Prolog

Es treten vor den noch herabgelassenen Vorhang der Dichter und sein Freund: Der Dichter trägt gleich den Personen seines Trauerspiels die florentinische Kleidung des fünfzehnten Jahrhunderts, völlig schwarz mit Degen und Dolch, in der Hand hält er den Hut aus schwarzem Tuch mit Pelz verbrämt; sein Freund ist sehr jung, hoch gewachsen und mit hellem Haar, er trägt die venezianische Kleidung der gleichen Zeit, als einzige Waffe einen kleinen vergoldeten Dolch rückwärts über der Hüfte, am Kopf eine kleine smaragdgrüne Haube mit einer weißen Straußenfeder; sie gehen langsam längs des Vorhanges, schließlich mag sich auch der Dichter auf einer kleinen im Proszenium vergessenen Bank niederlassen, sein Freund zuhörend vor ihm stehenbleiben. Ihr Abgang ist, ehe der Vorhang aufgeht, in die vorderste Kulisse.


DER DICHTER.

Nein, im Bandello steht sie nicht, sie steht

Woanders, wenn du einmal zu mir kommst,

Zeig ich dir, wo sie steht, die ganz kleine

Geschichte von Madonna Dianora.

Sie ist nicht lang, sie wird auch hier nicht lang:

Geschrieben hab ich grad drei Tage dran,

Drei Tage, dreimal vierundzwanzig Stunden.

Bin ich nicht wie ein Böttcher, der sich rühmt,

Wie schnell er fertig war mit seinem Faß?

Allein ich lieb es, wenn sich einer freut,

Weil er sein Handwerk kann; was heißt denn Kunst?

Auf ein Geheimes ist das ganze Dasein

Gestellt und in geheimen Grotten steht

Ein Tisch gedeckt, der einzige, an dem

Nie ein Gemeiner saß: da sitzen alle

Die Überwinder: neben Herakles

Sitzt einer in der Kutte, der mit Händen

Von Wachs und doch von Stahl in tausend Nächten[327]

Den Thron erschuf, in dessen Rückenlehne

Aus buntem Holz die herrlichsten Geschichten

Zu leben scheinen, wenn ein Licht darauf fällt.

Und neben diesem Zaubrer wieder sitzt

Ein längst verstorbner Bursch aus einem Dorf:

Er war der schönste und der gütigste;

Die Furche, die er zog mit seinem Pflug,

War die geradeste, denn mit der Härte

Des unbewußten königlichen Willens

Lag seine Hand am Sterz des schweren Pfluges.

Und noch ein schwacher Schatten seiner Hoheit

Lebt fort in allen Dörfern des Geländes:

Wer König ist beim Reigenspiel der Kinder,

Dem alle nachtun müssen was er tut

Und folgen wenn er geht, den nennen sie,

Und wissen nicht warum, mit seinem Namen

Noch heute, und so lebt sein Schatten fort.

Und neben diesem sitzen große Könige

Und Heeresfürsten, die mit einer Faust

Den Völkern, die sich bäumten, in die schaum-

Bedeckten Zäume greifend und zu Boden

Die wilden Nüstern zwingend in den Sattel

Den eigenen goldumschienten Leib aufschwangen,

Und andre, Städtegründer, die, den Lauf

Der Flüsse hemmend, von getürmten Mauern

Mit ihrer Gärten Wipfeln nach dem Lauf

Der niedern Sterne langten, und mit Schilden,

Darauf die Sonne fiel, hoch über Länder

Und heilige Ströme hin, die Zeichen tauschten

Mit ihren Wächtern in den Felsenburgen,

Verächter dessen, was unmöglich schien.

Und zwischen diesen Fürsten ist der Stuhl

Gesetzt für einen, der dem großen Reigen

Der Erdendinge, wandelnd zwischen Weiden,

Zum Tanz aufspielte abends mit der Flöte,

Der Flügel trug von Sturm und dunkeln Flammen.

Und wieder ist ein Stuhl gesetzt für den,

Der ging und alle Stimmen in der Luft[328]

Verstand und doch sich nicht verführen ließ

Und Herrscher blieb im eigenen Gemüt

Und als den Preis des hingegebenen Lebens

Das schwerlose Gebild aus Worten schuf,

Unscheinbar wie ein Bündel feuchter Algen,

Doch angefüllt mit allem Spiegelbild

Des ungeheuern Daseins, und dahinter

Ein Namenloses, das aus diesem Spiegel

Hervor mit grenzenlosen Blicken schaut

Wie eines Gottes Augen aus der Maske.

Für jeden steht ein Stuhl und eine Schüssel,

Der stärker war als große dumpfe Kräfte:

Ja von Ballspielern, weiß ich auch, ist einer,

Der Zierlichste und Stärkste, aufgenommen,

Dem keiner je den Ball zurückgeschlagen,

Auch nicht ein Riese, und er spielte lächelnd

Als galt es Blumenköpfe abzuschlagen.

Doch hab ich einen Grund, nicht zu vergessen,

Daß ich dies kleine Ding in einem Fenster

In zweiundsiebzig Stunden Vers auf Vers

Zu Ende trieb mit heißgewordenem Griffel.

In einem fahlen Lichte siehst du Tage

Wie diese drei in der Erinnerung liegen

Dem Lichte gleich, in dem die Welt daliegt,

Wenn du vor Tag aufwachst, ein leichter Regen

Aus schlaffen Wolken fällt und deine Augen

Noch voller Nacht und Traum das offene Fenster

Und diese Bäume ohne Licht und Schatten

Zu sehn befremdet und geängstigt sind

Und doch sich lang nicht schließen können, so

Wie wenn sie keine Lider hätten. Wenn du

Zum zweiten Mal im hellen Tag erwachend

Aus allen Spiegeln grün und goldnen Glanz

Bewegter Blätter und den Lärm der Vögel

Entgegennimmst, dann ist es sonderbar,

Sich jener bleichen Stunde zu entsinnen:

So waren diese zweiundsiebzig Stunden,

Und wie der Taucher aus dem fahlen Licht[329]

Ans wirkliche, so tauchte ich empor

Und holte Atem und berührte mit

Entzückten Fingern einen frischen Quell,

Den Flaum auf jungen Pfirsichen, die Köpfe

Von meinen Hunden, die sich um mich drängten.

Und da ich die Erinnrung an die drei

Dem Leben fremden Tage nun nicht liebte,

Versank sie und die Wellen trugen mich

Du weißt wohin ... Es trugen wirklich mich

Die Wellen hin, denn weißt dus oder nicht:

Sie können von der unteren Terrasse

Mit Angeln fischen, aus den Zimmern selber,

Und steigst du aus den oberen Gemächern,

Trägt dich ein Hügel, Bergen angegliedert.

Dort gingen mir die schönen Tage hin

Und nahmen einer aus des andren Händen

Den leichten Weinkrug und den Ball zum Spielen.

Bis einer kam, der ließ die Arme sinken

Und wollte nicht den Krug und nicht den Ball,

Und schmiegte seinen Leib in ein Gemach,

Die Wange lehnend an die kühlste Säule

Und horchend wie das Wasser aus dem Becken

Herunter fällt und über Efeu sprüht.

Denn es war heiß. Wir hatten ein Gespräch,

Aus dem von dunkeln und von hellen Flammen

Ein schwankes Licht auf viele Dinge fiel,

Indes der heiße Wind am Vorhang spielend

Den grellen Tag bald herhielt, bald versenkte.

Und unter diesem schattenhaften Treiben

Las ich mein Stück, sie wolltens, ihnen vor,

Und mit den bunten Schatten dieser Toten

Belud ich noch die schwere schwüle Luft.

Und als ich fertig war und meine Blätter

Zusammennahm, empfand ich gegen dies

Wie einen dumpfen Zorn und sah es an,

Wie der Ermüdete die Schlucht ansieht,

Die ihm zuviel von seiner Kraft genommen

Und nichts dafür gegeben: denn sie war[330]

Gestein und Schatten von Gestein, sonst nichts,

Darin er klomm, und wußte nichts vom Leben.

Dann gingen, nur ein Zufall, alle andern

Aus diesem Zimmer, irgendwas zu holen,

Vielmehr hinunter nach dem See, ich weiß nicht,

Genug, ich blieb allein und lehnte mich

In meinem Stuhl zurück und unbequem,

Allein den Nacken doch an kühlen Stein

Gelehnt und grüne Blätter nah der Stirn,

Schlief ich auf einmal ein und träumte gleich.

Dies war der Traum: Ich lag ganz angekleidet

Auf einem Bett in einer schlechten Hütte.

Es blitzte draußen und ein großer Sturm

War in den Bergen und auf einem Wasser.

Ein Degen und ein Dolch lag neben mir,

Ich lag nicht lang, da schlug es an die Tür,

Wie mit der Faust, ich öffnete, ein Mann

Stand vor der Tür, ein alter Mann, doch stark,

Ganz ohne Bart mit kurzem grauem Haar;

Ich kannte ihn und konnte mich nur nicht

Besinnen, wo ich ihn gesehn und wer

Es war. Allein das kümmerte mich nicht.

Und auch die Landschaft,

Die jeden Augenblick einen Blitz auswarf,

Mir völlig fremd und wild mit einem Bergsee,

Beängstigte mich nicht. Der alte Mann

Befahl mir, wie ein Bauer seinem Knecht:

Hol deinen Dolch und Degen, und ich ging.

Und als ich wiederkam, da hatte er

Im Arm, gewickelt in ein braunes Tuch,

Den Leib von einer Frau, die fester schlief

Als eine Tote und mir herrlich schien.

Nun ging der Mann mit seiner Last voran

Und ich dicht hinter ihm herab zum See,

Durch einen steilen Hohlweg voll Gerölle.

Bald kamen wir ans Wasser, stampfend hing

Dort eine schwere Plätte in dem Dunkel,

Ich wußte, solche Plätten haben sie[331]

Hier in der Gegend, die gebrochenen Steine

Aus dem Gebirg herabzuführen, weil

Der See sich dann als Fluß hinab ergießt.

Ich sah beim Blitz, woran die Plätte hing:

Zwei Knechte hielten mit entblößten Armen

Mit aller Kraft die wilden nackten Wurzeln

Der großen Ufertannen fest, die Plätte

Ging auf und nieder, doch ich konnte hören

Am Niederstampfen, daß sie furchtbar schwer war.

Der Alte stieg hinein, dann ich, er ließ

Die Schlafende zu Boden gleiten, schob

Das Tuch ihr untern Kopf, ergriff die Wurzeln

Und schwang sich auf und stieß mit seinem Fuß

Mit ungeheuerer Kraft das Schiff ins Freie.

Die Knechte hingen schon mit ganzem Leib

Am Steuerruder, dann bemerkte ich

Das sonderbare Kleid der jungen Frau:

Es war die braune Kapuzinerkutte,

Nur um den Hals ein breiter weißer Kragen

Von feinen Spitzen und ein schöner Gürtel

Mit goldenen Schildern um den schmalen Leib.

Und augenblicklich wußte ich, das ist

Die Tracht, wie sie sie noch in sieben Dörfern

Jenseits des Waldes tragen müssen wegen

Des Pestgelübdes. Aber ihr Gesicht

War wundervoll gemischt mich zu ergreifen:

Mit Lidern, die ich kenne, deren Anblick

In mir Erinnerungen löste, wie

Ein Licht in einem Abgrund, oder Lippen

So fein gezogen, doch so süß geschwellt

Wie ich sie nie gesehen und über alles

Verlangend wär zu sehn, auch nur zu sehen!

Ich konnte alles sehn, die Blitze kamen

So oft wie einer mit den Wimpern zuckt.

Mit dieser war ich nun allein, doch nicht

Allein, drei Schritte hinter meinem Rücken

Stand mit der Kette um die dicken Hörner,

Mit wilden Augen, ungeheurem Nacken[332]

Ein Stier, die Kette hielt ein Knecht dreimal

Um seinen Arm gewunden. Dieser Knecht

War klein und stämmig und mit rotem Haar.

Und weiter vorne, wo die schwere Plätte

Mit unbehau'nen Platten roten Steins

Beladen war, saß noch ein andrer Gast:

Erinnerst du dich des blödsinnigen

Zerlumpten Hirten, der einmal beim Reiten

Mit gellendem Geschnatter aus der Hecke

Vorspringend uns die Pferde so erschreckte?

Der wars, nur noch viel größer und viel wilder,

Und von den Lippen floß ihm so wie jenem

Die wirre Rede wie ein wütend Wasser

In einer Sprache, deren Laute gurgelnd

Einander selbst erwürgten. Und ich wußte –

Ich wußte wieder! – Rätisch redet der,

Ist aus den Wäldern, wo sie Rätisch reden,

Und immerfort verstand ich was er meinte.

Er gab mir Rätsel auf, er schrie: Wo sind

Die tausend Jungfern, mehr als tausend Jungfern,

Weihwasser geben sie einander, wo?

Und sonderbar, in diesem Augenblick

Triebs uns am Ufer hin, dort hing ein Haus

Mit fahlen Mauern hart am jähen Ufer,

Von dessen steilem Schindeldach der Regen

Herunterschoß, da wußte ich sogleich:

Die Schindeln meinte er. Dann fing er an

Und sprach die Zaubersprüche, die sie haben

Ihr Vieh zu schützen, doch ich hörte ihm

Schon nicht mehr zu und könnt ihn auch nicht sehen.

Die Blitze hatten aufgehört, der Sturm

War nicht so laut, doch nunmehr trieben wir

Mit einer so entsetzlichen Gewalt,

Daß nicht mehr Stampfen, nur das dumpfe Schleifen

Durchs Wasser hin zu hören war, und plötzlich

Sah ich vor uns aus der pechschwarzen Nacht

Ein graues riesiges Gebild, ich wußte,

Es waren Wolken, aber gleich dahinter[333]

Die Klippen, wußte, Wirbel sind zur Linken,

Die Spitze aber rechts, hier wendet sichs,

Weil sich der See verengt und in das Bette

Des Flusses wild hinunter will. Ich schrie:

Nach links! Die Knechte lachten, kam mir vor.

Ich warf den Dolch nach ihnen, pfeifend flog er

Und schnitt dem einen hart am Ohr vorbei,

Sie stemmten sich nach rechts, das Schiff ging links

Und fing zu drehen an, da hub der Stier

Zu stampfen an und schlug mit seinen Hufen

Den Rand des Schiffes und er brüllte dröhnend,

Indes der Hirt ein wunderliches Lied

Anfing mit einem Abzählreim, so wie's

Die Kinder machen, und der Reim ging aus

Auf mich. Indessen weiter trieben wir

Und es war heller, kam mir vor, wir trieben

In einem tiefen eingerißnen Tal,

Ich fühlte, daß es nur der Anfang war ...

Was jetzt kommt ging in einem, schneller als

Ich es erzählen kann, ging alles dies

Und tausend Dinge mehr noch durcheinander

Und dauerte doch endlos lang, begann

An jeder Klippe, jeder Biegung neu;

Ich wußte immerfort, das Gleiche war

Ja schon einmal, das hab ich schon erlebt

Und dennoch warfs der Abgrund immer neu

Und immerfort verändert wieder aus.

Die Strömung riß uns hin, zuweilen kam

Aus einem Seitental ein jäher Wind

Und immer schneller lief es zwischen Felsen.

Mit welchen Sinnen ich den Weg erriet,

Die Plätte in dem tiefen Streif zu halten,

Kaum breiter als sie selbst, das weiß ich nicht,

Denn alle Sinne waren überwach,

So überschwemmt vom Leben wie ichs nicht

Dir sagen kann ...

Ich konnte mit geschlossenen Augen fühlen

Den Weg im Wasser, den wir nehmen mußten.[334]

Ich wußte, welchen feuchten Pfad die Aale

Hinglitten, wenn sie sich aus dem Getöse

Zu flüchten eine still geschloßne Bucht

Mit flachem Ufer suchen. Alle Schwärme

Der schattenhaft hingleitenden Forellen

Fühlt ich hinan die klaren Bäche steigen

Bis an die Falten des Gebirges, fühlen

Könnt ich ihr Gleiten über freigespültes

Hier rot hier weißlich schimmerndes Gestein ...

Die Lager wußt ich, tiefer als die Wurzeln

Der starken Eichen, wo im weichen Ton

Ein Glimmerndes mit funkelnden Granaten

Im tiefen Bette eingewühlt da liegt,

Wie schöne Mäntel eingesunkener Schläfer.

Dem Wind, wenn er mich anblies, fühlt ich an,

Ob er hervorgeflogen aus dem Dickicht

Der Lärchen war, ob von den leeren Halden

Und weißen Brüchen nackter harter Steine.

Und unaufhörlich, wenn bei mir im Schiff

Der Stier mit vorgestreckten Nüstern brüllte,

So spürte ich, wie auf den fernen Triften

Im dunkelsten Gebirg die jungen Kühe

Sich auf die Knie erhoben, völlig dann

Auf ihre Füße sprangen und durchs Dunkel

Hinliefen und die Luft der Nacht einsogen.

Indessen war der Fluß, auf dem wir fuhren,

Breiter geworden und ein Tag brach an

Von so ersticktem Halblicht wie der Tag

Aussehen mag am Grund von tiefem Wasser.

Am Ufer waren Bauten: starke Mauern

In breiten Stufen, welche Bäume trugen.

Von diesen wußt ich alles: jeden Stein,

Wie er gebrochen war und wie gefügt,

Und spürte, wie die andern auf ihm lagen,

Und wie du deine Hände spürst, wenn du sie

Ins Wasser hältst, so spürte ich die Schatten

Der Tausende von Händen, die einmal

Hier Steine schichteten und Mörtel trugen,[335]

Von Tausenden von Männern und von Frauen

Die Hände, manche von ganz alten Männern,

Von Kindern manche, spürte wie sie schwer

Und müde wurden und wie eine sich

Schlafsüchtig öffnete und ihre Kelle

Zu Boden fallen ließ und dann erstarrte

Im letzten Schlaf. Und unter meinen Füßen

Die Fische und auf ihren feuchten Triften

Die jungen Kühe, die den Boden stampften,

Auf stundenweiten Triften, und der Wind,

Von dem ich wußte wie er kam und ging,

Und neben mir der Narr mit wildem Mund!

Er schwieg nicht einen Augenblick: Ja ja,

Schrie er einmal, die Frauen und die Pferde,

Die wissen nicht, wo sich die Grube heben,

Ein Mann der weiß sein Grab, der weiß sein Grab.

Dann kam viel vor vom Volk und Zorn des Volkes

Und tausend andres und ich wußte alles,

Und immerfort bei allen seinen Reden,

Dem fremden wirren Zeug, war mir, als ob sichs

Auf mich bezöge und mein Leben. Und

Auch jene namenlosen andern Dinge

Im Wasser, an den Ufern, in der Luft

Bezogen sich auf mich und diese Frau,

Die mir zu Füßen schlief, und wie ihr Anblick

Mir durch den Leib schnitt gleich sehnsüchtger Lust,

So griffen unaufhörlich diese Reden

Des Narren, ja die Fische, die sich schnellten,

Die schattenhaften Hände, die dort bauten,

Die Tiere, die verlangend brüllten, in mich

Hinein und lösten dunkle Teile los

In meinem Innern und entbanden Schauer

Völlig vergessener Tage, schwankende

Durchblicke, namenlose Möglichkeiten. –

Dich schwindelt schon, und doch, indem ich rede,

Fühl ich als rieselte es ab von mir,

Und wenig ist es, unaufhörlich gehts

Verloren, ist fast nichts, was ich erzähle![336]

Wie wenn sich einer, aus den stärksten Wellen

Des wilden Bades tauchend, einen Zweig

Umklammernd schnell ans Ufer hebt und steht

In Wind und Sonne, so ist es mit dem

Verglichen, was ich träumte.

Wie lang dies dauerte, das weiß ich nicht;

Nur unaufhörlich wars, wie aus dem Berge

Ein Wasserfall. Wir legten dann einmal

An einem öden Ufer an und dort

So gegen Abend stieg der mit dem Stier

Hinaus und trieb sein Tier hinein ins Land,

Doch weiß ich nicht, war dies am ersten Abend,

Denn eine zweite Nacht kam jedenfalls

Noch wunderbarer als die erste, denn

Der Wind fing wieder an, doch zwischen Wolken,

Seltsamen Wolken, hingen da und dort

Die Sterne, und durch dies Gewebe bebte

Ein sanftes Blitzen von grüngoldnem Licht.

Auch der verrückte Hirte muß uns dann

Verlassen haben, denn am Ende, weiß ich,

War er nicht da und auch die Knechte nicht,

Das Schiff glitt lautlos hin, ich hatte leicht

Die eine Hand am Steuerruder liegen,

So trieben wir noch einen solchen Tag

Mit halbem fahlem Licht wie unterm Wasser,

Und immer bebten meine Pulse voll

Mit allem Lebenden der ganzen Landschaft.

Dann kam ein Abend ... oder wars ein Morgen?

Rings lag ein Nebel, doch ein lichter Nebel,

Ein Morgen muß es doch gewesen sein,

Da bog der Fluß sich um und eine Mulde

Lag an dem einen Ufer und ein Gitter

Von einem Garten lief bis an das Wasser,

Und ungewiß im Nebel wie der Eingang

Zu einer Höhle tat der runde Mund

Von einem großen Laubengang sich auf.

Im Nebel gingen Menschen hin und her,

Ein Diener lief herab und schrie: Er ists![337]

Die andern kamen, Freunde, alle Freunde,

Auch du, auftauchend aus dem dichten Nebel

Wie Schwimmer und dahinter liebe Bäume,

Die Bäume meines Hauses und der Gang,

Der offne Bogengang von meinem Haus,

Und wie sich alle diese lieben Hände

Vom Ufer auf den Rand der Plätte legten,

Da dehnte sich die liebliche Gestalt,

Die mir zu Füßen lag, so wie ein Kind

Vor dem Erwachen; ja sie hatte sich

Die letzte Nacht gewendet, daß sie jetzt

Mit dem Gesicht auf beiden Händen lag.

Nun fühlte ich mit einem grenzenlosen

Entzücken, wie der starre Schlaf sie ließ,

Das Leben fühlte ich durch zarte Schultern

Zum Nacken hin und in die Kehle fließen

Und wie es nach den Hüften niederlief:

Und wiederum war alles dies zugleich: –

Dies Fühlen, das mir ihren jungen Leib

In mich hinein so legte wie in eine

Bewußte fühlende belebte Gruft,

Und wundervolles anderes Bewußtsein

Von eurer Nähe, aller meiner Freunde.

Und wie mein alter Diener neben dir

Mit einer Stimme, die von Regung bebte,

Dies flüsterte: Nach zweiundsiebzig Stunden

Ist er zurück! da fühlte ich das Beben

In meiner eigenen Kehle, und im Innern

Empfand ich dein Gefühl, mit dem dus hörtest,

Und bückte mich mit mehr als trunkenen Händen,

Die Schultern der Erwachenden empor

Zu ziehn, da werd ich selber an den Schultern

Emporgezogen und – bin wach! um mich

Die Freunde, denen ich das Stück gelesen,

Du nicht natürlich, und sie hielten mich,

Denn ich war vorgesunken auf dem Stuhl,

Wie einer, der sich bückt, was aufzuheben.

In meinen Augen war noch zu viel Traum,[338]

In meinen Ohren hatt ich noch das Wort

Von meinem Diener: Zweiundsiebzig Stunden,

Und fragte nur: So seid ihr schon zurück?

Sie waren noch nicht fortgewesen, nur

Im Nebenzimmer wieder umgekehrt,

Mich mitzunehmen. Nicht so viele Zeit

Als einen Krug zu füllen unterm Brunnen,

Und diese Fahrt! Ich nahm es für ein Zeichen,

Für eine dumpfe Widerspiegelung

Des andern traumerfüllten Einsamseins,

Das wirklich zweiundsiebzig Stunden währte.

Zwar wirklich? haben wir ein Maß für wirklich? ...

Du meinst, es war auch ein Bild im Einzelnen?

Ein großes Gleichnis? Nun, kann sein, auch nicht!

Gleichviel, bei solchem Treiben der Natur

Ist eine tiefre Bildlichkeit im Spiel,

Denn ihr ist alles Bild und alles Wesen.

Allein es war ein Wink: sie gibt das Leben

Von tausend Tagen wenn sie will zurück,

Indessen du dich bückst um eine Frucht.


Nun müssen wir wohl gehn, ich hör schon rückwärts,

Wie sie zusammenstellen Haus und Garten

Aus Holz und Leinwand, Schatten eines Traumes! –

Es war mir beinah lieber, wenn nicht Menschen

Dies spielen würden, sondern große Puppen,

Von einem ders versteht gelenkt an Drähten.

Sie haben eine grenzenlose Anmut

In ihren aufgelösten leichten Gliedern

Und mehr als Menschen dürfen sie der Lust

Und der Verzweiflung selber sich hingeben

Und bleiben schön dabei. Da müßte freilich

Ein dünner Schleier hängen vor der Bühne.

Auch anderes Licht. Doch komm, wir müssen gehen.
[339]


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 327-340.
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