Zweiter Akt


[44] Saal bei Herrn von Faninal. Mitteltüre nach dem Vorsaal. Türen links und rechts. Rechts auch ein großes Fenster. Zu beiden Seiten der Mitteltüre Stühle an der Wand. In den Ecken jederseits ein großer Kamin.


HERR VON FANINAL im Begriffe, von Sophie Abschied zu nehmen.

Ein ernster Tag, ein großer Tag!

Ein Ehrentag, ein heiliger Tag!

SOPHIE küßt ihm die Hand.

MARIANNE LEITMETZERIN die Duenna.

Der Josef fahrt vor, mit der neuen Kaross,

hat himmelblaue Vorhäng,

vier Apfelschimmel sind dran.

HAUSHOFMEISTER nicht ohne Vertraulichkeit.

Ist höchste Zeit, daß Euer Gnaden fahren.

Der hochadelige Bräutigamsvater,

sagt die Schicklichkeit,

muß ausgefahren sein,

bevor der silberne Rosenkavalier vorfahrt.

Wär nicht geziemend,

daß sie sich vor der Tür begegneten.


Lakaien öffnen die Tür.


FANINAL.

In Gottesnamen. Wenn ich wiederkomm,

so führ ich deinen Herrn Zukünftigen bei der Hand.

MARIANNE.

Den edlen und gestrengen Herrn auf Lerchenau,

Kaiserlicher Majestät Kämmerer

und Landrechts-Beisitzer in Unter-Österreich!

FANINAL geht.

SOPHIE vorgehend, allein, indessen Marianne am Fenster.

MARIANNE am Fenster.

Jetzt steigt er ein. Der Xaver und der Anton springen hinten auf.[45]

Der Stallpag' reicht dem Josef seine Peitschn.

Alle Fenster sind voller Leut.

SOPHIE vorne allein.

In dieser feierlichen Stunde der Prüfung,

da du mich, o mein Schöpfer, über mein Verdienst erhöhen

und in den heiligen Ehestand führen willst,


Sie hat große Mühe, gesammelt zu bleiben.


opfere ich dir in Demut – in Demut – mein Herz auf.

Die Demut in mir zu erwecken,

muß ich mich demütigen.

MARIANNE sehr aufgeregt.

Die halbe Stadt ist auf die Füß.

Aus 'm Seminari schaun die Hochwürdigen von die Balkoner.

Ein alter Mann sitzt oben auf der Latern!

SOPHIE sammelt sich mühsam.

Demütigen und recht bedenken: die Sünde, die Schuld, die Niedrigkeit,

die Verlassenheit, die Anfechtung!

Die Mutter ist tot und ich bin ganz allein.

Für mich selber steh ich ein.

Aber die Ehe ist ein heiliger Stand.

MARIANNE wie oben.

Er kommt, er kommt in zwei Karossen.

Die erste ist vierspännig, die ist leer. In der zweiten,

sechsspännigen,

sitzt er selber, der Herr Rosenkavalier.

SOPHIE wie oben.

Ich will mich niemals meines neuen Standes überheben –


Die Stimmen der Lauffer zu dreien vor Octavians Wagen unten auf der Gasse: Rofrano! Rofrano!


– mich überheben.


Sie hält es nicht aus.


Was rufen denn die?

MARIANNE.

Den Namen vom Rosenkavalier und alle Namen

von deiner neuen, fürstlich'n und gräflich'n Verwandtschaft rufens aus.[46]

Jetzt rangieren sich die Bedienten.

Die Lakaien springen rückwärts ab!


Die Stimmen der Lauffer zu dreien näher: Rofrano! Rofrano!


SOPHIE.

Werden sie mein' Bräutigam sein' Namen

Auch so ausrufen, wenn er angefahren kommt!?


Die Stimmen der Lauffer dicht unter dem Fenster: Rofrano! Rofrano! Rofrano!


MARIANNE.

Sie reißen den Schlag auf! Er steigt aus!

Ganz in Silberstück' ist er ang'legt, von Kopf zu Fuß.

Wie ein heiliger Erzengel schaut er aus.


Sie schließt eilig das Fenster.


SOPHIE.

Herrgott im Himmel, ja,

ich weiß, der Stolz ist eine schwere Sünd,

aber jetzt kann ich mich nicht demütigen.

Jetzt gehts halt nicht!

Denn das ist ja so schön, so schön!


Lakaien haben schnell die Mitteltüre aufgetan. Herein tritt Octavian, ganz in Weiß und Silber, mit bloßem Kopf, die silberne Rose in der Hand. Hinter ihm seine Dienerschaft in seinen Farben: Weiß mit Blaßgrün. Die Lakaien, die Haiducken, mit krummen, ungarischen Säbeln an der Seite, die Lauffer in weißem, sämischem Leder mit grünen Straußenfedern. Dicht hinter Octavian ein Neger, der Octavians Hut, und ein anderer Lakai, der das Saffianfutteral für die silberne Rose in beiden Händen trägt. Dahinter die Faninalsche Livree.

Octavian, die Rose in der Rechten, geht mit adeligem Anstand auf sie zu, aber sein Knabengesicht ist von seiner Schüchternheit gespannt und gerötet. – Sophie ist vor Aufregung über seine Erscheinung und die Zeremonie leichenblaß. Sie stehen einander gegenüber.


OCTAVIAN nach einem kleinen Stocken, indem sie einander wechselweise durch ihre Verlegenheit und Schönheit noch verwirrter machen.

Mir ist die Ehre widerfahren,

daß ich der hoch- und wohlgeborenen Jungfer Braut,[47]

in meines Herrn Vetters,

dessen zu Lerchenau Namen,

die Rose seiner Liebe überreichen darf.

SOPHIE nimmt die Rose.

Ich bin Euer Liebden sehr verbunden.

Ich bin Euer Liebden in aller Ewigkeit verbunden. –


Eine Pause der Verwirrung.


SOPHIE indem sie an der Rose riecht.

Hat einen starken Geruch. Wie Rosen, wie lebendige.

OCTAVIAN.

Ja, ist ein Tropfen persischen Rosenöls darein getan.

SOPHIE.

Wie himmlische, nicht irdische, wie Rosen

vom hochheiligen Paradies. Ist Ihm nicht auch?

OCTAVIAN neigt sich über die Rose, die sie ihm hinhält; dann richtet er sich wie betäubt auf und sieht auf ihren Mund.

SOPHIE.

Ist wie ein Gruß vom Himmel. Ist bereits zu stark!

Zieht einen nach, als lägen Stricke um das Herz.

Wo war ich schon einmal

und war so selig!

OCTAVIAN zugleich mit ihr wie unbewußt und leiser als sie.

Wo war ich schon einmal

und war so selig?

SOPHIE.

Dahin muß ich zurück! und wärs mein Tod.

Wo soll ich hin,

daß ich so selig werd?

Dort muß ich hin und müßt ich sterben auf dem Weg.

OCTAVIAN die ersten Worte zugleich mit ihren letzten, dann allein.

Ich war ein Bub,

wars gestern oder wars vor einer Ewigkeit.

Da hab ich die noch nicht gekannt.

Die hab ich nicht gekannt?

Wer ist denn die?

Wie kommt sie denn zu mir?

Wer bin denn ich? Wie komm ich denn zu ihr?

Wär ich kein Mann, die Sinne möchten mir vergehn.[48]

Aber ich halt sie fest, ich halt sie fest.

Das ist ein seliger, seliger Augenblick,

den will ich nie vergessen bis an meinen Tod.


Indessen hat sich die Livree Octavians links rückwärts rangiert, die Faninalschen Bedienten mit dem Haushofmeister rechts. Der Lakai Octavians übergibt das Futteral an Marianne. Sophie schüttelt ihre Versunkenheit ab und reicht die Rose der Marianne, die sie ins Futteral schließt. Der Lakai

mit dem Hut tritt von rückwärts an Octavian heran und reicht ihm den Hut. Die Livree Octavians tritt ab, während gleichzeitig die Faninalschen Bedienten drei Stühle in die Mitte tragen, zwei für Octavian und Sophie, einen rück- und seitwärts für die Duenna. Zugleich trägt der Faninalsche Haushofmeister das Futteral mit der Rose durch die Mitteltüre ab. Sophie und Octavian stehen einander gegenüber, einigermaßen zur gemeinen Welt zurückgekehrt, aber befangen. Auf eine Handbewegung Sophies nehmen sie beide Platz, desgleichen die Duenna.


SOPHIE.

Ich kenn Ihn schon recht wohl.

OCTAVIAN.

Sie kennt mich, ma cousine?

SOPHIE.

Ja, aus dem Buch, wo die Stammbäumer drin sind, mon cousin.

Dem Ehrenspiegel Österreichs.

Das nehm ich immer abends mit ins Bett

und such mir meine künftige Verwandtschaft drin zusammen.

OCTAVIAN.

Tut Sie das, ma cousine?

SOPHIE.

Ich weiß, wie alt Euer Liebden sind:

Siebzehn Jahr und zwei Monat.

Ich weiß alle Ihre Taufnamen: Octavian Maria Ehrenreich Bonaventura Fernand Hyazinth.

OCTAVIAN.

So gut weiß ich sie selber nicht einmal.[49]

SOPHIE.

Ich weiß noch was.


Errötet.


OCTAVIAN.

Was weiß Sie noch, sag Sie mirs, ma cousine.

SOPHIE ohne ihn anzusehen.

Quin-quin.

OCTAVIAN lacht.

Weiß Sie den Namen auch?

SOPHIE.

So nennen Ihn halt seine guten Freund

und schöne Damen, denk ich mir,

mit denen er recht gut ist.


Kleine Pause.


SOPHIE mit Naivität.

Ich freu mich aufs Heiraten! Freut Er sich auch darauf?

Oder hat Er leicht noch gar nicht drauf gedacht, mon cousin?

Denk Er: Ist doch was anders als der ledige Stand.

OCTAVIAN leise, während sie spricht.

Wie schön sie ist.

SOPHIE.

Freilich. Er ist ein Mann, da ist Er, was Er bleibt.

Ich aber brauch erst einen Mann, daß ich was bin.

Dafür bin ich dem Mann dann auch gar sehr verschuldet.

OCTAVIAN wie oben.

Mein Gott, wie schön und gut sie ist.

Sie macht mich ganz verwirrt.

SOPHIE.

Und werd ihm keine Schand nicht machen –

und meinen Rang und Vortritt,

tät eine, die sich besser dünkt als ich,

ihn mir bestreiten

bei einer Kindstauf oder Leich,

so will ich, meiner Seel, ihr schon beweisen,

daß ich die vornehmere bin

und lieber alles hinnehmen

wie Kränkung oder Ungebühr.[50]

OCTAVIAN lebhaft.

Wie kann Sie denn nur denken,

daß man Ihr mit Ungebühr begegnen wird,

da Sie doch immerdar die schönste sein wird,

daß es keinen Vergleich wird leiden.

SOPHIE.

Lacht Er mich aus, mon cousin?

OCTAVIAN.

Wie, glaubt Sie das von mir?

SOPHIE.

Er darf mich auch auslachen, wenn Er will.

Von Ihm will ich mir alles gerne geschehen lassen,

weil mir noch nie ein junger Kavalier ...

Jetzt aber kommt mein Herr Zukünftiger.


Die Tür rückwärts geht auf. Alle drei stehen auf und treten nach rechts. Faninal führt den Baron zeremoniös über die Schwelle und auf Sophie zu, indem er ihm den Vortritt läßt. Die Lerchenausche Livree folgt auf Schritt und Tritt: zuerst der Almosenier mit dem Sohn und Leibkammerdiener. Dann folgt der Leibjäger mit einem ähnlichen Lümmel, der ein Pflaster über der eingeschlagenen Nase trägt, und noch zwei von der gleichen Sorte, vom Rübenacker her in die Livree gesteckt. Alle tragen, wie ihr Herr, Myrtensträußchen. Die Faninalschen Bedienten bleiben im Hintergrund.


FANINAL.

Ich präsentier Euer Gnaden Dero Zukünftige.

DER BARON macht die Reverenz, dann zu Faninal.

Deliziös! Mach Ihm mein Kompliment.


Er küßt Sophie die Hand, langsam, gleichsam prüfend.


Ein feines Handgelenk. Darauf halt ich gar viel.

Ist unter Bürgerlichen eine seltene Distinktion.

OCTAVIAN halblaut.

Es wird mir heiß und kalt.

FANINAL.

Gestatten, daß ich die getreue Jungfer

Marianne Leitmetzerin –


Mariannen präsentierend, die dreimal tief knixt.
[51]

DER BARON indem er unwillig abwinkt.

Laß Er das weg.

Begrüß Er jetzt mit mir meinen Herrn Rosenkavalier.


Er tritt mit Faninal auf Octavian zu, unter Reverenz, die Octavian erwidert. Das Lerchenausche Gefolge kommt endlich zum Stillstand, nachdem es Sophie fast umgestoßen, und retiriert sich um ein paar Schritte.


SOPHIE mit Marianne rechtsstehend, halblaut.

Was sind das für Manieren? Ist das leicht ein Roßtäuscher

und kommt ihm vor, er hätt mich eingekauft?

MARIANNE ebenso.

Ein Kavalier hat halt ein ungezwungenes,

leutseliges Betragen.

Sag dir vor, wer er ist

und zu was er dich macht,

so werden dir die Faxen gleich vergehn.

DER BARON während des Aufführens zu Faninal.

Ist gar zum Staunen, wie der junge Herr jemand gewissem ähnlich sieht.

Hat ein Bastardl, recht ein sauberes, zur Schwester.


Plump vertraulich.


Ist kein Geheimnis unter Personen von Stand.

Habs aus der Fürstin eigenem Mund,

und da der Faninal gehört ja sozusagen jetzo zu der Verwandtschaft.

Macht dir doch kein dépit, Cousin Rofrano,

daß dein Herr Vater ein Streichmacher war?

Befindet sich dabei in guter Kompagnie, der selige Herr Marchese.

Ich selber exkludier mich nicht.

Seh' Liebden, schau dir dort den Langen an,

den blonden, hinten dort.

Ich will ihn nicht mit Fingern weisen,

aber er sticht wohl hervor,

durch eine adelige Contenance.

Ist auch ein ganz besonderer Kerl,

sags nicht, weil ich der Vater bin,

hats aber faustdick hinter den Ohren.[52]

SOPHIE währenddessen.

Jetzt laßt er mich so stehn, der grobe Ding!

Und das ist mein Zukünftiger.

Und blattersteppig ist er auch, mein Gott!

MARIANNE.

Na, wenn er dir von vorn nicht gfallt, du Jungfer Hochmut,

so schau ihn dir von rückwärts an.

da wirst was sehn, was dir schon gfallen wird.

SOPHIE.

Möcht wissen, was ich da schon sehen werd.

MARIANNE ihr nachspottend.

Möcht wissen, was sie da schon sehen wird.

Daß es ein kaiserlicher Kämmerer ist,

den dir dein Schutzpatron

als Herrn Gemahl spendiert hat.

Das kannst sehn mit einem Blick.


Der Haushofmeister tritt verbindlich auf die Lerchenauschen Leute zu und führt sie ab. Desgleichen tritt die Faninalsche Livree ab, bis auf zwei, welche Wein und Süßigkeiten servieren.


FANINAL zum Baron.

Belieben jetzt vielleicht? – ist ein alter Tokaier.


Octavian und Baron bedienen sich.


DER BARON.

Brav, Faninal, Er weiß was sich gehört.

Serviert einen alten Tokaier zu einem jungen Mädel.

Ich bin mit Ihm zufrieden.


Zu Octavian.


Mußt denen Bagatelladeligen immer zeigen,

daß nicht für unseresgleichen sich ansehen dürfen,

muß immer was von Herablassung dabei sein.

OCTAVIAN.

Ich muß Deine Liebden sehr bewundern.

Hast wahrhaft große Weltmanieren.

Könntst einen Ambassadeur vorstellen heut wie morgen.

DER BARON.

Ich hol mir jetzt das Mädel her.

Soll uns Konversation vormachen,[53]

daß ich seh, wie sie beschlagen ist.


Geht hinüber, nimmt Sophie bei der Hand, führt sie mit sich.


DER BARON.

Eh bien! nun plauder Sie uns eins, mir und dem Vetter Taverl!

Sag Sie heraus, auf was Sie sich halt in der Eh am meisten gfreut!


Setzt sich, will sie auf seinen Schoß ziehen.


SOPHIE entzieht sich ihm.

Wo denkt Er hin?

DER BARON behaglich.

Seh, wo ich hindenk! Komm Sie da ganz nah zu mir,

dann will ich Ihr erzählen, wo ich hindenk.


Gleiches Spiel, Sophie entzieht sich ihm heftiger.


DER BARON behaglich.

Wär Ihr leicht präferabel, daß man gegen Ihrer

den Zeremonienmeister sollt hervortun?

Mit »mill pardon« und »Devotion«

und »Geh da weg« und »hab Respeck«?

SOPHIE.

Wahrhaftig und ja gefiele mir das besser!

DER BARON lachend.

Mir auch nicht! Da sieht Sie! Mir auch ganz und gar nicht!

Bin einer biedern offenherzigen Galanterie recht zugetan.


Er macht Anstalt, sie zu küssen, sie wehrt sich energisch.


FANINAL nachdem er Octavian den zweiten Stuhl zum Sitzen angeboten hat, den dieser ablehnt.

Wie ist mir denn, da sitzt ein Lerchenau

und karessiert in Ehrbarkeit mein Sopherl, als wär sie ihm schon angetraut.

Und da steht ein Rofrano, grad als müßts so sein,

wie ist mir denn? Ein Graf Rofrano, sonsten nix,

der Bruder vom Marchese Obersttruchseß.

OCTAVIAN zornig.

Das ist ein Kerl, dem möcht ich wo begegnen

mit meinem Degen da,

wo ihn kein Wächter schrein hört.

Ja, das ist alles, was ich möcht.[54]

SOPHIE zum Baron.

Ei laß Er doch, wir sind nicht so vertraut!

DER BARON zu Sophie.

Geniert Sie sich leicht vor dem Vetter Taverl?

Da hat Sie Unrecht. Hör Sie, in Paris,

wo doch die Hohe Schul ist für Manieren,

hab ich mir sagen lassen, gibts frei nichts

was unter jungen Eheleuten geschieht,

wozu man nicht Einladungen ließ ergehn

zum Zuschaun, ja gar an den König selber.


Er wird immer zärtlicher, sie weiß sich kaum zu helfen.


FANINAL.

Wär nur die Mauer da von Glas,

daß alle bürgerlichen Neidhammeln von Wien uns könnten

so en famille beisammensitzen sehn!

Dafür wollt ich mein Lerchenfelder Eckhaus geben, meiner Seel!

OCTAVIAN wütend.

Ich büß all meine Sünden ab!

Könnt ich hinaus und fort von hier!

DER BARON zu Sophie.

Laß Sie die Flausen nur: gehört doch jetzo mir!

Geht alls gut! Sei Sie gut. Geht alls so wie am Schnürl!


Halb für sich, sie kajolierend.


Ganz meine Maßen! Schultern wie ein Henderl!

Hundsmager noch – das macht nichts, aber weiß

und einen Schimmer drauf, wie ich ihn ästimier!

Ich hab halt ja ein lerchenauisch Glück!

SOPHIE reißt sich los und stampft auf.

DER BARON vergnügt.

Ist Sie ein rechter Kaprizenschädel?


Auf und ihr nach, die ein paar Schritte zurückgewichen ist.


Steigt Ihr das Blut gar in die Wangen,

daß man sich die Händ verbrennt?

SOPHIE rot und blaß vor Zorn.

Laß Er die Händ davon!


Octavian, vor stummer Wut, zerdrückt das Glas, das er in der Hand hält, und schmeißt die Scherben zu Boden.
[55]

DIE DUENNA läuft mit Grazie zu Octavian hinüber, hebt die Scherben auf und raunt ihm mit Entzücken zu.

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

Man delektiert sich, was er alls für Einfäll hat!

DER BARON dicht bei Sophie.

Geht mir nichts drüber!

Könnt mich mit Schmachterei und Zärtlichkeit

nicht halb so glücklich machen, meiner Seel!

SOPHIE scharf, ihm ins Gesicht.

Ich denk nicht dran, daß ich Ihn glücklich machen wollt!

DER BARON gemütlich.

Sie wird es tun, ob Sie daran wird denken oder nicht.

OCTAVIAN vor sich, blaß vor Zorn.

Hinaus! Hinaus! und kein Adieu,

sonst steh ich nicht dafür,

daß ich nicht was Verwirrtes tu!


Indessen ist der Notar mit dem Schreiber eingetreten, eingeführt durch Faninals Haushofmeister. Dieser meldet ihn dem Herrn von Faninal leise; Faninal geht zum Notar nach rückwärts hin, spricht mit ihm und sieht einen vom Schreiber vorgehaltenen Aktenfaszikel durch.


SOPHIE zwischen den Zähnen.

Hat nie kein Mann dergleichen Reden nicht zu mir geführt!

Möcht wissen, was Ihm dünkt von mir und Ihm?

Was ist denn Er zu mir!

DER BARON gemütlich.

Wird kommen über Nacht,

daß Sie ganz sanft

wird wissen, was ich bin zu Ihr.

Ganz wies im Liedl heißt – kennt Sie das Liedl?

»Lalalalala – wie ich dein Alles werde sein!

Mit mir, mit mir keine Kammer dir zu klein,

ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang,

mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang!«


Sophie, da er sie fester an sich drückt, reißt sich los und stößt ihn heftig zurück.


DIE DUENNA zu ihr eilend.

Ist recht ein familiärer Mann, der Herr Baron!

Man delektiert sich, was er alls für Einfäll hat![56]

OCTAVIAN ohne hinzusehen, und doch sieht er auf alles was vorgeht.

Ich steh auf glühenden Kohlen!

Ich fahr aus meiner Haut!

Ich büß in dieser einen Stund

all meine Sünden ab!

DER BARON für sich, sehr vergnügt.

Wahrhaftig und ja, ich hab ein lerchenauisch Glück!

Gibt gar nichts auf der Welt, was mich so enflammiert

und also vehement verjüngt als wie ein rechter Trotz!


Faninal und der Notar, hinter ihnen der Schreiber, sind an der linken Seite nach vorne gekommen.


DER BARON sowie er den Notar erblickt, eifrig zu Sophie, ohne zu ahnen, was in ihr vorgeht.

Da gibts Geschäften jetzt, muß mich dispensieren,

bin dort von Wichtigkeit. Indessen

der Vetter Taverl leistet Ihr Gesellschaft!

FANINAL.

Wenns jetzt belieben tät, Herr Schwiegersohn!

DER BARON eifrig.

Natürlich wirds belieben.


Im Vorbeigehen zum Octavian, den er vertraulich umfaßt.


Hab nichts dawider,

wenn du ihr möchtest Augerln machen, Vetter,

jetzt oder künftighin.

Ist noch ein rechter Rühr-nicht-an.

Betrachts als förderlich, je mehr sie degourdiert wird.

Ist wie bei einem jungen ungerittenen Pferd.

Kommt alls dem Angetrauten letzterdings zugute,

wofern er sich sein ehelich Privilegium

zunutz zu machen weiß.


Er geht nach links. Der Diener, der den Notar einließ, hat indessen die Türe links geöffnet. Faninal und der Notar schicken sich an, hineinzugehen. Der Baron mißt Faninal mit dem Blick und bedeutet ihm, drei Schritte Distanz zu nehmen. Faninal tritt devot zurück. Der Baron nimmt den Vortritt, vergewissert sich, daß Faninal drei Schritte Abstand hat, und geht gravitätisch durch die Tür links ab. Faninal hinter ihm, dann der Notar, dann der Schreiber. Der Bediente schließt die Türe links und[57] geht ab, läßt aber die Flügeltüre nach dem Vorsaal offen. Der servierende Diener ist schon früher abgegangen.

Sophie, rechts, steht verwirrt und beschämt. Die Duenna, neben ihr, knixt nach der Türe hin, bis sie sie schließt.


OCTAVIAN mit einem Blick hinter sich, gewiß zu sein, daß die anderen abgegangen sind, tritt schnell zu Sophie hinüber; bebend vor Aufregung.

Wird Sie das Mannsbild da heiraten, ma cousine?

SOPHIE einen Schritt auf ihn zu, leise.

Nicht um die Welt!


Mit einem Blick auf die Duenna.


Mein Gott, wär ich allein mit Ihm,

daß ich Ihn bitten könnt! daß ich Ihn bitten könnt!

OCTAVIAN halblaut, schnell.

Was ists, das Sie mich bitten möcht? Sag Sie mirs schnell!

SOPHIE noch einen Schritt näher zu ihm.

O mein Gott, daß Er mir halt hilft! Und Er wird mir

nicht helfen wollen, weil es halt Sein Vetter ist!

OCTAVIAN heftig.

Nenn ihn Vetter aus Höflichkeit,

ist nicht weit her mit der Verwandtschaft, Gott sei Lob und Dank!

Hab ihn im Leben vor dem gestrig'n Tage nie gesehen!


Quer durch den Saal flüchten einige von den Mägden des Hauses, denen die Lerchenauischen Bedienten auf den Fersen sind. Der Leiblakai und der mit dem Pflaster auf der Nase jagen einem hübschen jungen Mädchen nach und bringen sie hart an der Schwelle zum Salon bedenklich in die Enge.


DER FANINALSCHE HAUSHOFMEISTER kommt verstört hereingelaufen, die Duenna zu Hilfe holen.

Die Lerchenauischen sind voller Branntwein gesoffen

und gehn aufs Gesinde los, zwanzigmal ärger

als Türken und Crowaten!

DIE DUENNA.

Hol Er unsere Leut, wo sind denn die?


Läuft ab mit dem Haushofmeister, sie entreißen den beiden Zudringlichen ihre Beute und führen das Mädchen ab; alles verliert sich, der Vorsaal bleibt leer.
[58]

SOPHIE nun da sie sich unbeachtet weiß, mit freier Stimme.

Und jetzt geht Er noch fort von mir

und ich – was wird denn jetzt aus mir?

OCTAVIAN.

Ich darf ja nicht bleiben –

Wie gern blieb ich bei Ihr.

SOPHIE seufzend.

Er darf ja nicht bleiben –

OCTAVIAN.

Jetzt muß Sie ganz alleinig für uns zwei einstehen!

SOPHIE.

Wie? Für uns zwei? Das kann ich nicht verstehen.

OCTAVIAN.

Ja, für uns zwei! Sie wird mich wohl verstehn.

SOPHIE.

Ja! Für uns zwei! Sag Er das noch einmal!

Ich hab mein Leben so was Schönes nicht gehört.

Oh, sag Ers noch einmal.

OCTAVIAN.

Für sich und mich muß Sie das tun,

sich wehren, sich retten,

und bleiben, was Sie ist!

SOPHIE.

Bleib Er bei mir, dann kann ich alles, was Er will –

OCTAVIAN.

Mein Herz und Sinn –

SOPHIE.

Bleib Er bei mir!

OCTAVIAN.

– wird bei Ihr bleiben, wo Sie geht und steht!

SOPHIE.

Bleib Er bei mir, o bleib Er nur bei mir!


Aus den geheimen Türen in den rückwärtigen Ecken sind links Valzacchi, rechts Annina lautlos spähend herausgeglitten. Lautlos schleichen sie, langsam, auf den Zehen, näher.

Octavian zieht Sophie an sich, küßt sie auf den Mund. In diesem Augenblick sind die Italiener dicht hinter ihnen, ducken sich hinter den Lehnsesseln; jetzt springen sie vor, Annina packt Sophie, Valzacchi faßt Octavian.
[59]

VALZACCHI UND ANNINA zu zweien schreiend.

Herr Baron von Lerchenau! – Herr Baron von Lerchenau! –

OCTAVIAN springt zur Seite nach rechts.

VALZACCHI der Mühe hat, ihn zu halten, atemlos zu Annina.

Lauf und 'ole Seine Gnade!

Snell, nur snell. Ick muß 'alten diese 'erre!

ANNINA.

Laß ich die Fräulein aus, läuft sie mir weg!

ZU ZWEIEN.

Herr Baron von Lerchenau!

Herr Baron von Lerchenau!

Komm' zu sehn die Fräulein Braut!

Mit ein junge Kavalier!

Kommen eilig, kommen hier!


Baron tritt aus der Tür links. Die Italiener lassen ihre Opfer los, springen zur Seite, verneigen sich vor dem Baron mit vielsagender Gebärde.

Sophie schmiegt sich ängstlich an Octavian.


DER BARON die Arme über die Brust gekreuzt, betrachtet sich die Gruppe. Unheilschwangere Pause. Endlich.

Eh bien, Mamsell, was hat Sie mir zu sagen?

SOPHIE schweigt.

DER BARON der durchaus nicht außer Fassung ist.

Nun, resolvier Sie sich!

SOPHIE.

Mein Gott, was soll ich sagen:

Er wird mich nicht verstehen!

DER BARON gemütlich.

Das werden wir ja sehen!

OCTAVIAN einen Schritt auf den Baron zu.

Eur Liebden muß ich halt vermelden,

daß sich in Seiner Angelegenheit

was Wichtiges verändert hat.

DER BARON gemütlich.

Verändert? Ei, nicht daß ich wüßt!

OCTAVIAN.

Darum soll Er es jetzt erfahren!

Die Fräulein –[60]

DER BARON.

Er ist nicht faul! Er weiß zu profitieren,

mit Seine siebzehn Jahr! Ich muß Ihm gratulieren!

OCTAVIAN.

Die Fräulein –

DER BARON halb zu sich.

Ist mir ordentlich, ich seh mich selber!

Muß lachen über den Filou, den pudeljungen.

OCTAVIAN.

Die Fräulein –

DER BARON.

Seh! Sie ist wohl stumm und hat ihn angestellt

für ihren Advokaten!

OCTAVIAN.

Die Fräulein –


Er hält abermals inne, wie um Sophie sprechen zu lassen.


SOPHIE angstvoll.

Nein! Nein! Ich bring den Mund nicht auf, sprech Er für mich!

OCTAVIAN.

Die Fräulein –

DER BARON ihm nachstotternd.

Die Fräulein, die Fräulein! Die Fräulein! Die Fräulein!

Ist eine Kreuzerkomödi wahrhaftig!

Jetzt echappier Er sich, sonst reißt mir die Geduld.

OCTAVIAN sehr bestimmt.

Die Fräulein, kurz und gut,

die Fräulein mag Ihn nicht.

DER BARON gemütlich.

Sei Er da außer Sorg. Wird schon lernen mich mögen.


Auf Sophie zu.


Komm Sie jetzt da hinein: wird gleich an Ihrer sein,

die Unterschrift zu geben.

SOPHIE zurücktretend.

Um keinen Preis geh ich an Seiner Hand hinein!

Wie kann ein Kavalier so ohne Zartheit sein!

OCTAVIAN der jetzt zwischen den beiden anderen und der Türe links steht, sehr scharf.[61]

Versteht Er Deutsch? Die Fräulein hat sich resolviert.

Sie will Eur Gnaden ungeheirat' lassen

in Zeit und Ewigkeit!

DER BARON mit der Miene eines Mannes, der es eilig hat.

Mancari! Jungfernred ist nicht gehaun und nicht gestochen!

Verlaub Sie jetzt!


Nimmt sie bei der Hand.


OCTAVIAN sich vor die Tür stellend.

Wenn nur so viel an Ihm ist

von einem Kavalier,

so wird Ihm wohl genügen,

was Er gehört hat von mir!

DER BARON tut, als hörte er ihn nicht, zu Sophie.

Gratulier Sie sich nur, daß ich ein Aug zudruck!

Daran mag Sie erkennen, was ein Kavalier ist!


Er macht Miene, mit ihr an Octavian vorbeizukommen.


OCTAVIAN schlägt an seinen Degen.

Wird doch wohl ein Mittel geben,

Seinesgleichen zu bedeuten.

DER BARON der Sophie nicht losläßt, sie jetzt vorschiebt gegen die Tür.

Ei, schwerlich, wüßte nicht!

OCTAVIAN.

Will Ihn denn vor diesen Leuten –

DER BARON Gleiches Spiel.

Haben Zeit nicht zu verlieren.

OCTAVIAN.

– auch nicht länger menagieren.

DER BARON.

Ein andermal erzähl Er mir Geschichten

woanders oder hier.

OCTAVIAN losbrechend.

Ich acht Ihn mit nichten

für einen Kavalier!

Auch für keinen Mann

seh ich Ihn an!

DER BARON.

Wahrhaftig, wüßt ich nicht, daß Er mich respektiert,[62]

und wär Er nicht verwandt, es wär mir jetzo schwer,

daß ich mit Ihm nicht übereinanderkäm!


Er macht Miene, Sophie mit scheinbarer Unbefangenheit gegen die Mitteltür zu führen, nachdem ihm die Italiener lebhaft Zeichen gegeben haben, diesen Weg zu nehmen.


Komm Sie! Gehn zum Herrn Vater dort hinüber!

Ist bereits der nähere Weg!

OCTAVIAN ihm nach, dicht an ihr.

Ich hoff, Er kommt vielmehr jetzt mit mir hinters Haus,

ist dort recht ein bequemer Garten.

DER BARON setzt seinen Weg fort, mit gespielter Unbefangenheit Sophie an der Hand nach jener Richtung zu führen bestrebt, über die Schulter zurück.

Bewahre. Wär mir jetzo nicht genehm.

Laß um alls den Notari nicht warten.

Wär gar ein affront für die Jungfer Braut!

OCTAVIAN faßt ihn am Ärmel.

Beim Satan, Er hat eine dicke Haut!

Auch dort die Tür passiert Er mir nicht!

Ich schreis Ihm jetzt in Sein Gesicht:

Ich acht Ihn für einen Filou,

einen Mitgiftjäger,

einen durchtriebenen Lumpen und schmutzigen Bauer,

einen Kerl ohne Anstand und Ehr!

Und wenns sein muß, geb ich Ihm auf dem Fleck die Lehr!


Sophie hat sich vom Baron losgerissen und ist hinter Octavian zurückgesprungen. Sie stehen links, ziemlich vor der Tür.


DER BARON steckt zwei Finger in den Mund und tut einen gellenden Pfiff. Dann.

Was so ein Bub in Wien mit siebzehn Jahr

schon für ein vorlaut Mundwerk hat!


Er sieht sich nach der Mitteltür um.


Doch Gott sei Lob, man kennt in hiesiger Stadt

den Mann, der vor Ihm steht,

halt bis hinauf zur Kaiserlichen Majestät!

Man ist halt was man ist, und brauchts nicht zu beweisen.

Das laß Er sich gesagt sein und geb mir den Weg da frei.


Der Lerchenauische Livree ist vollzählig in der Mitteltür aufmarschiert;[63] er vergewissert sich dessen durch einen Blick nach rückwärts. Er rückt jetzt gegen die beiden vor, entschlossen, sich Sophiens und des Ausganges zu bemächtigen.


Wär mir wahrhaftig leid, wenn meine Leut dahinten –

OCTAVIAN wütend.

Ah, untersteht Er sich, Seine Bedienten

hineinzumischen in unsern Streit

Jetzt zieh Er oder gnad Ihm Gott!


Er zieht.

Die Lerchenauischen, die schon einige Schritte vorgerückt waren, werden durch diesen Anblick einigermaßen unschlüssig und stellen ihren Vormarsch ein. Der Baron tut einen Schritt, sich Sophiens zu bemächtigen.


OCTAVIAN schreit ihn an.

Zum Satan, zieh Er oder ich stech Ihn nieder!

SOPHIE.

O Gott, was wird denn jetzt geschehn!

DER BARON retiriert etwas.

Vor einer Dame! pfui, so sei Er doch gescheit!

OCTAVIAN fährt wütend auf ihn los.


Der Baron zieht, fällt ungeschickt aus und hat schon die Spitze von Octavians Degen im rechten Oberarm. Die Lerchenauischen stürzen vor.


DER BARON indem er den Degen fallen läßt.

Mord! Mord! mein Blut! zu Hilfe! Mörder! Mörder! Mörder!


Die Diener stürzen alle zugleich auf Octavian los. Dieser springt nach rechts hinüber und hält sie sich vom Leib, indem er seinen Degen blitzschnell um

sich kreisen läßt. Der Almosenier, Valzacchi und Annina eilen auf den Baron zu, den sie stützen und auf einen der Stühle in der Mitte niederlassen.


DER BARON von ihnen umgeben und dem Publikum verstellt.

Ich hab ein hitzig Blut! Einen Arzt, eine Leinwand!

Verband her! Ich verblut mich auf eins zwei!

Aufhalten den! Um Polizei, um Polizei!

DIE LERCHENAUISCHEN indem sie mit mehr Ostentation als Entschlossenheit auf Octavian eindringen.

Den hauts z'samm! Den hauts z'samm![64]

Spinnweb her! Feuerschwamm!

Reißts ihm den Spadi weg!

Schlagts ihn tot aufn Fleck!


Die sämtliche Faninalsche Dienerschaft, auch das weibliche Hausgesinde, Küchenpersonal, Stallpagen sind zur Mitteltür hereingeströmt.


ANNINA auf sie zu.

Der junge Kavalier

und die Fräuln Braut, verstehts?

waren im geheimen

schon recht vertraut, verstehts?


Valzacchi und der Almosenier ziehen dem Baron, der stöhnt, seinen Rock aus.


DIE FANINALSCHE DIENERSCHAFT.

Gstochen is einer? Wer?

Der dort? Der fremde Herr?

Welcher? Der Bräutigam?

Packts den Duellanten z'samm!

Welcher is der Duellant?

Der dort im weißen Gwand!

Was, der Rosenkavalier?

Wegen was denn? Wegen ihr?

Angepackt! Niederghaut!

Wegen der Braut?

Wegen der Liebschaft!

Wütender Haß is!

Schauts nur die Fräuln an,

schauts, wie sie blaß is!

DIE DUENNA bahnt sich den Weg, auf den Baron zu; sie umgeben den Baron in dichter Gruppe, aus welcher zugleich mit allen übrigen die Stimme der Duenna klagend hervortönt.

So ein fescher Herr! So ein guter Herr!

So ein schwerer Schlag! So ein groß Malheur!

OCTAVIAN indem er sich seine Angreifer vom Leib hält.

Wer mir zu nah kommt,

der lernt beten!

Was da passiert ist,

kann ich vertreten.[65]

SOPHIE links vorne.

Alles geht durcheinand!

Furchtbar wars, wie ein Blitz,

wie ers erzwungen hat,

ich spür nur seine Hand,

die mich umschlungen hat!

Ich spür nichts von Angst,

ich spür nichts von Schmerz,

nur das Feur, seinen Blick,

durch und durch, bis ins Herz!

DIE LERCHENAUISCHEN lassen von Octavian ab und gehen auf die ihnen zunächst stehenden Mägde handgreiflich los.

Leinwand her! Verband machen!

Fetzen ausn Gwand machen!

Vorwärts, keine Spanponaden,

Leinwand für Seine Gnaden!


Sie machen Miene, sich zu diesem Zweck der Hemden der jüngeren und hübscheren Mägde zu bemächtigen. In diesem Augenblick kommt die Duenna, die fortgestürzt war, zurück, atemlos, beladen mit Leinwand; hinter ihr zwei Mägde mit Schwamm und Wasserbecken. Sie umgeben den Baron mit eifriger Hilfeleistung. Faninal kommt zur Türe links hereingestürzt, hinter ihm der Notar und der Schreiber, die in der Türe ängstlich stehenbleiben.


DER BABON man hört seine Stimme, ohne viel von ihm zu sehen.

Ich kann ein jedes Blut mit Ruhe fließen sehen,

nur bloß das meinig nicht! Oh! Oh!

So tu Sie doch was Gscheits, so rett Sie doch mein Leben!

Oh! Oh!


Sophie ist, wie sie ihres Vaters ansichtig wird, nach rechts vorne hingelaufen, steht neben Octavian, der nun seinen Degen einsteckt.


ANNINA knixend und eifrig zu Faninal links vorne.

Der junge Kavalier

und die Fräuln Braut, Gnaden,

waren im geheimen

schon recht vertraut, Gnaden!

Wir voller Eifer[66]

fürn Herrn Baron, Gnaden,

haben sie betreten

in aller Devotion, Gnaden!

DIE DUENNA um den Baron beschäftigt.

So ein fescher Herr! So ein groß Malheur!

So ein schwerer Schlag, so ein Unglückstag!

FANINAL schlägt die Hände überm Kopf zusammen.

Herr Schwiegersohn! Wie ist Ihm denn? Mein Herr und Heiland!

Daß Ihm in mein' Palais hat das passieren müssen!

Gelaufen um den Medicus! Geflogen!

Meine zehn teuern Pferd zu Tod gehetzt!

Ja hat denn niemand von meiner Livree

dazwischenspringen mögen! Fütter ich dafür

ein Schock baumlange Lackeln, daß mir solche Schand

passieren muß in meinem neuchen Stadtpalais!


Auf Octavian zu.


Hätt wohl von Euer Liebden eines andern Anstands mich versehn!

DER BARON.

Oh! Oh!

FANINAL abermals zu ihm hin.

Oh! Um das schöne freiherrliche Blut, was aufn Boden rinnt!


Gegen Octavian hin.


O pfui! So eine ordinäre Metzgerei!

DER BARON.

Hab halt ein jung und hitzig Blut, das ist ein Kreuz,

ist nicht zum Stillen! Oh!

FANINAL auf Octavian losgehend.

War mir von Euer Liebden hochgräflicher Gegenwart allhier

wahrhaftig einer andern Freud gewärtig!

OCTAVIAN höflich.

Er muß mich pardonieren.

Bin außer Maßen sehr betrübt über den Vorfall.

Bin aber ohne Schuld. Zu einer mehr gelegnen Zeit

erfahren Euer Liebden wohl den Hergang

aus Ihrer Fräulein Tochter Mund.[67]

FANINAL sich mühsam beherrschend.

Da möcht ich recht sehr bitten!

SOPHIE entschlossen.

Wie Sie befehlen, Vater. Werd Ihnen alles sagen.

Der Herr dort hat sich nicht so wie er sollt betragen.

FANINAL zornig.

Ei, von wem redt Sie da? Von Ihrem Herrn Zukünftigen?

Ich will nicht hoffen! Wär mir keine Manier.

SOPHIE ruhig.

Ist nicht der Fall. Seh ihn mitnichten an dafür.


Der Arzt kommt, wird gleich zum Baron geführt.


FANINAL immer zorniger.

Sieht ihn nicht an?

SOPHIE.

Nicht mehr. Bitt Sie dafür um gnädigen Pardon.

FANINAL zuerst dumpf vor sich hin, dann in helle Wut ausbrechend.

Sieht ihn nicht an. Nicht mehr. Mich um Pardon.

Liegt dort gestochen. Steht bei ihr. Der Junge.

Blamage. Mir auseinander meine Eh.

Alle Neidhammeln von der Wieden und der Leimgrub'n

auf! In der Höh! Der Medicus. Stirbt mir womöglich!


Auf Sophie zu, in höchster Wut.


Sie heirat ihn!


Auf Octavian, indem der Respekt vor dem Grafen Rofrano seine Grobheit zu einer knirschenden Höflichkeit herabdämpft.


Möcht Euer Liebden recht in aller Devotion

gebeten haben, schleunig sich von hier zu retirieren

und nimmerwieder zu erscheinen!


Zu Sophie.


Hör Sie mich!

Sie heirat ihn! Und wenn er sich verbluten tät,

so heirat Sie ihn als Toter!


Der Arzt zeigt durch eine beruhigende Gebärde, daß der Verwundete sich in keiner Gefahr befindet.

Octavian sucht nach seinem Hut, der unter die Füße der Dienerschaft geraten war.

Eine Magd überreicht ihm den Hut.


Faninal macht Octavian eine Verbeugung, übertrieben höflich,[68] aber unzweideutig. Octavian muß wohl gehen, möchte aber gar zu gerne Sophie noch ein Wort sagen. Er erwidert zunächst Faninals Verbeugung durch ein gleich tiefes Kompliment.


SOPHIE beeilt sich das folgende noch zu sagen, solange Octavian es hören kann. Mit einer Reverenz.

Heirat den Herrn dort nicht lebendig und nicht tot!

Sperr mich zuvor in meine Kammer ein!

FANINAL in Wut und nachdem er abermals eine wütende Verbeugung gegen Octavian gemacht hat, die Octavian prompt erwidert.

Ah! Sperrst dich ein. Sind Leut genug im Haus,

die dich in Wagen tragen werden.

SOPHIE mit einem neuen Knix.

Spring aus dem Wagen noch, der mich zur Kirchn führt!

FANINAL mit dem gleichen Spiel zwischen ihr und Octavian, der immer einen Schritt gegen den Ausgang tut, aber von Sophie in diesem Augenblick nicht loskann.

Ah! Springst noch aus dem Wagen! Na, ich sitz neben dir,

werd dich schon halten!

SOPHIE mit einem neuen Knix.

Geb halt dem Pfarrer am Altar

Nein anstatt Ja zur Antwort!


Der Haushofmeister macht indessen die Leute abtreten. Die Bühne leert sich. Nur die Lerchenauischen bleiben bei ihrem Herrn zurück.


FANINAL mit gleichem Spiel.

Ah! Gibst Nein anstatt Ja zur Antwort!

Ich steck dich in ein Kloster stante pede!

Marsch! Mir aus meine Augen! Lieber heut als morgen!

Auf Lebenszeit!

SOPHIE erschrocken.

Ich bitt Sie um Pardon! Bin doch kein schlechtes Kind!

Vergeben Sie mir nur dies eine Mal!

FANINAL hält sich in Wut die Ohren zu.

Auf Lebenszeit. Auf Lebenszeit.

OCTAVIAN schnell halblaut.

Sei Sie nur ruhig, Liebste, um alles!

Sie hört von mir!


Duenna stößt Octavian, sich zu entfernen.
[69]

FANINAL.

Auf Lebenszeit!

DIE DUENNA zieht Sophie mit sich nach rechts.

So geh doch nur dem Vater aus die Augen!


Zieht sie zur Türe rechts hinaus, schließt die Tür. Octavian ist zur Mitteltür abgegangen.

Baron, umgeben von seiner Dienerschaft, der Duenna, zwei Mägden, den Italienern und dem Arzt, wird auf einem aus Sitzmöbeln improvisierten Ruhebett jetzt in ganzer Gestalt sichtbar.


FANINAL schreit nochmals durch die Türe rechts, durch die Sophie abgegangen ist.

Auf Lebenszeit!


Eilt dann dem Baron entgegen.


Bin überglücklich! Muß Euer Liebden embrassieren!

DER BARON dem er bei der Umarmung am Arm wehgetan.

Oh! Oh!

FANINAL.

Jesus Maria!


Nach rechts hin in innerer Wut.


Luderei! Ein Kloster.


Nach der Mitteltür.


Ein Gefängnis!

Auf Lebenszeit!

DER BARON.

Is gut! Is gut! Ein Schluck von was zu trinken!

FANINAL.

Ein Wein? Ein Bier? Ein Hippokras mit Ingwer?


Der Arzt macht eine ängstlich abwehrende Bewegung.


FANINAL.

So einen Herrn zurichten miserabel,

in meinem Stadtpalais! Sie heirat Ihn um desto früher!

Bin Manns genug!

DER BARON.

Is gut, alls gut!

FANINAL macht die Türe rechts, in aufflammender Wut.

Bin Manns genug!


Zum Baron zurück.


Küß ihm die Hand für seine Güt und Nachsicht.[70]

Gehört alls Ihm im Haus. Ich lauf – ich bring Ihm –


Nach rechts.


Ein Kloster ist zu gut! Sei Er nur außer Sorg.

Weiß was ich Satisfaktion Ihm schuldig bin.


Stürzt ab. Desgleichen gehen Duenna und Mägde ab.

Die beiden Italiener sind schon während des obigen

fortgeschlichen.


DER BARON halb aufgerichtet.

Da lieg ich! Was ei'm Kavalier nicht alls passieren kann

in dieser Wienerstadt!

Wär nicht mein Gusto, – ist eins allzusehr in Gottes Hand,

wär lieber schon daheim!


Ein Diener ist aufgetreten, eine Kanne Wein zu servieren.


DER BARON macht eine Bewegung, wodurch sich ihm der Schmerz im Arm erneuert.

Oh! Oh! Der Satan! Oh! Oh! Sakramentsverfluchter Bub,

nit trocken hintern Ohr und fuchtelt mitn Spadi!

Wällischer Hundsbub das! Wart, wenn ich dich erwisch!

In Hundezwinger sperr ich dich, bei meiner Seel,

in Hühnerstall! In Schweinekofen!

Tät dich kuranzen! Solltest alle Engel singen hören!


Der Arzt schenkt ihm ein Glas Wein ein, präsentiert es ihm.


DER BARON nachdem er getrunken.

Und doch, muß lachen, wie sich so ein Bub

mit seine siebzehn Jahr die Welt imaginiert:

meint, Gott weiß wie er mich contrecarriert!

Hoho! umkehrt ist auch gfahren – möcht um alles nicht,

daß ich dem Mädel ihr rebellisch Aufbegehren nicht verspüret hätt:

Gibt auf der Welt nichts, was mich entflammiert

und also vehement verjüngt als wie ein rechter Trotz!


Zum Arzt gewandt.


Bin willens, jetzt mich in mein Kabinettl zu verfügen und eins zu ruhn.

Herr Medicus, begeb Er sich indes voraus!

Mach Er das Bett aus lauter Federbetten.

Ich komm. Erst aber trink ich noch. Marschier Er nur indessen.


[71] Der Arzt geht ab mit dem Leiblakai.

Annina ist durch den Vorsaal hereingekommen und schleicht sich verstohlen heran, einen Brief in der Hand.


DER BARON vor sich, den zweiten Becher leerend.

Ein Federbett. Zwei Stunden bis zu Tisch. Werd Zeit lang haben.

»Ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang,

mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang.«

ANNINA stellt sich so, daß der Baron sie sehen muß, und winkt ihm geheimnisvoll mit dem Brief.

DER BARON.

Für mich?

ANNINA näher.

Von der Bewußten.

DER BARON.

Wer soll da gemeint sein?

ANNINA ganz nahe.

Nur eigenhändig, insgeheim, zu übergeben.

DER BARON.

Luft da!


Die Diener treten zurück, nehmen den Faninalschen ohne weiters die Weinkanne ab und trinken sie leer.


DER BARON.

Zeig Sie den Wisch!


Reißt mit der Linken den Brief auf. Versucht ihn zu lesen, indem er ihn sehr weit von sich weghält.


Such Sie in meiner Taschen meine Brillen.


Mißtrauisch, da sie sich dazu anschickt.


Nein: Such Sie nicht! Kann Sie Geschriebnes lesen?

Da.

ANNINA nimmt und liest.

»Herr Kavalier! Den Sonntagabend hätt i frei.

Sie ham mir schon gefallen, nur geschamt

hab i mi vor die Fürstli'n Gnadn

weil i noch gar so jung bin. Das bewußte Mariandel,

Kammerzofel und Verliebte.

Wenn der Herr Kavalier den Nam nit schon vergessen hat.

I wart auf Antwort.«[72]

DER BARON.

Sie wart auf Antwort.

Geht alles recht am Schnürl, so wie zu Haus,

und hat noch einen andern Schick dazu.

Ich hab halt schon einmal ein lerchenauisch Glück.

Komm Sie nach Tisch, geb Ihr die Antwort nachher schriftlich.

ANNINA.

Ganz zu Befehl, Herr Kavalier. Vergessen nicht der Botin?

DER BARON vor sich.

»Ohne mich, ohne mich jeder Tag dir so bang.«

ANNINA dringlicher.

Vergessen nicht der Botin, Euer Gnadn?

DER BARON.

Schon gut.

»Mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang.«

Das später. Alls auf einmal. Dann zum Schluß.

Sie wart auf Antwort! Tret Sie ab indessen.

Schaff Sie ein Schreibzeug in mein Zimmer. Hier dort drüben,

daß ich die Antwort dann diktier.

ANNINA ab.

DER BARON noch einen letzten Schluck, im Abgehen von seinen Leuten begleitet, behaglich.

»Mit mir, mit mir keine Nacht dir zu lang!«


Vorhang.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 5, Frankfurt a.M. 1979, S. 44-73.
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