Oper


Ariadne vor der Höhle auf dem Boden, regungslos. Najade links. Dryade rechts. Echo rückwärts an der Wand der Grotte.


NAJADE.

Schläft sie?

DRYADE.

Schläft sie?

NAJADE.

Nein! sie weinet!

DRYADE.

Weint im Schlafe! horch! sie stöhnet.

ZU ZWEIEN.

Ach! so sind wir sie gewöhnet.

NAJADE.

Tag um Tag in starrer Trauer.

DRYADE.

Ewig neue bittre Klagen.

NAJADE.

Neuen Krampf und Fieberschauer.

DRYADE.

Wundes Herz auf ewig, ewig –

ECHO.

Ewig! Ewig!

DRYADE.

Unversöhnet!

ZU DREIEN.

Ach, wir sind es eingewöhnet.

Wie der Blätter leichtes Schaukeln,

Wie der Wellen sanftes Gaukeln

Gleitets über uns dahin. –

Ihre Tränen, ihre Klagen,

Ach, seit wieviel, wieviel Tagen,

Sie beschweren kaum den Sinn!

ARIADNE an der Erde.

Wo war ich? tot? und lebe, lebe wieder

Und lebe noch?

Und ist ja doch kein Leben, das ich lebe!

Zerstückelt Herz, willst ewig weiter schlagen?


Richtet sich halb auf.


Was hab ich denn geträumt? Weh! schon vergessen!

Mein Kopf behält nichts mehr;

Nur Schatten streichen

Durch einen Schatten hin.

Und dennoch, etwas zuckt dann auf und tut so weh!

Ach!

ECHO.

Ach!


In der Kulisse.


HARLEKIN.

Wie jung und schön und maßlos traurig!

ZERBINETTA.

Von vorne wie ein Kind, doch unterm Aug wie dunkel!

BRIGHELLA, TRUFFALDIN.

Und schwer, sehr schwer zu trösten, fürchte ich!

ARIADNE ohne ihrer irgendwie zu achten; vor sich, monologisch.

Ein Schönes war, hieß Theseus-Ariadne

Und ging im Licht und freute sich des Lebens!

Warum weiß ich davon? ich will vergessen!

Dies muß ich nur noch finden: es ist Schmach,

Zerrüttet sein, wie ich!

Man muß sich schütteln: ja, dies muß ich finden:

Das Mädchen, das ich war!

Jetzt hab ichs – Götter! daß ichs nur behalte!

Den Namen nicht – der Name ist verwachsen

Mit einem anderen Namen, ein Ding wächst

So leicht ins andere, wehe!

NAJADE, DRYADE, ECHO als wollten sie sie erinnern, wachrufen.

Ariadne!

ARIADNE abwinkend.

Nicht noch einmal! Sie lebt hier ganz allein,

Sie atmet leicht, sie geht so leicht,

Kein Halm bewegt sich, wo sie geht,

Ihr Schlaf ist rein, ihr Sinn ist klar,

Ihr Herz ist lauter wie der Quell:

Sie hält sich gut, drum kommt auch bald der Tag,

Da darf sie sich in ihren Mantel wickeln,

Darf ihr Gesicht mit einem Tuch bedecken

Und darf da drinnen liegen

Und eine Tote sein!


Sie träumt vor sich hin.

In der Kulisse.


HARLEKIN.

Ich fürchte, großer Schmerz hat ihren Sinn verwirrt.

ZERBINETTA.

Versucht es mit Musik!

BRIGHELLA, TRUFFALDIN.

Ganz sicher, sie ist toll!

ARIADNE ohne den Kopf zu wenden, vor sich; als hätte sie die letzten Worte in ihren Traum hinein gehört.

Toll, aber weise, ja! – Ich weiß, was gut ist,

Wenn man es fernhält von dem armen Herzen.

ZERBINETTA in der Kulisse.

Ach, so versuchet doch ein kleines Lied!

HARLEKIN in der Kulisse, singt.

Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen,

Alle Lust und alle Qual,

Alles kann ein Herz ertragen

Einmal um das andere Mal


Aber weder Lust noch Schmerzen,

Abgestorben auch der Pein,

Das ist tödlich deinem Herzen,

Und so darfst du mir nicht sein!


Mußt dich aus dem Dunkel heben,

Wär es auch um neue Qual,

Leben mußt du, liebes Leben,

Leben noch dies eine Mal!


Echo wiederholt seelenlos wie ein Vogel die Melodie von Harlekins Lied.

Ariadne unbewegt, träumt vor sich hin.


ZERBINETTA halblaut, parlando.

Sie hebt auch nicht einmal den Kopf.

HARLEKIN ebenso.

Es ist alles vergebens. Ich fühlte es während des Singens.


Echo wiederholt nochmals die Melodie.


ZERBINETTA.

Du bist ja ganz aus der Fassung.

HARLEKIN.

Nie hat ein menschliches Wesen mich so gerührt.

ZERBINETTA.

So geht es dir mit jeder Frau.

HARLEKIN.

Und dir vielleicht nicht mit jedem Mann?

ARIADNE vor sich.

Es gibt ein Reich, wo alles rein ist:

Es hat auch einen Namen: Totenreich.


Hebt sich im Sprechen vom Boden.


Hier ist nichts rein!

Hier kam alles zu allem!


Sie zieht ihr Gewand eng um sich.


Bald aber nahet ein Bote,

Hermes heißen sie ihn.

Mit seinem Stab

Regiert er die Seelen:

Wie leichte Vögel,

Wie welke Blätter,

Treibt er sie hin.

Du schöner, stiller Gott! sieh! Ariadne wartet!


Ach, von allen wilden Schmerzen

Muß das Herz gereinigt sein,

Dann wird dein Gesicht mir nicken,

Wird dein Schritt vor meiner Höhle,

Dunkel wird auf meinen Augen,

Deine Hand auf meinem Herzen sein.

In den schönen Feierkleidern,

Die mir meine Mutter gab,

Diese Glieder werden bleiben,

Schön geschmückt und ganz allein,

Stille Höhle wird mein Grab.

Aber lautlos meine Seele

Folget ihrem neuen Herrn,

Wie ein leichtes Blatt im Winde,

Folgt hinunter, folgt so gern.


Du wirst mich befreien,

Mir selber mich geben,

Dies lastende Leben,

Du nimmst es von mir.

An dich werd ich mich ganz verlieren,

Bei dir wird Ariadne sein.


Harlekin, verwegen; Brighella, jung, tölpelhaft; Scaramuccio, Gauner, fünfzigjährig; Truffaldin, alberner Alter; hinter ihnen Zerbinetta. Kommen von vorne auf die Bühne, schicken sich an, Ariadne durch einen Tanz zu erheitern. Zerbinetta bleibt seitwärts an der Kulisse. Echo, Najade, Dryade sind während Ariadnes Monolog verschwunden.


DIE VIER.

Die Dame gibt mit trübem Sinn

Sich allzusehr der Trauer hin.

Was immer Böses widerfuhr,

Die Zeit geht hin und tilgt die Spur.


Wir wissen zu achten

Der Liebe Leiden,

Doch trübes Schmachten,

Das wollen wir meiden.


Sie aufzuheitern,

Naht sich bescheiden

Mit den Begleitern

Dies hübsche Kind.


Sie tanzen.


Es gilt, ob Tanzen,

Ob Singen tauge,

Von Tränen zu trocknen

Ein schönes Auge.

Es trocknet Tränen

Die schmeichelnde Sonne.

Es trocknet Tränen

Der lose Wind:

Sie aufzuheitern

Befahl den Begleitern,

O traurige Dame,

Dies hübsche Kind.

ZERBINETTA indes die vier weitertanzen.

Wie sie sich schwingen,

Tanzen und singen,

Gefiele der eine

Oder der andere

Gefiele mir schon.


Doch die Prinzessin

Verschließt ihre Augen,

Sie mag nicht die Weise,

Sie liebt nicht den Ton.


Indem sie zwischen die vier Tänzer tritt.


Geht doch! Laßts doch! Ihr fallet zur Last!

DIE VIER indem sie weitertanzen.

Sie aufzuheitern,

Befahl den Begleitern,

O traurige Dame,

Das hübsche Kind!


Doch wie wir tanzen,

Doch wie wir singen,

Was wir auch bringen,

Wir haben kein Glück.

ZERBINETTA indem sie sie mit Gewalt fortdrängt.

Drum lasset das Tanzen,

Lasset das Singen,

Zieht euch zurück!

Zurück! Versteht ihr nicht! Ihr seid nur lästig!


Sie schafft sie weg.

Die vier ab, zwei nach rechts, zwei nach links.


ZERBINETTA beginnt mit einer tiefen Verneigung vor Ariadne.

Großmächtige Prinzessin, wer verstünde nicht,

Daß so erlauchter und erhabener Personen Traurigkeit

Mit einem anderen Maß gemessen werden muß

Als der gemeinen Sterblichen. – Jedoch


Einen Schritt nähertretend, doch Ariadne achtet in keiner Weise auf sie.


Sind wir nicht Frauen unter uns, und schlägt denn nicht

In jeder Brust ein unbegreiflich, unbegreiflich Herz?


Abermals näher, mit einem Knicks. Ariadne, ihrer nicht zu achten, verhüllt ihr Gesicht.


Von unserer Schwachheit sprechen,

Sie uns selber eingestehen,

Ist es nicht schmerzlich süß?

Und zuckt uns nicht der Sinn danach?

Sie wollen mich nicht hören –

Schön und stolz und regungslos,

Als wären Sie die Statue auf Ihrer eigenen Gruft –

Sie wollen keine andere Vertraute

Als diesen Fels und diese Wellen haben?


Ariadne tritt an den Eingang ihrer Höhle zurück.


Prinzessin, hören Sie mich an – nicht Sie allein,

Wir alle – ach, wir alle – was Ihr Herz erstarrt,

Wer ist die Frau, die es nicht durchgelitten hätte?

Verlassen! in Verzweiflung! ausgesetzt!

Ach, solcher wüsten Inseln sind unzählige

Auch mitten unter Menschen, ich – ich selber,

Ich habe ihrer mehrere bewohnt –

Und habe nicht gelernt, die Männer zu verfluchen!


Ariadne tritt vollends in die Höhle zurück, Zerbinetta richtet ihre weiteren Tröstungen an die unsichtbar Gewordene.


Treulos – sie sinds!

Ungeheuer, ohne Grenzen!

Eine kurze Nacht,

Ein hastiger Tag,

Ein Wehen der Luft,

Ein fließender Blick

Verwandelt ihr Herz!

Aber sind denn wir gefeit

Gegen die grausamen – entzückenden,

Die unbegreiflichen Verwandlungen?


Noch glaub ich dem einen ganz mich gehörend,

Noch mein ich mir selber so sicher zu sein,

Da mischt sich im Herzen leise betörend

Schon einer nie gekosteten Freiheit,

Schon einer neuen verstohlenen Liebe

Schweifendes, freches Gefühle sich ein!


Noch bin ich wahr, und doch ist es gelogen,

Ich halte mich treu und bin schon schlecht,

Mit falschen Gewichten wird alles gewogen –

Und halb mich wissend und halb im Taumel

Betrüg ich ihn endlich und lieb ihn noch recht!

Ja, halb mich wissend und halb im Taumel

Betrüge ich endlich und liebe noch recht!


So war es mit Pagliazzo

Und mit Mezzetin!

Dann war es Cavicchio,

Dann Burattin,

Dann Pasquariello!

Ach, und zuweilen,

Will es mir scheinen,

Waren es zwei!

Doch niemals Launen,

Immer ein Müssen!

Immer ein neues

Beklommenes Staunen.

Daß ein Herz so gar sich selber,

Gar sich selber nicht versteht!


Als ein Gott kam jeder gegangen,

Und sein Schritt schon machte mich stumm,

Küßte er mir Stirn und Wangen,

War ich von dem Gott gefangen

Und gewandelt um und um!

Als ein Gott kam jeder gegangen,

Jeder wandelte mich um,

Küßte er mir Mund und Wangen,

Hingegeben war ich stumm!

Hingegeben war ich stumm!

Hingegeben war ich stumm!

Kam der neue Gott gegangen,

Hingegeben war ich stumm!


Echo unsichtbar, wiederholt das Rondo, aber ohne Text, ad libitum.


HARLEKIN springt aus der Kulisse. Hübsch gepredigt! Aber tauben Ohren!

ZERBINETTA. Ja, es scheint, die Dame und ich sprechen verschiedene Sprachen.

HARLEKIN. Es scheint so.

ZERBINETTA. Es ist die Frage, ob sie nicht schließlich lernt, sich in der meinigen auszudrücken.

HARLEKIN. Wir wollens abwarten. Was wir aber nicht abwarten wollen –


Er ist mit einem Sprung dicht bei ihr, sucht sie zu umarmen.


ZERBINETTA macht sich los. Wofür hältst du mich?

HARLEKIN. Für ein entzückendes Mädchen, dessen Beziehungen zu mir dringend einer Belebung bedürfen –

ZERBINETTA.

Unverschämter! und außerdem: hier!

Zwei Schritte von der Wohnung der Prinzessin!

HARLEKIN. Pah! Wohnung, es ist eine Höhle.

ZERBINETTA. Was ändert das?

HARLEKIN. Sehr viel, sie hat keine Fenster.


Versucht abermals, sie zu küssen.


ZERBINETTA macht sich energisch los. Ich glaube, du wärest wirklich fähig!

HARLEKIN. Zweifle nicht, zu allem!

ZERBINETTA mißt ihn mit dem Blick, halb für sich. Zu denken, daß es Frauen gibt, denen er ebendarum gefiele –

HARLEKIN. Und zu denken, daß du von oben bis unten eine solche Frau bist!


Zerbinetta mißt ihn mit dem Blick.

Brighella, Scaramuccio, Truffaldin stecken links und rechts ihre Köpfe aus der Kulisse.


BRIGHELLA, SCARAMUCCIO, TRUFFALDIN. Pst! Pst! Zerbinetta!

ZERBINETTA hat sich Harlekin entzogen, läuft nach vorn, vor sich, beinahe ad spectatores. Männer! Lieber Gott, wenn du wirklich wolltest, daß wir ihnen widerstehen sollten, warum hast du sie so verschieden geschaffen?


Sie endet, mitten aus der Prosa, mit einer Roulade.


DIE VIER.

Eine Störrische zu trösten,

Laßt das peinliche Geschäft!

Will sie sich nicht trösten lassen,

Laß sie weinen, sie hat recht!

ZERBINETTA tanzt von einem zum anderen, weiß jedem zu schmeicheln.

BRIGHELLA mit albernem Ton.

Doch ich bin störrisch nicht,

Gibst du ein gut Gesicht.

Ach, ich verlang nicht mehr,

Freu mich so sehr.

SCARAMUCCIO mit schlauem Ausdruck.

Auf dieser Insel

Gibts hübsche Plätze.

Komm, laß dich führen,

Ich weiß Bescheid!

TRUFFALDIN täppisch lüstern.

Wär nur ein Wagen,

Ein Pferdchen nur mein,

Hätt ich die Kleine

Bald wo allein!

HARLEKIN diskret im Hintergrund.

Wie sie vergeudet

Augen und Hände,

Laur ich im stillen

Hier auf das Ende!

ZERBINETTA von einem zum anderen tanzend.

Immer ein Müssen,

Niemals Launen,

Immer ein neues

Unsägliches Staunen!


Die vier, mit Zerbinetta, in beliebiger Verschränkung.


BRIGHELLA.

Ich bin nicht störrisch.

HARLEKIN.

Ich laure im stillen.

ZERBINETTA im Tanzen.

So wars mit Pasquariello

Und so mit Mezzetin!

SCARAMUCCIO.

Hätt ich das Mädchen –

TRUFFALDIN.

Ich wüßte Bescheid!

ZERBINETTA im Tanzen.

Dann mit Cavicchio

Und mit Burattin!

ZWEI.

Komm, laß dich führen,

Ich laure im stillen!

ZERBINETTA im Tanzen.

Ach, und zuweilen

Waren es zwei!

ZWEI.

Es gibt hübsche Plätze:

Ich weiß Bescheid!

ZERBINETTA.

Ach, und zuweilen

Waren es zwei!


Unterm Tanzen scheint sie einen Schuh zu verlieren. Scaramuccio, flink, erfaßt den Schuh und küßt ihn. Sie läßt sich ihn von ihm anziehen, wobei sie sich auf Truffaldin stützt, der ihr von der anderen Seite zu Füßen gefallen ist.


ZERBINETTA auf Truffaldin.

Wie er feurig sich erniedert!


Auf Scaramuccio, dem sie das Innere der Hand zum Kusse reicht.


Wie der Druck den Druck erwidert!

ZERBINETTA UND SCARAMUCCIO.

Hand und Lippe, Mund und Hand,

Welch ein zuckend Zauberband!


Scaramuccio und Truffaldin treten rechts und links zurück.

Brighella springt täppisch hin, Zerbinetta zu umfassen, sie entschlüpft ihm geschickt.


ZERBINETTA aufs neue tanzend.

Mach ich ihn auf diese neidig,

Wird der steife – wie geschmeidig

Wird der steife Bursch sich drehn!

BRIGHELLA steif tanzend und singend.

Macht sie mich auf diese neidig,

Ach, wie will ich mich geschmeidig

Um die hübsche Puppe drehn!

SCARAMUCCIO gleichfalls tanzend.

Macht sie uns auf diesen neidig,

Hei, wie alle sich geschmeidig,

Hui, um ihre Gunst sich drehn!

TRUFFALDIN ebenso.

Wie sie jeden sich geschmeidig,

Einen auf den anderen neidig,

Ohne Pause weiß zu drehn!


Während die drei sich drehen, wirft sich Zerbinetta rückwärts Harlekin in die Arme und eilt mit ihm zu verschwinden.


SCARAMUCCIO, BRIGHELLA, TRUFFALDIN finden sich allein.

Mir der Schuh!

Mir der Blick!

Mir die Hand!

Das war das Zeichen,

Schlau aus dem Kreise muß ich mich schleichen!

Mich erwartet das himmlische Wesen,

Mich zum Freunde hat sie erlesen!


Alle drei schleichen verstohlen in die Kulisse, gleich darauf erscheint zuerst Scaramuccio, von rechts kommend, vor der Bühne, verlarvt.


SCARAMUCCIO für sich.

Pst, wo ist sie? Wo mag sie sein?


Späht herum, geht rechts um die Bühne herum.


BRIGHELLA verlarvt, von links kommend, leise dummschlau.

Pst, wo ist sie? Wo mag sie sein?


Wendet sich nach rechts, stößt mit dem zurückkehrenden Scaramuccio zusammen.


TRUFFALDIN verlarvt, von links, an der linken Ecke in eben dem Augenblick hervorkommend, als Brighella nach rechts den ersten Schritt tut.

Pst, wo ist sie? Wo mag sie sein?


Stößt mit den beiden Zusammenstoßenden auch noch zusammen; alle drei taumeln sie in die Mitte.


ALLE DREI jeder für sich.

Verdammter Zufall!

Aber man erkennt mich nicht!

ZERBINETTA UND HARLEKIN sind links vorne wieder erschienen.

ZERBINETTA.

Daß ein Herz so gar sich selber,

Gar sich selber nicht versteht!

BRIGHELLA, SCARAMUCCIO, TRUFFALDIN sehen einander an.

HARLEKIN.

Ach, wie reizend, fein gegliedert!

ZERBINETTA.

Hand und Lippe, Mund und Hand!

DIE DREI GESELLEN.

Ai! Ai!

HARLEKIN UND ZERBINETTA zusammen.

Hand und Lippe, Mund und Hand,

Welch ein zuckend Zauberband.

DIE DREI GESELLEN indem sie zornig und betrübt tanzend abgehen.

Ai! ai! ai! ai! Der Dieb! Der Dieb!

Der nieder-, niederträchtige Dieb!

Ai! ai! ai! ai!


Die Bühne bleibt nach Abgang der fünf Masken (Zerbinetta, Harlekin usw.) leer Zwischenspiel des Orchesters, auf Bacchus bezüglich, durchaus fremdartig, geheimnisvoll; sodann: Najade, Dryade, Echo treten, fast zugleich, hastig auf von rechts, links und rückwärts.


DRYADE aufgeregt.

Ein schönes Wunder!

NAJADE.

Ein reizender Knabe!

DRYADE.

Ein junger Gott!

ECHO.

Ein junger Gott, ein junger Gott!

DRYADE.

So wißt ihr –?

NAJADE.

Den Namen?

DRYADE.

Bacchus!

NAJADE.

Mich höret!

ECHO.

Mich höret doch an!

DRYADE.

Die Mutter starb bei der Geburt.

NAJADE.

Eine Königstochter.

DRYADE.

Eines Gottes Liebste, eines Gottes Liebste!

NAJADE.

Was für eines Gottes?

ECHO enthusiastisch.

Eines Gottes Liebste, eines Gottes Liebste!

NAJADE eifrig.

Was für eines Gottes?

DRYADE.

Aber den Kleinen – hört doch' – Nymphen,

Nymphen zogen ihn auf!

ECHO begeistert.

Nymphen zogen ihn auf!

Nymphen zogen ihn auf!

NAJADE, DRYADE.

Nymphen! das zarte, göttliche Kind!


Zu Dreien.


Ach, daß nicht wir es gewesen sind.

ECHO vogelhaft.

Ach, daß nicht wir es gewesen sind.

DRYADE.

Es wächst wie die Flamme unter dem Wind.

NAJADE.

Ist schon kein Kind mehr – Knabe und Mann!

DRYADE.

Schnell zu Schiffe mit wilden Gefährten!

NAJADE.

Nächtig im Wind die Segel gestellt!

DRYADE.

Er am Steuer, er am Steuer.

NAJADE.

Kühn! der Knabe!

ECHO vogelhaft.

Er am Steuer.

DRYADE, NAJADE.

Heil dem ersten Abenteuer!

ECHO.

Er am Steuer, er am Steuer!

DRYADE.

Das erste! Ihr wißt, was es war?

NAJADE.

Circe! Circe! an ihrer Insel

Landet das Schiff, zu ihrem Palast

Schweift der Fuß, nächtlich mit Fackeln –

DRYADE reißt ihrs Wort vom Munde.

An der Schwelle empfängt sie ihn,

An den Tisch zieht sie ihn hin,

Reicht die Speise, reicht den Trank –

NAJADE eifrigst.

Den Zaubertrank! die Zauberlippen!

Allzu süße Liebesgabe!

ECHO.

Allzu süße Liebesgabe!

DRYADE Triumph im Ton.

Doch der Knabe – doch der Knabe! –

Wie sie frech und überheblich

Ihn zu ihren Füßen winkt –

Ihre Künste sind vergeblich,

Weil kein Tier zur Erde sinkt!

ZU DREIEN.

Alle Künste sind vergeblich,

Weil kein Tier zur Erde sinkt!

DRYADE.

Aus den Armen ihr entwunden,

Blaß und staunend, ohne Spott –

Nicht verwandelt, nicht gebunden

Steht vor ihr ein junger Gott!


Zu Dreien.


Nicht verwandelt, nicht gebunden

Steht vor ihr ein junger Gott!

ECHO vogelhaft entzückt.

Nicht verwandelt!

NAJADE, DRYADE am Eingang der Höhle.

Ariadne!

NAJADE.

Schläft sie?

DRYADE.

Schläft sie?

NAJADE.

Nein! sie hört uns!

ECHO.

Nicht verwandelt!

DRYADE der Ariadne meldend.

Ein schönes Wunder!

NAJADE.

Ein Knabe! Ein Gott!

DRYADE immer gegen die Höhle hin.

Gestern noch der Gast der Circe,

Mit ihr liegend bei dem Mahle,

Nippend von dem Zaubertrank –

ECHO.

Nicht verwandelt! Nicht verwandelt!

NAJADE.

Heute ist er hier bei uns!

DRYADE.

Hörst du?

NAJADE.

Hörst du?

ZU ZWEIEN leise.

Ariadne!


Bacchus' Stimme wird hörbar. Im gleichen Augenblick, wie von Magie hervorgezogen, tritt Ariadne lauschend aus der Höhle. Die drei Nymphen, lauschend, treten seit- und rückwärts.


BACCHUS erscheint auf dem Felsen, Ariadne und den Nymphen unsichtbar.

Circe, kannst du mich hören?

Du hast mir fast nichts getan –

Doch die dir ganz gehören,

Was tust du denen an?


Circe, ich konnte fliehen,

Sieh, ich kann lächeln und ruhn –

Circe, was war dein Wille,

An mir zu tun?

ARIADNE in sein Singen hinein, vor sich, leisest.

Er greift durch alle Schmerzen,

Auflösend alte Qual: ans Herz im Herzen greifts.

NAJADE, DRYADE, ECHO leise, zaghaft.

Töne, töne, süße Stimme,

Fremder Vogel, singe wieder,

Deine Klagen, sie beleben,

Uns entzücken solche Lieder!

BACCHUS schwermütig, lieblich.

Doch da ich unverwandelt

Von dir gegangen bin,

Was haften die schwülen Gefühle

An dem benommenen Sinn?


Als wär ich von schläfernden Krautern

Betäubt, ein Waldestier! –

Circe – was du nicht durftest,

Geschieht es doch an mir?

ARIADNE wie oben.

O Todesbote! süß ist deine Stimme!

Balsam ins Blut, und Schlummer in die Seele!

NAJADE, DRYADE, ECHO nachdem die Stimme zu verstummen scheint, leise.

Töne, töne, süße Stimme,

Süße Stimme, töne wieder!

Deine Klagen, sie beleben!

Uns entzücken deine Lieder!

BACCHUS fröhlich, mit etwas wie graziösem Spott.

Circe, ich konnte fliehen!

Circe, ich konnte fliehen!

Sieh, ich kann lächeln und ruhn!

Circe – was war dein Wille,

An mir zu tun?

ARIADNE zugleich mit ihm, die Augen geschlossen, die Hände gehoben nach der Richtung, von der die Stimme tönt, leise.

Belade nicht zu üppig

Mit nächtlichem Entzücken

Voraus den schwachen Sinn!

Die deiner lange harret,

Nimm sie dahin!

BACCHUS tritt hervor, steht vor Ariadne.

ARIADNE in jähem Schreck, schlägt die Hände vors Gesicht.

Theseus!


Dann schnell sich neigend.


Nein! nein! es ist der schöne stille Gott!

Ich grüße dich, du Bote aller Boten!


Najade, Dryade, Echo haben sich unter tiefer Verneinung nach allen Seiten zurückgezogen.


Ariadne, Bacchus

BACCHUS ganz jung, zartest im Ton.

Du schönes Wesen? Bist du die Göttin dieser Insel?

Ist diese Höhle dein Palast? sind diese deine Dienerinnen?

Singst du an deinem Webstuhl Zauberlieder?

Nimmst du den Fremdling da hinein

Und liegst mit ihm beim Mahl,

Und tränkest du ihn da mit einem Zaubertrank?

Und ach, wer dir sich gibt, verwandelst du ihn auch?

Weh! Bist du auch solch eine Zauberin?

ARIADNE.

Ich weiß nicht, was du redest.

Ist es, Herr, daß du mich prüfen willst?

Mein Sinn ist wirr von vielem Liegen ohne Trost!

Ich lebe hier und harre deiner, deiner harre ich

Seit Nächten, Tagen, seit wie vielen, ach, ich weiß es nicht mehr!

BACCHUS.

Wie? kennest du mich denn? Hast du vordem von mir gewußt?

Du hast mit einem Namen mich gegrüßt.

ARIADNE.

Nein! nein! Der bist du nicht,

Mein Sinn ist leicht verwirrt!

BACCHUS.

Wer bin ich denn?

ARIADNE neigt sich.

Du bist der Herr über ein dunkles Schiff,

Das fährt den dunklen Pfad.

BACCHUS nickt.

Ich bin der Herr – über ein Schiff.

ARIADNE jäh.

Nimm mich! Hinüber! Fort von hier mit diesem Herzen!

Es ist zu nichts mehr nütze auf der Welt.

BACCHUS sanft.

So willst du mit mir gehen auf mein Schiff?

ARIADNE.

Ich bin bereit. Du fragst? Ist es, daß du mich prüfen willst?

BACCHUS schüttelt den Kopf.

ARIADNE mit unterdrückter Angst.

Wie schaffst du die Verwandlung? mit den Händen?

Mit deinem Stab? Wie, oder ists ein Trank,

Den du zu trinken gibst? Du sprachst von einem Trank!

BACCHUS verträumt in ihrem Anblick.

Sprach ich von einem Trank,

Ich weiß nichts mehr.

ARIADNE nickt.

Ich weiß, so ist es dort, wohin du mich führest!

Wer dort verweilet, der vergißt gar schnell!

Das Wort, der Atemzug ist gleich dahin!

Man ruht und ruht vom Ruhen wieder aus;

Denn dort ist keiner matt vom Weinen, –

Er hat vergessen, was ihn schmerzen sollte:

Nichts gilt, was hier gegolten hat, ich weiß –


Sie schließt die Augen.


BACCHUS tief erregt, unbewußt feierlich.

Bin ich ein Gott, schuf mich ein Gott,

Starb meine Mutter in Flammen dahin,

Als sich in Flammen mein Vater ihr zeigte,

Versagte der Circe Zauber an mir,

Weil ich gefeit bin, Balsam und Äther

Für sterbliches Blut in den Adern mir fließt.

Hör mich, Wesen, das vor mir steht,

Hör mich, du, die sterben will:

Dann sterben eher die ewigen Sterne,

Als daß du stürbest aus meinen Armen!

ARIADNE ängstlich zurückweichend vor der Gewalt seines Tones.

Das waren Zauberworte! Weh! So schnell!

Nun gibt es kein Zurück. Gibst du Vergessenheit

So zwischen Blick und Blick?

Entfernt sich alles,

Alles von mir?

Die Sonne? Die Sterne?

Ich mir selber?

Sind meine Schmerzen mir auf immer, immer

Genommen? Ach!


Verhauchend.


Bleibt nichts von Ariadne als ein Hauch?


Sie sinkt, er hält sie.

Alles versinkt, ein Sternenhimmel spannt sich über den zweien.


BACCHUS mehr ergriffen als laut.

Ich sage dir, nun hebt sich erst das Leben an

Für dich und mich!


Er küßt sie.


ARIADNE entwindet sich ihm, unbewußt, sieht mit bangem Staunen um sich.

Lag nicht die Welt auf meiner Brust? hast du,

Hast du sie fortgeblasen?

Da innen lag die arme Hündin

An' Boden gedrückt, auf kalten Nesseln

Mit Wurm und Assel, und ärmer als sie –

BACCHUS.

Nun steigt deiner Schmerzen innerste Lust

In dein und meinem Herzen auf!

ARIADNE.

Du Zauberer, du! Verwandler, du!

Blickt nicht aus dem Schatten deines Mantels

Der Mutter Auge auf mich her?

Ist so dein Schattenland! also gesegnet!

So unbedürftig der irdischen Welt?

BACCHUS.

Du selber! du bist unbedürftig,

Du meine Zauberin!

ARIADNE.

Gibts kein Hinüber?

Sind wir schon drüben?

Sind wir schon da?

Wie konnt es geschehen?

Auch meine Höhle, schön! gewölbt

Über ein seliges Lager,

Einen heiligen Altar!

Wie wunder-, wunderbar verwandelst du!

BACCHUS.

Du! Alles du!

Ich bin ein anderer, als ich war!

Der Sinn des Gottes ist wach in mir,

Dein herrlich Wesen ganz zu fassen!

Die Glieder reg ich in göttlicher Lust!

Die Höhle da! Laß mich, die Höhle deiner Schmerzen

Zieh ich zur tiefsten Lust um dich und mich!


Ein Baldachin senkt sich von oben langsam über beide, sie einschließend.


ARIADNE an seinem Arm hängend.

Was hängt von mir

In deinem Arm?

Oh, was von mir,

Die ich vergehe,

Fingest du Geheimes

Mit deines Mundes Hauch?

Was bleibt, was bleibt von Ariadne?

Laß meine Schmerzen nicht verloren sein!

ARIADNES STIMME.

Laß meine Schmerzen nicht verloren,

Bei dir laß Ariadne sein!

ZERBINETTA tritt aus der Kulisse, weist mit dem Fächer über die Schulter auf Bacchus und Ariadne zurück und wiederholt mit spöttischem Triumph ihr Rondo.

Kommt der neue Gott gegangen,

Hingegeben sind wir stumm!

BACCHUS' STIMME.

Deiner hab ich um alles bedurft!

Nun bin ich ein anderer, als ich war,

Durch deine Schmerzen bin ich reich,

Nun reg ich die Glieder in göttlicher Lust!

Und eher sterben die ewigen Sterne,

Eh denn du stürbest aus meinen Armen!


Der Baldachin hat sich geschlossen.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979.
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Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

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Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

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