Zweiter Aufzug


[331] Des Färbers Wohnung.

Die Brüder blicken zur Tür herein, bepackt.

Der Färber belädt sich, die Kaiserin, als Magd, hilft ihm dabei.


DIE AMME läuft an die Tür, neigt sich bis zur Erde vor dem Färber.

Komm bald wieder nach Haus, mein Gebieter,

denn meine Herrin verzehrt sich vor Sehnsucht,

wenn du nicht da bist!


Barak geht.


DIE AMME läuft zur Frau hinüber, leise.

Die Luft ist rein und kostbar die Zeit!

Wie ruf ich den, der nun herein soll?


Die Frau hat sich gesetzt und das Tuch, mit dem ihr Kopf umwunden war, gelöst; ihr Haar ist mit Perlschnüren durchflochten. Die Kaiserin kniet vor ihr, hält ihr den Spiegel.


DIE AMME.

O du meine Herrin seit diesem Tage,

gib mir doch Antwort!

Wie sind deine Bräuche?

Soll diese laufen?

Oder ruf ich ihn?

Mit einem sehnsüchtigen Ruf?

Oder einem fröhlichen?

DIE FRAU scharf.

Auf wen geht die Rede?

DIE AMME leise.

Auf den, der thronet in deinem Herzen,

und für den du dich schmückest!

DIE FRAU ruhig.

Im leeren Herzen wohnet keiner,

und geschmückt hab ich mich

für den Spiegel.[332]

DIE AMME verschlagen.

Hören ist Verstehen,

o meine Herrin!

So sprech ich von dem Sehnsuchtsverzehrten,

dem deines offenen Haares Wehen –

in Träumen geahnt, doch niemals gesehen –

die Knie löst vor Furcht und Bangen:

verstatte, daß ich diesen rufe

zur Schwelle der Sehnsucht und der Erhörung!

DIE FRAU steht auf.

Ich weiß von keinem Manne außer ihm

der aus dem Hause ging.

DIE AMME dicht an ihr.

O du Augapfel meiner Träume!

Den flüchtig Begegneten, heimlich Ersehnten,

den du mit niedergeschlagenen Augen

dennoch ansahest – und warst ihm zu Willen

in deinen Gedanken –, erbarme dich seiner!

DIE FRAU errötend, verwirrt.

Wer bist denn du?

Wie nimmst du mich denn?

DIE AMME schnell triumphierend.

Wir bringen ihn dir,

zu dem du jetzt eben

mit süßem Erröten

dein Denken geschickt!

DIE FRAU.

Lachen muß ich

über dich!

– – – – – – – – – – –

Wenn ich dir sage:

ich weiß kaum die Gasse,

wo ich ihn traf,

nicht das Viertel der Stadt,

noch seinen Namen!

DIE AMME.

Nun schließ deine Augen

und ruf ihn dir![333]

Und schlägst du sie auf,

steht er vor dir!

DIE FRAU ihren Gedanken nachhängend.

Nur, daß ich auf einer Brücke ging

unter vielen Menschen,

als einer mir entgegenkam,

ein Knabe fast,

der meiner nicht achtete –

DIE AMME nimmt verstohlen einen Strohwisch vom Boden auf.

Du Besen, leih mir die Gestalt!

Und Kessel du, leih mir deine Stimme!

DIE KAISERIN zur Amme.

Weh! Muß dies geschehen

vor meinen Augen?

DIE AMME leise.

Zu gutem Handel

und dir zu Gewinn.


Sie gleitet zur Frau hin, birgt den Strohwisch hinterm Rücken.


Geschlossen dein Aug

und geöffnet dein Herz,

du Liebliche, du!


Sie wirft den Strohwisch über die Frau. Es blitzt auf, und nachher bleibt das Licht verändert.


DIE KAISERIN vor sich, flüsternd, währenddem die Frau laut denkt.

Sind so die Menschen?

So feil ihr Herz?

DIE AMME.

Kielkröpfe und Molche

sind zu schauen

so lustig als sie!

DIE FRAU mit geschlossenen Augen, monologisch fortlaufend.

– der meiner nicht achtete

mit hochmütigem Blick –

– – – – – – – – – – –

und des ich gedachte

heimlich, zuweilen,

um Träumens willen![334]

DIE AMME entschieden.

Es ist an der Zeit,

herbei, mein Gebieter!


Sie klatscht in die Hände. Es steht ein Jüngling da, wie entseelt.

Zwei kleine dunkle Gestalten stützen ihn, die sogleich verschwinden.


DIE FRAU mit offenen Augen.

Er und der Gleiche!

Und doch nicht!

DIE AMME dicht bei dem Jüngling, der allmählich sich belebt.

Um ihretwillen

bist du hier,

du Vielersehnter!


Läuft zur Frau hinüber.


Wie ist dir

um jede Stunde,

da du diesen

nicht gekannt hast?

DIE FRAU.

Ich will hinweg

und mich verbergen!


Der Jüngling steht gesenkten Kopfes.

Die Frau hebt unwillkürlich die Hände gegen ihn.


DIE AMME zwischen beiden.

Sei schnell, mein Gebieter!

Und kühn, du Herrin!

Unsagbar fliehend

ist solches Glück!

STIMMEN aus der Luft.

Sei schnell, mein Gebieter!

Und kühn, du Herrin!

Unsagbar fliehend

ist das Glück!


Die Amme läuft zur Kaiserin hin, zieht sie nach rückwärts.


DIE KAISERIN macht sich jäh los, horcht hinaus.

Ach! Wehe! Daß sie sich treffen müssen,

der Dieb und der, dem das Haus gehört,

der mit dem Herzen und der ohne Herz![335]

DIE AMME läuft nach vorne.

Voneinander!

Ihr ist gegeben,

zu hören, was fern ist,

sie meldet: der Färber

kehrt nach Hause!


Sie wirft ihren Mantel über den Jüngling, der Raum verdunkelt sich jäh, und als es wieder hell wird, ist der Knabe verschwunden. Zu der Amme Füßen liegt der Strohwisch, den sie aufnimmt und in einer Mauernische verbirgt.

Die Tür geht auf, Barak tritt ein, eine riesengroße kupferne Schüssel auf den Armen tragend, ihm voraus der Einäugige, den Dudelsack spielend, der Bucklige bekränzt und ein großes Weingefäß schleppend, der Einarmige, mit noch einer kleineren Schüssel, Bettelkinder drängen sich ihnen nach zur Tür herein.


BARAK stolz und glücklich auf die Frau zu.

Was ist nun deine Rede,

du Prinzessin,

vor dieser Mahlzeit,

du Wählerische?


Die Frau kehrt ihm den Rücken.


DIE BRÜDER haben sich rechts in eine Reihe gestellt.

O Tag des Glücks, o Abend der Gnade!

Das war ein Einkauf!

Schlag ab, du Schlachter, ab vom Kalbe

und ab vom Hammel! Und her mit dem Hahn!

Du Bratenbrater, heraus mit dem Spieß!

Heran, du Bäcker, mit dem Gebackenen,

und du, Verdächtiger, her mit dem Wein!

Wenn wir einkaufen, das ist ein Einkauf!

O Tag des Glücks, o Abend der Gnade!

DIE BETTELKINDER fallen ein.

O Tag des Glücks, o Abend der Gnade!

DIE FRAU ohne Barak voll anzusehen.

Wahrlich, es ist angelegt

aufs Zertreten des Zarten,

und es siegt das Plumpe,

und dem, der Brot will,[336]

wird ein Stein gegeben!

Und wer von der Schüssel der Träume kostete,

zu dem treten Tiere

und halten ihm den Wegwurf hin

vom Tisch des Glücklichen,

und er hat nichts

wohin er sich flüchte,

als in seine Tränen!

Das ist meine Rede,

du glückseliger Barak!


Die Tränen überwältigen sie, sie setzt sich abseits und verbirgt ihr Gesicht in den Händen.


BARAK hat seine Schüssel auf die Erde gestellt; nach einer Pause der Resignation.

Esset, ihr Brüder, und lasset euch wohl sein!

Ihre Zunge ist spitz, und ihr Sinn ist launisch,

aber nicht schlimm –

und ihre Reden sind gesegnet

mit dem Segen der Widerruflichkeit

um ihres reinen Herzens willen

und ihrer Jugend.


Die Brüder lagern auf der Erde und haben sich über die Schüsseln hergemacht, die Bettelkinder um sie; Barak stopft den Kindern gute Bissen in den Mund. In der Tür sammeln sich Nachbarn, alte Weiber, Krüppel, noch mehr Kinder an, auch Hunde.


BARAK winkt die Magd heran.

Komm her, du stillgehende Muhme,

das ist für dich!

Und geh hin zu der Frau:

ob sie nicht will vom Zuckerwerk

oder vom Eingemachten mit Zimmet.


Die Kaiserin schickt sich an, zu der Frau hinüberzugehen.


DIE FRAU fährt auf.

Meinen Pantoffel in dein Gesicht,

du Schleichende!

Bitternis will ich tragen im Mund

und nicht sie verzuckern!

Was brauch ich Gewürze,[337]

der Gram verbrennt mich!

Um der grausamen Tücke willen

und des erbärmlichen Geschickes!

DIE BRÜDER unter dem Essen durcheinander.

Wer achtet ein Weib

und Geschrei eines Weibes?

Aber der Langmütige,

der bist du von je!

Und der Großmütige

vom Mutterleib!

Und der Wohltätige!

Und der Freigebige!

Das bist du!

O unser aller Vater!


Neigen sich, halbtrunken, küssen die Erde vor Barak.


BARAK zugleich mit ihr und ihnen; fromm, mit ungesuchter Feierlichkeit.

Hier ist vom Guten,

lasset euch wohl sein,

meine Brüder,

und freuet euch,

daß ihr lebt!

Es ist euch gegönnt,

und ihr seid mir

anstatt der Kinder!

DIE FREMDEN KINDER neigen sich vor Barak.

O du Färber unter den Färbern

und unser aller Vater!


Zwischenvorhang fällt.

Das kaiserliche Falknerhaus, einsam im Walde. Mondlicht zwischen den Bäumen. Der Kaiser kommt geritten, steigt leise vom Pferde, nähert sich lautlos, bleibt hinter einem Baum verborgen, von wo er den Eingang und das eine Feuer des kleinen Hauses vor Augen hat. – Die Türe ist geschlossen.


DER KAISER.

Falke, Falke, du wiedergefundener –

wo führst du mich hin, kluger Vogel?

»Das Falknerhaus, einsam im Walde,[338]

soll die drei Tage mir Wohnung sein –

niemand um mich als die Amme allein

ferne den Menschen, verborgen der Welt« –

So schrieb meine Frau – sie gabs dem Boten,

künstlich ihr Haarband umflocht den Brief.

Nun führst du mich über Berg und Fluß

hierher den Weg, Seltsamer du –

Soll ich mich bergen hier im Schatten

als ihr Jäger immerdar?

Hast du darum mich hergeführt?

Schläft sie? Mich dünkt, das Haus ist leer!

Falke, mein Falke, was ist mir das?

Wo ist deine Herrin zu nächtiger Zeit?

Falke, mir ist: zur unrechten Stunde

hast du mich hierher geführt.


Er lauscht.


Still, mein Falke, und horch mit mir!

Es kommt gegangen, es kommt geschwebt –

ist das die Beute, die du mir schlägst?

Stille –


Die Amme, hinter ihr die Kaiserin, kommen zwischen den Bäumen herangeschwebt und stehen zwischen den Bäumen; sie sind mit wenigen lautlosen Schritten auf der Schwelle, die Amme öffnet, sie schlüpfen ins Haus, das sich von innen erleuchtet.


DER KAISER.

O weh, Falke, o weh!

Wo kommt sie her! Wehe, o weh!

Menschendunst hängt an ihr,

Menschenatem folgt ihr nach,

wehe, daß sie mir lügen kann –

wehe, daß sie nun sterben muß!


Er zieht einen Pfeil aus dem Köcher.


Pfeil, mein Pfeil, du mußt sie töten,

die meine weiße Gazelle war!

Weh! da du sie ritztest, ward sie ein Weib! –

Du bist nicht, der sie töten darf.


Er stößt den Pfeil wieder in den Köcher, zieht das Schwert halb aus der Scheide.
[339]

Schwert, mein Schwert, du mußt auf sie!

Weh, ihren Gürtel hast du gelöst –

du bist nicht, der sie töten darf!


Er stößt das Schwert wieder in die Scheide.


– Und meine nackten Hände! Weh!

Meine Hände vermögen es nicht!

Wehe, o weh!

Auf, mein Pferd, und du, Falke, voran!

und führ mich hinweg von diesem Ort,

wohin dein tückisches Herz dich heißt,

führ mich ins öde Felsgeklüft,

wo kein Mensch und kein Tier meine Klagen hört!

Wehe, o weh!

– – – – – – – – – – –


Der Zwischenvorhang fällt.

Des Färbers Wohnung. – Barak schafft. – Die Frau und die Amme tauschen ungeduldige Blicke.


DIE FRAU halblaut vor sich hin.

Es gibt derer, die haben immer Zeit,

und ist der Markt vorbei,

so kommen sie auch noch zurecht.

BARAK wendet den Kopf nach ihr.

Schon geh ich. Es ist heiß. Ich habe schwer geschafft

seit diesem Morgen, und nicht viel vor mich gebracht.

Gib mir zu trinken, Frau?

DIE FRAU ohne sich zu wenden.

Sind Mägde da.


Die Amme gießt ein, tut verstohlen einen Saft in den Trunk.


BARAK ohne hinzusehen.

Gibst du mir nicht?


Die Amme gibt der Kaiserin das Gefäß.

Die Frau, mit ausgestrecktem Arm, heißt sie, es dem Herrn bringen. – Die Kaiserin bringt es hin.


BARAK trinkt.

Mich schläfert. Es ist heiß.

DIE FRAU vor Ungeduld, singt höhnisch vor sich hin.

Sag: ich geh – und bleibe sitzen!

Sag: ich tu – und laß es sein![340]

Bin ich doch der Herr im Haus!

Hab es halt, so ist es mein,

Haus und Herd und Bette und Weib!

BARAK ohne Zorn.

Mich schläfert sehr. Ich muß hier liegen, Frau.

Zu Abend – dann – – trag ich – die Ware zu Markt.


Schläft ein auf einem Sack Kräuter.


DIE FRAU höhnisch wild singend.

Und sparst den Esel, der sie dir schleppt!

Sparst den Esel, der dir sie schleppt!

DIE AMME läuft zu ihr, leise.

Herrin, halt inne mit Schreien und Zürnen!

Ich hab ihm einen Schlaftrunk eingeschüttet!

DIE FRAU.

Wer hieß dich das tun?


Ängstlich.


Barak! Barak!


Sie geht hinüber, sieht den Schlafenden an.


DIE AMME zieht sie weg.

Er schläft bis an den Morgen. Ihm ist wohl.

Viel schöne Stunden, Herrin, sind vor dir.

DIE FRAU.

Wer hat dich gelehrt, welche Stunde mir schön heißt?

Ich will ausgehen? Du bleib dahinten.

Ich will nicht in deinen Händen sein,

und daß du ausspähest

all mein Verborgenes,

du alte weiß und schwarz gefleckte Schlange!

DIE AMME.

Willst du den in der Ferne suchen, Herrin,

der deiner harret und deines Winkes?

Gewähre: ich breit ihn vor deine Füße –

und sprich es aus: er darf heran!

DIE FRAU spitz und scharf.

Spräch ich es aus und spräche einerlei Rede mit dir,

es wäre einerlei Rede nicht.

Der darf wohl heran, der, den ich meine –

doch eben von dir[341]

darf nichts heran:

darum auch er nicht.


Allmählich in verändertem Ton.


Von ihm darf heran,

was du nie wahrnimmst:

was nie an deiner

Hand sich mir naht.

– – – – – – – – – – –


Träumerisch, sehnsüchtig.


Von wo der Strand

nie betreten wurde,

beträte ihn einer

von dort her,

dem wehrte keine Mauer

und kein Riegel.

DIE AMME schnell.

Ich ruf ihn!


Ein Dunkelwerden, ein Blitz. Die Amme führt an ihrer Hand die Erscheinung des Jünglings heran.


DIE FRAU.

Schlange, was hab ich

mit dir zu schaffen!

und solchen,

die du bringest!

DER JÜNGLING eine geisterhafte hohe Stimme.

Wer tut mir das,

daß ich jäh muß stehen

vor meiner Herrin!

Der Macht ist zu viel!

Zu jäh die Gewalt!


Kniet nieder, verhüllt sich.


DIE FRAU mit verstellter Härte, ohne den Jüngling eines Blickes zu würdigen.

Wer heißt eine alte Vettel wissen,

was ihr zu wissen nicht getan ist?


Mit gespielter Verachtung, indem sie den Jüngling mit einem koketten Blick streift.


Meine Tücher her! Ich war gewillt, ins Freie[342]

und auf dem Fluß zu fahren in der Kühle.


Als wollte sie fort.


DIE AMME zu ihr, umschlingt ihre Füße; dringend, feurig.

Peinvoll süße Unruh

treibt dich umher.

Gewillt bist du zu nichts,

als zu Süßem gewillt zu sein

jetzt und hier!


Gleichsam ins Feuer blasend, nicht ohne kupplerisch-dämonische Größe.


Wer teilhaftig ist der Wonne,

der fürchtet auch den Tod nicht,

denn er hat gekostet von der Ewigkeit,

aber wie er dahin gelangt ist,

das ist ihm vergessen!

DER JÜNGLING.

Bin ich dir ferne, so ists deine Nähe,

die mich zerbricht,

bin ich vor dir, so wirst du unnahbar,

und deine Ferne ists, die mich tötet!


Er fällt nach rückwärts wie ein Ohnmächtiger.


DIE FRAU wie unbewußt.

Ich habe geträumt, daß ich zu dir fliege

mit unablässigen Küssen

wie eine Taube, die ihr Junges füttert –

und mein Traum hat dich getötet!


Sie beugt sich über ihn, will sanft die Hände von seinem Gesicht lösen; sein Blick trifft sie, seine Hand zuckt, die ihrige festzuhalten. Sie fährt mit einem Schrei zurück. Die Amme will die Kaiserin mit sich ziehen, zur Türe hinaus.


DIE FRAU jäh verwandelt.

Weh mir, wohin?

Verräterinnen!

Hierher! Zu mir!

Sind die Toten lebendig,

so sind wohl die Schlafenden tot!

Wach auf, mein Mann!

Ein Mann ist im Haus![343]

Ich will! wach auf! zu mir!


Sie eilt zu Barak hin, rüttelt ihn, bespritzt ihn mit Wasser; die Kaiserin ist bei ihr, hilft ihr.


DIE AMME wirft ihren Mantel über den Jüngling.

Gott schütz uns vor einer jungen Närrin!

Sei du getrost!

Schnell dreht sich der Wind,

und wir rufen dich wieder!

BARAK erwacht aus der Betäubung, richtet sich auf.

Was schlief ich so schwer? Wer rüttelt mich auf?

DIE FRAU.

Du sollst nicht schlafen am hellen Tag!

Sollst wahren dein Haus

vor Dieben und Räubern

und meiner achten!

Geschieht mir dergleichen

von dir noch einmal,

so ist meines Bleibens

hier nicht länger!

Verstehst du mich!

BARAK steht aufrecht, blickt wild um sich.

Sind Räuber hier? Den Hammer dort!

Ihr Brüder her! Zum Bruder her!

DIE FRAU windet ihm den Hammer aus der Hand.

Laß du dein Schreien und tölpisch Gehaben!

Unter der Arbeit schlägst du mir hin,

kommst mir von Sinnen, redest fremd.

Hast du die Sucht, oder schierts dich so wenig,

mich zu erschrecken täppisch und roh!

DIE AMME beiseite.

Wie sie ihn sich hernimmt

und sattelt und aufzäumt,

die Prächtige die!

BARAK langsam.

War dir bange um mich,

du Gute!

Bin ja wieder bei dir![344]

DIE FRAU spöttisch.

Wieder bei mir! Das ist ja recht viel!

Er ist wieder bei mir! Ei, große Freude!

Wieder bei mir!

BARAK sucht sein Arbeitszeug zusammen.

Es widerfährt mir, was ich nicht kenne,

und ist eine Gewalt über mir im Dunklen –


Starrt vor sich hin.


Mein bester Mörser ist mir zersprungen –

Versteh ich mein Handwerk nicht mehr?

DIE FRAU sieht ihn starr an.

Ein Handwerk verstehst du sicher nicht,

wie dus von Anfang nicht verstanden,

sonst sprächest du jetzt nicht von dir

und diesem Mörser.

Geschah dir das, was dir eben geschah,

dein Herz müßte schwellen vor Zartheit,

und es müßte dir bangen, die Hand zu heben

und deinen Fuß vor dich zu setzen,

um des Köstlichen willen,

das du zerstören könntest.


Fast mit Ekel.


Aber es geht ein Maulesel

am Abgrund hin,

und es ficht ihn nicht an

die Tiefe und das Geheimnis!

BARAK halb zu der Magd, die bei ihm ist, ihm hilft, sein Handwerkszeug vom Boden aufzunehmen.

Ich höre und weiß nicht, was eines redet,

und habe vergossen den Leim, da ich hinfiel –

und mir ist bange um mein Handwerk,

und daß ich nicht werde nähren können,

die meinen Händen anvertraut sind.

DIE FRAU.

Um Nahrung für mich

gräme dich nicht!

Und wenn du mich siehst

meine Tücher nehmen,
[345]

Sie tuts, die beiden Mägde sind ihr behilflich.


vielleicht zu fahren auf dem Flusse,

vielleicht zu wandeln neben den Gärten

oder was immer die Lust mich wird heißen –

kann sein, dann komme ich eines Abends

nicht wieder heim zu dir.

Denn es ist nicht von heute, daß du meine Stimme hörest

und fassest sie nicht in deinem Sinn,

und ist dir ferne, die du nahe glaubst,

und wähnest, du hättest sie im Gehäuse

wie einen gefangenen Vogel

der dein ist,

um wenig Münze

gekauft auf dem Markt:

die doch anderswo, anders daheim.


Sie schickt sich an zu gehen, winkt der Amme, sie zu begleiten, der Kaiserin, zurückzubleiben.

Barak sieht bestürzt und trübe vor sich hin.

Die Frau und die Amme sind zur Türe hinaus.

Die Kaiserin auf den Knien in Baraks Nähe sucht auf der Erde verstreutes Handwerkszeug zusammen.


BARAK wird erst jetzt gewahr, daß er nicht allein ist.

Wer da?

DIE KAISERIN sieht zu ihm auf.

Ich, mein Gebieter, deine Dienerin!


Der Zwischenvorhang fällt.

Der Kaiserin Schlafgemach im Falknerhaus. Die Kaiserin liegt auf dem Bett in unruhigem Schlaf. Die Amme schlummert, in ihren Mantel gewickelt, zu Füßen des Bettes.


DIE KAISERIN aus dem Schlaf, ohne die Augen aufzutun.

Sieh – Amme – sieh

des Mannes Aug, wie es sich quält!


Traumhaft, feierlich.


Vor solchen Blicken liegen Cherubim

auf ihrem Angesicht!

– – – – – – – – – – –


Nach einer Stille, jäh auffahrend, mit ausgebreiteten Armen.


Dir – Barak – bin ich mich schuldig!


[346] Sie sinkt hin und scheint nun fester einzuschlafen. Die Wand des Gemaches schwindet, und man sieht in eine gewaltige Höhle, die durch einen Spalt ins Freie mündet. Düstere Lampen, da und dort, erleuchten matt uralte in den Basalt gehauene Grabstätten. Zur Rechten gewahrt man eine eherne Tür, ins Innere des Berges führend. Des Falken Ruf

wird hörbar. Dann dringt der Kaiser, als folge er dem Falken nach, mit den Händen sich vorwärts tastend, durch den Spalt in die Höhle.

Die Kaiserin bewegt sich im Schlaf, stöhnt einmal leise auf.

Der Kaiser nimmt eine der Grablampen; in seiner Hand leuchtet sie hell auf, er wird die eherne Tür gewahr. Ein Rauschen dringt durch diese wie von fallendem Wasser.


STIMMEN aus dem Innern des Berges, lockend – drohend.


Lockend.


Zum Lebenswasser!


Drohend.


Zur Schwelle des Todes!


Lockend.


Nahe!

Wage!


Drohend.


Wehe!

Zage!


Der Kaiser geht gegen die Tür. Der Falke

umschwirrt ihn, stößt klägliche, abmahnende Rufe aus. Der Kaiser pocht an die Tür, die sich öffnet und ihn einläßt, dann wieder schließt.


DES FALKEN STIMME.

Die Frau wirft keinen Schatten,

der Kaiser muß versteinen!


Die Höhle verschwindet, die Lampen im Schlafgemach leuchten stärker auf.


DIE KAISERIN fährt mit einem Schrei aus dem Schlummer empor.

Wehe, mein Mann!

Welchen Weg!

Wohin?

Durch meine Schuld!

Die Tür fiel zu,

als wärs ein Grab.[347]

Er will heraus

und kann nicht mehr.

Ihm stockt der Fuß,

sein Leib erstarrt.

Die Stimme erstickt.

Sein Auge nur

schreit um Hilfe!

Weh, Amme, kannst du schlafen!

Da und dort

alles ist

meine Schuld –

Ihm keine Hilfe,

dem andern Verderben –

Barak, wehe!

Was ich berühre,

töte ich!

Weh mir!

würde ich lieber

selber zu Stein!


Der Zwischenvorhang schließt sich.

Des Färbers Wohnung. Es dämmert in dem Raum, wird allmählich dunkler und dunkler.


BARAK sitzt an der Erde.

Es dunkelt, daß ich nicht sehe zur Arbeit

mitten am Tage.


Die drei Brüder kommen zur Tür herein mit gesenkten Köpfen.

Auch draußen ist es dunkel.


DIE BRÜDER.

Es ist etwas, und wir wissen nicht, was es ist,

o mein Bruder!

Die Sonne geht aus mitten am Tage,

und der Fluß bleibt stehen und will nicht mehr fließen

o mein Bruder!

Es widerfährt uns, und wir wissen nicht, was uns widerfährt!


Sie brechen in ein langgezogenes Geheul aus.


DIE AMME mit der Kaiserin seitwärts.

Es sind Übermächte im Spiel,[348]

o meine Herrin,

und ein Etwas bedroht uns,

aber wir werden

anrufen

gewaltige Namen,

und dir wird werden,

worauf du deinen Sinn gesetzt hast!

DIE KAISERIN vor sich.

Wehe, womit ist die Welt der Söhne Adams erfüllt!

Und wehe, daß ich herein kam, ihren Gram zu vermehren

und ihre Freude zu versehren!

Gepriesen sei, der mich diesen Mann finden ließ unter den Männern,

denn er zeigt mir, was ein Mensch ist,

und um seinetwillen will ich bleiben unter den Menschen

und atmen ihren Atem

und tragen ihre Beschwerden!

BARAK vor sich.

Meine Hände sind, als ob sie gebunden wären,

und mein Herz, als läge ein Stein darauf,

und auf meiner Seele ein Stück der ewigen Nacht.

Gepriesen, der die Finsternis nicht kennt

und dessen Auge niemals zufällt,

Einer unter allen!

DIE FRAU für sich, an der Erde seitwärts.

Wie ertrag ich dies Haus

und mache kein Ende –

wo es finster ist mitten am Tage

und die Hunde heulen vor Furcht

und niemand weist sie hinaus!


Eine Pause.


DIE FRAU ist jäh aufgestanden; sie heftet einen bösen Blick auf Barak, dann geht sie auf und nieder, ohne ihn anzusehen.

Es gibt derer, die bleiben immer gelassen,

und geschähe, was will, es wird keiner jemals

ihr Gesicht verändert sehen.

Tagaus, tagein

gehen sie wie das Vieh[349]

von Lager zu Fraß,

von Fraß zu Lager

und wissen nicht, was geschehen ist,

und nicht, wie es gemeint war.


Ein greller Blitz, die Brüder heulen auf. Die Frau stampft zornig auf.


DIE FRAU fährt fort.

Darüber müssen sie verachtet werden

und verlacht

wer zu ihnen gehört

und ist in die Hand eines solchen gegeben.

Aber ich bin nicht in deiner Hand,

hörst du mich, Barak?

Und wenn du ausgegangen warst

und trugest dir selber die Ware zu Markt,

so habe ich meinen Freund empfangen,

einen Fremdling unter den Fremdlingen,

und wenn ich dich weckte aus deinem Schlaf,

so kam ich aus seiner Umarmung!


Blitz, die Brüder heulen auf.


Hörst du mich, Barak?

Schweige doch diese,

damit du mich verstehen kannst!

Ich will nicht, daß du ein Gelächter sein müßtest

unter den Deinen,

sondern du sollst wissen!

Dies alles tat ich hier im Hause

drei Tage lang:

aber die Freude war mir vergällt,

denn ich mußte dich denken,

wo ich dich hätte vergessen wollen,

und dein Gesicht kam hin,

wo es nichts zu suchen hatte!

Aber es ist mir zugekommen,

wie ich dir entgehe

und dich ausreiße aus mir,

und jetzt weiß ich den Weg!

BARAK steht jäh auf; die Brüder taumeln zur Seite.[350]

DIE FRAU ohne Furcht.

Abtu ich von meinem Leibe die Kinder,

die nicht gebornen,

und mein Schoß wird dir nicht fruchtbar

und keinem andern,

sondern ich habe mich gegeben den Winden

und der Nachtluft

und bin hier daheim und woanders,

und des zum Zeichen

habe ich meinen Schatten verhandelt:

und es sind die Käufer willig,

und der Kaufpreis ist herrlich

und ohnegleichen!

BARAK in höchster Erregung.

Das Weib ist irre,

zündet ein Feuer an,

damit ich ihr Gesicht sehe!


Das Feuer flammt auf.


DIE BRÜDER.

Sie wirft keinen Schatten.

Es ist, wie sie redet!

Sie hat ihn verkauft

und abgehalten

die Ungeborenen

von ihrem Leibe!

Der Schatten ist abgefallen von ihr,

und sie ist ohne,

die Verfluchte!

DIE AMME zur Kaiserin.

Auf und hin,

nimm den Schatten.

Reiß ihn an dich!

Sie hat es gesprochen

mit wissendem Mund,

so ist es getan!

Und nicht der Sterne Gericht

macht diesen Handel zunicht![351]

BARAK furchtbar losbrechend.

Hat sie solch eine Hurenstirn

und sieht lieblich darein

und schämt sich nicht?

Heran, ihr Brüder, einen Sack herbei

und hinein von den Steinen

daß ich dies Weib

ertränke im Fluß

mit meinen Händen!


Will auf die Frau los.


DIE BRÜDER hängen sich an Barak.

Kein Blut auf deine Hände, mein Bruder!

Auf und jage sie aus dem Hause,

einer Hündin Geschick über sie

in Gosse und Graben!

BARAK will auf die Frau los; zugleich.

Mein Aug ist verdunkelt,

helft mir, ihr Brüder!

Herbei einen Sack

und Steine hinein,

daß ich sie ertränke

mit meinen Händen!

DIE BRÜDER hängen sich an Barak.

Kein Blut auf deine Hände, mein Bruder!

Halte dich rein, o unser Vater!

BARAK zugleich.

Helft ihr mir nicht,

tret ich euch nieder!

Ich hab es verhängt

in meiner Seele

und will es vollziehen

mit meinen Händen!


Wie er, gleichsam zum Schwure, die Rechte nach oben reckt, stürzt ihm aus der Luft ein blitzendes Schwert in die Hand. Die Brüder haben vereint

kaum die Kraft, ihn zu halten.


DIE AMME rückwärts mit der Kaiserin, ihr Auge unverwandt mit dämonischer Lust auf den Vorgang geheftet; zugleich mit Barak und den Brüdern.[352]

Wer schreit nach Blut

und hat kein Schwert,

dem wird von uns die Hand bewehrt!

Und fließt nur schnell

das dunkle Blut,

wir haben den Schatten, und uns ist gut!

DIE KAISERIN reißt sich von ihr los, wendet den Blick nach oben für sich, aber zugleich mit den andern.

Ich will nicht den Schatten:

auf ihm ist Blut,

ich faß ihn nicht an.

Meine Hände reck ich

in die Luft,

rein zu bleiben

von Menschenblut!

Sternennamen

ruf ich an

gegen mich,

diese zu retten,

geschehe was will!

DIE FRAU ist in sprachlosem Schreck über die Wirkung ihrer frevelhaften Rede nach links hinüber geflüchtet; allmählich geht in ihr eine ungeheure Veränderung vor; leichenbleich, aber verklärt, mit einem Ausdruck, wie sie ihn nie zuvor gehabt hat, trägt sie sich Barak und dem tödlichen Schwertstreich entgegen; zugleich, stellenweise dominierend.

Barak, ich hab es

nicht getan!

Noch nicht getan!

Höre mich, Barak!

Verräter ward

mein Mund an mir,

zuvor die Seele

die Tat getan!

Muß ich sterben

vor deinem Angesicht,

muß ich sterben

um was nicht geschah,[353]

o du, den zuvor

ich niemals sah,

mächtiger Barak,

strenger Richter,

hoher Gatte –

Barak, so töte mich,

schnell!


Barak hebt das Schwert, das in seinen Händen funkelt und von dem Blitze ausgehen, die den dunklen Raum – denn das Feuer ist zusammengesunken – zuckend erleuchten.


DIE BRÜDER hängen sich mit letzter Kraft an ihn; zugleich.

Sie werden dich behängen mit Ketten

und dich schlagen

mit der Schärfe des Schwertes,

erbarme dich unser, o unser Vater!


Indem Barak zum Streich ausholt, erlischt das funkelnde Schwert plötzlich und scheint ihm aus der Hand gewunden – ein dumpfes Dröhnen macht das Gewölbe erzittern, die Erde öffnet sich, und durch die geborstene Seitenmauer tritt der Fluß herein. Indes die Brüder, ihr Leben zu retten, zur Tür hinaufflüchten, sieht man Barak und die willenlos vor ihm liegende Frau, aber jedes für sich, versinken. Die Amme hat die Kaiserin mit sich auf einen erhöhten Platz an der Mauer des Gewölbes emporgerissen und deckt sie mit ihrem Mantel. Man hört aus dem Dunkel, das alles verhüllt, ihre Stimme.


DIE AMME.

Übermächte sind im Spiel!

Her zu mir!


Der Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 5, Frankfurt a.M. 1979, S. 331-354.
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