Prolog

[49] STIMME auf der Gartenmauer, von einer leisen Musik begleitet, halb Gebet, halb Lied.

So liebst du nicht mehr dieses gastliche Haus,

Phöbos Apollon?

Und liebtest es doch und hast einst nicht verschmäht,

Phöbos Apollon,

hier dienend im Hause, ein weidender Hirt,

zu führen die Herde auf Heide und Hald

und mit tönendem Rohr zu berauschen den Wald,

Herr, Phöbos Apollon!

Da kamen die Luchse und weideten mit,

da folgten die Löwen dem Klang und dem Schritt

in feuerfarbenem Rudel,

gebunden von süßer Gewalt,

um deine Zither die bunten Reh

hintanzten und ließen für deine Näh

den dunklen, schweigenden Wald!

Vergißt du, Apollon, so bald,

die sterblichen Menschen so bald?

APOLLON während des Liedes von links aufgetreten, geht langsam gegen das Haus zu, blickt durch das Tor ins Innere.

Sie rufen mich und singen, daß ich einst

in diesem Königshaus, obwohl ein Gott,

als Hirte an dem Tisch der Knechte saß.

Nicht ungern, fast mit Wehmut denk ich dran,

weil immer doch Vergangnes lieblich ist ...

So kam es: meinen Sohn erschlug mir Zeus

mit bösem Blitz; da ging ich hin und schlug

ihm die Kyklopen, seine Knechte, tot,

des Blitzes Schmiede; dafür zwang mich er,

zu dienen einem Sterblichen, Admet,

dem König, der in diesen Gauen herrscht

Das ist vorbei: doch ich gewann ihn lieb,[49]

den Menschen, meinen Herrn, und weil sie so

am Leben hängen, diese Sterblichen,

so ging ich zu den Schicksalsgöttinnen

und bat für ihn, und die gelobten mir,

er mag dem Tode, der ihm droht, entfliehn,

wenn einen andern er hinunterschickt

statt seiner, aber einen, der so will.

Da bebt' er zwischen Scham und Todesangst

und fragte; und die Frage, kaum getan,

gereut' ihn, und er wäre lieber tot ...

Die alten Eltern hatten ihn gehört,

allein sie schauerten und schwiegen still. –

Da trat sein junges Weib lautlos vor ihn

und sagte: »Herr, ich sterbe gern für dich,

ich flehe, anstatt deiner gib mich hin!«

Da wars erfüllt, und Todesgötter, die

unsichtbar, grauenvoll, auf stummen Flügeln

mit Todesaugen hingen in der Luft,

hörtens und wehten ihren jungen Leib

mit leisem Schauer an, und als er wild

in Angst die Arme um sie klammerte,

umschlang er eine Todgeweihte schon.

Sie stirbt, eh diese Sonne sinkt, und ich

muß dieses Haus vermeiden, ich, ein Gott,

eh noch der Hauch des Todes mich entweiht.

Denn schon durchs Gartenpförtchen tritt er dort,

der Grauenvolle, ein, der Todesgott,

der diese Frau die dunklen Wege führt.


Er wendet sich nach rückwärts zum Abgehen.


DER TOD von links auftretend, ein Schwert in der Hand.

Ha! Phöbos, immer wachsam, immer da,

wos eines andern Tun zu stören gilt!

Das ist dir nicht genug, daß dem Admet

sein Schicksal du verwandelt, nein, die Frau,

die zum Ersatz mir hingegeben wird,

die mir zu rauben, hast du sicherlich

den Bogen und den Köcher umgetan![50]

APOLLON.

Ich tu nicht unrecht. Aber dieses Mannes

Elend geht mir zu Herzen. Freilich, dich,

dich dazu bringen ...

DER TOD abschneidend.

Bringen, daß ich tu,

was meines Amtes? Dazu kam ich her.

APOLLON.

Nein, daß du einen Alten, der zu lang

im Leben säumt, ein wandelnd Schattenwesen,

hinnähmest statt der Jungen.

DER TOD.

Schweig. Auch ich –

merk! – freu mich meiner Macht. Ich freu mich, junge

und schöne Menschen hinzustrecken so!

APOLLON.

So red ich ganz umsonst?

DER TOD.

Umsonst.

APOLLON ganz nahe, ausbrechend.

Du Hund!

Die Menschen und die Götter hassen dich!

DER TOD kalt.

Laß sie mich hassen, stärker doch bin ich.

APOLLON.

Auch dieses hat ein Ende. Ja! Der Held

Herakles kommt – und bald! – die Straße hier

gezogen, klopft um Gastrecht an dies Tor

und kommt dann über dich und ringt mit dir

und reißt dir aus den Armen dieses Weib!

DER TOD indem er langsam, mit lautlosen Schritten ins Haus geht.

Du redest, redest, aber sehr umsonst.

Dies Weib geht heut hinab in Hades' Haus

mit mir. Jetzt geh ich dir zum Trotz hinein

und rühr ihr Haupthaar an mit diesem Stahl,

unsichtbar, stumm. Dann ist sie mir verfallen.


Er verschwindet im Haus. Apollon durch die Mitte nach rechts.

Pause.

Von der Landstraße, rückwärts links, kommen in kleinen Gruppen Edle von Pherä mit ihren Frauen und treten in den Vorhof. Ein paar Männer reden.
[51]

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 2, Frankfurt a.M. 1979, S. 49-52.
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