1. Favete linguis

[369] Da ich ein junger Gesell, wie schalt mich oft die Geliebte,

Wenn ich in Schweigen versank mitten im lachendsten Glück,

Um erst ferne von ihr in beflügeltem Wort zu ergießen

All der Gefühle Gewalt, die mir die Nahe geweckt.

So auch wandelt' ich stumm vorbei an den holden Gebilden

Südlicher Kunst; erst spät kam das Erlebnis zu Wort.

Ist doch Denken Erinnern, und Dichten ein inneres Anschaun;

Worte beschwören den Geist, der sich den Sinnen entzog.

Nachzubeleben entschwundenes Glück vermag die beseelte

Rede; lebend'gem Genuß gnügt ein verworrenes Ach.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 369.
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