8. Lust der Welt

[88] Was ist die Lust der Welt? Nichts als ein Fastnachtsspiel,

So lange Zeit gehofft, in kurtzer Zeit verschwindet,

Da unsre Masqven uns nicht hafften, wie man wil,

Und da der Anschlag nicht den Ausschlag recht empfindet.

Es gehet uns wie dem, der Feuerwercke macht,

Ein Augenblick verzehrt offt eines Jahres Sorgen;

Man schaut, wie unser Fleiß von Kindern wird verlacht,

Der Abend tadelt offt den Mittag und den Morgen.

Wir fluchen offt auf dis, was gestern war gethan,

Und was man heute küst, muß morgen eckel heissen,

Die Reimen, die ich itzt geduldig lesen kan,

Die werd ich wohl vielleicht zur Morgenzeit zerreissen.

Wir kennen uns, und dis, was unser ist, offt nicht,

Wir tretten unsern Kuß offt selbst mit steiffen Füssen,

Man merckt, wie unser Wuntsch ihm selber wiederspricht,

Und wie wir Lust und Zeit als Sclaven dienen müssen.

Was ist denn diese Lust, und ihre Macht und Pracht?

Ein grosser Wunderball, mit leichtem Wind erfüllet.

Wohl diesem, der sich nur den Himmel dinstbar macht,

Weil aus dem Erdenkloß nichts als Verwirrung quillet.

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band36, Stuttgart [o.J.], S. 88.
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