5.

[209] Zu bitter wär' ich? Doch wer hat's verschuldet,

Wenn meine Zunge trieft von Bitterkeiten?

Ein feiger Knecht, wer ohne Murren duldet!

Ward nicht, was Süßes ich genoß vorzeiten,

Mir über Nacht vergiftet und vergällt,

Entwertet meine liebsten Kostbarkeiten,

Da, die ich über jeden Schatz gestellt,

Die goldne Freiheit, nun als schlimmste Bürde

Mir unerträglich auf die Seele fällt?

Es wog mir kein Gewinn, noch Ehr' und Würde

Den Adel auf: mir selber zu gehören,

Nicht eingeschränkt in eines Dienstes Hürde;

Nicht mit banausischem Geschäft zu stören

Die stille Bildkraft, all die Schmerzenslust,

In ernstem Ringen Geister zu beschwören.

Wie war ich mir so streng und froh bewußt,

Daß meines Wirkens Maß und meiner Pflichten

Mir einzig ruht' im Grund der eignen Brust!

Und nun – wie möcht' ich gern auf mich verzichten

Und, fremdem Willen dienstbar untertan,

Ein dumpfes Werk gedankenlos verrichten!

Den Bauer neid' ich, der in grader Bahn

Die Furche zieht, den Kärrner, der im Staube

Des Heerwegs seinen Rossen geht voran.

Und jener dort in niedrer Reisiglaube,

Der Steine klopft, gebückt am heißen Wege,

Nicht ödem Müßiggang ist er zum Raube.

Sein Tagwerk fördert jeder seiner Schläge,

Und, wacker bis zum Feierabend, letzt

Ihn seine Flasche, wird der Arm ihm träge.[209]

Und ich – dem selbst der Quell der Musen jetzt,

Der Himmelstrank, wie schaler Spülicht mundet,

Wo ist ein Werk, ein Ziel, das mich ergötzt?

Denn die Gestalt, die sich dem Dichter rundet,

Soll er beleben mit dem eignen Blut.

Wie? wenn er selbst nun ward zu Tod verwundet,

Daß Lebensüberfluß und -übermut

Versiegen und die Liebe geht verloren,

Die auch an seinem Werk das Beste tut?

So hab' ich selbst mich wider mich verschworen.

Mir selbst gehör' ich? Keinen schlimmern Herrn

Und keinen ärmern hätt' ich je erkoren.

Sein schnödes Joch abschütteln möcht' ich gern,

Der mich mißhandelt, der mich darben läßt,

Und kann nur knirschend an der Kette zerrn.

So wird der Freiheit jammervoller Rest

Mir noch zum Fluch. Wenn unser Wille schwankt,

Gleich einem Vogel, dem zerstört das Nest,

Dann strebt das Ich, das an sich selber krankt,

Sich loszuwerden, von des Sehnens Not

Zu ruhn in einem Ziel, das nimmer wankt, –

Und was ist hier gewiß, als nur der Tod?

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 209-210.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Neue Gedichte und Jugendlieder
L'Arrabbiata Und Gedichte (Dodo Press)
Andrea Delfin. Prosa und Gedichte.