Erster Brief.

[145] Berlin den 14. Januar 1846.


Don Juan, mein lieber, theurer, zürne mir nicht, daß ich Dir in diesem Briefe lauter traurige Nachrichten mittheilen muß; ich weiß Du wirst der Ueberbringerin diese Nachrichten nicht entgelten lassen, wenn ich Dir sage, daß es dieselbe Madame Strobel ist, welche schon als Röschen Mensdorff unsere Theilnahme zu erregen und sich zu erhalten wußte. Du weißt, was sie von ihrem Manne trennte? jetzt hat sie ihn wieder bei sich, weil er ein Bettler geworden war durch den Banquerott von Blauholm und Söhne, sie, die arme Fabrikdirne aber ist ja Besitzerin eines fast fürstlichen Vermögens; da schicke ich sie Dir nun mit ihrem Mann und ihrem alten Vater nach Deinem prächtigen, sonnigen Amerika, Du wirst sie gut empfangen, schon meinetwegen. Nun muß ich meine Trauerbotschaften[145] doch anbringen, so lang als möglich hab ich sie verzögert, ich glaubte immer, es sollte sich noch Etwas Angenehmes finden, das hätte ich dann hinzugefügt und so den Eindruck der Hiobsposten zu mildern versucht.

Don Juan, mein Lieber, am letzten Tage des vergangenen Jahres ist Dein, unser Klingsohr heimgegangen, plötzlich, unerwartet, seltsam, wie er immer im Leben war; Monsieur Benndorf bringt ihm morgens die Briefe wie gewöhnlich, wie gewöhnlich brennt die Lampe, wie immer sitzt der alte Mann in seinen Kissen; die Katzen schnurren um ihn, es ist behaglich wie immer in der Büchernische, es hat sich nichts geändert, aber Klingsohr ist todt. – Die starren Finger hielten noch die Satyren des Juvenal fest, der alte Ehrenmann war bei seiner Morgenlektüre sanft entschlummert. Ein Herr Johann Prosch, ein Stiefbruder des Verewigten, ein Mann Dir sehr nahe befreundet, wie ich nachher erfuhr, schrieb mir, ich eilte nach Klingsohres Wohnort, wir haben den alten Klingsohr zu Grabe geleitet. Ein großer, ein edler Geist ist in ihm zur Ruhe gebracht. – Klingsohr's Haus und Habe, dessen Erbe Du bist, Don Juan, haben wir dem alten getreuen Monsieur Benndorf und der betagten Jungfer lebenslänglich zum Nießbrauch überlassen.[146] Wir sind überzeugt so in Deinem großmüthigen Sinne gehandelt zu haben. Herr Prosch, dessen Freund ich geworden bin, grüßt Dich mit dem Spruch der Eingeweihten, er schriebe niemals Briefe, das zieme einem alten Schäfer nicht; Du würdest es schon verstehen! ich glaube auch. Don Juan, habe ich Dir jetzt als Menschen wehe gethan durch diese Nachricht, so muß ich jetzt leider auch Deine politischen Sympathieen kränken – die Nachricht, die ich Dir nun mittheile, wird Dich mehr schmerzen als Klingsohr's Tod, die Menschen find einmal so. – Dein König Karl, mein armer Don Juan, lebt einsam, verlassen, traurig vereinsamt in Italien, er leidet Mangel oft selbst am Nothwendigsten, denn die Unterstützungen, die ihm zufließen, werden meistens dem Grafen Montemolin gesendet, damit dieser, wenigstens einigermaßen, eine Art von Hof halten kann – die Stärke der Partei in Spanien mußt Du besser kennen als ich, Europa hält die Sache des Prätendenten für hoffnungslos – o mein Don Juan, warum mußtest Du ein in spanische Grandezza übersetzter Cato sein? warum mußtest Du Dein Herz an die verlorne, überwundne Sache hängen? wieviel Schmerz, wieviel brennenden unsäglichen Seelenschmerz, hat die Welt dadurch auch Deinen Freunden nicht schon dieses[147] rastlose, mühevolle und unfruchtbare Kämpfen gegen die Zeit gemacht! O, Don Juan, mein theurer, wie schmerzlich ist es für mich, wenn ich Dich dem Spott, dem Hohn die Waffen selbst in die Hände geben sehe, die Waffen mit denen er Dich verwundet! Doch ich rede thörig, laß Jedem das Seine, Don Juan wäre nicht Don Juan, wenn er einer siegenden Partei angehörte! Du weißt, daß ich die politischen Ansichten, denen Du so schwärmerisch huldigst, daß ich sie für überwunden ansehe, Du weißt, daß ich Deine frische Begeisterung, Deine ungebeugte Thätigkeit einem fruchtbarern Gebiete zuwenden möchte, aber Du weißt auch, daß ich Ueberzeugungstreue überall zu achten verstehe, daß ich namentlich in der jetzigen Zeit sie als ein Kleinod schätze, das nur die Edelsten besitzen. Freilich giebt es Menschen, die sich liberal nennen und durch die Adoption dieses oft und schnöde gemißbrauchten Titels ein Recht erworben zu haben glauben, jeden Andersdenkenden und Anderswollenden zu verhöhnen und zu beschimpfen.

Soll ich von mir selbst reden, Don Juan, mein Freund, so kann ich auch nur Trübes melden, mir geht es wie Dir, ich ernte beim besten Wollen mehr Hohn als Dank; ich kämpfe gegen die Tyrannei des[148] Geldes und schamroth muß ich bekennen, daß es wieder nur das Geld ist, welches meine Reputation in den Augen der meisten Menschen aufrecht erhält. Don Juan, ich schäme mich, aber ich bin oft verzweifelt, es will mir nicht gelingen, meine liebe deutsche Nation für die Sache der Rettung der arbeitenden Klassen zu entflammen, man versteht mich nicht und deßhalb werde ich hier verdächtig und dort hält man mich für närrisch; böser Wille ist mir selten entgegen, immer aber die leidige, gottheillose Indifferenz und Bequemlichkeit; was ich für die Proletarier Deutschlands bis jetzt erlangt habe, ist Nichts, gar Nichts – Du weißt welche Hoffnung ich hatte durch meine Operation mit der Arbeiterdeputation das Herz eines großen Fürsten für die Sache des Elendes zu erwärmen, nichts ist erfolgt. Einige Schriftsteller, die zu meiner Fahne geschworen haben, kämpfen rüstig und muthig, aber erreicht ist noch gar nichts; die Spinner in Westphalen, die Weber in Schlesien sind um nichts gebessert, die Noth mehrt sich fortwährend, es ist mir unmöglich etwas zu wirken, ich kann die Nation nicht electrisiren, mir graut vor dem unvermeidlich werdenden Zusammenstoß von Arbeit und Besitz. Ich komme mir bei meinen Bemühungen fast vor wie der advocatus diaboli bei[149] den Canonisationsprocessen, ich bemühe und quäle mich ohne die geringste Aussicht auf Erfolg.

Fragst Du mich aber, wie es möglich ist, daß eine so große und so edle Nation, wie die deutsche, so ganz ohne Interesse bleiben kann bei einer Frage, die so unendlich wichtig – so muß ich seufzend bekennen, daß Deutschland wirklich unverbesserlich ist, es hat nur ein Interesse, das für religiösen Hader und Zank. Die Erde ist ihm gleichgiltig, Deutschland interessirt sich blos für das, was im Himmel vorgeht – soll man solche Thorheit beweinen? soll man sie belachen? oder soll man sie achten? Blicke auf die Geschichte der letzten Jahrhunderte; Deutschland zog unter Hader und Zank die Reformation groß, es wußte aber nichts mit ihr anzufangen, die Niederländer nahmen die Reformation und wurden ein freies Volk, die Britten nahmen sie und beherrschten die Erde mit ihr, Deutschland richtete sich politisch zu Grunde damit; die Reformation machte sie gleichgiltig gegen das Vaterland, wenn der katholische Kaiser in Ungarn geschlagen wurde und am Rhein ein Reichsland nach dem andern verlor – was ging das den protestantischen Fürsten und Fürstlein an? wenn der deutsche Name im Ausland mit Schmach bedeckt wurde, wen kümmerte das? Verhandlungen[150] über des Reiches Wohl und Weh, daran hatte Niemand Interesse, die Gezänke der Hoftheologen aber und die der theologischen Facultäten, die waren von der höchsten Wichtigkeit. Der Westphälische Frieden gab dem Schweden Deutsches Reichsland, Frankreich rückte seine Grenze immer tiefer hinein ins Reich; was schadet's, man hatte doch Religionsfreiheit und von da ab ging's Zanken, Belfern, Beißen um religiöse Dinge fort bis auf den heutigen Tag; von Patriotismus keine Spur mehr, der Deutsche jubelte über Friedrichs des Großen Siege, er nannte seine eigene, die Reichsarmee, spöttisch die Reißausarmee – Don Juan, Du hast diese Zeit gekannt – giebt es Etwas Elenderes? Soldatendruck erzeugte 1813 eine energische Manifestation des Nationalwillens und Nationalunwillens, aber diese Bewegung war im Grunde nur eine Particularpreußische, eine allgemein-deutsche war sie nicht, und, ich erlaube mir an dem Erfolge zu zweifeln, wenn nicht die großen Männer, welche jene Bewegung leiteten, religiöse Elemente beizumischen verstanden hätten.

Seit Napoleons Sturz hat der Zank nicht aufgehört über Glaubensdogmen in Deutschland, Verketzerungen und neue Richtungen kreuzten sich, seit zwei Jahren[151] etwa aber scheint die liebe deutsche Nation förmlich von der Tarantel gestochen zu sein, der Zank der Theologen dringt von den Kathedern und Kanzeln in die stillen Familienzimmer, er erfüllt die Werkstatt des Schusters, er brüllt im Comtoir des Kaufmanns, er bewegt Rathsstuben und Rathskeller, er jubelt auf den Straßen, er flucht an offnen Gräbern, er klirrt in den Wachtstuben und Kasernen. Lichtfreunde und Finsterlinge, Deutsch-Katholiken und Ultramontane, Protestkatholiken und Unionisten, Jesuiten und Altlutheraner, Reformjuden und Quäker, Gott weiß alle diese Namen – man muß Partei nehmen in diesem Geheul und dieser Verwirrung, sonst ist man kein braver Deutscher, und Leute, die nicht eine Spur von Religion, nicht einen Funken wahrem Interesses an religiösem Glauben, oder Nichtglauben haben, die schreien häufig am Lautesten.

Das, mein Juan, dieser theologische Zank stumpft den Geist des deutschen Volkes ab gegen die große, sociale Frage – ach, Du solltest sehen, selbst die kleinste politische Anregung läßt bei den Deutschen eine oft Monate andauernde Abspannung zurück.

Verzeihe mir, Don Juan, mein Lieber, mein Theurer, ich mußte aber meinem bedrängten Herzen einmal[152] Luft machen, ich mußte, wenn auch nur auf Augenblicke, meinen Gram einmal heruntersprechen von der gequälten Brust.

Nun leb wohl, mein Geliebter, Deine Briefe finden mich auf dem alten Wege, grüße mir Deine Incarnacion, die sich wohl selig fühlt in ihrem sonnigen Vaterlande und empfiehl mich Deinem durchlauchtigen Negerprinzen, meinem Freunde, dem »doppelten Kopf.«

Mit dem Gruß der innigsten Liebe und unwandelbarsten Freundschaft

Dein

Faust.[153]

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 3, Altenburg 1846, S. 145-154.
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