Siebente Scene.


[469] Vorige. Nettelbeck eilig von rechts, ohne Hut, nur den Säbel umgegürtet. Er tritt hastig ein, mit allen Zeichen höchster Aufregung, geht ohne die Andern zu beachten ans Fenster und sieht durch ein kleines Fernrohr hinaus, indem er sich auf den Nähtisch stützt. Plötzlich verläßt ihn die Kraft, und er sinkt rücklings um in den Sessel.


ROSE aufschreiend.

Pathe!


Stürzt zu ihm, faßt seine Hand.


Er ist eiskalt! Pathe, kommt zu Euch!

O seht, die kalten Tropfen auf der Stirn –

Hülfe, zu Hülfe! Einen Arzt! Er stirbt!


Die Bürger drängen sich ängstlich herein.


WÜRGES auf der andern Seite des Sessels.

Hab's wol gedacht: er kann sein Schleusenwerk

Nicht überleben!

NETTELBECK öffnet die Augen und sammelt seine Besinnung wieder.

Sterben, Kinder? Wer

Traut Nettelbecken zu, daß er im Sitzen

Sein bischen Geist aufgiebt? Nein, so bequem

Macht's Unsereins sich nicht. Da bin ich wieder!

Nur eine kleine Schwachheit trat mich an,

Noch von der letzten Nacht.

WÜRGES.

Ihr braucht Euch nicht

Zu schämen, Freundchen. Wir sind unter uns.

NETTELBECK steht auf, tritt ans Fenster und sieht hinaus.

Ich hab's gewußt, schon draußen an der Brücke!

Denn plötzlich sah ich die Persante wachsen,

Daran erkannt' ich, wie am Puls der Doctor:

Das letzte Stündlein schlägt. Nun, wie Gott will!

Heut oder morgen. – Kinder, es wird Ernst.

Der Jüngste muß sogleich zum Gneisenau[470]

Nach Bastion Preußen, ihm Rapport zu bringen;

Denn droben merken sie's noch nicht sobald.


Der Sohn des Rectors, entfernt sich eilig nach rechts.


Wir Andern, denk' ich, stellen unsre Leiber

Da in die Lücke, die der Damm gerissen,

Und lassen für den Rest den Herrgott sorgen

Und die Franzosen. Rose, gute Nacht!

Denk manchmal an den Alten; geh zum Hafen!

Nichts da von nassen Augen! – Angetreten!

Richt't euch! Gewehr auf Schulter – vorwärts marsch!


Er hat den Säbel gezogen und sich an die Spitze der Bürger gestellt. Sie marschiren in soldatischer Haltung nach links ab. Rose ist in die Thür getreten und winkt ihnen nach. Man hört heftigeren Lärm der Geschütze.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 469-471.
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