Siebente Scene.


[291] Vorige. Gianotto erscheint plötzlich von links kommend auf der Straße unten, im Wanderanzuge, ein Ledertäschchen über die Schulter gehängt, sieht das Handgemenge, reißt den Degen aus der Scheide und stürmt auf die Gruppe zu.


GIANOTTO. Gesindel! Feige Schurken!

ERSTER STROLCH sticht nach Don Juan. Nimm noch den, Ritter von der leeren Tasche! Wir armen Teufel sind freigebiger.

DON JUAN schlägt ihm den Dolch aus der Hand. Viper! Ich will dir den Giftzahn ausbrechen. Hieher! An meine Seite, junger Freund!

GIANOTTO. Zurück, elende Wichte! Verwundet den Ersten. Ha, Schmach und Schande! Zwei über Einen!

ERSTER STROLCH. Blut und Marter, 's ist ist verspielt! Fort, Calandrino!

ZWEITER STROLCH. Der Gianotto! Hol' ihn die Pest!


Zieht die Kappe übers Gesicht, entflieht nach links.


ERSTER STROLCH seinen Dolch aufhebend. Auf Wiedersehen und besseres Glück, Eccellenza!


Läuft fort.
[291]

GIANOTTO. Ha, Mordhunde, ich will euch – Will ihnen nach.

DON JUAN. Laßt sie laufen, Freund! Sie kommen doch auf jedem Weg endlich beim Galgen an. – Mir ist – schwül ums Haupt – Sinkt bewußtlos auf die Bank nieder.

GIANOTTO. Blut – Ihr seid verwundet – Kniet neben ihm. Er ist besinnungslos – und hier in dieser Oede – Ha, der Rest meines Weines – Stößt aus der Flasche, die ihm am Gürtel hängt, dem Ohnmächtigen einige tropfen ein. – Hört Ihr mich, Herr? Wie fühlt Ihr Euch?

DON JUAN. Gut – o gut! Schlägt langsam die Augen auf, richtet sich im Sitzen auf und starrt Gianotto an. Wie kommt dieses Gesicht hierher? Warum drohen mir diese Augen entgegen?

GIANOTTO. Kommt zu Euch, Herr! Hier droht Euch Niemand mehr. Noch einen Schluck.

DON JUAN. Laßt! – Ich kenne aber diese Augen und diese Stirn unter den schwarzen Locken – wer seid Ihr? Will aufstehen.

GIANOTTO hält ihn zurück. Laßt mich erst nach Eurer Wunde sehen. Ihr müßt wissen, ich bin ein gelernter Wundarzt, komme soeben von Salerno, wo ich drei Jahre lang die Heilkunst studirt habe. – Erlaubt Euren Dolch


Schlitzt ihm den Aermel auf, untersucht die Wunde.


DON JUAN der ihn unverwandt betrachtet. Ihr ein Arzt? Mit diesem Anstand eines jungen Prinzen? Läugnet's nicht, Ihr seid aus einem edlen Haus.

GIANOTTO die Wunde sorgsam behandelnd, lacht. Allerdings, Herr. Zwar meinen Vater hab' ich nie gekannt.[292] Doch meine Mutter dient als Beschließerin in eines Grafen Haus, in das ich eben jetzt als wohlpromovirter Doktor zurückkehre, um meine hohe Kunst und Wissenschaft fortan in meiner Heimath auszuüben. – So! Nun einen Nothverband. In ein paar Tagen könnt Ihr den Arm wie früher brauchen. Bindet ihm ein Tuch um den Arm.

DON JUAN aufstehend. Was bin ich schuldig Herr Doktor?

GIANOTTO mit gerunzelter Stirn zurücktretend. Herr –

DON JUAN. Haha! Seht Ihr wohl, mein junger Held? Wenn Ihr nicht edel geboren wärt, würdet Ihr's übel nehmen, daß man Euch Eure ärztliche Hülfe bezahlen will? O werther Lebensretter, Ihr werdet eine seltsame Figur machen als Bauerndoctor, zerhauene Schädel zu bepflastern und gebrochene Beine wieder einzurenken und dann Vergelt's Gott zu sagen, wenn Lisa oder Mea Euch ein vaar schmutzige Münzen in die Hand drückt. Diese Hand – bitt' Euch, zeigt sie mir einmal! Gianotto thut es zögernd. Nun bei allen Sternen, das ist keines Schröpfers und Geburtshelfers Hand, in diesen Adern fließt ritterliches Blut, mehr dazu gemacht, Wunden zu schlagen als zu heilen.

GIANOTTO mit Kopfschütteln. Und wenn es so wäre – mein Schicksal ist mir bestimmt.

DON JUAN. Meint Ihr! Und wenn ich mir herausnähme, es umzustimmen? Ihr müßt wissen, daß ich Zeit meines Lebens keinem Manne nachgefragt habe. Die unter mir standen, verschmäht' ich. Den Mächtigeren hab' ich getrotzt. Ebenbürtige fand ich nicht. So bin ich einsam geblieben und habe mich nur an Weiber gehalten, die keine Gesellschaft sind, nur ein Zeitvertreib. Zu Euch aber, mein junger Freund, zieht mich – ich weiß nicht, wie – ein geheimnißvoller Zug. Könntet Ihr wohl ein wenig Freundschaft für mich fühlen?[293]

GIANOTTO. Eure Güte beschämt mich. Doch fremd, wie wir uns sind –

DON JUAN. Ihr habt Recht. Wir müssen uns näher kennen lernen. Ich gehe heut Abend nach Neapel, von da nach Frankreich. Wenn Ihr Euch entschlösset, mich zu begleiten –

GIANOTTO bestürzt. Fort von hier – nachdem ich drei ganze Jahre – Unmöglich!

DON JUAN. Ich begreife, daß Ihr Eure Mutter nicht sogleich wieder verlassen wollt; ich würde mich bequemen, ein wenig zu warten. Dann aber – ich sag' es offen – möcht' ich Alles daransetzen, Euch dieser unwürdigen Dienstbarkeit zu entreißen, Euch aus freien Augen die Welt anschauen zu lassen, die Höfe der Fürsten, ihre ritterlichen Feste und schönen Frauen –

GIANOTTO. Ich dank' Euch von Herzen, aber spart die Mühe. Meine Welt ist dort unten.

DON JUAN. Jenes Fischernest, wo Ihr das Gnadenbrod im Hause eines gräflichen Gönners eßt? Dahinter steckt – ein Weib.

GIANOTTO verwirrt. Ihr glaubt –

DON JUAN lächeln. Ich weiß. Wie alt seid Ihr?

GIANOTTO. Zwanzig Jahr.

DON JUAN. Mit Zwanzigen darf noch ein Weib unsre Welt sein. Mit Einundzwanzig dünkt uns diese Welt zu eng, und wenn sie die weichsten Arme um uns schlänge. Aber kommt, sprechen wir nicht mehr davon! Eh wir scheiden, sollt Ihr mir nur noch einen Gefallen thun.[294]

GIANOTTO. Welchen?

DON JUAN. Eine Flasche Lacrymä Christi mit mir ausstechen auf das Wohl der blauen oder schwarzen Augen, aus denen Eure »Welt« Euch anblickt. Wollt Ihr?

GIANOTTO. Wie könnt' ich Euch so Geringes verweigern!

DON JUAN. Ich dank' Euch. Umarmt ihn. Verzeiht! Es ist sonst nicht meine Art, Männer zu umarmen. Doch wollt' ich, ich hätte einen jüngeren Bruder, der Euch gliche, daß ich in einer müden oder vertraulichen Stunde meinen Kopf an seine Schulter lehnen könnte und mir einreden, es nähme eine Menschenseele Theil an mir. Aber kommt, kommt! Dies ist eine Schwäche, die mich anwandelt, weil ich ein paar Tropfen Bluts verloren habe. Der Wein soll sie mir ersetzen!


Er legt den Arm um Gianotto's Schulter und geht mit ihm ab.

Der Vorhang fällt.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 11, Berlin 1872–1910, S. 291-295.
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Don Juan's Ende
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