VI. Ein Vater, der seine Tochter sucht.


An demselben Tage, an dem Doctor Faust mit den westphälischen Arbeitern gesprochen, kam Don Juan mit Extrapostpferden in Hamburg an und bezog mit Incarnacion das Hôtel, das er schon bewohnt hatte bei seiner letzten Anwesenheit in Hamburg.

Incarnacion trauerte, das braune Mädchen fühlte sich unwohl in Europa und Don Juan hatte kaum noch einen Blick, geschweige denn einen Gedanken, ein Wort für sie. Er dachte nichts, als seine verlorene Tochter, seine Tochter wollte der alte Edelmann wieder haben um jeden Preis, oder er wollte wenigstens wissen, was aus ihr geworden, wo sie geendet und wie sie gestorben, denn wir haben bereits erwähnt, daß Don Juan innerlich von dem Tode seiner Toska überzeugt war. In Hamburg angekommen, begann er sogleich mit rastlosem Eifer und einer instinctartigen Klugheit seine Nachforschungen. Zuerst ermittelte er, was er von Anfang für eine Unwahrheit gehalten, daß es[151] nicht zwei Capitaine Förster gab in Hamburg, eben so wenig als zwei Brigantinen, die den Namen »Jungfrau« führten und daraus folgerte er sehr richtig, der Entführer seiner Tochter habe den ersten besten Namen eines Schiffes angegeben, das gerade nicht in Hamburg vor Anker lag. Er konnte nicht wissen, daß die »Jungfrau« so bald zurückkehren würde.

Mit dem, angeblich von Toska geschriebenen, Briefe in der Hand begab sich Don Juan auf die Preußische Post, er bat um ein Gespräch mit dem ersten Postbeamten, die Register wurden nachgesehen und der Brief an den Professor Klingsohr fand sich richtig eingetragen. Der erste Postbeamte ließ nun den Postsecretair rufen, der die Briefe an diesem Tage eingetragen hatte und Don Juan fragte ihn, ob er sich nicht erinnere, wer den Brief an Professor Klingsohr aufgegeben.

Der höfliche, junge Mann gab sogleich Auskunft und sagte, daß er sich beim Empfang des Briefes über den Namen »Klingsohr« gewundert habe, der Name sei ihm bekannt aus dem »Sängerkrieg auf der Wartburg von Hoffmann.« Der Ueberbringer des Briefes sei indeß ein Hausknecht aus einem Gasthose gewesen, den er nicht kenne.[152]

Don Juan unterredete sich jetzt eine Weile mit dem Oberbeamten, der Postsecretair erhielt drei Tage Urlaub und gab gern der Bitte Don Juan's nach, mit ihm durch alle Gasthöfe Hamburgs zu gehen, um den Hausknecht, der den Brief aufgegeben, ausfindig zu machen. »Ich erkenne den Menschen bestimmt wieder, wenn ich ihn sehe!« behauptete der Postsecretair und auf dieser Behauptung beruhte Don Juan's ganze Hoffnung. Don Juan und der Postsecretair durchwanderten zwei Tage lang die verschiedensten Hôtels, ließen sich die Hausknechte überall vorstellen, aber der Gesuchte war nicht dabei. Am Morgen des dritten Tages kam der Postsecretair, wie gewöhnlich, um Don Juan abzuholen, aber sein Gesicht strahlte vor Freude, als er eintrat. »Ich habe ihn, Herr General, ich habe ihn!« rief er.

»Wo? wo?« fragte Don Juan eifrig.

»Er begegnete mir hier auf der Treppe, es ist der Hausknecht Ihres Hôtels – merkwürdig, daß wir daran nicht gedacht haben.«

Don Juan zitterte heftig, er zog die Klingel und bat den eintretenden Kellner ihm den Hausknecht zu senden; nach einigen Augenblicken trat ein ehrlicher, vierschrötiger Vierlander in's Zimmer.[153]

»Haben Sie nicht am 11ten October Briefe nach der Preußischen Post getragen?« fragte Don Juan.

Der Hausknecht starrte den Frager verdutzt an und antwortete dann zögernd: »Ne, ich weeß es nich, ich trage die Briefe nicht auf die Post.«

»Wer trägt sie denn?«

»Der lange Dornguth, mein Kamerad!«

Der lange Dornguth wurde citirt und bestätigte, daß er allerdings die Briefe zu besorgen habe und namentlich in der letzten Zeit stets selbst gegangen sei. Der Postsecretair aber war seiner Sache gewiß und fragte den ersten Hausknecht: »Sie brachten mir einen einzelnen Brief, es war, wenn ich nicht irre, gegen Abend, sollten Sie nicht vielleicht, außer der Zeit, dergleichen Bestellungen übernommen haben?«

»He!« sagte der lange Dornguth, seinen Kameraden anstoßend und ihm einen Blick zuwerfend, »He! sprich doch!« Der Vierlander schien sich zu besinnen.

»Was ist's denn?« fragte Don Juan.

»Gnädiger Herr!« begann der lange Dornguth, »Christel hat vor ein Paar Wochen ein Mal einen Brief getragen, ich weiß es wie heut, weil er fünf Schilling Trinkgeld bekam, worüber ich mich ärgerte.«[154]

»Ach ja!« rief der Vierlander erfreut, »fünf Schillinge Trinkgeld; es war der blasse, junge Herr auf Nro. 3!«

Don Juan wußte nun genug, er entließ die Hausknechte mit einem anständigen Douceur und ließ den Wirth des Hôtels zu sich bitten. Der höfliche Mann ließ nicht lange auf sich warten und in wenigen Minuten wußte Don Juan, daß am 10ten und 11ten October ein junger Franzose, Namens de Besché, in Nro. 3. logirt habe; mit Hülfe des Stubenmädchens erlangte Don Juan auch bald ein sehr genaues Signalement und durch den Oberkellner eine Notiz, die ihm äußerst wichtig war. Der Oberkellner hatte Herrn de Besché auf sein Begehr durch einen Lohnbedienten nach einem berühmten Banquierhause führen lassen.

Don Juan machte sich nun sogleich, von seinem getreuen Postsecretair geführt, nach diesem Banquierhause auf den Weg und wurde mit zuvorkommender Freundlichkeit in das reich meublirte Cabinet eines alten Mannes geführt, der eben sehr behaglich bei seinem Frühstück saß, das ihm eine wunderschöne, junge Dame, seine Tochter, servirte.

Der Postsecretair, der dem Banquier bekannt war, stellte den Herrn General Juan von Aurinia vor und[155] Beide wurden höflich gebeten an dem Frühstück Theil zu nehmen. Juan hatte viel Selbstbeherrschung nöthig, um unter diesen Umständen an der leichtern Conversation Theil nehmen zu können, die während des Frühstücks geführt wurde und war sehr froh, als der Banquier endlich sagte: »Vermuthlich kommen Sie in Geschäften zu mir, mein Herr General?«

Bei diesen Worten erhob sich die Tochter vom Hause und entfernte sich in ein Fenster, der Postsecretair folgte ihr. Don Juan, der wohl wußte, welche Wichtigkeit ein Banquier auf das Geld legt und legen muß, wählte das beste Mittel sich in Ansehn zu setzen, er öffnete seine Brieftasche und sagte: »Ich komme in doppelter Absicht zu Ihnen, mein Herr, erstlich wünschte ich zu einer Reise durch Deutschland deutsche Wechselbriefe von Ihnen, ich biete Ihnen dafür diese Papiere von Salamanka in Madrid und von Lionel Rothschild in London.«

Der Banquier war einen einzigen Blick auf die Papiere, dann maaß er seinen Gast eine Secunde lang mit den Augen und verneigte sich höflich.

»Kann ich also auf Ihre Vermittlung rechnen?« fragte Don Juan.[156]

»Gewiß!« antwortete der Banquier eifrig; »wie viel brauchen Sie baares Geld, wie viel wollen Sie Papiere von mir?«

»Ich wünsche tausend Louisd'or und zwanzigtausend Thaler Papier.«

»In einer Stunde soll es in Ihrem Hôtel sein.«

»Aber ich habe noch eine Bitte an Sie.«

»Ich stehe ganz zu Ihren Diensten, Herr General.«

»Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen etwas indiscret erscheine; kennen Sie einen Herrn de Besché?«

»de Besché, de Besché? nein, Herr General, ich kenne Niemanden dieses Namens.«

»Mein Herr,« sprach Don Juan weiter, »ein Herr, der sich de Besché nannte, logirte am 10ten und 11ten October in dem Hôtel, in dem auch ich jetzt wohne, am eilften October führte ihn ein Lohnbedienter zu Ihnen – da mir nun Alles daran gelegen ist Weiteres von dieser Person zu erfahren, so würden Sie mich auch durch die geringste Mittheilung sehr verbinden.«

»Entschuldigen Sie einen Augenblick, Herr General!« bat der Banquier, stand auf und klingelte. Dem[157] eintretenden Diener flüsterte er einige Worte zu und nach ein Paar Minuten trat ein ältlicher Mann mit einem Buch unter dem Arm in's Zimmer.

Der Banquier nahm das Buch und blätterte eine Weile darin, dann sprach er: »Herr General, einen de Besché finde ich nicht, aber Herr Colbert hat ein ausgezeichnetes Gedächtniß,« – der erste Geschäftsführer des Hauses, Herr Colbert, verneigte sich geschmeichelt, – »wenn sie genau wissen, daß Ihr Herr de Besché zu uns gekommen ist, so beschreiben Sie gütigst seine Gestalt und ich stehe Ihnen dafür, Herr Colbert wird ihn erkennen.«

Don Juan zog ein Blatt Papier aus seiner Brieftasche und las das von dem Oberkellner und der Stubenmagd ihm gegebene Signalement: Jung, schlank, blaß, düstere Augen u.s.w.

Herr Colbert unterbrach den General durch eine rasche Handbewegung und rief hastig: »Definitiv der Franzose, der die Wechsel von van Maanen in Amsterdam und Saportius in Ostende hatte und sie gegen Papiere auf Lafitte in Paris umwechselte; definitiv, ganz entschieden der Franzose, Graf von St. Aignan nannte er sich, es war das einzige Discontogeschäft, das ich am 11ten gemacht habe.«[158]

»Ich danke Ihnen, mein Herr!« erwiederte der General indem er sich die Namen der Handelshäuser notirte.

»Herr Colbert,« sprach der Banquier, »besorgen Sie dem Herrn General von Aurinia in sein Hôtel tausend Stück Louisd'or und zwanzigtausend Thaler auf deutsche Häuser, schreiben Sie es auf diesem Rothschild'schen Papier ab.«

Don Juan entfernte sich nun, höflich dankend, aus dem Hause des Banquiers und dieser sagte zu seiner Tochter: »Wie kommt der Postsecretair zu diesem riesenhaft reichen General; Papiere von Rothschild, von Salamanca, he!«

»Ich habe den Herrn Postsecretair nicht darnach gefragt;« antwortete die schöne Tochter.

»Nicht?« verwunderte sich der Banquier, »nun wovon habt Ihr denn so lange und so eifrig gesprochen?«

Die Tochter antwortete nicht, sondern drehte sich erröthend um.

Bei seiner Rückkunft in das Hôtel fand Don Juan einen Brief des alten Klingsohr, in welchen ein Zettel des Doctor Faust eingeschlossen war.[159]

Klingsohr meldete, daß er eifrig an einem Buche über das Elend der arbeitenden Klassen schreibe, zu dem ihm Doctor Faust das Material gesendet habe, schließlich bat er Don Juan, seinen Besuch bei dem Grafen Vavel de Versey nicht länger aufzuschieben, »der Mensch muß,« so schrieb Klingsohr, »mancherlei für Dich auf dem Herzen tragen, denn er fürchtet sich entsetzlich zu sterben, bevor er Dich gesehen.«

Faust, in seinem Zettel, forderte Don Juan dringend auf, in Sachen der Menschheit, spätestens um Neujahr, in Berlin zu sein.

Aergerlich, aufgeregt schritt Don Juan im Zimmer auf und ab; nach Berlin rief ihn Menschenpflicht, nach Hildburghausen Christenpflicht, sein Vaterherz aber trieb ihn, den flüchtigen Spuren des Entführers seiner Tochter nach Ostende, Amsterdam und Paris zu folgen. Lange überlegte Don Juan, dann sagte er entschlossen: »Erst gehe ich nach Hildburghausen, dann nach Amsterdam und Paris, ich kann um Neujahr dann recht gut in Berlin sein! – ja – aber Incarnacion? die arme Blume verwelkt, verdorrt im kalten Norden – ich würde sie morden, wenn ich sie mit mir nähme auf diesen Eiltouren – ich bringe sie zum alten Klingsohr!«[160]

Am andern Morgen hatte Don Juan mit Incarnacion Hamburg verlassen und Herr Colbert erklärte den spanischen General für einen effectiv und notorisch noblen Aristocraten, sein gutes Gedächtniß hatte dem ersten Buchhalter goldene Früchte getragen! –

Am Morgen der Abreise Don Juan's von Hamburg, also zwei Tage nach der Unterredung des Doctor Faust mit den Fabrikarbeitern in Hornberg's Hütte trat der Buchhalter mit seltsamen Gesichte in das Zimmer seines Principals, des jungen Herrn Strobel, der sich eben eifrig mit einer Straminstickerei beschäftigte – er mußte doch etwas thun, sich mit irgend einer Waffe vertheidigen gegen seinen furchtbarsten und hartnäckigsten Feind, gegen die Langeweile.

»Was bringen Sie, Buchhalter?« rief er dem Eintretenden entgegen, »was machen Sie für ein verwünschtes Gesicht?«

»Herr Principal, ich habe –« begann der würdige Diener des Hauses stotternd.

»Nun, was haben Sie? Reden Sie doch, Mann? Brennen die Fabriken? Ist ein Aufstand unter den Fabrikarbeitern ausgebrochen?«

»Nein, noch nicht, aber –«

»Was?« schrie Herr Strobel schneebleich. Schon[161] der Gedanke, daß die Masse der unglücklichen, unterdrückten Sclaven sich erheben könnte, jagt bleiche Furcht in die Seelen der erbärmlichen Tyrannen.

»Herr Strobel,« bat der Buchhalter, »beruhigen Sie sich, wir können der Sache noch zuvorkommen, hören Sie mich – –«

»Nein, nein, Buchhalter, ich will fort, ich muß fort!« schrie der entsetzte, feige Wollüstling, der nur hungernden Dirnen gegenüber Muth hatte. Der Buchhalter, obgleich auch ihm die Sache wenig erwünscht war, sah doch mit verächtlichem Lächeln auf seinen feigen, zitternden Principal. Er hatte wenigstens den Muth zum Bösen, es lag wenigstens eine Art von Kraft in ihm, während Herr Strobel so recht ein charakterloser Schwächling war, wie sie unsere Zeit erzieht, eine moralische Null, die nicht den Muth hat, etwas zu sein, wär' es selbst etwas Schlechtes, sondern die sich beständig schaukeln läßt von der Woge des Tages und durch elendes Geschehenlassen tausendfach sündigt, wo ein erklärter, entschiedener Bösewicht nur einfach zu freveln vermag.

»Sie sollen auch fort, Herr Strobel, aber heute hat es keine Eile, hören Sie mich nur, Herr Principal!«[162]

Der junge Mann, durch die letzte Rede seines Buchhalters etwas ermuthigt, setzte sich in seinen Stuhl und sprach: »Nun reden Sie, Buchhalter, was ist's? was giebt's?«

»Verehrtester Herr Principal, vorgestern schon bat mich ein College auf die Arbeiter Acht zu haben, er glaube, daß Emissaire der französischen Revolutionspartei ihr Wesen trieben auch bei uns und namentlich durch Geldunterstützungen die Arbeiter aufzuwiegeln suchten gegen ihre Herren, gegen den Staat. Ich hätte beinahe gelacht über die ängstliche Besorgniß meines Collegen, denn ich kenne unsere deutschen Arbeiter durch und durch, oder glaubte wenigstens sie zu kennen. Gestern fiel es mir auf, daß die Leute zwar Alle ruhig arbeiteten, aber doch ein funfzehn bis zwanzig von ihnen sehr große, ungewöhnlich große Stücke Brod zum Mittagsessen bei sich hatten. Indessen fragte ich nicht darnach, bis ich endlich gestern Abend spät die Befürchtungen meines Collegen leider bestätigt fand –«

»Um Gottes Willen, kommen Sie zur Sache!« schrie Herr Strobel.

»Ich ließ gestern Abend spät die Hornbergin mit ihrer Tochter zu mir kommen; da der Herr Principal keinen sonderlichen Appetit verspürten nach dem jungen[163] Dinge, so wollte ich den Handel für mich machen und staunte nicht wenig, als die Hornbergin ganz reinlich gekleidet, ohne ihre Tochter, zu mir kam. Ich ließ sie etwas hart an, daß sie allein gekommen, aber das Weib hatte die Frechheit, mir zu antworten: ›Wenn Sie mich nur schimpfen wollen, so werde ich gehen!‹ Dieses Weib, das vor drei Tagen noch so verlumpt und schmutzig aussah, das so verhungert war, daß es mich bat, ihr ihre Tochter für einen Thaler abzukaufen, führte heute eine solche Sprache – dahinter mußte etwas stecken und bei der Dummheit des Weibes hatte ich's bald heraus; denken Sie sich, Herr Principal, schon seit mehren Monaten durchstreicht ein junger Mann in einer grauen Blouse die Fabrikdörfer und erkundigt sich nach den kleinsten Dingen, hält Reden und vertheilt Geld an die Arbeiter, vorgestern hat er bei Hornbergs eine Rede gehalten, mehr als dreißig unserer Leute sind dabei gewesen, zuletzt haben sie beschlossen eine Deputation nach Berlin an den König zu senden und Seiner Majestät die Noth der Arbeiter in Westphalen vorzustellen. Die Kosten zur Reise giebt der junge Mann und er will auch den Deputirten in zerrissenen Jacken eine Audienz bei dem Könige verschaffen.«[164]

»Ich gehe fort, ich bleibe nicht eine Stunde mehr hier, unter solchen Umständen ist man ja seines Lebens nicht mehr sicher!« stöhnte Herr Strobel.

»Was befehlen der Herr Principal, was soll ich thun?«

»Machen Sie, was Sie wollen, Buchhalter, lassen Sie mich in Frieden, ich mag mit solchen Rebellen nichts zu thun haben!«

Der Buchhalter lächelte und sagte nach einer kleinen Weile: »Ich getraue mich die ganze Sache noch in's Gleiche zu bringen, wenn der Herr Principal ein tausend Thälerchen nicht ansehen wollen.«

»Machen Sie, was Sie wollen, Buchhalter, ich reise auf ein Jahr nach Paris, wenn Sie herunter gehen, schicken Sie mir meinen französischen Kammerdiener.«

»Aber, Herr Principal, von Leuten, die sich demüthig bittend an den König wenden, haben Sie ja gar nichts zu fürchten!« warf der Buchhalter ein.

»Das verstehen Sie nicht!« schrie Herr Strobel ärgerlich; »suchen Sie die Geschichte hier beizulegen, stopfen Sie den Kerlen mit Geld das Maul, machen Sie was Sie wollen, Sie haben plein pouvoir, ich gehe nach Paris, à propos schicken Sie mir auch[165] Röschen aus der Fabrik herauf, ich will sie mit nach Paris neh men, das wird gut sein für ihre weitere Ausbildung.«

Der Buchhalter entfernte sich mit drei Verbeugungen und jubelnd im Stillen, zwar war auch ihm nicht wohl bei dem Gedanken an einen Arbeiteraufstand, aber er glaubte die Mittel zu haben zur Vereitelung eines solchen Planes und unberechenbaren persönlichen Vortheil gewährte ihm die weitere Entfernung des Herrn Principals.

Zwei Stunden später hielt der moderne Reisewagen des jungen und reichen Herrn Strobel bespannt und gepackt vor der Hausthür. Der junge Herr selbst saß in völliger Reisekleidung vor dem Schreibtisch und unterschrieb einige Vollmachten für den ersten Buchhalter, der ihm lächelnd über die Schulter sah. Herr Strobel war fertig und mit einer tiefen Verbeugung nahm der Buchhalter die Vollmachten an sich.

»Wo ist Röschen?« fragt der Fabrikherr eilfertig, indem er die Glacéehandschuh anzieht.

Der Buchhalter öffnet die Thür und das schöne, bleiche Kind mit dem braunen Auge tritt ein, es ist etwas besser gekleidet, als neulich, aber immer noch ärmlich genug.[166]

»Du wirst mich auf einer Reise begleiten, mein hübsches Kind!« sagt Herr Strobel, indem er die blasse Wange Röschens streichelt; »ich werde es Deinem Vater sagen und ihm zehn Thaler auszahlen lassen.«

Röschen schwieg und litt geduldig die Liebkosung.

»Nun, meine kleine Dirne, Du sagst nichts, freu'st Du Dich nicht, daß Du reisen kannst und zugleich für Deine Familie sorgen; oder willst Du nicht mit?«

»Ich muß wohl;« entgegnete die junge Dirne und eine Thräne umdüsterte ihr helles Auge.

»Nun so komm!« rief Herr Strobel und faßte das Mädchen bei der Hand; auf einen Wink warf der Buchhalter einen schweren seidenen Mantel über Röschens ärmliche Kleidung und sie wurde hinausgeführt.

»Darf ich meinem Vater und meiner Mutter kein Adje sagen?« fragte sie unten am Wagen Herrn Strobel schüchtern.

»Ich habe keine Zeit dazu, Kleine!« lautete die Antwort. Sie wurde in den prächtigen Wagen gehoben, der Schlag flog zu, die Pferde zogen an und dahin flog der Wagen mit dem reichen Fabriktyrannen und der armen, weißen Sclavin.

Den ganzen Tag, den ganzen Abend erwarteten die Mensdorff'schen Eheleute vergeblich die Rückkehr ihrer[167] Tochter; der Buchhalter steckte die zehn Thaler in seine Tasche und überließ es einige Tage dem Scharfsinn des armen Vaters, zu errathen, wo sich seine Tochter befände, erst nach drei Tagen sagte er ihm, daß Röschen verreis't sei mit Herrn Strobel.

Tückisch lächelnd bemerkte er den furchtbaren Eindruck den diese Nachricht auf den armen Mensdorff machte. Doch der Buchhalter hatte jetzt mehr zu thun, er wollte um jeden Preis die Deputation der Fabrikarbeiter an den König hintertreiben und dem dürren Menschen standen gewaltige Hilfsmittel zu Gebote.


Ende des ersten Theils.

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 1, Altenburg 1846, S. 149-168.
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