12.

[340] Kommt, schon wartet der Wagen am Haus! – Wie soll ich mich trennen?

Gestern – ein Leichtsinn war's, daß ich es ernstlich beschloß.

Heut – wie am Fenster die Spinne sich anwebt, häng' ich mit tausend

Fäden im eigenen Netz fest an die Stätte geknüpft.

Lieber Vesuv, wir sehn uns drüben in Napoli wieder,

Aber ein anderer dann bist du – ein anderer ich.

Ruhiges Meer, auch du – nicht mehr in der Glorie schwimmst du

Hinter Olivengesträuch, sondern in schmählicher Fron[340]

Zahllos ankernder Schiffe getrübt die gediegene Klarheit;

Statt des Orangengedüfts dampft an der Reede der Teer.

Und du, innige Stille der Luft, von Stimmen der Liebe

Zärtlich gebrochen, im Lärm Napolis schmacht' ich nach dir.

Stürzt, mitleidige Tränen! Verfinstert den Blick und entreißt ihm

Näh' und Weite; er soll jetzt sich bescheiden, er muß.

Bist du hier, o Luisa? Geleite mich! Sinnen- und fühllos

Geh' ich. Weinest du auch, Mädchen, und bleibst in Sorrent?

Nein, ich fahre mit Euch, bis Castellamare; die Mutter

Auch, Francesco und wen sonst die Karosse noch faßt.

Sonntag ist es, so haben wir Zeit. Als wärt Ihr ein Bruder,

Will Euch jedes im Haus wohl, und das wisset Ihr auch. –

O ihr Guten! – Wir gingen, vorbei dem Altan; ich gewann's nicht

Über das trauernde Herz, droben noch einmal zu stehn.

Und wir fanden die Mutter im Sonntagsputze, die Schwestern

Und Francesco im Flur. Aber sie schmückten mich erst

Wie ein Opfer mit Blumen und steckten mir dunkler Orangen

Zwei in die Hand. Mit Not wehrt' ich ein Dutzend mir ab.

Ach, und am Haustor harrte die leidige Kutsche. Vergnügt saß

Ferdinando bereits neben dem Kutscher mit Stolz.

Jetzt wir anderen hurtig hinein, sechs Große, dazwischen

Zwei von den Kleinen; am Bock hing sich ein drittes mit an.

Freundliche Nachbarn kamen, die Hand mir reichend zum Abschied,

Hoben die Kinder hinein, daß ich sie herzte wie sonst,

Und fort stob das beladne Gefährt. Indessen an eins nur

Dacht' ich: Und du nur bleibst, du, Mariuccia, zurück?

Nicht am Fenster erschien sie. Es hing kaltsinnig der Vorhang,

Und kein Fältchen verschob, winkend und scheidend, die Hand.

Sei's! So will ich auch dies ausstreichen in mir, in die Zukunft

Blicken und hoffen. Ein Gott nehme des andern sich an!

Siehe, der Tag ist heiß. Kaum blieb im Rücken die Ebne,

Und den gewundenen Weg schnaufen die Gäule hinan,

Breit in den Felsen gebaut, der steil in die Wogen hinabsteigt,

Als uns alle befällt Plage der goldenen Glut.

Nun entfalten wir eilig den Schirm, nun ducken sich alle

Unter das Dach, das rot lachende Wangen bescheint.[341]

Jedes in Sonntagslaune und tut sein Bestes mit Schwatzen;

Nur die Luisa blickt schweigend hinaus auf das Meer.

Ich, am Rande des Schlags, mir zwischen den Knieen das jüngste

Mädchen, von allen befragt, stand ein Erhebliches aus.

Niemals machte zuvor Bosheit so heiß mir die Hölle,

Wie ich im biederen Kreis dieser Verehrten geschwitzt.

Aber sobald um den Felsen die Fahrt bog oder ein Garten

Schatten verstreute, sogleich tauchten wir wieder hervor,

Zeigten einander den wechselnden Schmuck der gesegneten Ufer,

Oder das leuchtende Meer tief an dem gelben Gestein.

Und es erzählte die Mutter: Dereinst – sie säugte das erste

Kind – stieg plötzlich das Öl über die Maßen im Preis.

Und da sagt' ihr Bippo einmal: Frau, wenn wir ein eignes

Gärtchen besäßen, es wär' heuer ein braves Geschäft.

Aber, woher soll's kommen? – Darauf, sie bewahrte die Worte

Still im Herzen, beschlief's ein' und die andere Nacht;

Endlich da war es gefunden: sie tat ihr alles an Ringen,

Spangen und Ohrengehäng, so sie getragen als Braut,

Auch von der seligen Ahne das Schaustück fein in ein Kästchen,

Ferner die Kette: sie ging zehnmal bequem um den Hals.

All das trug sie dem Goldschmied hin, der tauscht' es für blankes

Silber; sie bracht' es dem Mann, welcher sie staunend befrug,

Schalt und belobte zuletzt, und sie kauften den Ölbaumgarten,

Und er gedieh. Niemals hat sie der Handel gereut.

Seht, was hatt' ich den Schmuck auch not? Ich hatte die Kinder,

Hatte den Mann, und blieb immer von Festen zurück. –

Doch du sagtest darauf, Francesco, Diener der Kirchen:

Mutter, ich war unlängst drüben im Garten und sah

Unsere heurige Ernte. Fürwahr, mich dünket es gottlos,

Wie zusehends das Kreuz dort an der Mauer verfällt.

Denket, am Heiland gar ist völlig die Farbe verwaschen,

Und doch wirket der Herr Segen in jeglichem Herbst.

Was dünkt Euch? Wir wenden die paar Karlin an den Tüncher,

Daß er das Bild auffrischt. Aber die treffliche Frau

Nickt' und sprach: So soll es geschehn, Francesco. Es ist dies

Deines Amtes. Du weißt, was für den Himmel sich schickt.

Also plauderten sie; nur als von ferne das weiße

Castellamare sich zeigt, wurden wir stiller und still.

Jetzt in den Bahnhof lenkt das Gefährt, jetzt spring' ich hinunter,

Hebe die Mutter heraus, reiche den Mädchen die Hand.[342]

Und wir standen und schwiegen. Wie viel will scheidend gesagt sein,

Und wie weniges doch sagt man einander zuletzt.

Aber ich zog Luisen beiseit. Grüß mir Mariuccia;

Grüß und sage, wie sehr ich sie am Fenster vermißt. –

Wißt, sprach leise das Mädchen, zuvor nicht mocht' ich es sagen

Wegen der andern. Ich sprach heut in der Messe mit ihr,

Und ich gab ihr das seidene Band. Sie sagte: Der Herrgott

Weiß, wie gern ich ihm selbst dankte, so gut wie er ist.

Doch – was sagst du, Luisa? – der Carlo, sagt sie (der Onkel

Angiolinens, versteht!) kam zu der Mamma und warb.

Wenige Tag' ist's her, und es war schon finster. Ich stand noch

Auf dem Balkon. Da klopft's innen, da tritt er herein,

Sagt's mit wenigen Worten, um was er komme. Die Mutter

Weinte vor Freuden, und ich – siehe, Luisa, der Tod

Kann mir das Herz nicht stärker als diese Wonne beklemmen,

Als er die Hand mir dann gab wie in früherer Zeit.

Aber du mußt noch schweigen; er will nicht, daß es herumkommt,

Sagt sie. Ich hätt' auch dir nicht das Geringste vertraut.

Doch er nahm mir im Ernste das Wort ab, nimmer den Fremden

Wiederzusehn; ich gab's, sagt sie, und mußt' ich es nicht?

Nicht aus Laune geschieht's das sag ihm. Weißt du, er war mir

Freundlich und ich ihm hold, wie es für Nachbarn geziemt.

Vielmals grüß' ich ihn aber und Margherita, und beiden

Bringe die Hand von mir. Nehmt sie, und meine dazu! –

Und frohlockend ergriff ich die Hand. Glückselige Botschaft!

Rief ich. So ist nun hier alles geschlichtet und gut.

Laß dich küssen, Luisa! – Und Euer Gelübde? – Die Heil'gen

Wissen, mit reinerem Sinn wurde noch keines verletzt.

Grüße sie wieder zu tausendmal, und hör, auch den Onkel! –

Und wir schieden. Dahin fuhr ich im brausenden Zug.

Sei, holdseliges Mädchen, so rief ich, sei mir gesegnet,

Die mir den Abschied auch, die mir die Träne versüßt!

Segne das Glück dir Garten und Haus und am Hause die Reben,

Segne das Kind, das holdlachend im Schoße du wiegst;

Und im Glück – o gedenke des Freunds, der nicht dir es neidet,

Führt ihn dem eigenen auch zögernd ein Gott in den Arm!

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 340-343.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Neue Gedichte und Jugendlieder
L'Arrabbiata Und Gedichte (Dodo Press)
Andrea Delfin. Prosa und Gedichte.

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon