[Stücktext]

Studierzimmer des Claudio, im Empiregeschmack. Im Hintergrund links und rechts große Fenster, in der Mitte eine Glastüre auf den Balkon hinaus, von dem eine hängende Holztreppe in den Garten führt. Links eine weiße Flügeltür, rechts eine gleiche nach dem Schlafzimmer, mit einem grünen Samtvorhang geschlossen. Am Fenster links steht ein Schreibtisch, davor ein Lehnstuhl. An den Pfeilern Glaskasten mit Altertümern. An der Wand rechts eine gotische, dunkle, geschnitzte Truhe; darüber altertümliche Musikinstrumente. Ein fast schwarzgedunkeltes Bild eines italienischen Meisters. Der Grundton der Tapete licht, fast weiß; mit Stukkatur und Gold.


CLAUDIO allein. Er sitzt am Fenster. Abendsonne.

Die letzten Berge liegen nun im Glanz,

In feuchten Schmelz durchsonnter Luft gewandet,

Es schwebt ein Alabasterwolkenkranz

Zuhöchst, mit grauen Schatten, goldumrandet:

So malen Meister von den frühen Tagen

Die Wolken, welche die Madonna tragen.

Am Abhang liegen blaue Wolkenschatten,

Der Bergesschatten füllt das weite Tal

Und dämpft zu grauem Grün und Glanz der Matten;

Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.

Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,

Die dort auf weiten Halden einsam wohnen

Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,

Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.

Der wundervolle wilde Morgenwind,

Der nackten Fußes läuft im Heidenduft,

Der weckt sie auf; die wilden Bienen sind

Um sie und Gottes helle, heiße Luft.

Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte

In allen ihren Wünschen quillt Natur,

Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte

Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.

Jetzt rückt der goldne Ball, und er versinkt

In fernster Meere grünlichem Kristall;

Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,

Jetzt atmet roter Rauch, ein Glutenwall

Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,

Die mit Najadenarmen, flutenttaucht,

In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,

Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.

Sie gleiten über ferne, wunderschwere,

Verschwiegne Flut, die nie ein Kiel geteilt,

Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,

Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.

So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet

Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,

Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,

Wird alles öd, verletzender und trüber;

Es scheint mein ganzes so versäumtes Leben,

Verlorne Lust und nie geweinte Tränen,

Um diese Gassen, dieses Haus zu weben

Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.


Am Fenster stehend.


Jetzt zünden sie die Lichter an und haben

In engen Wänden eine dumpfe Welt

Mit allen Rausch- und Tränengaben

Und was noch sonst ein Herz gefangenhält.

Sie sind einander herzlich nah

Und härmen sich um einen, der entfernt;

Und wenn wohl einem Leid geschah,

So trösten sie ... ich habe Trösten nie gelernt.

Sie können sich mit einfachen Worten,

Was nötig zum Weinen und Lachen, sagen.

Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten

Mit blutigen Fingern schlagen.


Was weiß denn ich vom Menschenleben?

Bin freilich scheinbar drin gestanden,

Aber ich hab es höchstens verstanden,

Konnte mich nie darein verweben.

Hab mich niemals daran verloren.

Wo andre nehmen, andre geben,

Blieb ich beiseit, im Innern stummgeboren.

Ich hab von allen lieben Lippen

Den wahren Trank des Lebens nie gesogen,

Bin nie, von wahrem Schmerz durchschüttert,

Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.

Wenn ich von guten Gaben der Natur

Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,

So nannte ihn mein überwacher Sinn,

Unfähig des Vergessens, grell beim Namen.

Und wie dann tausende Vergleiche kamen,

War das Vertrauen, war das Glück dahin.

Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen

Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!

Wie wollte ich an meine Brust es pressen,

Wie hätt ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt:

Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt,

Und Unbehagen kam an Schmerzes Statt ...


Aufschreckend.


Es dunkelt schon. Ich fall in Grübelei.

Ja, ja: die Zeit hat Kinder mancherlei.

Doch ich bin müd und soll wohl schlafen gehen.


Der Diener bringt eine Lampe, geht dann wieder.


Jetzt läßt der Lampe Glanz mich wieder sehen

Die Rumpelkammer voller totem Tand,

Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,

Wenn ich den graden Weg auch nimmer fand

In jenes Leben, das ich so ersehnte.


Vor dem Kruzifix.


Zu deinen wunden, elfenbeinern' Füßen,

Du Herr am Kreuz, sind etliche gelegen,

Die Flammen niederbetend, jene süßen,

Ins eigne Herz, die wundervoll bewegen,

Und wenn statt Gluten öde Kälte kam,

Vergingen sie in Reue, Angst und Scham.


Vor einem alten Bild.


Gioconda, du, aus wundervollem Grund

Herleuchtend mit dem Glanz durchseelter Glieder,

Dem rätselhaften, süßen, herben Mund,

Dem Prunk der träumeschweren Augenlider:

Gerad so viel verrietest du mir Leben,

Als fragend ich vermocht dir einzuweben!


Sich abwendend, vor einer Truhe.


Ihr Becher, ihr, an deren kühlem Rand

Wohl etlich Lippen selig hingen,

Ihr alten Lauten, ihr, bei deren Klingen

Sich manches Herz die tiefste Rührung fand,

Was gäb ich, könnt mich euer Bann erfassen,

Wie wollt ich mich gefangen finden lassen!

Ihr hölzern, ehern Schilderwerk,

Verwirrend, formenquellend Bilderwerk,

Ihr Kröten, Engel, Greife, Faunen,

Phantastsche Vögel, goldnes Fruchtgeschlinge,

Berauschende und ängstigende Dinge,

Ihr wart doch all einmal gefühlt,

Gezeugt von zuckenden, lebendgen Launen,

Vom großen Meer emporgespült,

Und wie den Fisch das Netz, hat euch die Form gefangen!

Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,

Von eurem Reize allzusehr gebunden:

Und wie ich eurer eigensinngen Seelen

Jedwede, wie die Masken, durchempfunden,

War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,

Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm, umstellt,

Abweidend, unerbittliche Harpyen,

An frischen Quellen jedes frische Blühen ...

Ich hab mich so an Künstliches verloren,

Daß ich die Sonne sah aus toten Augen

Und nicht mehr hörte als durch tote Ohren:

Stets schleppte ich den rätselhaften Fluch,

Nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt,

Mit kleinem Leid und schaler Lust

Mein Leben zu erleben wie ein Buch,

Das man zur Hälft noch nicht und halb nicht mehr begreift,

Und hinter dem der Sinn erst nach Lebendgem schweift –

Und was mich quälte und was mich erfreute,

Mir war, als ob es nie sich selbst bedeute,

Nein, künftgen Lebens vorgeliehnen Schein

Und hohles Bild von einem vollern Sein.

So hab ich mich in Leid und jeder Liebe

Verwirrt mit Schatten nur herumgeschlagen,

Verbraucht, doch nicht genossen alle Triebe,

In dumpfem Traum, es würde endlich tagen.

Ich wandte mich und sah das Leben an:

Darinnen Schnellsein nicht zum Laufen nützt

Und Tapfersein nicht hilft zum Streit; darin

Unheil nicht traurig macht und Glück nicht froh;

Auf Frag ohn Sinn folgt Antwort ohne Sinn;

Verworrner Traum entsteigt der dunklen Schwelle,

Und Glück ist alles, Stunde, Wind und Welle!

So schmerzlich klug und so enttäuschten Sinn

In müdem Hochmut hegend, in Entsagen

Tief eingesponnen, leb ich ohne Klagen

In diesen Stuben, dieser Stadt dahin.

Die Leute haben sich entwöhnt zu fragen

Und finden, daß ich recht gewöhnlich bin.


Der Diener kommt und stellt einen Teller Kirschen auf den Tisch, dann will er die Balkontüre schließen.


CLAUDIO.

Laß noch die Türen offen ... Was erschreckt dich?

DIENER.

Euer Gnaden glauben mirs wohl nicht.


Halb für sich, mit Angst.


Jetzt haben sie im Lusthaus sich versteckt.

CLAUDIO.

Wer denn?

DIENER.

Entschuldigen, ich weiß es nicht.

Ein ganzer Schwarm unheimliches Gesindel.

CLAUDIO.

Bettler?

DIENER.

Ich weiß es nicht.

CLAUDIO.

So sperr die Tür,

Die von der Gasse in den Garten, zu,

Und leg dich schlafen und laß mich in Ruh.

DIENER.

Das eben macht mir solches Graun. Ich hab

Die Gartentür verriegelt. Aber...

CLAUDIO.

Nun?

DIENER.

Jetzt sitzen sie im Garten. Auf der Bank,

Wo der sandsteinerne Apollo steht,

Ein paar im Schatten dort am Brunnenrand,

Und einer hat sich auf die Sphinx gesetzt.

Man sieht ihn nicht, der Taxus steht davor.

CLAUDIO.

Sinds Männer?

DIENER.

Einige. Allein auch Frauen.

Nicht bettelhaft, altmodisch nur von Tracht,

Wie Kupferstiche angezogen sind.

Mit einer solchen grauenvollen Art,

Still dazusitzen und mit toten Augen

Auf einen wie in leere Luft zu schauen,

Das sind nicht Menschen. Euer Gnaden sei'n

Nicht ungehalten, nur um keinen Preis

Der Welt möcht ich in ihre Nähe gehen.

So Gott will, sind sie morgen früh verschwunden;

Ich will – mit gnädiger Erlaubnis – jetzt

Die Tür vom Haus verriegeln und das Schloß

Einsprengen mit geweihtem Wasser. Denn

Ich habe solche Menschen nie gesehn,

Und solche Augen haben Menschen nicht.

CLAUDIO.

Tu, was du willst, und gute Nacht.


Er geht eine Weile nachdenklich auf und nieder. Hinter der Szene erklingt das sehnsüchtige und ergreifende Spiel einer Geige, zuerst ferner, allmählich näher, endlich warm und voll, als wenn es aus dem Nebenzimmer dränge.


Musik?

Und seltsam zu der Seele redende!

Hat mich des Menschen Unsinn auch verstört?

Mich dünkt, als hätt ich solche Töne

Von Menschengeigen nie gehört ...


Er bleibt horchend gegen die rechte Seite gewandt.


In tiefen, scheinbar langersehnten Schauern

Dringts allgewaltig auf mich ein;

Es scheint unendliches Bedauern,

Unendlich Hoffen scheints zu sein,

Als strömte von den alten, stillen Mauern

Mein Leben flutend und verklärt herein.

Wie der Geliebten, wie der Mutter Kommen,

Wie jedes Langverlornen Wiederkehr,

Regt es Gedanken auf, die warmen, frommen,

Und wirft mich in ein jugendliches Meer:

Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen

Und meinte aufzuschweben in das All,

Unendlich Sehnen über alle Grenzen

Durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall!

Und Wanderzeiten kamen, rauschumfangen,

Da leuchtete manchmal die ganze Welt,

Und Rosen glühten, und die Glocken klangen,

Von fremdem Lichte jubelnd und erhellt:

Wie waren da lebendig alle Dinge,

Dem liebenden Erfassen nahgerückt,

Wie fühlt ich mich beseelt und tief entzückt,

Ein lebend Glied im großen Lebensringe!

Da ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet,

Den Liebesstrom, der alle Herzen nährt,

Und ein Genügen hielt mein Ich geweitet,

Das heute kaum mir noch den Traum verklärt.

Tön fort, Musik, noch eine Weile so

Und rühr mein Innres also innig auf:

Leicht wähn ich dann mein Leben warm und froh,

Rücklebend so verzaubert seinen Lauf:

Denn alle süßen Flammen, Loh an Loh

Das Starre schmelzend, schlagen jetzt herauf.

Des allzu alten, allzu wirren Wissens

Auf diesen Nacken vielgehäufte Last

Vergeht, von diesem Laut des Urgewissens,

Den kindisch – tiefen Tönen angefaßt.

Weither mit großem Glockenläuten

Ankündigt sich ein kaum geahntes Leben,

In Formen, die unendlich viel bedeuten,

Gewaltig – schlicht im Nehmen und im Geben.


Die Musik verstummt fast plötzlich.


Da, da verstummt, was mich so tief gerührt,

Worin ich Göttlich – Menschliches gespürt!

Der diese Wunderwelt unwissend hergesandt,

Er hebt wohl jetzt nach Kupfergeld die Kappe,

Ein abendlicher Bettelmusikant.


Am Fenster rechts.


Hier unten steht er nicht. Wie sonderbar!

Wo denn? Ich will durchs andre Fenster schaun ...


Wie er nach der Türe rechts geht, wird der Vorhang leise zurückgeschlagen, und in der Tür steht der Tod, den Fiedelbogen in der Hand, die Geige am Gürtel hängend. Er sieht Claudio, der entsetzt zurückfährt, ruhig an.


Wie packt mich sinnlos namenloses Grauen!

Wenn deiner Fiedel Klang so lieblich war,

Was bringt es solchen Krampf, dich anzuschauen?

Und schnürt die Kehle so und sträubt das Haar?

Geh weg! Du bist der Tod. Was willst du hier?

Ich fürchte mich. Geh weg! Ich kann nicht schrein.


Sinkend.


Der Halt, die Luft des Lebens schwindet mir!

Geh weg! Wer rief dich? Geh! Wer ließ dich ein?

DER TOD.

Steh auf! Wirf dies ererbte Graun von dir!

Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!

Aus des Dionysos, der Venus Sippe,

Ein großer Gott der Seele steht vor dir.

Wenn in der lauen Sommerabendfeier

Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt,

Hat dich mein Wehen angeschauert,

Das traumhaft um die reifen Dinge webt;

Wenn Überschwellen der Gefühle

Mit warmer Flut die Seele zitternd füllte,

Wenn sich im plötzlichen Durchzucken

Das Ungeheure als verwandt enthüllte,

Und du, hingebend dich im großen Reigen,

Die Welt empfingest als dein eigen:

In jeder wahrhaft großen Stunde,

Die schauern deine Erdenform gemacht,

Hab ich dich angerührt im Seelengrunde

Mit heiliger, geheimnisvoller Macht.

CLAUDIO.

Genug. Ich grüße dich, wenngleich beklommen.


Kleine Pause.


Doch wozu bist du eigentlich gekommen?

DER TOD.

Mein Kommen, Freund, hat stets nur einen Sinn!

CLAUDIO.

Bei mir hats eine Weile noch dahin!

Merk: eh das Blatt zu Boden schwebt,

Hat es zur Neige seinen Saft gesogen!

Dazu fehlt viel: Ich habe nicht gelebt!

DER TOD.

Bist doch, wie alle, deinen Weg gezogen!

CLAUDIO.

Wie abgerißne Wiesenblumen

Ein dunkles Wasser mit sich reißt,

So glitten mir die jungen Tage,

Und ich hab nie gewußt, daß das schon Leben heißt.

Dann ... stand ich an den Lebensgittern,

Der Wunder bang, von Sehnsucht süß bedrängt,

Daß sie in majestätischen Gewittern

Auffliegen sollten, wundervoll gesprengt.

Es kam nicht so ... und einmal stand ich drinnen,

Der Weihe bar, und konnte mich auf mich

Und alle tiefsten Wünsche nicht besinnen,

Von einem Bann befangen, der nicht wich.

Von Dämmerung verwirrt und wie verschüttet,

Verdrießlich und im Innersten zerrüttet,

Mit halbem Herzen, unterbundnen Sinnen

In jedem Ganzen rätselhaft gehemmt,

Fühlt ich mich niemals recht durchglutet innen,

Von großen Wellen nie so recht geschwemmt,

Bin nie auf meinem Weg dem Gott begegnet,

Mit dem man ringt, bis daß er einen segnet.

DER TOD.

Was allen, ward auch dir gegeben,

Ein Erdenleben, irdisch es zu leben.

Im Innern quillt euch allen treu ein Geist,

Der diesem Chaos toter Sachen

Beziehung einzuhauchen heißt

Und euren Garten draus zu machen

Für Wirksamkeit, Beglückung und Verdruß.

Weh dir, wenn ich dir das erst sagen muß!

Man bindet und man wird gebunden,

Entfaltung wirken schwül und wilde Stunden;

In Schlaf geweint und müd geplagt,

Noch wollend, schwer von Sehnsucht, halbverzagt,

Tiefatmend und vom Drang des Lebens warm ...

Doch alle reif, fallt ihr in meinen Arm.

CLAUDIO.

Ich bin aber nicht reif, drum laß mich hier.

Ich will nicht länger töricht jammern,

Ich will mich an die Erdenscholle klammern,

Die tiefste Lebenssehnsucht schreit in mir.

Die höchste Angst zerreißt den alten Bann;

Jetzt fühl ich – laß mich – daß ich leben kann!

Ich fühls an diesem grenzenlosen Drängen:

Ich kann mein Herz an Erdendinge hängen.

Oh, du sollst sehn, nicht mehr wie stumme Tiere,

Nicht Puppen werden mir die andern sein!

Zum Herzen reden soll mir all das Ihre,

Ich dränge mich in jede Lust und Pein.

Ich will die Treue lernen, die der Halt

Von allem Leben ist ... Ich füg mich so,

Daß Gut und Böse über mich Gewalt

Soll haben und mich machen wild und froh.

Dann werden sich die Schemen mir beleben!

Ich werde Menschen auf dem Wege finden,

Nicht länger stumm im Nehmen und im Geben,

Gebunden werden – ja! – und kräftig binden.


Da er die ungerührte Miene des Todes wahrnimmt, mit steigender Angst.


Denn schau, glaub mir, das war nicht so bisher:

Du meinst, ich hätte doch geliebt, gehaßt ...

Nein, nie hab ich den Kern davon erfaßt,

Es war ein Tausch von Schein und Worten leer!

Da schau, ich kann dir zeigen: Briefe, sieh,


Er reißt eine Lade auf und entnimmt ihr Pakete geordneter alter Briefe.


Mit Schwüren voll und Liebeswort und Klagen;

Meinst du, ich hätte je gespürt, was die –

Gespürt, was ich als Antwort schien zu sagen?!


Er wirft ihm die Pakete vor die Füße, daß die einzelnen Briefe herausfliegen.


Da hast du dieses ganze Liebesleben,

Daraus nur ich und ich nur widertönte,

Wie ich, der Stimmung Auf- und Niederbeben

Mitbebend, jeden heilgen Halt verhöhnte!

Da! da! und alles andre ist wie das:

Ohn Sinn, ohn Glück, ohn Schmerz, ohn Lieb, ohn Haß!

DER TOD.

Du Tor! Du schlimmer Tor, ich will dich lehren,

Das Leben, eh dus endest, einmal ehren.

Stell dich dorthin und schweig und sieh hierher

Und lern, daß alle andern diesen Schollen

Mit lieberfülltem Erdensinn entquollen,

Und nur du selber schellenlaut und leer.


Der Tod tut ein paar Geigenstriche, gleichsam rufend. Er steht an der Schlafzimmertüre, im Vordergrund rechts, Claudio an der Wand links, im Halbdunkel. Aus der Tür rechts tritt die Mutter. Sie ist nicht sehr alt. Sie trägt ein langes schwarzes Samtkleid, eine schwarze Samthaube mit einer weißen Rüsche, die das Gesicht umrahmt. In den feinen blassen Fingern ein weißes Spitzentaschentuch. Sie tritt leise aus der Tür und geht lautlos im Zimmer umher.


DIE MUTTER.

Wie viele süße Schmerzen saug ich ein

Mit dieser Luft. Wie von Lavendelkraut

Ein feiner toter Atem weht die Hälfte

Von meinem Erdendasein hier umher:

Ein Mutterleben, nun, ein Dritteil Schmerzen,

Eins Plage, Sorge eins. Was weiß ein Mann

Davon?


An der Truhe.


Die Kante da noch immer scharf?

Da schlug er sich einmal die Schläfe blutig;

Freilich, er war auch klein und heftig, wild

Im Laufen, nicht zu halten. Da, das Fenster!

Da stand ich oft und horchte in die Nacht

Hinaus auf seinen Schritt mit solcher Gier,

Wenn mich die Angst im Bett nicht länger litt,

Wenn er nicht kam, und schlug doch zwei, und schlug

Dann drei und fing schon blaß zu dämmern an ...

Wie oft ... Doch hat er nie etwas gewußt –

Ich war ja auch bei Tag hübsch viel allein.

Die Hand, die gießt die Blumen, klopft den Staub

Vom Kissen, reibt die Messingklinken blank,

So läuft der Tag: allein der Kopf hat nichts

Zu tun: da geht im Kreis ein dumpfes Rad

Mit Ahnungen und traumbeklommenem,

Geheimnisvollem Schmerzgefühle, das

Wohl mit der Mutterschaft unfaßlichem

Geheimem Heiligtum zusammenhängt

Und allem tiefstem Weben dieser Welt

Verwandt ist. Aber mir ist nicht gegönnt,

Der süß beklemmend, schmerzlich nährenden,

Der Luft vergangnen Lebens mehr zu atmen.

Ich muß ja gehen, gehen...


Sie geht durch die Mitteltüre ab.


CLAUDIO.

Mutter!

DER TOD.

Schweig!

Du bringst sie nicht zurück.

CLAUDIO.

Ah! Mutter, komm!

Laß mich dir einmal mit den Lippen hier,

den zuckenden, die immer schmalgepreßt,

Hochmütig schwiegen, laß mich doch vor dir

So auf den Knieen ... Ruf sie! Halt sie fest!

Sie wollte nicht! Hast du denn nicht gesehn?!

Was zwingst du sie, Entsetzlicher, zu gehn?

DER TOD.

Laß mir, was mein. Dein war es.

CLAUDIO.

Ah! und nie

Gefühlt! Dürr, alles dürr! Wann hab ich je

Gespürt, daß alle Wurzeln meines Seins

Nach ihr sich zuckend drängten, ihre Näh

Wie einer Gottheit Nähe wundervoll

Durchschauert mich und quellend füllen soll

Mit Menschensehnsucht, Menschenlust – und – weh?!


Der Tod, um seine Klagen unbekümmert, spielt die

Melodie eines alten Volksliedes. Langsam tritt ein junges Mädchen ein; sie trägt ein einfaches großgeblümtes Kleid, Kreuzbandschuhe, um den Hals ein Stückchen Schleier, bloßer Kopf.


DAS JUNGE MÄDCHEN.

Es war doch schön ... Denkst du nie mehr daran?

Freilich, du hast mir weh getan, so weh ...

Allein was hört denn nicht in Schmerzen auf?

Ich hab so wenig frohe Tag gesehn,

Und die, die waren schön als wie ein Traum!

Die Blumen vor dem Fenster, meine Blumen,

Das kleine wacklige Spinett, der Schrank,

In den ich deine Briefe legte und

Was du mir etwa schenktest ... alles das

– Lach mich nicht aus – das wurde alles schön

Und redete mit wachen lieben Lippen!

Wenn nach dem schwülen Abend Regen kam

Und wir am Fenster standen – ah, der Duft

Der nassen Bäume! – Alles das ist hin,

Gestorben, was daran lebendig war!

Und liegt in unsrer Liebe kleinem Grab.

Allein es war so schön, und du bist schuld,

Daß es so schön war. Und daß du mich dann

Fortwarfest, achtlos grausam, wie ein Kind,

Des Spielens müd, die Blumen fallen läßt ...

Mein Gott, ich hatte nichts, dich festzubinden.


Kleine Pause.


Wie dann dein Brief, der letzte, schlimme, kam,

Da wollt ich sterben. Nicht um dich zu quälen,

Sag ich dir das. Ich wollte einen Brief

Zum Abschied an dich schreiben, ohne Klag,

Nicht heftig, ohne wilde Traurigkeit;

Nur so, daß du nach meiner Lieb und mir

Noch einmal solltest Heimweh haben und

Ein wenig weinen, weils dazu zu spät.

Ich hab dir nicht geschrieben. Nein. Wozu?

Was weiß denn ich, wieviel von deinem Herzen

In all dem war, was meinen armen Sinn

Mit Glanz und Fieber so erfüllte, daß

Ich wie im Traum am lichten Tage ging.

Aus Untreu macht kein guter Wille Treu,

Und Tränen machen kein Erstorbnes wach.

Man stirbt auch nicht daran. Viel später erst,

Nach langem, ödem Elend durft ich mich

Hinlegen, um zu sterben. Und ich bat,

In deiner Todesstund bei dir zu sein.

Nicht grauenvoll, um dich zu quälen nicht,

Nur wie wenn einer einen Becher Wein

Austrinkt und flüchtig ihn der Duft gemahnt

An irgendwo vergeßne leise Lust.


Sie geht ab; Claudio birgt sein Gesicht in den Händen. Unmittelbar nach ihrem Abgehen tritt ein

Mann ein. Er hat beiläufig Claudios Alter. Er trägt einen unordentlichen, bestaubten Reiseanzug. In seiner linken Brust steckt mit herausragendem Holzgriff ein Messer. Er bleibt in der Mitte der Bühne, Claudio zugewendet, stehen.


DER MANN.

Lebst du noch immer, Ewigspielender?

Liest immer noch Horaz und freuest dich

Am spöttisch – klugen, nie bewegten Sinn?

Mit feinen Worten bist du mir genaht,

Scheinbar gepackt von was auch mich bewegte ...

Ich hab dich, sagtest du, gemahnt an Dinge,

Die heimlich in dir schliefen, wie der Wind

Der Nacht von fernem Ziel zuweilen redet ...

O ja, ein feines Saitenspiel im Wind

Warst du, und der verliebte Wind dafür

Stets eines andern ausgenützter Atem,

Der meine oder sonst. Wir waren ja

Sehr lange Freunde. Freunde? Heißt: gemein

War zwischen uns Gespräch bei Tag und Nacht,

Verkehr mit gleichen Menschen, Tändelei

Mit einer gleichen Frau. Gemein: so wie

Gemeinsam zwischen Herr und Sklave ist

Haus, Sänfte, Hund, und Mittagstisch und Peitsche:

Dem ist das Haus zur Lust, ein Kerker dem,

Den trägt die Sänfte, jenem drückt die Schulter

Ihr Schnitzwerk wund; der läßt den Hund im Garten

Durch Reifen springen, jener wartet ihn! ...

Halbfertige Gefühle, meiner Seele

Schmerzlich geborne Perlen, nahmst du mir

Und warfst sie als dein Spielzeug in die Luft,

Du, schnellbefreundet, fertig schnell mit jedem,

Ich mit dem stummen Werben in der Seele

Und Zähne zugepreßt, du ohne Scheu

An allem tastend, während mir das Wort

Mißtrauisch und verschüchtert starb am Weg.

Da kam uns in den Weg ein Weib. Was mich

Ergriff, wie Krankheit über einen kommt,

Wo alle Sinne taumeln, überwach

Von allzu vielem Schaun nach einem Ziel ...

Nach einem solchen Ziel, voll süßer Schwermut

Und wildem Glanz und Duft, aus tiefem Dunkel

Wie Wetterleuchten webend ... Alles das,

Du sahst es auch, es reizte dich! ... »Ja, weil

Ich selber ähnlich bin zu mancher Zeit,

So reizte mich des Mädchens müde Art

Und herbe Hoheit, so enttäuschten Sinns

Bei solcher Jugend.« Hast du mirs denn nicht

Dann später so erzählt? Es reizte dich!

Mir war es mehr als dieses Blut und Hirn!

Und sattgespielt warfst du die Puppe mir,

Mir zu, ihr ganzes Bild vom Überdruß

In dir entstellt, so fürchterlich verzerrt,

Des wundervollen Zaubers so entblößt,

Die Züge sinnlos, das lebendge Haar

Tot hängend, warfst mir eine Larve zu,

In schnödes Nichts mit widerlicher Kunst

Zersetzend rätselhaften süßen Reiz.

Für dieses haßte endlich ich dich so,

Wie dich mein dunkles Ahnen stets gehaßt,

Und wich dir aus.

Dann trieb mich mein Geschick,

Das endlich mich Zerbrochnen segnete

Mit einem Ziel und Willen in der Brust –

Die nicht in deiner giftgen Nähe ganz

Für alle Triebe abgestorben war –

Ja, für ein Hohes trieb mich mein Geschick

In dieser Mörderklinge herben Tod,

Der mich in einen Straßengraben warf,

Darin ich liegend langsam moderte

Um Dinge, die du nicht begreifen kannst,

Und dreimal selig dennoch gegen dich,

Der keinem etwas war und keiner ihm.


Er geht ab.


CLAUDIO.

Wohl keinem etwas, keiner etwas mir.


Sich langsam aufrichtend.


Wie auf der Bühn ein schlechter Komödiant –

Aufs Stichwort kommt er, redt sein Teil und geht,

Gleichgültig gegen alles andre, stumpf,

Vom Klang der eignen Stimme ungerührt

Und hohlen Tones andre rührend nicht:

So über diese Lebensbühne hin

Bin ich gegangen ohne Kraft und Wert.

Warum geschah mir das? Warum, du Tod,

Mußt du mich lehren erst das Leben sehen,

Nicht wie durch einen Schleier, wach und ganz,

Da etwas weckend, so vorübergehen?

Warum bemächtigt sich des Kindersinns

So hohe Ahnung von den Lebensdingen,

Daß dann die Dinge, wenn sie wirklich sind,

Nur schale Schauer des Erinnerns bringen?

Warum erklingt uns nicht dein Geigenspiel,

Aufwühlend die verborgne Geisterwelt,

Die unser Busen heimlich hält,

Verschüttet, dem Bewußtsein so verschwiegen,

Wie Blumen im Geröll verschüttet liegen?

Könnt ich mit dir sein, wo man dich nur hört,

Nicht von verworrner Kleinlichkeit verstört!

Ich kanns! Gewähre, was du mir gedroht:

Da tot mein Leben war, sei du mein Leben, Tod!

Was zwingt mich, der ich beides nicht erkenne,

Daß ich dich Tod und jenes Leben nenne?

In eine Stunde kannst du Leben pressen,

Mehr als das ganze Leben konnte halten,

Das schattenhafte will ich ganz vergessen

Und weih mich deinen Wundern und Gewalten.


Er besinnt sich einen Augenblick.


Kann sein, dies ist nur sterbendes Besinnen,

Heraufgespült vom tödlich wachen Blut,

Doch hab ich nie mit allen Lebenssinnen

So viel ergriffen, und so nenn ichs gut!

Wenn ich jetzt ausgelöscht hinsterben soll,

Mein Hirn von dieser Stunde also voll,

Dann schwinde alles blasse Leben hin:

Erst, da ich sterbe, spür ich, daß ich bin.

Wenn einer träumt, so kann ein Übermaß

Geträumten Fühlens ihn erwachen machen,

So wach ich jetzt, im Fühlensübermaß,

Vom Lebenstraum wohl auf im Todeswachen.


Er sinkt tot zu den Füßen des Todes nieder.


DER TOD indem er kopfschüttelnd langsam abgeht.

Wie wundervoll sind diese Wesen,

Die, was nicht deutbar, dennoch deuten,

Was nie geschrieben wurde, lesen,

Verworrenes beherrschend binden

Und Wege noch im Ewig – Dunkeln finden.


Er verschwindet in der Mitteltür, seine Worte verklingen. Im Zimmer bleibt es still. Draußen sieht

man durchs Fenster den Tod geigenspielend vorübergehen, hinter ihm die Mutter, auch das Mädchen, dicht bei ihnen eine Claudio gleichende Gestalt.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979.
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Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

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