§. 29.


Heraldik,

[115] die ihn noch mehr als die Türkengeschichte, ängstigte. Doch, wollte er wohl oder übel, er mußte dieser brodlosen Kunst Zeit und Raum gönnen, um, wenn vom Ursprunge der Wappen, deren Eigenschaften und den Regeln, die beim Aufriß und bei der Anfertigung, Visirung und Auslegung eines Wappens erforderlich sind, die Rede war, nicht länger wie jetzt ein Stillschweigen der Unwissenheit[115] beobachten zu dürfen, welches sich vom Stillschweigen der Weisheit etwa wie schleichen von behutsam wandeln unterscheidet. In kurzer Zeit konnte er den Ritter auf einen heraldischen Zweikampf herausfordern; und da er sein Studium in der Stille getrieben hatte, so erschrak der Ritter nicht wenig, als er, anstatt den Wappenunterredungen auszuweichen, sie selbst auf freiem Felde aufsuchte. Wappen sind Aushängeschilde, fing er an. »Halt! sagte der Ritter; der Begriff muß veredelt werden. Ich leite die Genealogie dieses Namens von den Waffen ab; diese Unterscheidungszeichen führte man anfänglich auf Schild und Helm!« – Der Hofmeister würde sein Schild gewiß noch nicht so bald eingezogen haben, wenn sich nicht die gnädige Frau in dieses Gespräch gemischt und ihm, der heute zum erstenmal seine heraldischen Ikarus-Flügel versuchte, zu verstehen gegeben hätte, daß, wenn gleich jedes Handwerk einen goldnen Boden habe, der Schuster doch wohl thue, bei seinem Leisten, und der Schneider bei seiner Nadel zu bleiben. Ob nun gleich die gute Frau den Schuster vorausgehen ließ, so fühlte doch der Schneiderssohn den Nadelstich so heftig, daß er in eine Art von kurzer Raserei fiel, und (nach Art der Menschen, die, wenn sie von der Tarantel gestochen sind, vom Tanzen nicht ablassen können) sich durch Reden aushelfen wollte, und sich wie ein Kreisel durch Worte herumdrehte. Fassung ist das einzige Mittel, das erforderliche Gleichgewicht zwischen Leiden und Thun herzustellen, sie ist ein Extrakt der Geduld. Anstatt den Schuster aufzufangen und den Schneider seine Wege gehen zu lassen fröhlich – fiel er auf die Kleider im Paradiese, die von dem lieben Gott selbst gefertigt wären; indeß mußte er, da der Bediente hinter dem Stuhl der gnädigen Frau in Lachen ausbrach, eine andere Tarantelmaterie aus der Luft greifen. Noch nie hatte die Baronin eine Verwirrung dieser Art gesehen, die aus einer Unschicklichkeit in die andere, und zwar immer aus einer kleineren[116] in eine größere bringt. Die Gabel entfiel dem jungen Mann; er wollte sie aufheben und verschüttete ein Glas mit rothem Wein auf das herrliche damastene Tischtuch. Es fehlte nicht viel, so wär' er vom Stuhle gefallen; so wenig konnt' er sich an Leib und Seele halten. – Der Baronin schien ihr Nadelstich wehe zu thun, weil er den jungen, welt-unerfahrnen Jüngling so sichtbarlich verwundet hatte. Sein Vater benähte das höchst-freiherrliche Haus, und durch den Vater war der Sohn zur Informatorwürde empfohlen worden; indeß glaubte die gnädige Frau verbunden zu seyn, dem Jünglinge, der seit einiger Zeit und je länger je mehr über die Nadel ging, zu seinem eigenen Besten Schranken zu setzen. Die gewöhnlichen Tischreden wurden zwar auch in der Folge aus der Heraldik geschöpft; indeß hütete sich der Schneiderssohn, Blößen zu geben. – Der Ritter, dessen Vorliebe für das alte Testament wir schon kennen, verfehlte nicht, den Adam, Sem, Ham und Japhet, die jüdische Nation und deren Stämme mit Wappen zu beehren. Im Segen Jakobs fand er vielen Stoff zur Heraldik. Dem ahnenarmen Köninge David selbst, der Gott sein Schild nennt, konnt' es die Wappenehre nicht abschlagen; und ob er es gleich nicht völlig zu läugnen im Stande war, daß man erst zu Ende des zwölften und zu Anfange des dreizehnten Jahrhunderts Spuren von Wappen antreffe, so hielt er doch das werthe seinige für weit älter, und sah es als ein brennendes Licht unter dem Scheffel an. Auch setzte er den Ausdruck: Helm zu Ernst und Schimpf, oder zu Krieg und Turnieren, ins Reine. Bekanntlich leidet keine heraldische Figur so viele Veränderungen wie das Kreuz; und es war erwecklich, das heraldische Collegium über das Kreuz aus seinem Munde zu hören – welches der Ritterin um so mehr Freude machte, da es sie so lebhaft an ihren Brautstand erinnerte. Ueberhaupt sind Wappen eine Bilderschrift, und haben etwas Geheimnißvolles, Hieroglyphisches; und da die Damen wohlbedächtig[117] von den Altären der Geheimnisse, die wir generis masculini halten, entfernt werden, so ist nichts natürlicher, als daß sie sich gern dazu einweihen lassen möchten – und daß sie sich auch gern mit Brosamen begnügen, die von unsern wohlbesetzten Geheimnißtafeln fallen. Wahrlich, diese Brosamen sind bei weitem der beste Theil! –

»Wenn ein Collegium von Zwanzig, eine Innung von Fünfzig, nur Ein Wappen hat,« sagte der Ritter eines Mittags – »was folgt natürlicher, als daß diesen Zwanzigen und diesen Fünfzigen zusammen auch nur Ein Kopf gebührt!« –

Ei, guter Ritter, wenn der gestochene Hofmeister eingewandt hätte, daß auch die ganze Rosenthalsche freiherrliche Famille Mit und Ohne nur Ein Wappen in vielen vidimirten Kopien besitze und Ewr. Hochwürden die Schlußfolge zu ziehen selbst überlassen hätte! Doch verdarb dieser junge Mann seit dem Stich der gnädigen Frau fast alles; und wenn er sich ja herausnahm, feurige Kohlen auf das Haupt Sr. Hochwürden und Gnaden zu sammeln, so waren es ein paar Kohlen aus dem Rauchfaß, und immer solche, an denen noch Weihrauch hing. Wenn er sich unter seines Gleichen befand, behauptete er, daß die Manier, mit vornehmen Leuten umzugehen, die in diesem Fall ohne allen Unterschied Eines Geistes Kind sind und alle zusammen nur Ein Wappen führen, noli me tangere, welches verdolmetscht ist: honny soit qui mal y pense, leider! so allgemein wäre, daß nur demjenigen Lebensart zugestanden würde, der mit Menschen einer höhern Region umzugehen verstände; ob es gleich nicht nur weit schwerer, sondern auch weit nützlicher sey, sich in jede Menschenklasse – sich in das Volk zu schicken. Vor Gott dem Herrn, dem väterlichen Beherrscher, setzte er hinzu, ist alles gleich weit und gleich nahe: Cherubim und Seraphim sind nicht himmlische Grafen und Freiherren; – Allvater, Alleinherrscher ist Gott, und alle Lande sind seiner Ehren[118] voll. Diese theologische Zweizüngigkeit legte sich gar bald, je mehr der junge Mensch aus seinem Compendio in die Welt kam, und je mehr er sah, daß die Welt, wenn gleich nicht die beste, so doch leidlich war, desto mehr genas er. Jetzt war er vor jedem Nadelstiche der guten Baronin sicher, und konnte auf ein ruhiges und stilles Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit rechnen sein Leben lang. Der gute Franklin, der seinen Sohn vor Voltaire auf die Knie fallen ließ, verglich den Adel mit Thieren, die im alten Testament ein Greuel sind, und die sich mit den unsaubern Geistern vor den Augen der Gergesener auf eine wunderbare Weise fleischlich vermischten. In der That, der Vergleich ist so wenig höflich, als völlig anpassend. Unser Ritter verglich ihn, als er ein Glas Champagner über Verordnung getrunken hatte, zu nicht geringer Verwunderung des Hofmeisters, mit Hunden, die man doch zur Zeit unserer in Gott ruhenden Vorfahren zur Beschimpfung und zur Strafe tragen ließ, und die man, nach römischen Grundsätzen, schweren Verbrechern beipackte, wenn sie am Leben gestraft werden sollten. Bei unserm Ritter indeß waren Hunde kein unedler Vergleich. – Er besaß Hunde, die er zwar nicht, nach dem Beispiel des Tyrannen, der sein Pferd zum Maire in Rom erkor, beehrte und an die Tafel zog, denen er indeß sein Bild und Ueberschrift, sein Wappen (das Johanniterkreuz selbst nicht ausgeschlossen), angehängt hatte. »So wie der Mensch Hunde braucht, Thiere, ihres Gleichen, zum Gehorsam zu bringen und sich unterwürfig zu machen, sagte der Ritter etwas leise, wie in Parenthesi: so auch der Regent den Edelmann. Der Lohn ist ein Band.« – Der Regent? fragte die Baronin. – Der Regent, erwiederte der Ritter; er sey Fürst oder Gesetz.

Sie. Oder Gesetz?

Er. Denn Geber und Handhaber sind alsdann Edelleute.[119]

Wenn aber der Hund gereizt wird, erwiederte Sie, beißt er nicht seinen eigenen Herrn?

So wie das Unrecht ihn schlägt, beschloß der Ritter. – Jener Ernst und Scherz, der sich nur bei Gleich und Gleich einfindet, und mit Herz und Herz verträgt; jener Gedankenfluß, der das Wohlgefallen bei einem geschmackvollen Tisch erregt, jene Artigkeit gegen das schöne Geschlecht, die fern von aller Zweideutigkeit und Verführungsanlage ist, jene Offenherzigkeit, bei der niemand von den Anwesenden sich unter dem Schlüssel hält, sondern jeder spricht und jeder hört, ohne sich bloß auf den nächsten Nachbar einzuschränken, der uns doch gewiß nicht für eine ganze in Feuer gesetzte Gesellschaft entschädigen kann; jene Aussaat, die schon so oft dem Weisen in seinem Studirzimmer eine reiche Ernte brachte, war im ritterlichen Hause gewiß nicht in die Acht erklärt und verbannt. So wie die Freiheit in der treuen Beobachtung selbst gemachter Gesetze besteht, so besteht Lebensart in der Weisheit, das Wort, oder die Flucht des Schweigens zu nehmen. Man ließ dem Champagner seine Kraft, wenn man einen Einfall, anlockte, und dämpfte den Einfall nicht wie die Erbsünde, damit keine wirkliche daraus entstehe. – Um in der Gunst seiner hohen Patronen desto tiefer Wurzel zu fassen, schlug der Schneiderssohn ein


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 1, Leipzig 1860, S. 115-120.
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Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z
Hippel, Theodor Gottlieb von: Th. G. v. Hippels sämmtliche Werke / Kreuz- und Querzüge des Ritters A bis Z. Theil 1
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