6.

[241] Ich habe längst in mir den Wunsch begraben,

Zu schlürfen aus des Lebens Freudebronnen;

Der Ehrgeiz schwand, mich am Erfolg zu sonnen,

Und über Habsucht fühl' ich mich erhaben.
[241]

So werd' ich meinen Weg zu Ende traben

Gesenkten Haupts, den aufrecht ich begonnen,

Und doch – noch einmal, eh' die Frist verronnen,

Wünscht' ich an Jugendvollkraft mich zu laben.


Denn hinter meiner Stirne fühl' ich sacht

Ein Ungebornes ungebärdig pochen,

Das hätt' ich gern noch rein ans Licht gebracht.


Nun bangt mir, meine Bildkraft sei gebrochen

Und nieder müss' ich in die stumme Nacht,

Verstummt, eh' ich mein letztes Wort gesprochen.

Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke, 3 Reihen in 15 Bänden, Reihe 1, Band 5, Stuttgart 1924, S. 241-242.
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