§. 176.


Anverwandte

[306] hatte sich einigemal schriftlich an ihn gewendet. Seine Absicht war, ihr sechs Dukaten zu geben. Um seiner Wohlthat, wie er sich überredete, einen desto größeren Werth beizulegen, eigentlich aber, um nicht seinen Herrn, und noch weniger den Nichtvetter Reitknecht, etwas von einer so armen Verwandten merken zu lassen, ging er insgeheim hin zu thun, was er nicht lassen konnte. Sein herzliches Verlangen, wohlthätig zu seyn, und noch mehr, die kindische Furcht, entdeckt zu werden, machten, daß er den Namen seiner Muhme völlig vergessen hatte. Er konnte auf keine Sylbe desselben kommen. Im Eifer über sich selbst, stampfte er mit den Füßen. – Vergebens! – Sechs Dukaten, dachte Michael, sollten die alte Frau nicht bewegen, dir entgegenzukommen? Sie kann nicht. Dieß machte Michaeln bitter böse auf seine Muhme. Er fragte, ohne daß er sagen konnte, nach wem. – Der arme Michael! Er erregte manches Gelächter, welches er – um nicht auf frischer That betroffen und verrathen zu werden – verschmerzte. Je aufgebrachter er auf sich, auf die Muhme, auf die Lacher und Lacherinnen war, desto mehr verlor er die Fassung. Wie blind und taub lief er umher; und als er es völlig aufgab, sie zu finden, ob er gleich die sechs Dukaten immer in der Hand hielt, entschloß er sich, aus Rache alle sechs in eine Armenbüchse zu legen, die ein unsauber geschnitzter Lazarus vor der Thüre des Stadthospitals in der Hand hielt. In diesem Augenblick hörte er eine Stimme: »Gott bezahle den gütigen Geber, und geleite den Herrn Michael!« – Die Stimme nannte seinen Namen. Flugs kehrte er um, fand seine Muhme, die im Hospital aufgenommen war, gab ihr die letzten zehn Dukaten, die er hatte, und ersuchte sie, in ihrem Gebet seinen Namen nicht laut auszusprechen. Sie versprach es;[307] er küßte sie; lief, kehrte wieder um, und wollte ihr wohlbedächtig noch die sechs Dukaten, die der Lazarus empfangen hatte, zu wenden; – weg war sie! – An seinem Vorsatze, sie von Zeit zu Zeit insgeheim zu unterstützen, hinderte ihn ihr baldiger Tod. – Michael hatte übrigens wenig Mühe, seinen Herrn auszusöhnen, der drei Stunden später ausreiten konnte, als er es sich vorgesetzt hatte. Die


Quelle:
Theodor Gottlieb von Hippel: Kreuz- und Querzüge des Ritters von A bis Z. Zwei Theile, Theil 2, Leipzig 1860, S. 306-308.
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