V. Des Mordes Strafe.


Ziemlich spät erwachte Aignan und rieb sich verwundert die Augen, als er sich auf dem harten Estrich neben dem Heerde liegen fand, indeß besann er sich bald und faßte nach der Börse, die er an seinem Busen verborgen hatte. Sie war ihm merkwürdiger Weise nicht gestohlen worden. Nun ließ er sich ein Frühstück bereiten, das ihn, durch den Contrast, an seine Frühstücks bei Very in Paris erinnerte, miethete dann einen Maulesel und einen dickköpfigen Jungen dazu, der mit seinem Maulthier an Weisheit mit Erfolg hätte wetteifern können; so trat St. Aignan die Reise nach der nächsten Stadt an, die er, nach der Versicherung des Caballero Wirth, um Mittag erreichen sollte.

Unterwegs führte der junge Herr seine Gedanken kecklich in den sonnigen Gefilden der Zukunft spazieren, suchte sie aber so viel als möglich von der Vergangenheit entfernt zu halten, die ihm zwar keine Reue, aber doch unwillkührliche Angst verursachte. St. Aignan[127] baute spanische Schlösser auf spanischem Grund und Boden und lieblich accompagnirte ihn bei dieser angenehmen Beschäftigung das Geklingel der Schellen am Halse des stolzen Thieres auf dem er ritt. Die Gegend bot der Beschauung eben nichts Merkwürdiges dar, ein hügeliger, steiniger Boden, wenig bebaut, und stellenweise durch schöne, dunkle Laubwälder geziert, die heute, am heißen, hellen Vormittag, dem edeln Grafen von St. Aignan eben so lieblich dünkten mit ihren kühlen Schatten, als sie ihm in vergangener Nacht Schrecken eingejagt mit ihrer Blätter unheimlichem Rauschen.

Mittag war nahe, als Aignan, schon erschöpft von der Gluth der Sonnenstrahlen, in eine schmutzige Straße einritt, die in ihrem Aeußern eine unverkennbare Hinneigung zur cynischen Philosophie an den Tag legte, denn zahllose Hunde, mit Schmutz bedeckt, sprangen bellend um das Maulthier St. Aignan's herum, das indeß dem Cynismus einen bewundernswürdigen Stoicismus entgegensetzte und nicht aus seinem Paß zu bringen war, ja, vielleicht um seine philosophische Verachtung gegen die Hunde noch klarer an den Tag zu legen, in einen ganz gemächlichen Schritt überging. Der weise Jüngling nämlich trieb es nicht mehr an mit[128] seinem Stecken und seinen auf das Ehrgefühl des Maulthiers berechneten Redensarten, sondern lieferte eben den Hunden eine Schlacht, in der er sich zwar des Sieges nicht rühmen konnte, sich aber doch glorreich durchschlug.

Auch diese kleine Stadt hatte ihren Xefe politico und vier und zwanzig zerlumpte Menschen vom tapfern Regimente Navarra zur Besatzung.

Zu diesem Xefe politico ließ sich St. Aignan führen, man führte ihn also seinem Begehren gemäß in ein Haus, welches eigentlich nur eine Scheune war, jetzt aber als Rathhaus diente, da die Karlisten im letzten Kriege sich hier festgesetzt, den Ort vertheidigt und das Rathhaus hatten in Flammen aufgehen lassen.

Ein Barfüßler, das heißt kein Mönch, sondern ein hispanischer Jüngling, der den weiblichen Luxus der Strümpfe und Schuhe verachtete, führte St. Aignan in das Allerheiligste der Gerechtigkeit des kleinen Städtchens. Der Graf stand auf einer Scheunentenne und hatte auf der andern Wand vor sich, die mit ellenlangen Buchstaben geschriebenen Worte »Isabel-Constituzione« – unter dem Schatten dieser magischen Worte ruhte ein langer, dürrer Mann, der in seinen Mantel gewickelt auf dem Rücken lag und den Dampf[129] einer Papiercigarre bis in die höchsten Räume, d.h. bis unter das Scheunendach, mit ernsten Blicken verfolgte und erst, wenn nichts mehr von der blauen Wolke zu sehen war, eine zweite Wolke aus der Cigarre sog, sie eine Weile im Munde behielt und sie dann behaglich halb durch die Nase, halb durch die Lippen wieder ausstieß.

Dieser Mann war der Xefe politico, aber kein Xefe politico, der sich gewaschen hat, sondern im Gegentheil einer, der ergraut zu sein schien, wenn auch nicht gerade im Dienste der Königin und der Constitution, so doch im Staube und Schmutze der Scheunentenne, die Parquet und Barre der Justiz vorstellte. Dem Xefe politico dieser würdigen constitutionellen Autorität fiel es gar nicht ein, beim Eintritt Aignan's sich zu erheben, nicht einmal den Kopf drehte er um, sondern murmelte nur mürrisch: »›Quien vive,‹ wer ist da?«

»Ein Franzose!« antwortete St. Aignan, würde aber vermuthlich eine bessere Antwort gegeben haben, wenn er vorher hätte wissen können, daß dieses einzige Wort die constitutionelle Obrigkeit so ganz außer sich bringen werde. Der Spanier nämlich sprang auf, schleuderte die Cigarre auf die Erde und trat mit dem Fuße[130] darauf, schoß grimmige Blicke auf St. Aignan und schrie wüthend: »Alle Franzosen sind Hunde, alle Franzosen müssen sterben!«

St. Aignan staunte, er hatte den Prahlereien seiner Landsleute in den Journalen geglaubt, er hatte es für wahr gehalten, wenn man ihm von der Popularität der Franzosen im constitutionellen Spanien redete, er wußte nichts von dem dämonischen Haß, der ganze Provinzen Spaniens entflammt, der seit Napoleons Kriegen unvertilgbar zu sein scheint in den untern Schichten der Bevölkerung. Der Xefe politico hatte gegen die Franzosen gefochten, die Franzosen hatten vielleicht seine Hütte verbrannt, vielleicht seine Aeltern und Geschwister niedergemetzelt, er fühlte nichts als tiefgewurzelten Haß gegen die Franzosen und wie er fühlte, so fühlten viele tausend Spanier ebenfalls. Indeß faßte sich unser politischer Chef bald, murmelte nur noch einmal »alle Franzosen sind Hunde,« hob dann ökonomisch seine Cigarre wieder auf und fragte barsch und kurz: »Wer bist Du, Franzose, was willst Du von mir?«

Dieses Alles schien dem Franzosen wenig einladend und wir müssen darin seiner Ansicht durchaus beipflichten,[131] desto mehr beeilte er sich dem Spanier eine erfreuliche Nachricht zu geben.

»Ich komme,« sprach er, »zu einem der gerechtesten Beamten der constitutionellen Regierung –«

»Franzose, Du willst mich betrügen, denn Du schmeichelst mir!« erwiederte der Spanier ernst.

»Durchaus nicht,« fuhr Aignan fort, »ich habe einen Schlupfwinkel der Verräther, der Hunde der Carlisten entdeckt, ich will ihn Euch zeigen, Ihr könnt mehrere vornehme Rebellen gefangen nehmen.«

Wenn St. Aignan erwartet hatte, daß der Xefe politico ihm bei dieser Nachricht vor Freude um den Hals falle, so hatte er sich bitter getäuscht; der Spanier fragte ganz ruhig: »Wo ist Dein Paß, Fremder, denn wenn Du nach Spanien gekommen bist, um Spanier an Spanier zu verrathen, so bist Du vermuthlich im Auftrag der Regierung, denn zum Vergnügen ist man doch nicht Spion!«

»Ich bin auch nicht Spion,« entgegnete Aignan bestürzt, »ich habe die Entdeckung zufällig gemacht.«

»Wo ist Dein Paß?«

»Die Häupter der Carlisten dort heißen Don Juan von Aurinia!«[132]

»Wo ist Dein Paß, Fremder; Hund von einem Franzosen, wo ist Dein Paß?« schrie jetzt der würdige Beamte erbost.

»Ich habe keinen Paß!« erwiederte Aignan kleinlaut.

»Du hast keinen Paß?« rief der Beamte erstaunt, »und ich soll einem Franzosen glauben, der ohne Paß hier spionirt? Ha, Du spionirst vermuthlich für die Carlisten; he, holla!«

Auf diesen Ruf erschienen zehn bis zwölf zerlumpte Kerle, die Aignan schon beim Eintritt an der Thür bemerkt hatte.

»Durchsucht einmal diesen Burschen!« befahl der Beamte.

Die Durchsuchung wurde zwar sehr kurz, aber eigentlich etwas unzart angestellt, denn man riß dem armen St. Aignan ganz einfach alle Kleider vom Leibe und legte das Resultat, welches sich bei der Untersuchung herausstellte, nämlich eine Börse, eine Brieftasche, ein seidenes Taschentuch, auf einen kleinen Eimer vor den Xefe politico. St. Aignan fühlte die unphilosophische Regung seinem Zorn, seinem Grimm durch Schimpfen Luft zu machen und begann auch damit, wurde aber alsbald durch einige zarte Berührungen doppelter Art, die man im gewöhnlichen Leben Rippenstöße[133] und Faustschläge zu nennen pflegt, zur löblichen Tugend des Schweigens zurückgebracht und mußte nun sehen, wie einer der zerlumpten Kerls sehr behaglich seine Stiefeln anzog, während sich zwei andere in seinen Ueberrock theilten.

Der edle Xefe politico entfaltete jetzt zuvörderst mit wahrhaft diplomatischer Vorsicht das seidene Taschentuch, in welches ein Bild Napoleons eingewirkt war, er nahm es ganz auseinander, hielt es seinen Leuten hin und rief: »Seht hier, es ist ein Verräther, seht da das Bild des verdammten Malaparte!«

»Hund, Verräther!« schrieen die Spanier und accompagnirten sich selbst bei diesem Geschrei, indem sie ihre Fäuste im Tact niederfallen ließen auf den armen St. Aignan, der vor Wuth schäumte. Indeß muß man diesen zerlumpten Kerls doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen und zugeben, daß keiner von ihnen bei diesem Intermezzo die Achtung vor der Obrigkeit aus den Augen setzte. Jetzt eröffnete der politische Chef die Börse und schüttete einen großen Haufen Goldmünzen auf den Boden des umgekehrten Eimers. Bei dem Anblick dieses Goldes strahlte wirklich eine rührende Freude aus den Gesichtern der zerlumpten Caballeros, sie überlegten, wie viel Gutes sie zu thun im Stande sein[134] würden mit diesem Gelde – sie konnten sich ja Cigarren kaufen und Zwiebeln und Zwiebeln und Cigarren, was sie nicht nur für etwas Gutes, sondern sagar für das Beste hielten.

Der Xefe politico nahm jetzt ein Goldstück, besah es eine Weile und sprach dann: »Kommt Caballeros, sagt mir, wessen Bild ist das?«

»Des Infanten Don Carlos, des Feindes unsrer Königin!« schrieen die Hidalgos.

»Der Hund ist also ein Franzose, der falsches Geld im Lande verbreitet, darauf steht die Todesstrafe!«

St. Aignan konnte es sich nicht verhehlen, daß seine Sache auf dem Punkte stehe einen sehr übeln Ausgang zu nehmen und es war ihm dabei nichts weniger als angenehm zu Sinne.

Auch die Brieftasche mußte sich jetzt der constitutionellen Gewalt der schmutzigen Fäuste des Xefe politico fügen und aufmerksam wendete der würdige Beamte jedes Blatt um, er fand, obgleich er nicht lesen konnte, sehr bald, was er suchte, nämlich ein Paquet französisches Papiergeld, dann erklärte er die zahlreichen Briefschaften, welche die Tasche enthielt, für eine verrätherische Correspondenz mit den Feinden Spaniens[135] und befahl den Hund von einem Franzosen in das Gefängniß zu führen.

Das constitutionelle Gefängniß der guten Stadt war etwas eigenthümlicher Art, bot aber gewiß manche Vortheile dar, die einem aufmerksamen Beobachter des Gefängnißwesens gewiß nicht entgangen sein würden. Das Gefängniß bestand nämlich aus drei schmalen Brettern, die man über zwei Querbalken, mitten unter dem Dach der Scheune, gelegt hatte. Man ließ es nun zwar nicht an den dringlichsten Einladungen fehlen, um St. Aignan zu bewegen auf einer schwanken Leiter in sein Gefängniß zu klettern, aber der Franzose, der von jeher ein schlechter Katholik gewesen war, wurde hier ganz zum Protestanten, mit Händen und Füßen protestirte er gegen diese Zumuthung, bis ihn endlich zwei der Caballeros auf die Leiter stellten und nun so lange auf ihn losschlugen, bis er zu klettern begann, mit einer Stange trieben sie den Protestanten in sein Gefängniß und zogen dann mit einer wahrhaft nationalen Würde die Leiter wieder ab. St. Aignan begann von seinem höhern Standpunkte auf's Neue zu protestiren, aber die Caballeros waren zu angenehm beschäftigt, um darauf viel zu geben – der Xefe politico theilte das Geld aus.[136]

Während die constitutionellen Edelleute unten auf der Tenne die Goldstücke des absoluten Königs mit unverkennbarem Wohlgefallen vertheilten, hatte St. Aignan Gelegenheit seine dermalige Lage etwas näher zu betrachten und leider konnte er sich nicht verbergen, daß selbige höchst schwankend, denn die Bretter lagen nicht fest auf den Balken und huldigten bei jeder Bewegung des Franzosen einem Fortschrittsprincip, das breite Spalten in ihrer hölzernen Einheit entstehen ließ. Ferner fand St. Aignan seine Lage auch nichts weniger als bequem, denn die drei Bretter waren so schmal, daß bald der rechte Arm und der linke Fuß, bald umgekehrt der linke Arm und der rechte Fuß über die Breite derselben hinausragten und St. Aignan gerieth alle Mal in die größte Gefahr in's Bodenlose zu fallen, wenn er eine Fliege nöthigen mußte, ihre Promenade von seiner Nase an einen andern, weniger sensibeln, Theil seines Körpers zu verlegen. Indeß gewöhnt sich der Mensch an Alles, wenn man etwa die Censur ausnimmt, und auch unser Abenteurer gewöhnte sich endlich an seine Lage, d.h. er war im Stande einigermaßen von derselben zu abstrahiren und seine Blicke abwärts gleiten zu lassen auf die Tenne der Scheune, welchen Orts man die Vertheilung seiner Habseligkeiten[137] endlich beendet hatte und sich nun eifrig mit dem Schicksale seines Leichnams zu beschäftigen schien; seines Leichnams sage ich, denn seine unsterbliche Seele kam nicht in Betracht, da diese, als die eines herege, eines Hundes, eines Franzosen ohne Widerspruch der aimabeln Person des leibhaften Satans zufallen mußte. Schaudernd vernahm St. Aignan, daß die Rathsversammlung mit absoluter Majorität ihm das Leben absprach; »Er muß sterben!« schloß der Xefe politico, »denn wenn wir ihn loslassen, klagt er beim Generalcapitain, oder dem Consul und wir müssen das Geld hergeben.«

»Er muß sterben!« hallte es im Chor der Versammlung. »Ich will nicht klagen, ich beschwöre es, laßt mich los!« schrie der Gefangene von seiner Höhe hernieder; »ich beschwöre Euch, laßt mich leben, ich schenke Euch Alles Geld, ich schwöre Euch nicht zu verrathen, Senhores Caballeros!«

»Alle Franzosen sind Hunde und alle Hunde lügen!« antwortete man ihm.

»Alle Franzosen sind herege's, Ketzer, Ketzer haben keinen Gott, können also nicht schwören!«

»Alle Franzosen sind Großmäuler, der herege will uns schenken was wir schon haben!«[138]

»Basta!« rief der Xefe politico, »hängt ihn gleich dort an den Balken, damit wir Ruhe haben.«

Gleichmüthig zündete sich die ehrenwerthe constitutionelle Obrigkeit der Stadt eine Cigarre an und überließ die Vollstreckung seiner strengen Sentenz vier Mitgliedern des hohen Raths, in deren Hände vermuthlich die executive Gewalt gelegt war. Diese setzten nun die Leiter wieder an und ersuchten St. Aignan sehr höflich, wenn auch anscheinend grob, herabzusteigen und sich gefälligst aufhängen zu lassen. Der Franzose war außer sich vor Wuth und Angst, er beschloß sich auf seinem hohen Posten zu erhalten und brauchte eine Kriegslist, die ihm trefflich gelang, denn ehe es sich die Spanier versahen, hatte St. Aignan die Leiter ergriffen und sie in die Höhe gezogen, zwar geriethen die Bretter auf denen er lag bei diesem Coup in eine bedenklich schwankende Bewegung, aber sie fielen doch nicht und St. Aignan legte die Leiter, die eroberte Trophäe seines Sieges quer über die Balken und fand so sehr bald seine Lage etwas verbessert, die Leiter war eine bedeutende Stütze für ihn.

Jetzt beriethen sich die Spanier unter einander und riefen ihm zu er möge herab kommen, man wolle ihm nichts thun, man wolle ihn freilassen u.s.w. aber[139] St. Aignan hatte treffliche Ohren, er hatte gehört, daß der Xefe politico sagte: »einem herege braucht man kein Wort zu halten!« und darum begrüßte er hohnlachend die Proposition seiner Feinde, schimpfte sie Hunde und Bastarde, nannte die Königin Isabel einen Wechselbalg, belegte die Königin Christine mit noch erbaulicheren Ehrentiteln und brachte schließlich dem absoluten Könige ein Vivat. St. Aignan hatte noch nicht alle Hoffnungen aufgegeben, langsam schob er seine drei Breter und seine Leiter bis dicht unter das Dach der Scheune, dort stand er plötzlich auf, schlug die nächsten Ziegel entzwei und schaute durch die Oeffnung herab auf einen unregelmäßigen, ungepflasterten Platz, auf welchem sich einige spanische Hidalgos ohne Schuhe und Strümpfe herumtrieben. »Hülfe, Hülfe, Senhores, man will mich morden!« schrie der Franzose ihnen zu, aber keiner der Edelleute schien ein besonderes Gelüst nach einer nähern Bekanntschaft mit dem Xefe politico zu tragen, sie begnügten sich ihre Papiercigarren einen Augenblick aus dem Munde zu nehmen, den Franzosen zu fixiren und dann ruhig ihre Promenade fortzusetzen.

Der Xefe politico, der das Aufsehen aus Bescheidenheit haßte, forderte jetzt den Gefangenen noch einmal auf, herabzusteigen und sich gutwillig hängen zu[140] lassen, St. Aignan aber antwortete mit einem Ziegelsteine, der dicht neben dem Kopf der städtischen Autorität vorbei flog.

»Hund von einem Franzosen!« schrieen die Spanier.

»Bastardsbrut, Schufte!« antwortete der Franzose und schleuderte wieder einige Ziegelsteine, die aber etwas zu schwer waren für St. Aignans Kraft und seiner genirten Stellung unter dem Dache, die Wucht des Wurfs riß den Franzosen vorwärts, das eine Brett rutschte, St. Aignans rechter Fuß gerieth zwischen die Sprossen der Leiter, trat natürlich durch, die Leiter schlug um, rechts und links fielen die Bretter auf die Tenne und oben zwischen den Balken hing St. Aignan mit einem Fuß fest zwischen die Sprossen der Leiter geklemmt, die Füße nach Oben, den Kopf nach unten. »Santissima madre!« schrieen die Spanier und schauten nach dem hängenden Ketzer, den die heilige Jungfrau selbst bestraft hatte für seine Schmähungen gegen gute Katholiken.

»Helft mir, helft mir!« stöhnte St. Aignan und machte eine furchtbare Anstrengung seinen Fuß aus der Leiter zu befreien, ohne zu bedenken, daß er dann zwanzig Schuh hoch herab stürzen und sich ganz zerschmettern mußte, vielleicht aber zog er auch einen[141] schnellen Tod der furchtbaren Lage vor, in der er sich befand. »Helft mir, helft mir!« brüllte er.

»Alle Franzosen sind Hunde!« antworteten die Spanier und sahen die Cigarren im Munde gemüthlich den furchtbaren Anstrengungen zu, die St. Aignan machte, sich zu befreien. Jetzt wurde das Gesicht des an den Beinen Aufgehängten schwarzblau, nur ein heiseres, kurz ausgestoßenes Geheul verrieth, daß der Unglückliche noch lebe.

Plötzlich knallte ein Schuß, eine blutige Leiche mit zerschmettertem Kopfe hing an der Leiter.

Der Xefe politico wischte sorgfältig das Schloß seiner langen, gezogenen Büchse wieder ab und lehnte sie ruhig in den Winkel; seine Leute blickten ihn fragend an »ich mochte es nicht mehr sehen!« antwortete er einfach.

Druck von J. Webel in Zeitz.[142]

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 3, Altenburg 1846, S. 125-143.
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