Zweite Szene


[478] Jaromir und Melanie kommen aus dem Park.


MELANIE. Hier ist jemand gesessen und bei unserem Näherkommen aufgestanden. Es war entweder die Marie Am Rain oder es war Ihre Frau. In jedem Fall ist das sehr sonderbar. Wenn man es harmlos auffaßt, daß zwei Menschen miteinander durch den Park gehen, so bleibt man sitzen, bis sie herangekommen sind.

JAROMIR. Es war in gar keinem Fall die Marie, die hier gesessen und bei unserem Kommen aufgestanden ist. Es war unbedingt meine Frau.

MELANIE. Warum soll es nicht Ihre Freundin Marie gewesen sein? Ich habe das deutliche Gefühl gehabt, daß es jemand ist, der uns in einer offensichtlichen Weise aus dem Weg geht!

JAROMIR. Das kann nicht die Marie gewesen sein, es ist Schirokko.

MELANIE sieht ihn an.

JAROMIR. Sie hat an einem solchen Morgen unfehlbar Migräne und muß bis Mittag in ihrem Zimmer bleiben.

MELANIE. Es geht doch fast kein Wind.

JAROMIR. Es muß kein Wind gehen, wenn die Luft so glänzt, dann ist Schirokko. Dann sehen die Blumen und die Bäume schöner aus als je – – Übrigens auch die Frauen. Das Weiße in Ihren Augen hat einen ganz anderen Glanz, Näher. und die Perlen an so einem Hals nehmen einen feuchten Schmelz an, der unbegreiflich ist. Man weiß nicht, sind es die Perlen, die der Haut so gut stehen, oder umgekehrt. Noch näher. Und während viele Menschen in solcher Luft abgeschlagen sind und lauter traurige Gedanken haben, erweckt diese Luft in anderen, zum Beispiel in mir, ein unbeschreibliches Wohlgefühl und ich begreife mich selber nicht, das heißt, ich begreife mich sehr gut, aber ich begreife nicht, daß es überhaupt Zeiten gibt, Wochen, Monate, wo man die Geduld[478] hat, auf etwas zu warten, das sich in Wochen oder Monaten ereignen soll, während doch schon ein ganz unbegreifliches Maß von Geduld dazu gehört, sich zu sagen, daß man frühestens heute gegen Abend –

MELANIE weicht ihm aus und sieht verstohlen überall hin, ob sie nicht beobachtet werden. Ich glaube, Sie haben mich auf etwas aufmerksam gemacht, und ich gehöre zu den Menschen, die diese Luft eher auf unangenehme Gedanken bringt. Es war mir zum Beispiel gestern abend noch ganz gleichgiltig, daß Ihre Freundin Marie wieder hier ist. Aber heute ärgert es mich, daß diese blasse Märtyrerin überall dort auftaucht, wo ich Sie treffe.

JAROMIR. Daß Sie voriges Jahr in Gebhartsstetten war, ist ein bloßer Zufall gewesen.

MELANIE. Es gibt keine Zufälle. Ich hab mir auch gestern abend noch keine Gedanken darüber gemacht, daß Sie mir auf der Veranda unter dem Vorwand, mir die Plejaden zu zeigen, gesagt haben, daß Ihre arme kleine Frau bis heute nichts davon weiß, wie oft wir uns im April in Gebhartsstetten getroffen haben.

JAROMIR. Es ist ganz überflüssig, daß sie es erfahren sollte.

MELANIE. Aber heute erscheinen mir alle diese Dinge in einem höchst unangenehmen Zusammenhang. Auf diese Art bin ich ja von der Diskretion Ihrer schmachtenden Freundin abhängig.

JAROMIR. Die gute Marie hat keine Ahnung von uns beiden.

MELANIE. Ich finde dieses junge Mädchen unglaublich! Hat sie nicht genug mit der Publizität, die Ihr Roman ihr gegeben hat? Will sie sich noch ein bißchen mehr kompromittieren?

JAROMIR. Sie ist ein Engel an Güte! Sie ist nicht imstande, irgend etwas, das von mir ausgeht, in dem häßlichen Licht zu sehen, in dem, wie es scheint, die Welt die Dinge sieht. Sie denkt nicht daran, in einer erfundenen, aus meiner Phantasie entsprungenen Figur sich wiederzuerkennen, und ist über alles Getratsch erhaben.

MELANIE. Ich bin aber leider nicht Nachtwandlerin genug, um über die ganze Welt erhaben zu sein. Ich hoffe, daß das, was Sie schreiben, sich in keiner noch so entfernten Weise[479] mit mir befaßt. Jaromir, ich hoffe, Sie erinnern sich immer an das, was Sie mir im April in dieser Beziehung geschworen haben!


Theodor erscheint auf der Terrasse, macht sich dort zu schaffen, dann verschwindet er wieder.

Melanie, durch das Erscheinen Theodors irritiert, macht eine zornige Bewegung.


JAROMIR. Du bist über alle Maßen reizend, wenn du zornig bist, und es ist außerdem von einer herrlichen Vorbedeutung.

MELANIE. Was heißt das?

JAROMIR. Immer waren die Vormittage so, auf die dann ein besonders entzückender Abend gefolgt ist. Denk an Gebhartsstetten, an das Aprilwetter, an die finstere Jagdhütte!

MELANIE. Damals habe ich Angst gehabt, dich zu verlieren an diese unverschämte Amerikanerin, und zugleich Angst vor meinem Mann!

JAROMIR. Ganz verfahrene Situationen sind deine Stärke! Dann wirst du absolut wunderbar! Deine Augen werden größer, deine Lippen verwandeln sich, deine Hände, dein Gesicht! Wer dich so nicht gesehen hat, hat keine Ahnung, wer du bist!

MELANIE. Schwör mir, daß du damals nichts notiert hast!

JAROMIR. Damals, in diesen himmlischen Minuten? Bist du denn närrisch, mein Schatz?

MELANIE. Aber du könntest etwas notieren. Du wärst imstande, für einen Roman, eine Novelle!

JAROMIR. Aber nein, niemals!

MELANIE. Ach!

JAROMIR. Was hast du?

MELANIE. Dort hinter der Glastür, der Franz schaut auf uns!

JAROMIR. Soll er! er hat uns oft genug miteinander gesehen.

MELANIE. Warum geht Ihr Diener Franz immer dort hin und her? Früher hab ich ihn dort drüben im Gebüsch gesehen.

JAROMIR. Mein Gott, er wird halt irgend etwas zu tun haben.

MELANIE. Ich kenne ihn zu gut, Ihren Franz. Er hat nie etwas Harmloses zu tun, dazu war er zu lange in Ihren Diensten. Er ängstigt mich, er weiß zu viel von mir. Schicken Sie ihn für ein paar Tage fort von hier.[480]

JAROMIR. Das kann ich nicht. Er ist gar nicht mehr mein Diener, sondern der meiner Mutter.

MELANIE. Haben Sie gesehen, wie er jetzt auf mich herabschaut? Ich fühle, er legt mir einen Hinterhalt, und ich werde ihm sicher hineinfallen. Ich habe heute nacht von ihm geträumt, ich weiß nicht mehr was, aber etwas Unangenehmes. Er ist zu sehr verknüpft mit allem Aufregenden, das ich um Ihretwillen erlebt habe. Ich sehe überhaupt nur mehr ihn, wenn ich mich an Sie erinnere.

JAROMIR. Ich danke Ihnen sehr.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 478-481.
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