Afranib. Reichsvicedrost.


Curt von Art, Conrad Walz,

Gardehauptmann. Obersthofmarschall.


Walter Schweighuber,

Leibarzt.


Geschrieben von mir Carl Lauben, dem Reichskanzler und erstem Schatzmeister.

Als der Advocat Herr Daniel Wolfshagen also gelesen hatte, herrschte eine tiefe Stille in dem Gemach;[43] der alte Unterofficier begriff die Sache nicht; Röschen sah sich als Fabrikdirne und ihren Vetter als hochgebietenden Fürsten auf dem Throne; der Student erkundigte sich, ob zu Afranib eine Universität sei, welcher Comment dort herrsche, ob die Verbindungen dort verboten u.s.w. Der unerschütterliche Ictus würdigte seine Fragen keiner Antwort, sondern ersuchte ihn und die andern Mitglieder der Familie sich von der Integrität der Siegel an einem ziemlich breiten und hohen Mahagonikästchen zu überzeugen, dann löst er solche vorsichtig und öffnet das Kästchen mit einem kleinen Schlüssel, der sich in einem versiegelten Couvert befand. Er hebt den Deckel auf und nimmt das oberste Papierpacket auf, es ist mit einem dreifarbigen Faden umwunden, an dem ein Wachssiegel hängt.

Auf dem ersten Blatte steht mit großen Buchstaben:


Geschichte

der

Familie und des Lebens Carl Johanns Mensdorf, der ein regierender Fürst und Herr der Insel Berna im stillen Oceane geworden – niedergeschrieben von ihm selbst.


Auf dem zweiten Blatte stand:


Allen lebenden Mitgliedern der Familie Mensdorf[44] in Europa sind diese Blätter gewidmet und möge das Andenken des Schreibers in Ehren bleiben bei Allen so Gegenwärtiges lesen.


Auf dem dritten Blatte erst begann die Lebensgeschichte und Herr Daniel Wolfshagen hub an zu lesen, wie folgt:


»Der Stammvater aller der Personen, so jetzt den Namen Mensdorf, ohne das gräfliche Prädicat, führen, ist Johann Ernst Victor Emanuel, ein geborener Graf Mensdorf und Herr zu Preitenstein. Dieser ist ein trotziger und gewaltthätiger Herr gewesen, gerade wie sein Vater auch, und hat es nicht an Funken fehlen können, wenn diese Beiden, wie Stahl und Stein, aneinander gerathen sind. Nun hat Victor Emanuel eine Niederländische von Adel zur Mutter gehabt, welcher Frau er mit der innigsten Liebe zugethan gewesen, und hat es nicht wohl vertragen können, wenn sein Herr Vater nicht eben allzusanft umgegangen mit der schönen, blassen Frau. So ist Victor Emanuel auch, als ein Jüngling von zwanzig Jahren, zugegen gewesen, als der alte Graf gar übel umgegangen mit seiner Gemahlin, nur mit Mühe hat er sich halten können, da aber der Graf seine Mutter hart geschlagen, hat er es nicht mehr vermocht, sondern der Sohn hat Hand gelegt[45] an den Vater, ihn niedergeworfen und ihn in der Wuth mit Füßen getreten, hat dann, ehe sein Vater wieder zu sich gekommen, seine Mutter genommen und viele Schätze und ist mit ihr geflüchtet vor dem Zorn des alten Grafen. Zu Groß-Nowgorod im moskowitischen Reich hat er sich niedergelassen mit seiner Mutter, sich seines Grafentitels entschlagen und Handelsgeschäfte getrieben. Der alte Graf aber daheim hat ihn verflucht, seiner Gemahlin Tod für gewiß angenommen, sich auf's Neue vermählt und eine Nachkommenschaft erzielt, die noch heute blüht und grünt. Haben einander nie wiedergesehen Vater und Sohn, haben nie später die Nachkommen des Vaters mit den Nachkommen des Sohnes in Verbindung gestanden, sind zwei ganz verschiedene Familien und Geschlechter geworden, getrennt durch den Fluch, den der Vater auf das Haupt seines Sohnes geschleudert hatte. Die Gräfin von Mensdorf aber ist zu Groß-Nowgorod im moskowitischen Reiche alt und wohlbetagt in den Armen ihres Sohnes gestorben und hat die letzten Jahre ihres Lebens nichts gethan, als eitel Segenssprüche über ihren Sohn gebetet. Beides hat in der Folge seine Kraft seltsam bewährt, der Fluch des Vaters, wie der Segen der Mutter; wenn wir nun auch im neunzehnten[46] Jahrhundert nicht mehr glauben, daß ein Menschenwort die Schicksale einer Familie bilden könne, so kann man doch nicht leugnen, daß in die Geschichte der Familie Mensdorf Vaterfluch und Muttersegen wunderbar eingegriffen haben, denn es ist seit zweihundert Jahren nunmehr kein Mitglied der Familie, das nicht entweder arm gewesen und reich geworden, oder reich gewesen und arm geworden; es giebt kein Glied der Familie, das nicht dem sonderbarsten Wechsel des Schicksals ausgesetzt gewesen, kein Glied, um dessen Besitz sich nicht Vaterfluch und Muttersegen hartnäckig gestritten.

Der zweite Sohn Victor Emanuels bettelte sich von Rußland nach dem Rhein, weil ihn sein Vater, der ehedem so reich gewesen, nicht mehr ernähren konnte, der Bettler ward am Rhein in kurzer Zeit durch Heirath und Heimfall ein großer Güterbesitzer; so wechselte es immer und haben diejenigen Mensdorfe von großem Glück zu sagen, die anfänglich arm sind, denn sicher werden sie reich an ihres Lebens Ende. Von den Familienmitgliedern habe ich hier nicht weiter Befugniß zu reden, da ich nur unvollkommen über ihre Schicksale unterrichtet bin und selbst das Wenige, was ich weiß, nicht verbürgen kann. Von meinem Vater[47] merke ich nur an, daß er das Unglück hatte reich geboren zu sein, in Ueberfluß erzogen wurde, in der Jugend als großer Herr lebte und im Alter darbte; ich rede hauptsächlich nur von mir, von mir dem es gerade umgekehrt gegangen, denn ich bin schier als ein Bettler geboren, habe mich bis in mein reiferes Alter kümmerlich durch's Leben schlagen müssen und bin doch jetzt nun ein souverainer Fürst und Herr über ein tapferes, edles Volk, zwar nicht von Gottes Gnaden, nicht durch die Rechte meiner Geburt, sondern kraft freier Erwählung aller freigeborenen Einwohner meines Staates.

Also meine Lebensgeschichte: Ich, Carl Johann Mensdorf, bin geboren im Jahr 1759 zu Trier unter dem Krummstab eines geistlichen Kurfürsten und Erzbischofs, an dessen Hofe mein Vater eine ansehnliche Stelle bekleidet hatte bis kurz zuvor ehe ich geboren ward. Ausgezeichnetes Unglück traf meinen Vater; am Tage, da ich das Licht der Welt erblickte, starb nämlich meine Mutter, so von besonderer Schönheit soll gewesen sein, bevor sie mich gesehen und verlor mein Vater durch einen betrügerischen Freund den letzten Rest eines ehedem großen Vermögens. Diese Schicksalsschläge stürzten meinen Vater in unverdiente Armuth, ja in's Elend[48] und er starb schwermüthig als ich kaum fünf Jahr alt war. Ich, ein armes Waisenkind, hätte nun geistig und leiblich verwahrlost werden müssen, wenn sich nicht der kaiserliche Rath, Doctor beider Rechte, Daniel Wolfshagen der Aeltere, aus Mitleid meiner angenommen und mich ein Asyl hätte finden lassen in seinem Hause. Dieser treffliche Mann sorgte von früh an mit großer Umsicht für die Ausbildung meines Geistes, der schon zeitig nicht gewöhnliche Fähigkeiten verrieth und war ich, als ich im neunzehnten Jahre von ihm zur Universität abgesendet wurde, gleich bewandert in theologicis, metaphysicis und humanioribus. Da der ehrwürdige Doctor Wolfshagen damals für Niemanden mehr zu sorgen hatte, sintemalen sein einziger Sohn als Landschaftsconsulent zu Trier fungirte und vermögend war, so stattete er mich zur Universität mit mehr als väterlicher Freigebigkeit aus und spielte ich vier Jahre lang eine bedeutende Rolle unter den Studenten zu Heidelberg, ohne indeß meine juristischen und cameralistischen Studien zu negligiren. Da lief eines Abends die traurige Nachricht bei mir ein, daß mein alter Wohlthäter und väterlicher Freund eines plötzlichen Todes verblichen sei. Nun hatte ich Niemanden mehr auf der ganzen Gotteswelt, der sich meiner hätte[49] annehmen können, denn ein seltsames Gefühl hielt mich ab, mich dem Sohne meines Wohlthäters, dem braven Landschaftsconsulenten zu nähern, ich glaubte es sei allzu unbescheiden noch mehr von der einen Familie zu verlangen, die mir schon so vieles gewährt. Ich verließ Heidelberg übereilt und erfuhr erst zehn Jahre später, daß der edle Sohn meines Wohlthäters zur bestimmten Zeit die nöthigen Wechsel nach Heidelberg gesendet habe und sehr betrübt über meine rasche Entfernung gewesen sei.

Ich aber ging von Heidelberg nach dem nächsten östreichischen Werbeplatze und war wenige Tage später Soldat im Infanterieregimente Prinz Reuß, dessen Mannschaften damals gerade vollzählig gemacht wurden, weil es zu dem Corps des Prinzen von Coburg stoßen sollte, das in Slavonien gegen die Türken stand.

Freilich wurde es dem verwöhnten Studenten, namentlich zu Anfang, nicht wenig sauer und mein Geist besonders empörte sich oft gegen die grausamen Mißhandlungen, die ich, wenn auch nicht selbst duldete, so doch mit ansehen mußte, aber es ging. Lieber Soldat, als Vagabunde oder noch schlimmeres, dachte ich und brachte es bald ziemlich weit in der Gunst meines Corporals und meines Hauptmanns. Ueber drei Jahre[50] lang zog unser Regiment, bald durstend, bald hungernd in Slavonien umher, unserer Feinde aber habe ich keinen einzigen zu sehen bekommen, kann mich also auch meiner Kriegstapferkeit wenig berühmen, obwohl ich mich zu sagen getraue, daß ich auch in der Schlacht meine Schuldigkeit gethan haben würde so gut wie jeder Andere.

Darauf lag das Regiment an verschiedenen Orten in Garnison und nach achtjähriger Dienstzeit erhielt ich, weil ich lesen und schreiben konnte, durch die Fürsprache meines Hauptmanns; die Charge eines Feldwaibels, auf die ich eigentlich noch gar keine Ansprüche hatte. Unser Hauptmann aber, ein Sächsischer von Adel, ein Freiherr von Zedlitz, wenn ich nicht irre, war zwar ein sehr tapferer, guter und braver Herr, aber in seiner Erziehung dermaßen negligirt, daß er eigentlich nichts wußte und ich ihm mit meinen Kenntnissen oft sehr nützlich wurde.

Als ich eben Feldwaibel geworden war, kam unser Regiment nach Wien und ich in Quartier zu einer ehrsamen Bürgerfrau, die eine ausnehmend schöne Tochter hatte und dieser Tochter wegen alle Morgen eine große Anzahl junger Männer ledigen Standes vor ihrem Fenster sah.[51]

Maria Theresia, so hatte man die Dirne nach der großen Kaiserin getauft, war auch wirklich ein so schönes Geschöpf, daß der Herrgott selber seine Freude an ihr, als an einem Meisterstück haben mußte. Maria Theresia war sehr schlank gewachsen, hatte aber dabei doch eine so angenehme Fülle, daß der Beschauer nicht zu begreifen vermochte, wie beides zusammen möglich. Ihr Gesichtchen war länglichrund und wußte man sicher nicht, ob die blauen, großen Augen oder der kleine rothe Mund, die hohe, weiße Stirn, oder die vollen, weiß und roth gemalten Wangen das Schönste war darin. Ihr schwarzes Haar puderte sie nur wenig und ihre Händchen waren so fein und artig, daß sich eine Reichsgräfin derselben nicht hätte zu schämen brauchen.

Im Anfang, da ich bei Mariechens Mutter im Quartier gelegen, bekam ich das schöne Dirnlein gar selten zu Gesicht, aber allemal, wenn ich's sah, gab's mir einen Stich in's Herz und allemal, wenn ich seine liebliche Stimme vernahm, begann ich zu zittern, woraus ich abnahm, daß mir's die schöne Dirne angethan, daß ich sie mehr liebe als mein Leben. Nach und nach begegnete mir's Mariechen öfters, hatte das und jenes Wort für mich, ging nicht mehr aus dem Zimmer,[52] wenn ich eintrat und wurde gar angenehm roth, wenn ich den Muth hatte mit ihm zu reden.

In der Zeit wurde auch die Mutter noch eins so freundlich zu mir und als ich vier Monate in der Kaiserstadt gewesen, hatten wir's uns gesagt, daß wir uns gut wären, uns liebten, die schöne Marie Theresia und ich.

Mein guter Hauptmann, der mich immer mehr in Affection nahm, je mehr er mich kennen lernte, verschaffte mir einen Trauschein. Marie Theresia und ich wurden ein Paar und zwar ein sehr glückliches.

Die ersten Jahre ging's auch ganz vortrefflich, denn Marie Theresia war nicht müßig und griff tüchtig zu in der Wirthschaft mit ihren kleinen weißen Händen; aber als alle Jahre ein frischer Bube in meinem Hause erschien, der Kaiser aber keineswegs die Feldwaibellöhnung erhöhte, so fing's immer spärlicher, ärmlicher an auszusehen bei uns, als am Ende aber gar Marie Theresia's Mutter starb, die ihre kleine Pension mit uns getheilt hatte, da wollte mir mancher Tag recht ängstlich werden und der guten Marie Theresia auch, obwohl das treffliche Weib es sich nicht merken ließ, sondern mich tröstete und bessere Tage zu erwarten vorgab. Es wurde aber immer schlimmer mit uns und[53] nicht besser, bis ich mir endlich eines Tages nach der Parade ein Herze faßte und mit meinem braven Hauptmann redete. Der gute Mann beklagte mich, versprach für mich zu sorgen und schon am nächsten Tage schickte er mich in's spanische Gesandtschaftshôtel, wo mich ein Diener mit der Frage empfing: ob ich der Herr Feldwaibel sei, der lateinisch verstehe? Ich bejahte das und der Mensch führte mich in einen großen Saal, wo ein ganz mit Papieren bedeckter Tisch stand.«


»Hier,« sagte er, »diese Briefe sollen Sie nach dem Datum ordnen, wenn Sie das gethan haben, sollen Sie jeden Brief einzeln nehmen, lesen und das herausschreiben, was auf die edele, spanische Grandenfamilie von Aurinia Bezug hat, auch das Unbedeutendste. Ihr Herr Haupmann hat uns gesagt, Sie hätten studirt, demnach wird Ihnen das nicht schwer werden; täglich zwei Stunden können Sie hier daran arbeiten und sollen dafür täglich einen Zwanziger erhalten, außerdem aber noch einen anständigen Recompens, wenn Ihre Arbeit gut befunden wird.«

Ich war sehr froh und arbeitete fleißig; nach acht Tagen waren die Briefschaften, die alle lateinisch waren, geordnet und ich begann die Auszüge niederzuschreiben, was mir mehr Unterhaltung gewährte, als[54] ich anfänglich geglaubt hatte; diese Briefe enthielten eine Geschichte aller Verhandlungen des Erzhauses Oestreich mit der Krone Spanien und gingen häufig in die interessantesten Details und treffendsten Charakteristiken der höchsten Persönlichkeiten ein.

Schon am dritten Tage, nachdem ich mit den Auszügen begonnen, stellte mir der Diener einen Gulden zu und sagte mir, man sei sehr zufrieden mit meiner Arbeit und ich würde täglich einen Gulden Convention erhalten. Meine gute Maria Theresia war nun ganz glücklich, denn wenn wir auch keinen Ueberfluß hatten, so litten unsere fünf Knaben doch nunmehr auch keinen Mangel und nach und nach stellte sich unsere zerrüttete Wirthschaft wieder her. So hatte ich fast zwölf Wochen gearbeitet und täglich meinen Gulden verdient, als eines Morgens zwei vornehm gekleidete Herren in den Saal traten, von denen mich der Eine freundlich anredete: »Hier, Feldwaibel, hier ist Se. Excellenz der General von Aurinia, für den Er arbeitet, Se. Excellenz ist sehr zufrieden mit Ihm.«

Der spanische General, ein schöner, stattlicher Mann, begann nun mit mir eine Unterhaltung, in der er ein sehr freundliches, mildes, herablassendes Wesen und tüchtige Kenntnisse zeigte, angelegentlich nach meinen[55] Schicksalen frug und sich wunderte, einen Mann von meinen Kenntnissen als gemeinen Feldwaibel zu finden.

Ich nahm keinen Anstand dem freundlichen Herrn meine Geschichte zu erzählen, die ihn mehr beschäftigte als ich glaubte zuvor, namentlich kam er auf die frühern Schicksale meiner Familie mehrmals zurück.

Der spanische General erschien nun öfter, wenn ich im Hôtel des Botschafters arbeitete, endlich kam er alle Tage beinahe und wurde ganz bekannt mit mir, schien auch ein ganz besonderes Behagen an meiner Art und Weise zu finden, wobei er indeß niemals eine gewisse, ihn sehr wohlkleidende, Art von Stolz verleugnete.

Die Auszüge waren vollendet; ich erhielt einen Recompens von hundert neuen Kremnitzer Ducaten und eine schwere, goldene Kette um den Hals zu tragen für meine Frau, von der ich Sr. Excellenz vieles erzählt hatte. Dabei versprach mir General Don Juan von Aurinia mich recht bald wieder zu beschäftigen, es werde sich schon eine Gelegenheit finden, machte mir auch Hoffnung zur Befreiung vom Soldatenstand, der mir erst jetzt, da ich mich mit wissenschaftlichen Dingen auf's Neue befaßte, gründlich zuwider wurde.[56]

Wirklich verschaffte mir der General bald eine neue Beschäftigung und ich war auf dem Wege glücklich zu werden und mir und meiner Familie einen dauernden Wohlstand zu gründen, als der Vaterfluch, der seit Jahrhunderten in meiner Familie forterbte, mich auf's Neue in's tiefste Unglück stürzte.

Meine Maria Theresia klagte mir eines Tages, daß sie nicht mehr ausgehen könne, ohne sich den zudringlichen Liebkosungen eines jungen Officiers von meinem Regimente auszusetzen, der ihr die schändlichsten Anträge mache und trotz wiederholter, derber Zurückweisung, dennoch nicht ablasse in seinen Nachstellungen. Ich war nun zwar nicht zornig, bin das auch wohl eben niemals gewesen, aber meine Maria Theresia war doch das Beste was ich hatte und ungestraft sollte der junge Wüstling mein keusches Weib nicht mit seinen unwürdigen Zumuthungen verfolgen. Indeß kannte ich recht gut die Schwierigkeit meiner Lage, ich war verloren, wenn ich Gewalt brauchte und darum setzte ich mein Vertrauen auf die Sieghaftigkeit der gesunden Vernunft und begab mich am andern Morgen gleich in das Quartier des jungen Lieutenants, der von großer Familie, ansehnlichem Reichthum und hübscher Gestalt war, im Uebrigen aber nicht viel taugte. Der Bediente[57] führte mich in ein herrlich decorirtes Zimmer, in welchem ich meinen jungen Herrn fand, der eben mit seinem Hündchen spielte.

»Was will Er?« fragte mich der Lieutenant verwundert.

»Ich habe eine schöne Frau, Herr Lieutenant!« lautete meine Antwort.

»Das weiß ich!« lachte mein Officier. »Was soll's?«

»Herr Lieutenant, das Weib ist mein Ein und Alles, ich bitte Sie, Herr Lieutenant, lassen Sie mir meine Hausehre unangetastet!«

»Er fürchtet sich, daß ich Ihn zum Hahnrei mache?«

»Nein, das fürchte ich nicht, denn meiner Frau bin ich sicher –«

»Hoho!« und das höhnische Gelächter des jungen Wüstlings schlug beleidigend an mein Ohr und mein Herz.

»Mein Herr Lieutenant!« antwortete ich heftig, »ich fürchte nicht für meines Weibes Tugend, aber ich fürchte, daß ich mich vergessen könnte, mich an Euch vergreifen könnte, wenn Sie ihr Ungebührliches zumuthen!«

»Was, Kerl?« schrie der Lieutenant, »was, vergreifen? Ihm soll ja gleich das Kreuzdonnerwetter zehntausendschockmal in die Knochen schlagen! Vergreifen?«[58]

Der wüthende Officier haschte nach seinem Degen, ich aber vertrat ihm den Weg und sprach kalt: »Bedenken Sie, was Sie thun wollen, Herr Lieutenant!«

Da schlug mich der Hitzkopf ins Gesicht – ich hatte niemals, selbst als Rekrut nicht, ich hatte niemals einen Schlag bekommen, das Blut stieg mir in die Wangen, ich holte aus und schlug wieder. Jetzt sah ich den Degen des Officiers blitzen, ich zog ebenfalls blank, eigentlich hatte ich gar keine Besinnung mehr; das Hündchen bellte, die Klingen klirrten aneinander, mir flirrte Alles vor den Augen und ob ich gleich sonst ein trefflicher Fechter war, so warf mir der Lieutenant doch nach kurzem Gefecht den Degen aus der Hand und setzte mir die Spitze des seinigen auf die Brust. »Verdammte Canaille!« brüllte er, »bet' Dein Vaterunser, Deine Wittwe will ich trösten, aber rühmen soll sich kein Lebender dem Grafen von T. einen Schlag gegeben zu haben!« Da erkannte ich, daß es mir hart an's Leben ging; ich gedachte meiner holden Maria Theresia und meiner fünf Buben; rasch entschlossen, denn es war Gefahr im Verzug, faßte ich in die Klinge des Lieutenants und brach sie etwa dreiviertelschuhlang von der Spitze herab ab, mit dem Stück, das in meiner Hand blieb aber versetzte ich dem[59] bestürzten Officier rasch drei bis vier Stiche hintereinander in's Gesicht und in die Brust, die indeß nicht eben gefährlich sein konnten, denn der Lieutenant packte mich nun mit Riesenkraft um den Leib und schleppte mich nach dem Fenster, das in einen Hof hinausging und drei Stock hoch war.

Er wollte mich nach böhmischer Sitte, der Lieutenant war ein Böhme, kurzweg zum Fenster hinauswerfen, ich wehrte mich verzweifelt, aber vermochte nicht die Riesenkraft des jungen Officiers zu bewältigen; mir vergingen die Sinne, krampfhaft umfaßte ich den Hals meines Gegners und bekam erst durch eine furchtbare Erschütterung meine Sinne wieder; ich sprang auf, alle Glieder schmerzten mich heftig, aber keins war gebrochen; neben mir lag der junge Graf, leblos; in dem Augenblicke, in dem er mich hinausschwang, hatte ich seinen Hals gefaßt und ihn mit mir herabgerissen. Der Kopf des Unglücklichen war furchtbar zerschmettert, ich aber rannte davon so schnell ich vermochte, denn oben rief der Diener des Lieutenants mit lauter Stimme: »Mörder! Mörder!« Dieser Ruf hallt mir noch heute grausig in die Ohren, wenn schon ein halb Jahrhundert beinahe verflossen seitdem.[60]

Nicht aus Ueberlegung, selbst nicht einmal mit der klaren Absicht, sondern gänzlich bewußtlos rannte ich durch mehrere Straßen nach dem Hôtel des spanischen Gesandten; staunend blickten mir die Leute nach, denn meine weiße Uniform war mit Blut bespritzt und mein Aussehen verwildert.

Erschrocken empfing mich Don Juan von Aurinia; ich erzählte ihm athemlos und kurz was vorgefallen; er handelte für mich. Eine halbe Stunde später saß ich umgekleidet in einer eleganten Chaise und fuhr als Courier des spanischen Gesandten zum Thor hinaus nach München.

Ich habe die gute Kaiserstadt nicht wieder gesehn.

Don Juan von Aurinia begab sich zu meinem Weibe, zu der guten Maria Theresia, suchte sie zu trösten, so gut es gehen wollte, sagte ihr, daß ich in Sicherheit sei, aber nicht wo, denn man hat nachgehends die gute Frau ausgefragt, ausgeforscht, bewacht und belauert also scharf, daß sie sich doch wohl am End' verrathen einmal, wenn sie Wissenschaft von meinem Aufenthalt gehabt hätte.

Mein Lieutenant, der Graf T., war wirklich todt auf dem Platze geblieben und seine vornehme Familie forschte eifrig nach dem vermeinten Mörder – ich selbst[61] wurde als Ausreißer und Mörder in contumaciam verurtheilt und mein Name an den Galgen geschlagen, weßhalb ich mich übrigens zu trösten weiß im Bewußtsein meiner Unschuld. Hat mich mein guter Hauptmann, der von Zedlitz, sehr beklagt und mich schmerzlich vermißt, hat auch sein Bedauern öfter dem General von Aurinia kund gegeben.

Dreizehn Monate war ich im Hause des spanischen Geschäftsträgers in München, hatte gute Zeit und benutzte sie zum Studieren, weil ich nicht ausgehen durfte, denn die Familie T. hatte einen langen Arm und hatte in Erfahrung gebracht, daß mich der spanische Gesandte gerettet habe, weßhalb sie ihm auch spinnefeind geworden.

Endlich eines Abends trat Don Juan von Aurinia in mein Zimmer und hinter ihm Maria Theresia, mein liebes Weib, aber im schwarzen Traueranzug, wollte meine Freude über das Wiedersehn gar nicht mehr groß sein, denn vier meiner Buben hatte ein böses Gebreste in einer Woche hingerafft und nur der fünfte war uns geblieben.

»Mensdorf!« sprach Don Juan damals zu mir, »es ist Eures Bleibens nicht mehr hier in der alten Welt, wollt Ihr mir folgen, so geht Ihr mit Weib[62] und Kind nach einer Insel in der Südsee, die mir bekannt ist, dort werdet Ihr einen, Euren Kräften angemessenen Wirkungskreis finden.«

Ich war Alles zufrieden; Don Juan gab mir eine große Summe Geldes und eine Menge versiegelter Briefschaften. Am 3. Januar 1796 verließ ich mit Weib und Kind auf einem hamburgischen Segelschiffe, genannt der Adler, das alte Europa und habe es nicht wieder betreten. Don Juan hatte uns bis auf's Schiff begleitet und wurde von dem Capitain und dessen Equipage mit besonderer Hochachtung behandelt.

Unsere Reise war eine glückliche zu nennen, denn wenn wir auch Stürme erlebten, so thaten sie uns doch nicht viel und sah ich, da wir mehrmals unterwegs an legten, mancherlei interessante Länder. Indeß fiel mir im Verlauf der Fahrt so manches Seltsame auf an dem Capitain und seinem Schiffsvolk und war es mir schier ärgerlich, daß Keines mir eigentlich Red' und Antwort stehen wollte; erst als wir nach etwa zwanzig Monaten das Festland von Amerika, das mir südwärts umschifften, hinter uns hatten, schien man offenherziger zu werden und die Mannschaft sprach offen ihre Freude aus, bald in der Heimath zu sein – es waren also keine Hamburger.[63]

So stand ich eines Nachmittags sinnend auf dem Deck und starrte über den Backbord hinein in die Wellen, die sich schäumend brachen an den Planken des Schiffes, als plötzlich der Junge im Korbe schrie: »Ho! Segel, eins, zwei, drei, Segel in See, Back!«

Der Capitain beobachtete durch's Fernrohr aufmerksam die sich nähernden Schiffe, denen uns eine frische Brise mit so reißender Schnelligkeit entgegenführte, daß ich schon nach einigen Stunden ein größeres und zwei kleinere Schiffe unterscheiden konnte, die mit Mühe gegen den widrigen Wind lavirten.

Als wir uns ganz in der Nähe des kleinen Geschwaders befanden, zog das größere Schiff eine himmelblaue Commodoreflagge am vordern Maste auf und der auf dem Vordercastell stehende Officier in blauer Uniform rief uns durch's Sprachrohr in deutscher Sprache zu: »Legt bei! Flagge herauf!«

Sogleich gab unser Capitain Befehle und eine Flagge erschien am Fockmast, aber es war nicht die der freien Stadt Hamburg, sondern eine meergrüne mit drei goldenen Querbalken.

»Woher?« fragte der Commodore drüben wieder durch's Sprachrohr.

»Europa, Hamburg!« antwortete unser Capitain.[64]

»Keine Depechen für nueva castilla?«

»Briefe von Don Juan!«

So weit war das Gespräch, als ich bemerkte, daß die beiden kleineren Schiffe, beides Briggs von vierzehn bis sechzehn Kanonen, ebenfalls die grüne Flagge mit den drei goldenen Schrägbalken aufgehißt hatten und nunmehr Boote aussetzten und an unsern Bord schickten.

Auch der Commodore mit der himmelblauen Flagge sendete einen Lieutenant an unsern Bord. Mit Hurrah empfing unsere Equipage den Besuch. Die beiden Officiere, die von den kleineren Schiffen an Bord kamen, waren unserm Capitain bekannt, man war erfreut sich zu sehen, alle sprachen deutsch und zwar ein sehr reines und schönes Deutsch. Der Lieutenant vom Commodoreschiff war in einer prachtvollen Marineuniform, er empfing von unserm Capitain ein Paquet Briefe und entfernte sich dann wieder; auch die beiden Officiere von den Briggs blieben nur etwa eine Stunde am Bord. Wir setzten dann unsern Lauf nordwestlich fort und ich wunderte mich, daß das große Commodoreschiff, eine stattliche Fregatte von 40 Kanonen, einen Cours mit uns hielt, während die Briggs südwärts steuerten.[65]

Jetzt hat ich den Capitain ernstlich mir diese Räthsel mit der mir völlig fremden Flagge u.s.w. zu lösen, der aber lächelte und bat mich Geduld zu haben, Don Juan von Aurinia habe bestimmt, daß nur eine Person mir alles erkläre.

Am andern Morgen jagte mich der Ruf: »Land, Land!« und das frohe Getümmel der Mannschaft sehr zeitig aus meiner Hangmatte und als ich auf's Verdeck trat, lagen in geringer Entfernung zwei Inseln vor mir mit grünen, flachen Küsten und gegen den Horizont durch blaue Berge abgegrenzt.

»Das ist Berna!« schrie mir ein Matrose jubelnd zu.

»Berna?« murmelte ich und freute mich über meine Maria Theresia, die in der letzten Zeit sehr viel gelitten hatte, jetzt aber schon vom Anblick des Landes allein zu gesunden schien.

Wir umsegelten mit frühestem Morgen eine Landspitze, die durch ein Fort gedeckt war, das unsere meergrüne Flagge mit drei Kanonenschüssen salutirte.

»Dort, dort ist Afranib!« schrieen die Matrosen und herrlich leuchtend im Morgensonnenstrahl lag eine ziemlich bedeutende Stadt vor uns, die von fünf hohen Thürmen überragt wurde.[66]

Nach einer Stunde rasselten die Ankertaue und der »Adler« lag auf der Rhede von Afranib vor Anker. Ich zählte wohl dreißig Schiffe, die mit uns vor Anker lagen, aber die Flagge der freien Stadt Hamburg war die einzige europäische, die ich bemerkte, die meisten waren meergrün mit goldenen Balken, wie die unsrige, viele aber auch blau mit einem silbernen Doppelkreuz, so wie sie der Commodore führte, der uns gestern begegnet war und sich erst in der Nacht von uns getrennt hatte.

Ein Mann mit grünem Rock und einem goldenen Anker auf der Schulter kam jetzt an Bord und redete eine Weile mit dem Capitain, dann wendete er sich zu mir und sagte freundlich: »Kommen Sie, Herr Mensdorf, ich werde Sie zum Fürsten führen; ich bin der Hafencommissair Schubert.«

Nach einer Fahrt, die länger als zwanzig Monate gedauert, betrat ich mit meiner Frau, Maria Theresia, und meinem Sohne, Joseph Leopold, die Insel Afranib; der Hafencommissair ließ uns einen Wagen besteigen und nun gings im raschen Trabe hinein in die Stadt.

Die Straßen, durch die wir fuhren, waren schön gepflastert, die Häuser meist zweistöckig aber hübsch angestrichen,[67] die Kleidung der Bewohner europäisch, die Sprache meist deutsch. Doch rief uns auch ein Mohr vom Balkon seines Hauses ein bon jour! zu.

So kamen wir auf den Markt, er wimmelte von Käufern und Verkäuferinnen, ganz in deutscher Weise sah ich dicke Mägde hinter ihren Hausfrauen mit schweren Körben herkeuchen und war so ergötzt durch diesen Anblick, daß ich staunend in ein Gitterthor einfuhr, an welchem zwei Soldaten ohne Zöpfe in grünen Röcken und weißen, weiten Pantalons, gelben Strohhüten und weißen Wehrgehängen Wache standen.

Wir fuhren auf einem mit gelben Sande bestreuten Wege durch eine prächtige grüne Wiese, die hier und dort von Bäumen beschattet oder mit Blumenrabatten geziert war; endlich hielt der Wagen vor einem langen, einstöckigen Hause, vor dessen Portal eine Kaskade ihren hellen Wasserstrahl hoch in die Höhe warf. Noch ehe wir aussteigen konnten trat ein freundlicher Herr an den Wagen und fragte: »Wollen Sie zum Fürsten, Herr Hafencommissair?«

»Ja, Excellenz!« erwiederte unser Führer; »hier Herr Mensdorf aus Europa mit Familie mit Depechen von Excellenz Don Juan von Aurinia an Durchlaucht.«[68]

»Ah, Herr Mensdorf, willkommen in Afranib, Durchlaucht wird sich sehr freuen Sie zu sehen; was macht der würdige Don Juan?«

In diesem Augenblick trat ein Mann in grünem Ueberrock aus dem Schloß, dessen Haar ganz weiß war, er hielt eine prächtige Blume in der Hand und kam mit raschen Schritten auf uns zu, sobald er uns gesehen.

»Wer ist das, Walz?« fragte er rasch den Obersthofmarschall. »Guten Morgen, Schubert!« sagte er zu dem Hafencommissair. »Sie sind fremd, mein Herr, Sie sind mir willkommen; ich bin Ihr Diener, Madame; Gott segne Dich, mein Sohn!« sprach er zu uns rasch, aber mir so mildem Ton und so freundlichem Blick seiner ehrlichen deutschen, blauen Augen, daß man ihm gut sein mußte auf den ersten Anblick.

So war mein seliger Vorgänger, der Fürst August Wilhelm von Berna, der aus Halle an der Saale im Herzogthum Magdeburg stammte und zwar aus einer noch daselbst existirenden Hallorenfamilie, Namens Kruspe.

»Durchlaucht!« antwortete der Hafencommissair ganz ohne Complimente, obwohl sehr achtungsvoll, »ich bringe Ihnen Herrn Mensdorf aus Europa; der ›Adler‹ ist[69] heut Morgen eingetroffen und bringt Ihnen diese Papiere von Excellenz Don Juan.«

»Ah!« sagte der Fürst, die Papiere nehmend. »Danke Ihnen, Schubert; Walz, sorgen Sie doch für unsere Gäste; entschuldigen Sie mich, Madame, erholen Sie sich etwas, auf baldiges Wiedersehen!«

Der Fürst, dessen Wesen mich ganz bezaubert hatte, ging, aber kaum hatte er einige Schritte gethan, so drehte er sich wieder um und rief: »Schubert, essen Sie doch diesen Mittag mit uns und bringen Sie den Capitain vom Adler mit, Sie können doch?«

»Ja, Durchlaucht!« lautete die einfache Antwort, mit der der Hafencommissair die Einladung seines Fürsten annahm.

Der Obersthofmarschall Walz führte uns nun in das Schloß, das sehr prächtig mit allerlei Marmoren geziert war und wieß uns eine Reihe elegant meublirter Zimmer an. Der Obersthofmarschall zeigte uns selbst alle Bequemlichkeiten und war eben dabei mir seine Garderobe anzubieten, als der Fürst selbst, Kleider und Wäsche für mich sendete, hinter dem Diener aber, der die Sachen brachte, kam ein junges schönes Mädchen in's Zimmer.[70]

»Prinzeß Auguste!« rief der Hofmarschall, »Sr. Durchlaucht einzige Tochter!«

»Liebe Madame Mensdorf,« sagte die Prinzessin, »kommen Sie mit mir, Ihre Garderobe soll bald in Stand sein, wir sind von einer Größe und die Kleider, die Sie aus Europa mitgebracht haben, können Sie hier nicht tragen.«

Die Prinzessin ging mit meiner Frau und meinem Sohn, ich blieb mit dem Hofmarschall allein.

Nach einer halben Stunde trug ich das Hofkleid des Fürsten von Berna, nämlich einen einfachen, bequemen, grünen Rock, weite, weiße Pantalons, weiße Weste und Strohhut. Dann setzte ich mich mit dem Obersthofmeister zum Frühstück, das aus delicat gebrat'nem Geflügel und edeln Weinen bestand.

Gegen Mittag ließ mich der Fürst rufen. Der Obersthofmarschall zeigte mir die Thür zu des Fürsten Zimmer und neugierig trat ich ein. Ich fand den alten Fürsten in einem Lehnstuhl sitzen, er hatte den Rock ausgezogen, die Hemdärmel aufgestreift und paffte aus einer langen Pfeife mit einem riesenhaft großen Kopf.

»Nehmen Sie eine Pfeife, lieber Mensdorf!« rief er mir zu, »da liegt Stahl, Stein und Schwamm.«[71]

Ich gehorchte und sog den aromatischen Duft eines äußerst leichten, aber sehr angenehmen Krautes mit Behagen ein.

»Setzen Sie sich, lieber Herr!«

Ich setzte mich und blickte mit einer seltsamen Bewegung in das ehrwürdige, patriarchalische Gesicht des greisen Regenten, der nun also zu sprechen begann:

»Mein Freund Don Juan hat mir Ihre Geschichte geschrieben, ich weiß, Sie werden sich bald heimisch hier fühlen; ich kann solche Leute, wie Sie sind, brauchen; aber Sie wissen noch gar nicht, wo Sie sind, Don Juan hat mit Vorbedacht Ihnen in Europa nichts gesagt, also ist es billig, daß Sie zuerst die Geschichte dieses Fürstenthums kennen lernen.

Vor etwa dreihundert Jahren, da Kaiser Karl Deutschland, Spanien, Italien, die Niederlande, Ungarn, kurz halb Europa beherrschte, damals lief aus dem Hafen von Serida eine spanische Flotille von drei kleinen Schiffen aus, an deren Bord sich eine ziemliche Anzahl von Edelleuten und Bürgern befand, die sich der Gewalt des Kaisers entziehen wollten, denn sie hatten Theil genommen an dem Aufstande Don Juan's de Padilla gegen den Kaiser; zu dieser Flotille stießen[72] im atlantischen Meer zwei Schiffe der freien Stadt Hamburg, die ebenfalls Edelleute und Bürger an Bord hatten, welche ein neues Vaterland suchten. Diese Flotille von fünf Schiffen entdeckte diese Inselgruppe, die aus zwei großen und mehrern kleinen Inseln besteht. Sie fanden diese Inseln von einem gutmüthigen, gastfreien Völkchen sparsam bevölkert und gründeten sich hier eine neue Heimath; die Spanier nahmen die größere Insel in Besitz und nannten sie nueva Castilla, Neucastilien, die Deutschen erhielten die kleinere und die andern Inselchen und Eilande; sie ließen ihrer Insel den Namen Berna, den ihr die Einwohner gegeben und nannten auch ihre Hauptstadt Afranib, nach dem Fischerdörfchen, das vormals an dieser Stelle belegen war. Sowohl die Deutschen hier, als die Spanier drüben vermischten sich mit den Ureinwohnern und bildeten ein Volk. Die Spanier drüben ließen sich von einer Junta regieren, die jährlich neu gewählt wurde, die Deutschen erwählten sich lebenslängliche Fürsten, denen sie die vollziehende Gewalt anvertrauten, während die gesetzgebende bei einer Kammer war, zu der je hundert Menschen einen Abgeordneten sendeten.

Das deutsche Fürstenthum Berna und die Republik der Spanier schlossen ein ewiges Bündniß und bis[73] jetzt ist der Frieden der beiden Nachbaren nie gestört worden.

Die Hauptdiplomatie der beiderseitigen Regierungen bestand darin, ihre Existenz den europäischen Seemächten gänzlich zu verbergen und dennoch eine gewisse Verbindung mit dem Mutterlande Europa aufrecht zu erhalten. Die freie Stadt Hamburg konnte keine Eroberungspläne hegen, wohl aber großen Gewinn durch seinen Handel mit uns ziehen, deßhalb wurde ein geheimer Vertrag mit dem hohen Senate geschlossen; unsere Schiffe führen hamburgische Flagge; Hamburg ist der Stapelplatz für unsere Ausfuhr, aus Hamburg beziehen wir seit beinahe dreihundert Jahren unsere Einfuhr. Hamburg und wir, wir haben uns beide stets wohl dabei befunden.

Als ich vor dreizehn Jahren durch die Vertreter des Volks zum Fürsten gewählt wurde, fand ich mich an der Spitze eines blühenden Staates, eines glücklichen Volkes. Wie ich hierher gekommen, erzähle ich Ihnen ein ander Mal, lieber Mensdorf, denn ich gehöre zu den wenigen Einwohnern dieser Insel, die nicht hier geboren sind. Jetzt gehen wir zu Tische.«

Von nun an ist meine Geschichte sehr einfach; ich wurde nach und nach Director der Landesschule zu[74] Afranib, Volksvertreter in der Kammer, verlor mein treues Weib, meine gute Maria Theresia und meinen Sohn in einem Jahr und wurde schließlich am 18ten Mai 1806 zum souverainen Fürsten von Berna erwählt; das Volk gab durch Acclamation seine Zustimmung zu erkennen und der Bischof von Afranib krönte mich am 22ten Mai d. J. Am 13ten December des folgenden Jahres heirathete ich die Prinzessin Auguste, meines Vorfahren Tochter, und lebe mit ihr bis heute in einer glücklichen, wenn auch kinderlosen, Ehe. Jetzt bin ich alt, ich glaube nur noch kurze Zeit zu leben zu haben, mein Freund Don Juan, der mich im Jahr 1829 besuchte, fand mich schon sehr gealtert. Ich glaube mein Volk nach Kräften löblich regiert zu haben, denn ich erhielt, nach dem Beispiel meiner in Gott ruhenden, glorwürdigen Vorfahren, die alten Institutionen aufrecht, rüttelte nicht daran, sondern suchte sie, wo sie wankend geworden waren, zu stützen. Ich habe mit vollen Zügen das Glück genossen, das höchste Glück der Erde, das Glück, der Fürst eines freien Volkes zu sein. Da ich keine directen Leibeserben hinterlasse, so vermache ich mein Privatvermögen, über welches ich, dem Staatsgesetz gemäß, frei disponiren kann, meinen Anverwandten im alten Europa und wünsche,[75] daß sie weisen Gebrauch davon machen mögen; meine unsterbliche Seele empfehle ich dem HErrgott im Himmel, meinen Leib vermache ich der Erde von der er gekommen, mein Andenken aber denke ich soll frisch bleiben in den Herzen meines Volks, das mich nie betrübt hat. Amen.


Afranib im Pallaste. Carl Johann Mensdorf,

Fürst und Herr zu Berna.


Der Advocat legte das Papier zusammen und sah die Mitglieder der Familie Mensdorf der Reihe nach an. Es war der Eindruck ein sehr verschiedener, den das Lesen der Lebensgeschichte Carl Johanns gemacht. Der alte Soldat im Regiment Prinz Heinrich vacat wedelte mit den Ohren und hatte eigentlich die ganze Sache nicht recht begriffen, eben so ging es zum Theil wohl dem Vater Röschen's, nur die Frau Strobel's und der Student, die ziemlich ernst geworden waren, hatten eigentlich lebendigen Antheil genommen.

»Verehrte Anwesende,« nahm der Advocat wieder das Wort, »nach dem Willen meines wohlseligen Auftraggebers soll nun die eben gelesene Lebensgeschichte desselben zum Besten der Armen gemeiner Stadt Trier versteigert werden. Welches Gebot thun Sie? Madame Strobel?«[76]

Röschen, die eine ziemliche Summe besaß, bot erröthend »hundert Thaler!«

»Tausend!« rief der Student enthusiastisch.

Die beiden alten Mensdorfe schwiegen und der Advocat gab dem Studenten das Papier, der seine herzallerliebste Cousine um Entschuldigung bat, daß er sie überboten, »aber,« meinte er, »ich möchte gern ein Andenken an den curiosen Vetter haben, der uns zu seinen Erben eingesetzt hat.«

»Schreiten wir zur Vertheilung der Summen!« sprach jetzt der Advocat gewichtig und zog ein starkes Paquet aus dem Kästchen. »Hier sind zwei Millionen Pfund Sterling in Consols der englischen Bank, demnach vierzehn Millionen Thaler Preußisches Courant, da nun nach Köpfen getheilt wird und nicht nach Stämmen, jede Frau aber noch einmal so viel erhält als ein Mann, so zerfallen diese vierzehn Millionen Thaler in fünf Theile, jeder von Ihnen meine Herren erhält zwei und vier fünftel Millionen Thaler Preußisch Courant, Sie aber Madame Strobel erhalten allein fünf und drei fünftel Millionen Thaler.«

Starr vor Erstaunen saßen die Anwesenden da, nur der Student war gar nicht verlegen, sondern sagte vergnügt: »Capitales Haus, der alte Vetter, ist doch[77] sehr gut, daß er gestorben ist, so lange ich noch lebte!«

»Verehrte Anwesende!« bat nun der Advocat, »Sie werden gewiß Ihrerseits aus schuldiger Dankbarkeit gegen den Erblasser des Fürstenthums Berna nicht im Publicum erwähnen, sondern sich begnügen ihre Erbschaft einem in Amerika verstorbenen Vetter zuzuschreiben. Jetzt erzeigen Sie mir wohl die Ehre einen Löffel Suppe mit mir zu essen, ich werde unterdeß diese englischen Papiere, Behufs der Theilung bei hiesigen Banquiers umsetzen.«

An diesem Mittag speiste Herr Daniel Wolfshagen in Gesellschaft von vier Millionairs.

Alle Erben beschenkten ihn reichlich für seine Mühe und verließen am andern Tage Trier, nur der Student blieb zurück, aber nicht aus Verehrung für den heiligen Rock, sondern aus Liebe zu einem Hunde, den er gern kaufen wollte, um damit in Heidelberg renommiren zu können. –[78]

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 3, Altenburg 1846, S. 29-79.
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