I. Graf Vavel de Versey.


Das Folgende ereignet sich auf der herzoglichen Domaine Eishausen bei Hildburghausen, etwa acht Tage nach den im vorigen Capitel mitgetheilten Ereignissen.

Wir finden den Bewohner des Schlosses, der unter dem Namen eines Grafen Vavel von Versey in der Umgegend bekannt ist, einsam in einem reich decorirten Zimmer. Der Graf, eine lange, jetzt stark verfallene Figur mit einem breiten Gesicht und schönen, geistvollen Augen, schreitet, sichtlich aufgeregt, im Zimmer auf und ab. Dieser seltsame Mann, der das Schloß seit dem Jahr 1806 bewohnte und dennoch seinen Nachbarn durchaus fremd und unbekannt geblieben war, so fremd, daß man weder sein Vaterland, noch seinen wahren Stand und Namen kannte, trug heute einen ziemlich modernen, sehr reinlichen, aber sehr einfachen[7] Hausrock und rauchte aus einer thönernen, holländischen Pfeife, während er, alle Mal, wenn er auf seiner Wanderung an die Fenster kam, einen besorgten Blick hinab in den stillen Hofraum warf, der durch eine hohe Mauer von den Wirthschaftsgebäuden der Domaine geschieden war.

Es war schon Nachmittag und die kleinen, runden in Blei gefaßten Fensterscheiben erzitterten von den Stößen des rauhen Novembersturmes, der draußen über die schon zum Winterschlaf entschlummerten Gefilde braus'te.

Im Zimmer, in dem sich die mysteriöse Person des Grafen Vavel befand, verbreitete ein Kaminfeuer eine behagliche Wärme.

»Er kommt nicht, er wird nicht kommen!« murmelte der einsame Mann eben, als ein leichtes Geräusch ihn an's Fenster lockte.

»Wer ist das? Wenn er es wäre? Er ist es!« rief er laut, bleich wurden seine Wangen, seine Kniee zitterten, die ganze hohe Gestalt zuckte zusammen und die bebenden Hände vermochten die Pfeife nicht mehr zu halten, sie lag in Stücke gebrochen am Boden.[8]

Furcht, ja Entsetzen und doch zugleich auch Freude und Erwartung standen in seltsamen Verein mit deutlichen Zügen auf dem Gesichte des alten Mannes geschrieben.

Jetzt ließen sich Schritte draußen hören – der bebende Mann streckte seine Hände beide aus nach der Thür, es sah halb aus wie zur Abwehr, halb wie zur Bewillkommnung.

Die Thür öffnete sich und Don Juan trat mit festem Schritt ein. Der Diener, der ihn geführt hatte, schloß die Thür hinter ihm und der alte Edelmann blieb mitten im Zimmer stehn.

Beide Männer betrachteten sich mit starren Blicken.

Der Blick Don Juan's war anfänglich ernst, kalt, beinahe feindlich, je länger er aber auf der gebrochenen Gestalt und den bleichen Zügen des einsamen Mannes ruhte, desto milder wurde er.

Der Blick des sogenannten Grafen Vavel war ängstlich, forschend, peinlich; er ließ die Hände matt niedersinken, die er nach Don Juan ausgestreckt hatte.

Eine stumme, lange Pause.[9]

»Herr Cornelius van der Valcke!« sprach endlich Don Juan und es war mehr Trauer und Wehmuth, was in seiner Stimme zitterte, als Haß und Zorn.

Bei dem Klange von Don Juan's Stimme seufzte der van der Valcke tief auf und antwortete leise: »Don Juan!«

»Beruhigen Sie sich, Herr Cornelius,« redete der Edelmann mit mildem Tone weiter, »beruhigen Sie sich, ich komme nicht als Feind zu Ihnen, ihr Tod hat uns versöhnt, ich komme auf Ihre Bitte gern hierher.«

»Wenn Sie versöhnt sind, Don Juan,« bat Cornelius van der Valcke leise, »so reichen Sie mir Ihre Hand.«

»Da ist sie, ich bin versöhnt, armer Cornelius!« rief Don Juan und streckte dem alten Manne treuherzig seine Hand hin. Van der Valcke drückte die schöne Hand des Edelmanns heftig zwischen seinen abgemagerten Fingern und sprach nun lauter und gefaßter, als bisher: »Ich danke Ihnen, Don Juan, ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind, daß Sie die Bitte eines Mannes gewährten, der schweren Gram und schweren Kummer über Sie gebracht hat.«[10]

»Lassen wir das, armer Cornelius,« antwortete Don Juan gutmüthig, »auch ich bin nicht ohne Schuld, ich war zu heftig, ich habe eben so viel Schuld als Sie!«

Cornelius van der Valcke fühlte die edelmüthige Absicht Don Juan's, er drückte noch einmal die Hand des Edelmanns und führte ihn dann zu einem Sessel. Don Juan nahm Platz, van der Valcke aber trat an die gegenüberstehende Wand und zog einen grünseidenen Vorhang in die Höhe.

»Ach! meine Rafaëla!« schrie Don Juan überrascht und mächtig ergriffen.

Unter dem Vorhang wurde das Bild einer sehr jugendlichen Dame sichtbar, in der Kleidung der höhern Stände vor der französischen Revolution. Das Gesichtchen der Dame war wunderlieblich, selbst das, nach damaliger Mode, hoch über der Stirn aufgethürmte und grau gepuderte Haar vermochte das reizende Gesicht nicht zu entstellen. Das frische Antlitz war etwas zur Seite gewendet und zeigte einen Zug des graziösesten Muthwillens, der mit unnachahmlicher Kunst wieder gegeben war. Die zarten Finger der Dame zerpflückten eine Blume. Das Bild war ein Kniestück[11] und der Maler hatte jeden, auch den kleinsten Theil der Kleidung mit einer solchen Treue und mit solcher Sorgfalt behandelt, daß man, wenn die Mode nicht dagegen protestirt hätte, das Bild unbedenklich einem der großen Meister der ältern, niederländischen Malerschule zugeschrieben haben würde.

Herr Leonardus Cornelius van der Valcke hatte es selbst gemalt.

Lange stand Don Juan im Schauen versunken: »meine holde, meine schöne Rafaëla!« murmelten seine Lippen.

»Ja, Don Juan,« sprach Herr Cornelius langsam, »das ist die holde, schöne, heitre Rafaëla, das ist Rafaëla, Ihre Tochter, nun sehen Sie auch Rafaëla, das Weib des Cornelius van der Valcke!«

Der alte Mann drückte an einer Feder und rasch versank das blühende Mädchen, um einem andern Bilde Platz zu machen.

»Das ist Rafaëla, mein Weib,« sprach Cornelius düster, »mein Weib, das ohne den Segen des Vaters verwelkte wie eine Blume ohne Wasser, das ist mein Weib, das auf Erden verzweifelte, weil es den Himmel[12] beleidigt zu haben glaubte durch eine Verbindung mit dem Ketzer Cornelius van der Valcke, durch eine Verbindung, die von zwei Menschen, frei vom Herzen zum Herzen, geschlossen, aber nicht an heiliger Stätte von eines Priesters Mund geweiht worden war.«

»Meine arme Tochter, meine arme Rafaëla!« seufzte Don Juan.

Dieses neue Bild war mit gleicher Meisterschaft gemalt, wie das erste. Aus düsterm Hintergrund ließ es den weißen, ganz entblößten Oberkörper eines schönen Weibes in allen seinen Formen fast plastisch hervorspringen. Das Weib lag auf den Knieen vor einem Cruzifix und schwang eine schwere Drahtgeißel über ihrem bloßen Rücken, man sah hier eine Stelle, die von den heftigen Streichen purpurisch geröthet war, an einer andern sah man bereits die Blutstropfen hervorquellen und in Perlen auf der Wunde stehen. Das Gesicht dieses Weibes, obgleich die feinen Züge noch eine Aehnlichkeit mit denen des Mädchens bewahrt hatten, drückte die tödtlichste, hoffnungsloseste Verzweiflung aus, der Mund war fest zusammengedrückt, um den Schmerz zu verbeißen, den die Drahtgeißel verursachte, die thränenlosen Augen starrten halbgebrochen zu dem Cruzifix auf, das reiche, schwarze Haar lag, in eine[13] dichte Welle zusammengebunden, seitwärts auf der linken Schulter. Der weiße Oberkörper wuchs, schlank und zierlich wie eine Blume, aus den schwarzen Gewändern empor, die vom Gürtel herab, die Gestalt Rafaëla's umhüllten. Es war ein Bild mit grauenerregender Treue und Wahrheit gemalt.

»Das andre Bild!« bat Don Juan, seine Augen bedeckend.

Herr Cornelius van der Valcke kam dem Wunsche Don Juan's nach, das Bild der Selbstquälerin sank nieder und das junge Mädchen lächelte den Vater und den Geliebten schalkhaft wieder an.

»So,« sprach Don Juan, »so, das Bild will ich von meiner Rafaëla behalten, so soll sie, so lang ich lebe, vor meiner Seele stehen!«

»Und mich,« flüsterte Cornelius, »mich verfolgt Tag und Nacht das Bild meines armen, verzweifelten Weibes.«

»Armer Cornelius, arme Rafaëla!«

»Don Juan,« begann van der Valcke, sich neben dem Edelmann, Angesichts des Bildes niederlassend,[14] »ich habe Sie zu mir bitten lassen, um den letzten Wunsch einer sterbenden, verzweifelnden Tochter zu erfüllen; Sie sind gekommen und haben mir verziehen, großmüthig wie immer, ohne eigentlich die Größe meiner Sünde zu kennen, lassen Sie mich mein Gewissen erleichtern, lassen Sie mich sprechen, vielleicht wird die Last dann leichter, die auf meiner Seele ruht und ich kann einst, wenn es ein Jenseits giebt, meiner Rafaëla doch mit dem Segen ihres Vaters entgegentreten.«

»Reden Sie, armer Cornelius,« erwiederte Don Juan gerührt, »das Bild unserer Rafaëla sieht nieder auf uns, ihr Geist umschwebt uns sicher in dieser Stunde, reden Sie, ich habe Ihnen im Voraus Alles vergeben.«

Die Männer drückten sich mit einem Blick auf Rafaëla's Bild die Hand und Cornelius van der Valcke begann: »Im Jahre 1799 schickte die batavische Republik einen jungen Mann zu ihrer Legation nach Paris, der Vermögen genug hatte, um der batavischen Gesandtschaft glänzen zu helfen in einer Stadt, wo der Luxus und die Verschwendung damals die rasendsten Orgien feierten, wo sich alle Stände Hals über Kopf in den brausenden Strudel der Vergnügungen stürzten, um sich von dem langen Fasten zu erholen,[15] das ihnen die blutige Kindheit der Republik auferlegt hatte. Dieser junge Mann, geboren in einer verderbten Zeit, in der es für vernünftig galt nichts zu glauben und Alles in Frage zu stellen, groß geworden in einer wahnwitzigen Zeit, in der man Könige morden und Gott absetzen sah, dieser junge Mann hatte natürlich in Paris nichts anderes zu thun, als dem Vergnügen zu leben und sein ganzes Dasein in eine ununterbrochene, rauschende Orgie zu verwandeln. Dieser junge Mann, obgleich von alter und guter Familie, war Republikaner mit Leib und Seele; das war natürlich, die repulikanische Form wird jedem Jüngling die annehmbarste erscheinen, vor Allen aber den Jünglingen, die mit einer Republik groß geworden. Dieser junge Mann, von dem ich rede, war ich selbst und meine Jugend, wie mein Temperament, verwickelten mich in der üppigen, fränkischen Hauptstadt bald in eine Menge von Liebesintriguen und Abenteuern, in denen ich mit meinem Gelde und meiner Jugend immer die Rolle eines Siegers spielte. So wurde ich, gleich im Anfang meines Aufenthalts in Paris, mit einer sehr schönen, verheiratheten Dame bekannt, die sich einige Zeit in Paris aufgehalten hatte. Diese Dame war Madame Daniels – bald stellte sich zwischen dieser[16] Dame und mir ein sehr vertrautes Verhältniß her, ich war in kurzem ihr Freund, wenn ich auch anfänglich nur aus Sinnlichkeit ihr Liebhaber gewesen war, sie achtete mich höher, als ich es verdiente. Madame Daniels war nämlich sehr unglücklich verheirathet, ihr Mann lebte schon seit Jahren getrennt von ihr und hatte ihr zu mehrern Malen die Ehescheidung antragen lassen, da aber Madame Daniels durch eine Scheidung die Rechte ihrer Kinder zu beeinträchtigen glaubte, so hatte sie niemals eingewilligt. Ihr Gemahl glaubte sie durch Entziehung der nöthigen Gelder zur Scheidung zwingen zu können und ich war es, der sie vor Noth und Mangel schützte. Bei meinem Vermögen und meiner Art mit dem Gelde umzugehen hatte dieser Dienst, besonders einer schönen Frau erwiesen, nicht den geringsten Werth; aber Madame Daniels, die mich wirklich liebte, ward dadurch zu einer großen Hochachtung für mich verführt. Ich wurde ihr Vertrauter und billigte endlich den Plan, den sie entworfen hatte, um ihren Kindern das Vermögen des Vaters zu erhalten. Sie wollte zu Verwandten nach Deutschland gehen, um gegen Mangel gesichert zu sein, aber nie in eine Scheidung willigen. Ich erzähle Ihnen das so ausführlich, Don Juan, weil man in Paris glaubte, ich[17] sei mit Madame Daniels entflohen, mit Madame Daniels, die ich, seitdem sie Paris verlassen, nicht wieder gesehen habe, obgleich ich von Mons aus noch einige Briefe von ihr empfing. Am Tage, bevor Madame Daniels von Paris ging, fand ich zwei Damen bei ihr, die gekommen waren, um Abschied von ihr zu nehmen, es war Madame Treslong und Ihre Tochter.« –

Cornelius hielt eine Weile inne, Don Juan sah ihn mitleidig an.

»Ja, es war Rafaëla mit ihrer Mutter,« fuhr van der Valcke fort, »Rafaëla so schön und jugendlich, wie sie dort im Bilde, sie trug nicht die republikanische, karrikirt griechische, Modetracht, sie war in ein einfaches, weißes Kleid gekleidet und trug das Haar nach alter Sitte aufgekämmt und gepudert.«

»Ich, ich weiß es,« murmelte Don Juan, »ihre Mutter hielt stets auf's Pudern.«

»Die Schönheit Rafaëla's ergriff mich mächtig, ihr Blick unterjochte mich, ihr harmloses kindliches und doch geistreiches Geplauder setzte mich in Flammen, ich fühlte, daß ich diesen weiblichen Engel liebte, ich zitterte,[18] wenn ich die Falten ihres Kleides berührte, ich war rasend, ich konnte es nicht mehr ertragen, ich empfahl mich unter dem Vorwande von Geschäften, obgleich ganz Paris wußte, daß es für mich nichts zu thun gab bei der batavischen Legation. Am andern Tage, beim Abschiede, sagte mir die Daniels, sie habe mich an Madame Treslong empfohlen, ich möchte meinen Besuch dort machen, Madame mache kein großes, aber ein äußerst angenehmes Haus – ich folgte dieser Weisung noch an demselben Tage – was soll ich weiter sagen? Ich liebte mit der rasenden Begier, mit der stürmenden Leidenschaft, mit der man in jenen Jahren zu lieben pflegt; Rafaëla liebte mich, sie mußte mich lieben, weil ich sie wahrhaft liebte. Madame Treslong, Rafaëla's Mutter, hatte mich bald durchschaut, sie erklärte mir, daß nur der Vater Rafaëla's ein Recht habe den Gatten seiner Tochter zu bestimmen, daß sie deßhalb an Don Juan de Aurinia, den Vater Rafaëla's, schreiben wolle. Ihr Name, Don Juan, erfüllte mich mit Schreck, wir hatten uns bereits kennen gelernt, wenigstens ich Sie, wenn auch Sie mich nicht. Erinnern Sie sich vielleicht eines jungen Niederländers, der im Jahr 1795 Madrid besuchte und sich sehr unvorsichtig über den Gang der französischen Revolution[19] bei einem Diner des Herzogs von Castro-Terreno ausließ?«

»Ich erinnere mich dessen wohl!« sprach Don Juan nach augenblicklichem Besinnen.

»Doch genug,« fuhr Cornelius fort, »kurz ich besaß damals Unklugheit genug einen Toast auf die französische Republik an der Tafel eines spanischen Granden vorzuschlagen; alle Herren an der Tafel waren empört, nur Einer, der General Don Juan de Aurinia, Ritter vom goldenen Vließ und Comthur vom Calatrakreuz, Grande erster Classe und Titulado von Castilien blieb ruhig sitzen und rief mit lauter Stimme: ›Ihr Herren, laßt ihn doch reden den jungen Narren, er wird sich einst schämen vor sich selbst, wenn er nüchtern geworden ist und verständig!‹ So spracht Ihr damals, Don Juan, und fragtet mich mit niederschmetterndem Hohne: ›Seit wann hat ein Republikaner Ehre?‹ als ich Genugthuung von Euch verlangte«.

»Ich erinnere mich!« sagte Don Juan leise.

»Sie können sich denken, Don Juan,« erzählte van der Valcke weiter, »daß ich einen tödtlichen Schreck bekam, als ich vernahm, der General Juan von Aurinia sei der Vater meiner Rafaëla. Konnte ich von diesem Manne eine Erhörung meiner Bitten erwarten?[20] Nein, gewiß nicht! Der stolze Aristocrat hätte dem niedriggebornen Republikaner vielleicht die Hand seiner Tochter nicht verweigert, dem alten Edelmann aber, der mit Republikanismus kokettirte, sich einer republikanischen Gesandtschaft attachiren ließ, dem hätte er sie nicht gegeben. Was blieb mir also übrig in meiner Lage, bei meiner glühenden Liebe für Rafaëla, bei ihrer gewaltigen Leidenschaft für mich? Die Flucht! Ich floh mit Rafaëla, ich floh mit ihr nach Italien. Dort in den Thälern Piemonts verlebte ich ein Jahr mit dem holden, süßen Weib; das Jahr flog uns dahin wie der flüchtige Traum einer Wonnenacht; Rafaëla war ein Engel, sie sah nur mich, sie hörte nur mich, sie dachte nur mich, sie ging ganz auf in ihrer Liebe zu mir. Ich schrieb von meinem Zufluchtsort aus an einen Pariser Freund, er antwortete mir, Madame Treslong sei nach unserer Flucht plötzlich gestorben –«

»Ja, ja, das gute Weib, meine treue Charlotte,« fiel Don Juan eifrig ein, »hatte sich selbst den Tod gegeben, sie hatte nicht gewagt mir entgegenzutreten ohne meine Tochter, ohne Rafaëla.«

Eine Pause trat ein, endlich fuhr van der Valcke seufzend fort: »Madame Treslong sei gestorben und[21] Don Juan in Paris gewesen, er habe anliegenden Brief bei der Legation für mich niedergelegt und sei nach Rußland gegangen.«

»Das war der Brief, in dem ich Euch beide, mein eignes Kind, verfluchte, in dem ich Ihnen, als den Verführer meiner Tochter schwor, Sie durch die ganze Welt zu verfolgen und Rache an Ihnen zu nehmen, vergessen Sie nicht Cornelius, daß ich den Brief neben dem Leichnam meiner theuern Charlotte schrieb, unter der Einwirkung des heftigsten Zornes.«

Cornelius nickte und sprach weiter: »Dieser Brief mußte unglücklicher Weise in die Hände der armen Rafaëla fallen und zwar in einer Zeit, in der sie durch die Geburt meines Sohnes noch sehr erschöpft war –«

»Was?« rief Don Juan heftig, »es lebt ein Kind, ein Sohn meiner Rafaëla? Wo ist er?«

»Wohl zu Paris, Don Juan,« erwiederte van der Valcke, »wußten Sie nicht, daß Rafaëla einen Sohn von mir hatte?«

»Nein, nein, Cornelius, doch fahren Sie fort und geben Sie mir nachher Ihres Sohnes Adresse.«[22]

»Ja, seit Empfang dieses Briefes war Rafaëla wie umgewandelt, sie wurde allmählig traurig, immer trauriger, sie betrachtete sich als die Ursache des Todes ihrer Mutter, sie begann Gewissensserupel über ihre Verbindung mit mir zu empfinden – dennoch minderte sich ihre Liebe zu mir nicht, im Gegentheil, sie schwebte in beständiger Furcht, sie könnten uns auffinden und uns trennen. Ihren Sohn begann die arme Frau als die Frucht einer Sünde zu betrachten, sie konnte ihn nicht mehr sehen, sie schickte ihn nach Paris in eine Erziehungsanstalt und ging mit mir nach Deutschland. Hier kauften wir uns an, hier haben wir dreißig Jahre gelebt, und was für ein Leben, wenn Sie es überhaupt noch ein Leben nennen wollen, Don Juan. Rafaëla verzweifelte am Hier und am Dort, sie hatte Anfälle von Irrsinn und ich war oft dem Wahnsinn nahe, wenn ich sahe mit welcher teuflischen Grausamkeit das holde, süße Weib sich selbst quälte, um seinem Gewissen zu entrinnen. Verzeihen Sie mir, Don Juan, damals schrieb ich diese furchtbaren, geistigen Martern, die ich litt, nur Ihnen zu, ich haßte Sie und doch fürchtete ich Sie, denn selbst in diesem Zustande liebte ich meine Rafaëla noch so, daß ich diese freudlose Existenz in vollständiger Abgeschiedenheit[23] von dem Umgang mit der übrigen Welt jeder andern vorzog. Don Juan, in den dreißig Jahren meines Aufenthaltes hier, habe ich jährlich zwei Mal an meinen Sohn geschrieben und ihn aufgehetzt, Rache an Ihnen zu nehmen; er hat mich hier besucht, ein hoffnungsvoller, reifer Mann, ich habe ihm seine arme Mutter gezeigt in einer dunkeln Stunde, so wie ich sie gemalt habe, mit der Geißel sich bis aufs Blut peitschend, da habe ich ihn schwören lassen, Rache zu nehmen an Ihnen und er hat den Schwur gern und willig geleistet. Können Sie mir auch das verzeihen, Don Juan?«

»Gewiß und recht gern, armer Cornelius!« erwiederte Don Juan mit nassen Augen.

»Auf dem Todbette,« erzählte van der Valcke weiter, »bat mich meine Rafaëla, Sie, in ihrem Namen mit, um Verzeihung zu bitten und seitdem der tägliche, stündliche Anblick von Rafaëla's Leiden meine Sinne nicht mehr erhitzt, bin auch ich ruhiger geworden, ich habe das Thörichte, das Erbärmliche meines frühern Hasses gegen Sie eingesehen und habe auch meinem Sohne befohlen von der sündlichen Rache abzustehen – heute endlich, Gott sei Dank – bin ich mit Ihnen versöhnt und Rafaëla segnet unsern Bund.«[24]

Die Erzählung des Cornelius van der Valcke war beendet, die Männer schwiegen beide lange Zeit, dann umarmte Don Juan den Gemahl seiner Tochter und bat ihn, ihm die Wohnzimmer der Verstorbenen zu zeigen und ihn dort allein zu lassen.

Van der Valcke führte Don Juan in die Wohnzimmer Rafaëla's, deren Fenster sorgfältig gegen jeden neugierigen Blick von Außen gesichert waren. Don Juan schloß sich ein und Cornelius legte sich geistig und körperlich erschöpft auf ein Sopha, die Erinnerungen, die wach geworden waren in ihm, während seiner Erzählung, waren dem geschwächten Organismus seines Körpers zu mächtig gewesen.

Aber dem armen Manne war nicht viel Ruhe beschieden, er erkannte auf einem der Briefe, die auf seinen Tisch gelegt worden waren, die Handschrift seines Sohnes, hastig riß er das Couvert ab – ein einzelnes Blatt fiel in seine Hand und mit bebenden Lippen las der arme Cornelius: »Wenn der Gemahl zu laß geworden ist, um den Tod und das ungeheure Leiden der Gemahlin zu rächen, so wird der Sohn Kraft und Muth dazu haben, er wird den Schwur halten, den ihm sein Vater einst abnahm.«[25]

Nach einer Stunde etwa kehrte Don Juan aus Rafaëla's Zimmer zurück, er nahm einen beinahe zärtlichen Abschied von Cornelius, umarmte ihn, stieg dann in seinen Wagen und fuhr davon, ohne sich nach der Adresse von Rafaëla's Sohn in Paris zu erkundigen.

Die beiden Männer hatten sich zum letzten Male gesehen.[26]

Quelle:
Hesekiel, George: Faust und Don Juan. Aus den weitesten Kreisen unserer Gesellschaft, Teil 2, Altenburg 1846, S. 5-27.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Paoli, Betty

Gedichte

Gedichte

Diese Ausgabe fasst die vier lyrischen Sammelausgaben zu Lebzeiten, »Gedichte« (1841), »Neue Gedichte« (1850), »Lyrisches und Episches« (1855) und »Neueste Gedichte« (1870) zusammen. »Letzte Gedichte« (1895) aus dem Nachlaß vervollständigen diese Sammlung.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon