Achte Szene

[350] STANI steht in der Mitteltür, im Frack. Pardon, nur um dir guten Abend zu sagen, Onkel Kari, wenn man dich nicht stört.

HANS KARL war nach rechts gegangen, bleibt jedoch stehen. Aber gar nicht.


Bietet ihm Platz an und eine Zigarette.
[350]

STANI nimmt die Zigarette. Aber natürlich chipotierts dich, wenn man unangemeldet hereinkommt. Darin bist du ganz wie ich. Ich haß es auch, wenn man mir die Tür einrennt. Ich will immer zuerst meine Ideen ein bißl ordnen.

HANS KARL. Ich bitte, genier dich nicht, du bist doch zu Hause.

STANI. O pardon, ich bin bei dir –

HANS KARL. Setz dich doch.

STANI. Nein wirklich, ich hätte nie gewagt, wenn ich nicht so deutlich die krähende Stimm vom Neugebauer –

HANS KARL. Er ist im Moment gegangen.

STANI. Sonst wäre ich ja nie – Nämlich der neue Diener lauft mir vor fünf Minuten im Korridor nach und meldet mir, notabene ungefragt, du hättest die Jungfer von der Antoinette Hechingen bei dir und wärest schwerlich zu sprechen.

HANS KARL halblaut. Ah, das hat er dir – ein reizender Mann!

STANI. Da wäre ich ja natürlich unter keinen Umständen –

HANS KARL. Sie hat ein paar Bücher zurückgebracht.

STANI. Die Toinette Hechingen liest Bücher?

HANS KARL. Es scheint. Ein paar alte französische Sachen.

STANI. Aus dem Dixhuitième. Das paßt zu ihren Möbeln.

HANS KARL schweigt.

STANI. Das Boudoir ist charmant. Die kleine Chaiselongue! Sie ist signiert.

HANS KARL. Ja, die kleine Chaiselongue. Riesener.

STANI. Ja, Riesener. Was du für ein Namengedächtnis hast! Unten ist die Signatur.

HANS KARL. Ja, unten am Fußende.

STANI. Sie verliert immer ihre kleinen Kämme aus den Haaren, und wenn man sich dann bückt, um die zusammenzusuchen, dann sieht man die Inschrift.

HANS KARL geht nach rechts hinüber und schließt die Tür nach der Bibliothek.

STANI. Ziehts dir, bist du empfindlich?

HANS KARL. Ja, meine Schützen und ich, wir sind da draußen rheumatisch geworden wie die alten Jagdhunde.

STANI. Weißt du, sie spricht charmant von dir, die Antoinette.

HANS KARL raucht. Ah! –[351]

STANI. Nein, ohne Vergleich. Ich verdanke den Anfang meiner Chance bei ihr ganz gewiß dem Umstand, daß sie mich so fabelhaft ähnlich mit dir findet. Zum Beispiel unsere Hände. Sie ist in Ekstase vor deinen Händen. Er sieht seine eigene Hand an. Aber bitte, erwähn nichts von allem gegen die Mamu. Es ist halt ein weitgehender Flirt, aber deswegen doch keine Bandelei. Aber die Mamu übertreibt sich alles.

HANS KARL. Aber mein guter Stani, wie käme ich denn auf das Thema?

STANI. Allmählich ist sie natürlich auch auf die Unterschiede zwischen uns gekommen. Ça va sans dire.

HANS KARL. Die Antoinette?

STANI. Sie hat mir geschildert, wie der Anfang eurer Freundschaft war.

HANS KARL. Ich kenne sie ja ewig lang.

STANI. Nein, aber das vor zwei Jahren. Im zweiten Kriegsjahr. Wie du nach der ersten Verwundung auf Urlaub warst, die paar Tage in der Grünleiten.

HANS KARL. Datiert sie von daher unsere Freundschaft?

STANI. Natürlich. Seit damals bist du ihr großer Freund. Als Ratgeber, als Vertrauter, als was du willst, einfach hors ligne. Du hättest dich benommen wie ein Engel.

HANS KARL. Sie übertreibt sehr leicht, die gute Antoinette.

STANI. Aber sie hat mir ja haarklein erzählt, wie sie aus Angst vor dem Alleinsein in der Grünleiten mit ihrem Mann, der gerade auch auf Urlaub war, sich den Feri Uhlfeldt, der damals wie der Teufel hinter ihr her war, auf den nächsten Tag hinausbestellt, wie sie dann dich am Abend vorher im Theater sieht und es wie eine Inspiration über sie kommt, sie dich bittet, du solltest noch abends mit ihr hinausfahren und den Abend mit ihr und dem Adolf zu dritt verbringen.

HANS KARL. Damals hab ich ihn noch kaum gekannt.

STANI. Ja, das entre parenthèse, das begreift sie gar nicht! Daß du dich später mit ihm hast so einlassen können. Mit diesem öden Dummkopf, diesem Pedanten.

HANS KARL. Da tut sie ihrem Mann unrecht, sehr!

STANI. Na, da will ich mich nicht einmischen. Aber sie erzählt das reizend.[352]

HANS KARL. Das ist ja ihre Stärke, diese kleinen Konfidenzen.

STANI. Ja, damit fangt sie an. Diesen ganzen Abend, ich sehe ihn vor mir, wie sie dann nach dem Souper dir den Garten zeigt, die reizenden Terrassen am Fluß, wie der Mond aufgeht-

HANS KARL. Ah, so genau hat sie dir das erzählt.

STANI. Und wie du in der einen nächtlichen Konversation die Kraft gehabt hast, ihr den Feri Uhlfeldt vollkommen auszureden.

HANS KARL raucht und schweigt.

STANI. Das bewundere ich ja so an dir: du redest wenig, bist so zerstreut und wirkst so stark. Deswegen find ich auch ganz natürlich, worüber sich so viele Leut den Mund zerreißen: daß du im Herrenhaus seit anderthalb Jahren deinen Sitz eingenommen hast, aber nie das Wort ergreifst. Vollkommen in der Ordnung ist das für einen Herrn wie du bist! Ein solcher Herr spricht eben durch seine Person! Oh, ich studier dich. In ein paar Jahren hab ich das. Jetzt hab ich noch zuviel Passion in mir. Du gehst nie auf die Sache aus und hast so gar keine Suada, das ist gerade das Elegante an dir. Jeder andere wäre in dieser Situation ihr Liebhaber geworden.

HANS KARL mit einem nur in den Augen merklichen Lächeln. Glaubst du?

STANI. Unbedingt. Aber ich versteh natürlich sehr gut: in deinen Jahren bist du zu serios dafür. Es tentiert dich nicht mehr: so leg ich mirs zurecht. Weißt du, das liegt so in mir: ich denk über alles nach. Wenn ich Zeit gehabt hätt, auf der Universität zu bleiben – für mich: Wissenschaft, das wäre mein Fach gewesen. Ich wäre auf Sachen, auf Probleme gekommen, auf Fragestellungen, an die andere Menschen gar nicht streifen. Für mich ist das Leben ohne Nachdenken kein Leben. Zum Beispiel: Weiß man das auf einmal, so auf einen Ruck: Jetzt bin ich kein junger Herr mehr? – Das muß ein sehr unangenehmer Moment sein.

HANS KARL. Weißt du, ich glaub, es kommt ganz allmählich. Wenn einem auf einmal der andere bei der Tür vorausgehen läßt und du merkst dann: ja, natürlich, er ist viel jünger, obwohl er auch schon ein erwachsener Mensch ist.[353]

STANI. Sehr interessant. Wie du alles gut beobachtest. Darin bist du ganz wie ich. Und dann wirds einem so zur Gewohnheit, das Ältersein?

HANS KARL. Ja, es gibt immer noch gewisse Momente, die einen frappieren. Zum Beispiel, wenn man sich plötzlich klarwird, daß man nicht mehr glaubt, daß es Leute gibt, die einem alles erklären könnten.

STANI. Eines versteh ich aber doch nicht, Onkel Kari, daß du mit dieser Reife und konserviert wie du bist nicht heiratest.

HANS KARL. Jetzt.

STANI. Ja, eben jetzt. Denn der Mann, der kleine Abenteuer sucht, bist du doch nicht mehr. Weißt du, ich würde natürlich sofort begreifen, daß sich jede Frau heut noch für dich interessiert. Aber die Toinette hat mir erklärt, warum ein Interesse für dich nie serios wird.

HANS KARL. Ah!

STANI. Ja, sie hat viel darüber nachgedacht. Sie sagt: du fixierst nicht, weil du nicht genug Herz hast.

HANS KARL. Ah!

STANI. Ja, dir fehlt das Eigentliche. Das, sagt sie, ist der enorme Unterschied zwischen dir und mir. Sie sagt: du hast das Handgelenk immer geschmeidig, um loszulassen, das spürt eine Frau, und wenn sie selbst im Begriff wäre, sich in dich zu verlieben, so verhindert das die Kristallisation.

HANS KARL. Ah, so drückt sie sich aus?

STANI. Das ist ja ihr großer Charme, daß sie eine Konversation hat. Weißt du, das brauch ich absolut: eine Frau die mich fixieren soll, die muß außer ihrer absoluten Hingebung auch eine Konversation haben.

HANS KARL. Darin ist sie delizios.

STANI. Absolut. Das hat sie: Charme, Geist und Temperament, so wie sie etwas anderes nicht hat: nämlich Rasse.

HANS KARL. Du findest?

STANI. Weißt du, Onkel Kari, ich bin ja so gerecht; eine Frau kann hundertmal das Äußerste an gutem Willen für mich gehabt haben – ich geb ihr, was sie hat, und ich sehe unerbittlich, was sie nicht hat. Du verstehst mich: Ich denk über[354] alles nach, und mach mir immer zwei Kategorien. Also die Frauen teile ich in zwei große Kategorien: die Geliebte, und die Frau, die man heiratet. Die Antoinette gehört in die erste Kategorie, sie kann hundertmal die Frau vom Adolf Hechingen sein, für mich ist sie keine Frau, sondern – das andere.

HANS KARL. Das ist ihr Genre, natürlich. Wenn man die Menschen so einteilen will.

STANI. Absolut. Darum ist es, in Parenthese, die größte Dummheit, sie mit ihrem Mann versöhnen zu wollen.

HANS KARL. Wenn er aber doch einmal ihr Mann ist? Verzeih, das ist vielleicht ein sehr spießbürgerlicher Gedanke.

STANI. Weißt du, verzeih mir, ich mache mir meine Kategorien, und da bin ich dann absolut darin, ebenso über die Galanterie, ebenso über die Ehe. Die Ehe ist kein Experiment. Sie ist das Resultat eines richtigen Entschlusses.

HANS KARL. Von dem du natürlich weit entfernt bist.

STANI. Aber gar nicht. Augenblicklich bereit, ihn zu fassen.

HANS KARL. Im jetzigen Moment?

STANI. Ich finde mich außerordentlich geeignet, eine Frau glücklich zu machen, aber bitte, sag das der Mamu nicht, ich will mir in allen Dingen meine volle Freiheit bewahren. Darin bin ich ja haarklein wie du. Ich vertrage nicht, daß man mich beengt.

HANS KARL raucht.

STANI. Der Entschluß muß aus dem Moment hervorgehen. Gleich oder gar nicht, das ist meine Devise!

HANS KARL. Mich interessiert nichts auf der Welt so sehr, als wie man von einer Sache zur andern kommt. Du würdest also nie einen Entschluß vor dich hinschieben?

STANI. Nie, das ist die absolute Schwäche.

HANS KARL. Aber es gibt doch Komplikationen?

STANI. Die negiere ich.

HANS KARL. Beispielsweise sich kreuzende widersprechende Verpflichtungen.

STANI. Von denen hat man die Wahl, welche man lösen will.

HANS KARL. Aber man ist doch in dieser Wahl bisweilen sehr behindert.[355]

STANI. Wieso?

HANS KARL. Sagen wir durch Selbstvorwürfe.

STANI. Das sind Hypochondrien. Ich bin vollkommen gesund. Ich war im Feld nicht einen Tag krank.

HANS KARL. Ah, du bist mit deinem Benehmen immer absolut zufrieden?

STANI. Ja, wenn ich das nicht wäre, so hätte ich mich doch anders benommen.

HANS KARL. Pardon, ich spreche nicht von Unkorrektheiten – aber du läßt mit einem Wort den Zufall, oder nennen wirs das Schicksal, unbedenklich walten?

STANI. Wieso? Ich behalte immer alles in der Hand.

HANS KARL. Zeitweise ist man aber halt doch versucht, bei solchen Entscheidungen einen bizarren Begriff einzuschieben: den der höheren Notwendigkeit.

STANI. Was ich tue, ist eben notwendig, sonst würde ich es nicht tun.

HANS KARL interessiert. Verzeih, wenn ich aus der aktuellen Wirklichkeit heraus exemplifiziere – das schickt sich ja eigentlich nicht –

STANI. Aber bitte –

HANS KARL. Eine Situation würde dir, sagen wir, den Entschluß zur Heirat nahelegen.

STANI. Heute oder morgen.

HANS KARL. Nun bist du mit der Antoinette in dieser Weise immerhin befreundet.

STANI. Ich brouillier mich mit ihr, von heut auf morgen!

HANS KARL. Ah! Ohne jeden Anlaß?

STANI. Aber der Anlaß liegt doch immer in der Luft. Bitte. Unsere Beziehung dauert seit dem Frühjahr. Seit sechs, sieben Wochen ist irgend etwas an der Antoinette, ich kann nicht sagen, was – ein Verdacht wäre schon zuviel – aber die bloße Idee, daß sie sich außer mit mir noch mit jemandem andern beschäftigen könnte, weißt du, darin bin ich absolut.

HANS KARL. Ah, ja.

STANI. Weißt du, das ist stärker als ich. Ich möchte es gar nicht Eifersucht nennen, es ist ein derartiges Nichtbegreifenkönnen,[356] daß eine Frau, der ich mich attachiert habe, zugleich mit einem andern – begreifst du?

HANS KARL. Aber die Antoinette ist doch so unschuldig, wenn sie etwas anstellt. Sie hat dann fast noch mehr Charme.

STANI. Da verstehe ich dich nicht.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 350-357.
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