[Stücktext]


Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen, links vorne. Aufseherinnen unter ihnen.


ERSTE ihr Wassergefäß aufhebend.

Wo bleibt Elektra?

ZWEITE.

Ist doch ihre Stunde,

die Stunde wo sie um den Vater heult,

daß alle Wände schallen.


Elektra kommt aus der schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel, den einen Arm vor dem Gesicht.


ERSTE.

Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?

ZWEITE.

Giftig

wie eine wilde Katze.

DRITTE.

Neulich lag sie

und stöhnte –

ERSTE.

Immer, wenn die Sonne tief steht,

liegt sie und stöhnt.

DRITTE.

Da gingen wir zuzweit

und kamen ihr zu nah –

ERSTE.

Sie hälts nicht aus,

wenn man sie ansieht.

DRITTE.

Ja, wir kamen ihr

zu nah. Da pfauchte sie wie eine Katze

uns an. »Fort, Fliegen!« schrie sie, »fort!«

VIERTE.

»Schmeißfliegen, fort!«

DRITTE.

»Sitzt nicht auf meinen Wunden!«

und schlug nach uns mit einem Strohwisch.

VIERTE.

»Fort,

Schmeißfliegen, fort!«

DRITTE.

»Ihr sollt das Süße nicht

abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen

nach meiner Krämpfe Schaum.«

VIERTE.

»Geht ab, verkriecht euch«,

schrie sie uns nach. »Eßt Fettes und eßt Süßes

und kriecht zu Bett mit euren Männern«, schrie sie,

und die –

DRITTE.

Ich war nicht faul –

VIERTE.

Die gab ihr Antwort!

DRITTE.

Ja: »Wenn du hungrig bist«, gab ich zur Antwort,

»so ißt du auch«, da sprang sie auf und schoß

gräßliche Blicke, reckte ihre Finger

wie Krallen gegen uns und schrie: »Ich füttre«,

schrie sie, »mir einen Geier auf im Leib.«

ZWEITE.

Und du?

DRITTE.

»Drum hockst du immerfort«, gab ich

zurück, »wo Aasgeruch dich hält und scharrst

nach einer alten Leiche!«

ZWEITE.

Und was sagte

sie da?

DRITTE.

Sie heulte nur und warf sich

in ihren Winkel.


Sie sind mit dem Schöpfen fertig.


ERSTE.

Daß die Königin

solch einen Dämon frei in Haus und Hof

sein Wesen treiben läßt.

ZWEITE.

Das eigne Kind!

ERSTE.

Wär sie mein Kind, ich hielte, ich – bei Gott! –

sie unter Schloß und Riegel.

VIERTE.

Sind sie dir

nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nich

den Napf mit Essen zu den Hunden?


Leise.


Hast du

den Herren sie nie schlagen sehn?

FÜNFTE eine ganz junge, mit zitternder erregter Stimme.

Ich will

mich vor ihr niederwerfen und die Füße

ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind

und leidet solche Schmach! Ich will die Füße

ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.

AUFSEHERIN.

Hinein mit dir!


Stößt sie.


FÜNFTE.

Es gibt nichts auf der Welt,

das königlicher ist als sie. Sie liegt

in Lumpen auf der Schwelle, aber niemand,


Schreiend.


niemand ist hier im Haus, der ihren Blick

aushält!

AUFSEHERIN.

Hinein!


Stößt sie in die offene niedrige Tür links vorne.


FÜNFTE in die Tür geklemmt.

Ihr alle seid nicht wert,

Die Luft zu atmen, die sie atmet! O

könnt ich euch alle, euch, erhängt am Halse,

in einer Scheuer Dunkel hängen sehen

um dessen willen, was ihr an Elektra

getan habt!

AUFSEHERIN schlägt die Tür zu, stellt sich dann mit dem Rücken dagegen.

Hört ihr das? wir, an Elektra!

die ihren Napf von unserm Tische stieß,

als man mit uns sie essen hieß, die ausspie

vor uns und Hündinnen uns nannte.

ERSTE.

Was?

Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,

wozu man uns hat abgerichtet: daß wir

mit Wasser und mit immer frischem Wasser

das ewige Blut des Mordes von der Diele

abspülen –

DRITTE.

Und die Schmach, so sagte sie,

die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,

in Winkel fegen...

ERSTE.

Unser Leib, so schreit sie,

starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind!


Sie tragen ihre Gefäße ins Haus links.


AUFSEHERIN die ihnen die Tür aufgemacht hat.

Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,

so schreit sie: nichts kann so verflucht sein, nichts,

als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe

im Blute glitschend, hier in diesem Haus

empfangen und geboren haben. Sagt sie

das oder nicht?

DIE DIENERINNEN schon von drinnen.

Ja! ja!

DIE EINE von drinnen.

Sie schlagen mich!


Die Aufseherin geht hinein. Die Tür fällt zu.

Aus dem Hause tritt Elektra. Sie ist allein mit den Flecken roten Lichtes, die aus den Zweigen des

Feigenbaumes schräg über den Boden und auf die Mauern fallen, wie Blutflecke.


ELEKTRA.

Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,

hinabgescheucht in seine kalten Klüfte.


Gegen den Boden.


Wo bist du, Vater? hast du nicht die Kraft,

dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?

Es ist die Stunde, unsre Stunde ists!

Die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,

dein Weib und der mit ihr in einem Bette,

in deinem königlichen Bette schläft.

Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut

rann über deine Augen, und das Bad

dampfte von deinem Blut, dann nahm er dich,

der Feige, bei den Schultern, zerrte dich

hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,

die Beine schleifend hinterher: dein Auge,

das starre, offne, sah herein ins Haus.

So kommst du wieder, setzest Fuß vor Fuß

und stehst auf einmal da, die beiden Augen

weit offen, und ein königlicher Reif

von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich

aus deines Hauptes offner Wunde.

Vater!

Ich will dich sehn, laß mich heut nicht allein!

Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort

im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!

Vater! dein Tag wird kommen! Von den Sternen

stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut

aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!

So wie aus umgeworfnen Krügen wirds

aus den gebundnen Mördern fließen, rings

wie Marmorkrüge werden nackte Leiber

von allen ihren Helfern sein, von Männern

und Frauen, und in einem Schwall, in einem

geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben

aus ihnen stürzen – und wir schlachten dir

die Rosse, die im Hause sind, wir treiben

sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen den Tod

und wiehern in die Todesluft

und sterben, und wir schlachten dir die Hunde,

weil sie der Wurf sind und der Wurf des Wurfes

von denen, die mit dir gejagt, von denen,

die dir die Füße leckten, denen du

die Bissen hinwarfst, darum muß ihr Blut

hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir,

dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,

wir drei, wenn alles dies vollbracht und Purpur-

gezelte aufgerichtet sind, vom Dunst

des Blutes, den die Sonne an sich zieht,

dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:

und über Leichen hin werd ich das Knie

hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden

so tanzen sehen, ja, die meinen Schatten

von weitem nur so werden tanzen sehn,

die werden sagen: einem großen König

wird hier ein großes Prunkfest angestellt

von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,

wer Kinder hat, die um sein hohes Grab

so königliche Siegestänze tanzen!

CHRYSOTHEMIS die jüngere Schwester, steht in der Haustür. Sie sieht angstvoll auf Elektra, ruft leise.

Elektra!


Elektra fährt zusammen, wie der Nachtwandler, der seinen Namen rufen hört. Sie taumelt. Ihre Augen sehen um sich, als fänden sie sich nicht gleich zurecht. Ihr Gesicht verzerrt sich, wie sie die ängstliche Miene der Schwester ansieht. Chrysothemis steht an die Türe gedrückt.


ELEKTRA.

Ah, das Gesicht!

CHRYSOTHEMIS.

Ist mein Gesicht dir so verhaßt?

ELEKTRA.

Was willst du? Rede, sprich, ergieße dich,

dann geh und laß mich!

CHRYSOTHEMIS hebt wie abwehrend die Hände.

ELEKTRA.

Was hebst du die Hände?

So hob der Vater seine beiden Hände,

da fuhr das Beil hinab und spaltete

sein Fleisch. Was willst du, Tochter meiner Mutter?

CHRYSOTHEMIS.

Sie haben etwas Fürchterliches vor.

ELEKTRA.

Die beiden Weiber?

CHRYSOTHEMIS.

Wer?

ELEKTRA.

Nun, meine Mutter

und jenes andre Weib, die Memme, ei

Ägisth, der tapfre Meuchelmörder, er,

der Heldentaten nur im Bett vollführt.

Was haben sie denn vor?

CHRYSOTHEMIS.

Sie werfen dich

in einen Turm, wo du von Sonn und Mond

das Licht nicht sehen wirst.

ELEKTRA lacht.

CHRYSOTHEMIS.

Sie tuns, ich weiß es,

ich habs gehört.

ELEKTRA.

Mir ist, ich hätts gehört.

Wars nicht bei Tisch, so bei der letzten Schüssel?

Da hebt er gern die Stimm und prahlt, ich wette,

es nützt seiner Verdauung.

CHRYSOTHEMIS.

Nicht bei Tisch.

Nicht um zu prahlen. Er und sie, allein

bereden sies.

ELEKTRA.

Allein? Wie hast dann du

es hören können?

CHRYSOTHEMIS.

An der Tür, Elektra.

ELEKTRA.

Mach keine Türen auf in diesem Haus!

Gepreßter Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,

nichts andres gibts in diesen Kammern. Laß

die Tür, dahinter du ein Stöhnen hörst:

sie bringen ja nicht immer einen um,

zuweilen sind sie auch allein zusammen!

Mach keine Türen auf! Schleich nicht herum.

Sitz an der Erd wie ich und wünsch den Tod

und das Gericht herbei auf sie und ihn.

CHRYSOTHEMIS.

Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren

wie du. Ich habs wie Feuer in der Brust,

es treibt mich immerfort herum im Haus,

in keiner Kammer leidets mich, ich muß

von einer Schwelle auf die andre, ach!

treppauf, treppab, mir ist, als rief' es mich,

und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer

mich an. Ich habe solche Angst, mir zittern

die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle

wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,

wie Stein ist alles! Schwester, hab Erbarmen!

ELEKTRA.

Mit wem?

CHRYSOTHEMIS.

Du bist es, die mit Eisenklammern

mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,

sie ließen uns hinaus. Wär nicht dein Haß,

dein schlafloses unbändiges Gemüt,

vor dem sie zittern, ah, so ließen sie

uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!

Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht

bis an den Tod hier schlafen! Eh ich sterbe,

will ich auch leben! Kinder will ich haben,

bevor mein Leib verwelkt, und wärs ein Bauer,

dem sie mich geben, Kinder will ich ihm

gebären und mit meinem Leib sie wärmen

in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte

zusammenschüttelt! Aber dies ertrag ich

nicht länger, hier zu lungern bei den Knechten

und doch nicht ihresgleichen, eingesperrt

mit meiner Todesangst bei Tag und Nacht!

Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!

ELEKTRA.

Armes

Geschöpf!

CHRYSOTHEMIS.

Hab Mitleid mit dir selber und mit mir.

Wem frommt denn diese Qual? Dem Vater etwa?

Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.

Du siehst ja doch, daß er nicht kommt. Mit Messern

gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht

sein Mal, und draußen geht die Sonne auf

und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab,

sind schwer von Segen, mühen sich zum Brunnen

und heben kaum den Eimer, und auf einmal

sind sie entbunden ihrer Last und kommen

zum Brunnen wieder und aus ihnen selber

rinnt süßer Trank, und säugend hängt ein Leben

an ihnen, und die Kinder werden groß –

und immer sitzen wir hier auf der Stange

wie angehängte Vögel, wenden links

und rechts den Kopf, und niemand kommt, kein Bruder,

kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote

von einem Boten, nichts! Viel lieber tot,

als leben und nicht leben. Nein, ich bin

ein Weib und will ein Weiberschicksal.

ELEKTRA.

Pfui,

die's denkt, pfui, die's mit Namen nennt! Die Höhle

zu sein, drin nach dem Mord dem Mörder wohl ist;

das Tier zu spielen, das dem schlimmern Tier

Ergetzung bietet. Ah, mit einem schläft sie,

preßt ihre Brüste ihm auf beide Augen

und winkt dem zweiten, der mit Netz und Beil

hervorkriecht hinterm Bett.

CHRYSOTHEMIS.

Du bist entsetzlich!

ELEKTRA.

Warum entsetzlich? Bist du solch ein Weib?

Du willsts erst werden.

CHRYSOTHEMIS.

Kannst du nicht vergessen?

Mein Kopf ist immer wüst. Ich kann von heut

auf morgen nichts behalten. Manchmal lieg ich

so da, dann bin ich was ich früher war,

und kanns nicht fassen, daß ich nicht mehr jung bin.

Wo ist denn alles hingekommen, wo denn?

Es ist ja nicht ein Wasser, das vorbeirinnt,

es ist ja nicht ein Garn, das von der Spule

herunter fliegt und fliegt, ich bins ja, ich!

Ich möchte beten, daß ein Gott ein Licht

mir in der Brust anstecke, daß ich mich

in mir kann wiederfinden! Wär ich fort,

wie schnell vergäß ich alle bösen Träume –

ELEKTRA.

Vergessen? Was! bin ich ein Tier? vergessen?

Das Vieh schläft ein, von halbgefreßner Beute

die Lefze noch behängt, das Vieh vergißt sich

und fängt zu käuen an, indes der Tod

schon würgend auf ihm sitzt, das Vieh vergißt,

was aus dem Leib ihm kroch, und stillt den Hunger

am eignen Kind – ich bin kein Vieh, ich kann nicht

vergessen!

CHRYSOTHEMIS.

Oh, muß meine Seele immer

von dieser Speise essen, die ihr widert,

die ihr so widert! die zu riechen nur

sie schaudert, die sie nie und nimmer hätte

anrühren sollen, nie und nimmer wissen,

daß es so etwas Grauenvolles gibt,

nie wissen! nie mit Augen sehn! nie hören!

Das Fürchterliche ist nicht für das Herz

des Menschen! Wenn es kommt, wenn es sich anzeigt,

so muß man flüchten aus den Häusern, flüchten

in die Weingärten, flüchten auf die Berge!

und steigt es auf die Berge, muß man wieder

herab und sich verkriechen in den Häusern:

nie darf man bei ihm bleiben, nie mit ihm

in einem Hause sein! Ich will hinaus!

Ich will empfangen und gebären Kinder,

die nichts von diesem wissen, meinen Leib

wasch ich in jedem Wasser, tauch mich tief

hinab in jedes Wasser, alles wasch ich

mir ab, das Hohle meiner beiden Augen

wasch ich mir rein – sie sollen sich nicht schrecken,

wenn sie der Mutter in die Augen schaun!

ELEKTRA höhnisch.

Wenn sie der Mutter in die Augen schaun!

Und wie schaust du dem Vater in die Augen?

CHRYSOTHEMIS.

Hör auf!

ELEKTRA.

Ich wünsch dir, wenn du Kinder hast,

sie mögen an dir tun, wie du am Vater!

CHRYSOTHEMIS weint auf.

ELEKTRA.

Was heulst du? Fort! Hinein! Dort ist dein Platz.

Es geht ein Lärm los. Stellen sie vielleicht

für dich die Hochzeit an? ich hör sie laufen.

Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen

oder sie morden. Wenn es an den Leichen mangelt,

darauf zu schlafen, müssen sie doch morden!

CHRYSOTHEMIS.

Hör auf. Dies alles ist vorbei. Hör auf!

ELEKTRA.

Vorbei? Da drinnen gehts aufs neue los!

Meinst du, ich kenn den Laut nicht, wie sie Leichen

herab die Treppe schleifen, wie sie flüstern

und Tüchter voller Blut auswinden.

CHRYSOTHEMIS.

Schwester!

geh fort von hier.

ELEKTRA.

Diesmal will ich dabei sein!

Nicht so wie damals. Diesmal bin ich stark.

Ich werfe mich auf sie, ich reiß das Beil

aus ihrer Hand, ich schwing es über ihr –

CHRYSOTHEMIS.

Geh fort, verkriech dich! daß sie dich nicht sieht.

Stell dich ihr heut nicht in den Weg: sie schickt

den Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.


Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, näher.


Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.

Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt:

ich weiß nicht, was, ich hab es von den Mägden gehört,

ich weiß nicht, ob es wahr ist, Schwester:

sie sagen, daß sie von Orest geträumt hat,

daß sie geschrieen hat aus ihrem Schlaf,

wie einer schreit, den man erwürgt.

ELEKTRA.

Ich! ich!

ich hab ihn ihr geschickt. Aus meiner Brust.

hab ich den Traum auf sie geschickt! Ich liege

und hör die Schritte dessen, der sie sucht.

Ich hör ihn durch die Zimmer gehn, ich hör ihn

den Vorhang von dem Bette heben: schreiend

entspringt sie, aber er ist hinterdrein:

hinab die Treppen durch Gewölbe hin,

Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd.

Es ist viel finsterer als Nacht, viel stiller

und finstrer als im Grab, sie keucht und taumelt

im Dunkel hin, doch er ist hinterdrein:

die Fackel schwingt er links und rechts das Beil.

Und ich bin wie ein Hund an ihrer Ferse:

will sie in eine Höhle, spring ich sie

von seitwärts an, so treiben wir sie fort,

bis eine Mauer alles sperrt, und dort

im tiefsten Dunkel, doch ich seh ihn wohl,

ein Schatten, und doch Glieder und das Weiße

von einem Auge doch, da sitzt der Vater:

er achtets nicht und doch muß es geschehn:

vor seinen Füßen drücken wir sie hin,

da fällt das Beil!


Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.


CHRYSOTHEMIS.

Sie kommen schon. Sie treibt die Mägde alle

mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere

und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,

ist sie am schrecklichsten, geh ihr nur heut,

nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!

ELEKTRA.

Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter

zu reden wie noch nie!


An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren, ein gedämpfes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschreien, das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.


CHRYSOTHEMIS.

Ich wills nicht hören.


Stürzt ab durch die Hoftür.

In dem breiten Fenster erscheint die Gestalt der Klytämnestra. Ihr fahles, gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute, die dunkelviolett

gekleidet ist, und auf einen elfenbeinernen, mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt, mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Ägypterin ähnlich, mit glattem Gesicht, einer aufgerichteten Schlange gleichend, trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt mit Edelsteinen und Talismanen. Ihre Arme sind voll Reifen, ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen übermäßig groß, und es scheint ihr eine furchtbare Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten.

Elektra steht starr aufgerichtet, das Gesicht diesem Fenster zugewandt.

Klytämnestra öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster und zeigt mit dem Stock auf Elektra.


KLYTÄMNESTRA am Fenster.

Was willst du? Seht doch, dort! so seht doch das!

Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals

und nach mir züngelt! und das laß ich frei

in meinem Hause laufen!

Wenn sie mich mit den Blicken töten könnte!

O Götter, warum liegt ihr so auf mir?

Warum verwüstet ihr mich so? warum

muß meine Kraft in mir gelähmt sein, warum

bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes

Gefild, und diese Nessel wächst aus mir

heraus, und ich hab nicht die Kraft zu jäten!

Warum geschieht mir das, ihr ewigen Götter?

ELEKTRA.

Die Götter! bist doch selber eine Göttin!

bist, was sie sind.

KLYTEMNÄSTRA.

Habt ihr gehört? habt ihr

verstanden, was sie redet?

DIE VERTRAUTE.

Daß auch du

vom Blut der Götter bist.

DIE SCHLEPPTRÄGERIN zischend.

Sie meint es tückisch.

KLYTEMNÄSTRA indem ihre schweren Lider zufallen.

Mir klingt das so bekannt. Und nur als hätt ichs

vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.

Doch weiß man nie, was sie im Schilde führt.


Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander.


ELEKTRA.

Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm

hängt immerfort um dich. Was sie ins Ohr

dir zischen, trennt dein Denken fort und fort

entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer

bist du als wie im Traum.

KLYTÄMNESTRA.

Ich will hinunter.

Laßt, ich will mit ihr reden. Sie ist heute

nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.

Die Stunden haben alles in der Hand.

Ein jedes Ding kann ein erträgliches

Gesicht uns zeigen nach dem gräßlichen.


Sie geht vom Fenster weg und erscheint in der Tür, die Vertraute an ihrer Seite, die Schleppträgerin hinter ihr, Fackeln hinter ihnen.


KLYTÄMNESTRA von der Türschwelle aus.

Warum nennst du mich eine Göttin? Sprichst du

aus Bosheit so? Nimm dich in acht. Es könnte

der letzte Tag sein, daß du dieses Licht

da siehst und diese freie Luft einatmest.

ELEKTRA.

Wahrhaftig, wenn du keine Göttin bist,

wo sind dann Götter! Ich weiß auf der Welt

nichts, was mich schaudern macht, als wie zu denken,

daß dieser Leib das dunkle Tor, aus welchem

ich an das Licht der Welt gekrochen bin.

Auf diesem Schoß bin ich gelegen, nackt?

Zu diesen Brüsten hast du mich gehoben?

So bin ich ja aus meines Vaters Grab

herausgekrochen, hab gespielt in Windeln

auf meines Vaters Richtstatt! Du bist ja

wie ein Koloß, aus dessen ehernen Händen

ich nie entsprungen bin. Du hast mich ja

am Zaum. Du bindest mich, an was du willst.

Du hast mir ausgespieen, wie das Meer,

ein Leben, einen Vater und Geschwister:

und hast hinabgeschlungen, wie das Meer,

ein Leben, einen Vater und Geschwister.

Ich weiß nicht, wie ich jemals sterben sollte –

als daran, daß du stürbest.

KLYTÄMNESTRA.

So ehrst du mich? Ist etwas noch von Scheu

in dir?

ELEKTRA.

Viel, viel! Mir geht zu Herzen, was

auch dir zu Herzen geht. Siehst du, mich kränkt

zu sehen, daß Ägisth, dein Mann, die alten Mäntel

von meinem, wie du weißt, verstorbnen Vater,

dem frühern König, trägt. Es kränkt mich, wahrhaft:

ich finde, daß sie ihm nicht stehn. Ich finde,

sie sind ihm um die Brust zu weit.

DIE VERTRAUTE.

Sie redet

nicht, wie sies meint.

DIE SCHLEPPTRÄGERIN.

Ein jedes Wort ist Falschheit.

KLYTÄMNESTRA zornig.

Ich will nichts hören. Was aus euch herauskommt,

ist nur der Atem des Ägisth. Ich will nicht

an allem nörgeln. Wenn sie zu mir redet,

was mich zu hören freut, so will ich horchen,

auf was sie redet. Was die Wahrheit ist,

das bringt kein Mensch heraus. Niemand auf Erden

weiß über irgendein verborgnes Ding

die Wahrheit. Gibts nicht welche in den Kerkern,

die sagen, daß ich eine Mörderin

und daß Ägisth ein Meuchelmörder ist?

Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr

nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,

daß meine Augenlider angeschwollen

und meine Leber krank ist, und daß alles

nur von der kranken Leber kommt, und winselst

nicht du ins andre Ohr, daß du Dämonen

gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,

die mir das Blut aussaugen? zeigst du nicht

die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg ich

dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer

und Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden

und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht

mehr hören: dies ist wahr und das ist Lüge.

Wenn einer etwas Angenehmes sagt,

und wär es meine Tochter, wär es die da,

will ich von meiner Seele alle Hüllen

ablösen und das Fächeln sanfter Luft,

von wo es kommen mag, einlassen, wie

die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,

am Teiche sitzend, abends ihre Beulen

und all ihr Eiterndes der kühlen Luft

preisgeben abends, und nichts andres denken,

als Linderung zu schaffen. So will ich

einmal anfangen, selbst für mich zu sorgen.

Laßt mich allein mit ihr.


Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln verschwinden, und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten der beiden Frauen.


KLYTÄMNESTRA nach einer Pause.

Ich habe keine guten Nächte. Weißt du

kein Mittel gegen Träume?

ELEKTRA näher rückend.

Träumst du, Mutter?

KLYTÄMNESTRA.

Hast du nicht andre Worte, mich zu trösten?

Laß deine Zunge los. Ich träume, ja.

Wer älter wird, der träumt. Allein es läßt sich

vertreiben. Warum stehst du so im Dunkel?

Man muß sich nur die Kräfte dienstbar machen,

die irgendwo verstreut sind. Es gibt Bräuche.

Es muß für alles richtige Bräuche geben.

Wie man ein Wort und einen Satz ausspricht,

darauf kommt vieles an. Auch auf die Stunde.

Und ob man satt ist, oder nüchtern. Mancher

kam um, weil er ins Bad gestiegen ist

zur unrichtigen Stunde.

ELEKTRA.

Denkst du da

an meinen Vater?

KLYTÄMNESTRA.

Darum bin ich so

behängt mit Steinen. Denn es wohnt in jedem

ganz sicher eine Kraft. Man muß nur wissen,

wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,

du könntest etwas sagen, das mir nützt.

ELEKTRA.

Ich, Mutter, ich?

KLYTÄMNESTRA.

Ja, du! denn du bist klug.

In deinem Kopf ist alles stark. Du redest

von alten Dingen so, wie wenn sie gestern

geschehen wären. Aber ich bin morsch.

Ich denke, aber alles türmt sich mir

eins übers andre. Und ich tu den Mund auf,

da schreit Ägisth, und was er schreit, das ist mir

verhaßt, aufbäumen will ich mich und stärker

als seine Worte sein – und finde nichts,

Ich finde nichts! ich weiß auf einmal nicht,

ob er das heut gesagt hat, was vor Wut

mich zittern macht, ob heute oder einmal

vor langer Zeit; dann schwindelts mich, ich weiß

auf einmal nicht mehr, wer ich bin, und das ist

das Grauen, das heißt mit lebendigem Leib

ins Chaos sinken, und Ägisth! Ägisth

verhöhnt mich, und ich finde nichts, ich finde

die fürchterlichen Dinge nicht, vor denen

er schweigen müßte und bleich wie ich selber

ins Feuer starren. Aber du hast Worte.

Du könntest vieles sagen, was mir nützt.

Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn

ein Hauch! und doch kriecht zwischen Nacht und Tag,

wenn ich mit offnen Augen lieg, ein Etwas

hin über mich, es ist kein Wort, es ist

kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht,

es läßt mich liegen, wie ich bin, und da

an meiner Seite liegt Ägisth und dort,

dort ist der Vorhang: alles sieht mich an,

als wärs von Ewigkeit zu Ewigkeit:

nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch,

es ist so fürchterlich, daß meine Seele

sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied

an mir lechzt nach dem Tod, und dabei leb ich

und bin nicht einmal krank: du siehst mich doch:

seh ich wie eine Kranke? Kann man denn

vergehen, lebend, wie ein faules Aas?

kann man zerfallen, wenn man gar nicht krank ist?

zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,

zerfressen von den Motten? Und dann schlaf ich

und träume, träume! daß mir in den Knochen

das Mark sich löst, und taumle wieder auf,

und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr

ist abgelaufen, und was unterm Vorhang

hereingrinst, ist noch nicht der fahle Morgen,

nein, immer noch die Fackel vor der Tür,

die gräßlich zuckt wie ein Lebendiges

und meinen Schlaf belauert.

Ich weiß nicht, wer die sind, die mir das antun,

und ob sie droben oder drunten wo

zu Hause sind – wenn ich dich stehen sehe,

wie jetzt, so mein ich, du mußt mit im Spiel sein.

Allein wer bist denn du? Du weißt nicht einmal

ein Wort zu reden, wenn man auf dich hört.

Wem könnt es so viel nützen oder schaden,

ob du lebst oder nicht? Warum siehst du

so starr auf mich? Ich will nicht, daß du mich

so ansiehst. Aber diese Träume müssen

ein Ende haben. Wer sie immer schickt:

ein jeder Dämon läßt von uns, sobald

das rechte Blut geflossen ist.

ELEKTRA.

Ein jeder!

KLYTÄMNESTRA.

Und müßt ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,

zur Ader lassen und im Dampf des Bluts

aufstehn und schlafen gehen wie die Völker

der letzten Thule in blutrotem Nebel:

ich will nicht länger träumen.

ELEKTRA.

Wenn das rechte

Blutopfer unterm Beile fällt, dann träumst du

nicht länger.

KLYTÄMNESTRA näher zu ihr tretend.

Also wüßtest du, mit welchem

geweihten Tier –

ELEKTRA.

Mit einem ungeweihten!

KLYTÄMNESTRA.

Das drin gebunden liegt?

ELEKTRA.

Nein! es läuft frei.

KLYTÄMNESTRA begierig.

Und was für Bräuche?

ELEKTRA.

Wunderbare Bräuche,

und sehr genau zu üben.

KLYTÄMNESTRA.

Rede doch!

ELEKTRA.

Kannst du mich nicht erraten?

KLYTÄMNESTRA.

Nein, darum frag ich.

Den Namen sag des Opfertiers.

ELEKTRA.

Ein Weib.

KLYTÄMNESTRA gierig.

Von meinen Dienerinnen eine, sag!

ein Kind? ein jungfräuliches Weib? ein Weib,

das schon erkannt vom Manne?

ELEKTRA.

Ja! erkannt!

das ists!

KLYTÄMNESTRA.

Und wie das Opfer? welche Stunde?

und wo?

ELEKTRA.

An jedem Ort, zu jeder Stunde

des Tages und der Nacht.

KLYTÄMNESTRA.

Die Bräuche sag!

Wie brächt ichs dar? ich selber muß –

ELEKTRA.

Nein. Diesmal

gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und Beil.

KLYTÄMNESTRA.

Wer denn? wer bringt es dar?

ELEKTRA.

Ein Mann.

KLYTÄMNESTRA.

Ägisth?

ELEKTRA lacht.

Ich sagte doch: ein Mann!

KLYTÄMNESTRA.

Wer? gib mir Antwort.

Vom Hause jemand? oder muß ein Fremder

herbei?

ELEKTRA zu Boden stierend, wie abwesend.

Ja, ja, ein Fremder. Aber freilich

ist er vom Haus.

KLYTÄMNESTRA.

Gib mir nicht Rätsel auf.

Elektra, hör mich an. Ich freue mich,

daß ich dich heut einmal nicht störrisch finde.

Wenn Eltern hart sind, ist es stets das Kind,

das sie zur Härte zwingt. Kein strenges Wort

ist ganz unwiderruflich, und die Mutter,

wenn sie schlecht schläft, denkt lieber sich das Kind

im Ehebett als an der Kette liegen.

ELEKTRA vor sich.

Da gehts dem Kinde umgekehrt: das dächte

die Mutter lieber tot als in dem Bette.

KLYTÄMNESTRA.

Was murmelst du? Ich sage, daß kein Ding

unwiderruflich ist. Geht denn nicht alles

vor unsern Augen über und verwandelt

sich wie ein Nebel? Und wir selber, wir!

und unsre Taten! Taten! Wir und Taten!

Was das für Worte sind. Bin ich denn noch,

die es getan? Und wenn! getan, getan!

Getan! was wirfst du mir da für ein Wort

in meine Zähne! Da stand er, von dem

du immer redest, da stand er und da

stand ich und dort Ägisth, und aus den Augen

die Blicke trafen sich: da war es doch

noch nicht geschehn! und dann veränderte

sich deines Vaters Blick im Sterben so langsam

und gräßlich, aber immer noch

in meinem hängend – und da wars geschehn:

dazwischen ist kein Raum! Erst wars vorher,

dann wars vorbei – dazwischen hab ich nichts

getan.

ELEKTRA.

Nein, die dazwischen liegt, die Arbeit,

die tat das Beil allein.

KLYTÄMNESTRA.

Wie du die Worte

hineinbringst.

ELEKTRA.

Nicht so tüchtig, noch so flink

wie du Axthieb auf Axthieb.

KLYTÄMNESTRA.

Davon will ich

nichts hören. Schweig. Wenn mir dein Vater heute

entgegenkäme – so wie ich mit dir

da rede, könnt ich mit ihm reden. Zwar

kann sein, mich schauderte, doch kann auch sein,

ich könnte zärtlich zu ihm sein und weinen,

wie wenn zwei alte Freunde sich begegnen.

ELEKTRA vor sich.

Gräßlich, sie redet von dem Mord als wärs

ein Zank vorm Nachtmahl.

KLYTÄMNESTRA.

Sag du deiner Schwester,

sie soll nicht so wie ein verschreckter Hund

vor mir ins Dunkel flüchten. Heiß sie, freundlich,

wie sichs geziemt, mich grüßen, und gelassen

mir Rede stehn. Dann weiß ich wahrlich nicht,

was mich verhindern könnte, dich und sie

vor Winter zu vermählen.

ELEKTRA.

Und der Bruder?

Läßt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?

KLYTÄMNESTRA.

Von ihm zu reden hab ich dir verboten.

ELEKTRA.

So hast du Furcht vor ihm?

KLYTÄMNESTRA.

Wer sagt das?

ELEKTRA.

Mutter,

du zitterst ja!

KLYTÄMNESTRA.

Wer fürchtet sich vor einem Schwachsinnigen.

ELEKTRA.

Wie?

KLYTÄMNESTRA.

Es heißt,

er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden

und weiß nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.

ELEKTRA.

Das Kind war ganz gesund.

KLYTÄMNESTRA.

Es heißt, sie gaben

ihm eine schlechte Wohnung und die Tiere

des Hofes zur Gesellschaft.

ELEKTRA.

Ah!

KLYTÄMNESTRA mit gesenkten Augenlidern.

Ich schickte

viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn

gut halten als ein Königskind.

ELEKTRA.

Du lügst!

Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.

KLYTÄMNESTRA.

Wer sagt dir das?

ELEKTRA.

Ich sehs in deinen Augen.

Allein an deinem Zittern seh ich auch,

daß er noch lebt. Daß du bei Tag und Nacht

an nichts denkst als an ihn. Daß dir das Herz

verdorrt vor Grauen, weil du weißt: er kommt.

KLYTÄMNESTRA.

Lüg nicht. Was kümmert mich, wer außer Haus ist.

Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener

hab ich genug, die Tore zu bewachen,

und wenn ich will, laß ich bei Tag und Nacht

vor meiner Kammer drei Bewaffnete

mit offenen Augen sitzen. Was du redest,

das hör ich nicht einmal. Ich weiß auch nicht,

wer dieser ist, von dem du redest. Sehen

werd ich ihn nie: was kümmerts mich, zu wissen,

ob er am Leben oder nicht. Ganz einfach,

ich bin es satt, von ihm zu träumen. Träume

sind ungesund, sie zehren an den Kräften,

und ich will leben und die Herrin sein.

Ich will nicht solche Anwandlungen haben,

mich herzustellen wie ein Hökerweib

und dir von meinen Nächten zu erzählen.

Ich bin so gut wie krank, und Kranke schwatzen

von ihrem Übel, das ist alles. Aber

ich will nicht länger krank sein. Und aus dir


Sie hebt den Stock drohend gegen Elektra.


bring ich so oder so das rechte Wort

schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,

daß du das rechte Opfer weißt und auch

die Bräuche, die mir nützen. Sagst dus nicht

im Freien, wirst dus an der Kette sagen.

Sagst dus nicht satt, so sagst dus hungernd. Träume

sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet

und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,

ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,

wer bluten muß, damit ich wieder schlafe.

ELEKTRA mit einem Sprung aus dem Dunkel auf sie zu, immer näher an ihr, immer furchtbarer wachsend.

Was bluten muß? Dein eigenes Genick,

wenn dich der Jäger abgefangen hat!

Er fängt dich ab: doch nur im Lauf! Wer schlachtet

ein Opfertier im Schlaf! Er jagt dich auf,

er treibt dich durch das Haus! willst du nach rechts,

da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad

wie Blut! das Dunkel und die Fackeln werfen

schwarzrote Todesnetze über dich –


Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt, will ins Haus. Elektra zerrt sie am Gewand nach vorn. Klytämnestra weicht gegen die Mauer zurück. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Stock entfällt ihren zitternden Händen.


Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt

den ungebornen Schrei und läßt ihn lautlos

zu Boden fallen, wie von Sinnen hältst du

den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken

bis in den Sitz des Lebens, doch er hält

den Schlag zurück: die Bräuche sind noch nicht erfüllt.

Er führt dich an den Flechten deiner Haare,

und alles schweigt, du hörst dein eignes Herz

an deinen Rippen schlagen: diese Zeit

– sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund

von Jahren – diese Zeit ist dir gegeben,

zu ahnen, wie es Scheiternden zumut ist,

wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze

der Wolken und des Tods zerfrißt, die Zeit

ist dir gegeben, alle zu beneiden,

die angeschmiedet sind an Kerkermauern,

die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod

als wie nach der Erlösung schrein – denn du,

du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,

als wärs der glühende Bauch von einem Tier

von Erz – und so wie jetzt kannst du nicht schreien!

Und ich steh neben dir: du kannst den Blick

nicht von mir wenden, immer krampft es dich,

daß du von meinem schweigenden Gesicht

ein Wort ablesen willst, du rollst die Augen,

willst irgend etwas denken, willst die Götter

heruntergrinsen aus dem Nachtgewölk:

die Götter sind beim Nachtmahl! so wie damals,

als du den Vater würgtest, sitzen sie

beim Nachtmahl und sind taub für jedes Röcheln!

Nur ein halbtoller Gott, das Lachen, taumelt

zur Tür herein: er glaubt, du triebest Scherze

zur Schäferstunde mit Ägisth, allein

sogleich bemerkt er seinen Irrtum, lacht

lautgellend auf und ist im Nu davon.

Da hast auch du genug. Die Galle träufelt

dir bitter auf das Herz, verendend willst du

dich auf ein Wort besinnen, irgend eines

noch von dir geben, nur ein Wort, anstatt

der blutgen Träne, die dem Tier sogar

im Sterben nicht versagt ist: da steh ich

vor dir, und nun liest du mit starrem Aug

das ungeheure Wort, das mir in mein

Gesicht geschrieben ist: denn mein Gesicht

ist aus des Vaters und aus deinen Zügen

gemischt, und da hab ich mit meinem stummen

Dastehn dein letztes Wort zunicht gemacht,

erhängt ist dir die Seele in der selbst-

gedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,

und ich steh da und seh dich endlich sterben!

Dann träumst du nimmermehr, dann brauche ich

nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,

der jauchzt und kann sich seines Lebens freuen!


Sie stehen einander, Elektra in wildester Trunkenheit, Klytämnestra gräßlich atmend vor Angst, Aug in Aug. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur und die Vertraute kommt herausgelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr. Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich. Sie winkt: Lichter! Es treten Dienerinnen mit Fackeln heraus, stellen sich hinter Klytämnestra. Sie winkt: Mehr Lichter! Es kommen mehr heraus, stellen sich hinter sie, so daß der Hof voll von Licht wird und rotgelber Schein an den Mauern flutet. Nun verändern sich die Züge der Klytämnestra allmählich, und die Spannung des Grauens weicht einem bösen Triumph. Sie läßt sich die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick aus dem Auge. Ganz bis

an den Hals sich sättigend mit einer wilden Freude, streckt sie die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern, wie gejagt, hinter ihr drein.


ELEKTRA währenddessen.

Was sagen sie ihr denn? sie freut sich ja!

Mein Kopf! Mir fällt nichts ein. Worüber freut sich

das Weib?


Chrysothemis kommt, laufend, zur Hoftür herein, laut heulend wie ein verwundetes Tier.


ELEKTRA.

Chrysothemis! Schnell, schnell, ich brauche

Aushilfe. Sag mir etwas auf der Welt,

worüber man sich freuen kann!

CHRYSOTHEMIS schreiend.

Orest!

Orest ist tot!

ELEKTRA winkt ihr ab, wie von Sinnen.

Sei still!

CHRYSOTHEMIS dicht bei ihr.

Orest ist tot!

ELEKTRA bewegt die Lippen.

CHRYSOTHEMIS.

Ich kam hinaus, da wußten sies schon! Alle

standen herum, und alle wußtens schon,

nur wir nicht.

ELEKTRA.

Niemand weiß es.

CHRYSOTHEMIS.

Alle wissens!

ELEKTRA.

Niemand kanns wissen: denn es ist nicht wahr.

CHRYSOTHEMIS wirft sich auf den Boden.

ELEKTRA reißt sie empor.

Es ist nicht wahr! ich sag dir doch! ich sag dir,

es ist nicht wahr!

CHKYSOTHEMIS.

Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,

die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,

ein Alter und ein Junger. Allen hatten

sies schon erzählt, im Kreise standen alle

um sie herum und alle wußtens schon.

ELEKTRA.

Es ist nicht wahr.

CHRYSOTHEMIS.

Nur uns erzählt mans nicht!

An uns denkt niemand. Tot! Elektra, tot!

EIN JUNGER DIENER kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die vor der Schwelle Liegende hinweg.

Platz da! wer lungert so vor einer Tür?

Ah, konnt mirs denken! Heda, Stallung! he!

DER KOCH kommt rechts aus der Tür.

Was gibts?

DER DIENER.

Nach einem Stallknecht schrei ich mir

die Lunge aus, und wer aus seinem Loch kriecht,

das ist der Koch.

EIN ALTER DIENER finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür.

Was solls im Stall?

DER JUNGE.

Gesattelt

soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?

ein Gaul, ein Maultier, oder meinetwegen

auch eine Kuh, nur rasch!

DER ALTE.

Für wen?

DER JUNGE.

Für den,

der dirs befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!

Sofort! für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muß

aufs Feld, den Herren holen, weil ich ihm

Botschaft zu bringen habe, große Botschaft,

wichtig genug, um eine eurer Mähren

zutod zu reiten.


Der Alte verschwindet.


DER KOCH.

Was für Botschaft? rede

ein Wort!

DER JUNGE.

Mit einem Wort, mein guter Koch,

wär dir wahrscheinlich nicht gedient. Auch könnte

man schwerlich, was ich weiß und an den Herren

zu melden hab, so kurzweg in ein Wort

zusammenfassen: laß es dir genügen,

wenn man dir sagt, daß eine Botschaft ist

von höchster Wichtigkeit soeben hier

im Hause eingetroffen, eine Botschaft,

– wie lange solch ein alter Knochen braucht

um aufzusatteln! – die, als treuen Diener

der Herrschaft, dich zu freuen hat: ob du

sie kennst, ob nicht, ganz gleich, sie hat dich zu

erfreuen.


In den Hof brüllend.


Eine Peitsche, Schuft! was, meinst du,

ich werd ihn ohne Peitsche reiten? Du,

du läßt mich warten und nicht ich den Gaul!


Zum Koch, schon auf dem Sprunge abzugehen.


Und kurz und gut: der junge Bursch Orest,

der Sohn vom Haus, der immer außer Haus war

und drum so gut wie tot: kurz dieser, der

schon eh und immer sozusagen tot war,

der ist nun sozusagen wirklich tot!


Springt ab.


DER KOCH gegen Elektra und Chrysothemis hin, die aneinandergedrückt daliegen, wie ein Leib, den das Schluchzen der Chrysothemis schüttelt und über den sich das totenbleiche schweigende Gesicht der Elektra hebt.

Eh! jetzt hab ichs heraus! Die Hunde heulen

beim Vollmond, und ihr heult, weil jetzt für euch

auf immer Neumond ist. Die Hunde jagt man,

wenn sie die Hausruh stören. Gebt ihr acht,

sonst gehts euch ebenso.


Geht wieder hinein.


CHRYSOTHEMIS halbaufgerichtet.

Gestorben in der Fremde! tot! begraben

dort in dem fremden Land. Von seinen Pferden

erschlagen und geschleift! Ach, sein Gesicht

unkenntlich, sagen sie. Wir habens nie

gesehen, sein Gesicht! Wenn wir ihn denken,

so denken wir ein Kind. Und er war groß.

Ob er vor seinem Sterben nicht nach uns

verlangte! Ich hab sie nicht fragen können:

es standen alle ringsherum. Elektra,

wir müssen hin und mit den Männern sprechen.

ELEKTRA vor sich.

Nun muß es hier von uns geschehn.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra,

wir wollen hingehn: es sind zwei, ein Alter

und ein viel Jüngerer, wenn sie erfahren,

daß wir die Schwestern sind, die armen Schwestern,

so sagen sie uns alles.

ELEKTRA.

Was frommt noch

zu wissen? daß er tot ist, wissen wir.

CHRYSOTHEMIS.

Daß sie uns nichts, nicht einmal eine Locke,

nicht eine kleine Locke mitgebracht!

Wie wenn wir gar nicht auf der Welt mehr wären,

wir beiden Mädchen.

ELEKTRA.

Darum müssen wir

jetzt zeigen, daß wirs sind.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra?

ELEKTRA.

Wir!

Wir beide müssens tun.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra, was?

ELEKTRA.

Am besten heut, am besten diese Nacht.

CHRYSOTHEMIS.

Was, Schwester?

ELEKTRA.

Was? Das Werk, das nun auf uns

gefallen ist, weil er nicht kommen kann

und ungetan es ja nicht bleiben darf.

CHRYSOTHEMIS.

Was für ein Werk?

ELEKTRA.

Nun müssen du und ich

hingehen und das Weib und ihren Mann

erschlagen.

CHRYSOTHEMIS.

Schwester, sprichst du von der Mutter?

ELEKTRA.

Von ihr. Und auch von ihm. Ganz ohne Zögern

muß es geschehn.

CHRYSOTHEMIS sprachlos.

ELEKTRA.

Schweig still. Zu sprechen ist nichts.

Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?

wie wir es tun.

CHRYSOTHEMIS.

Ich?

ELEKTRA.

Ja. Du und ich.

Wer sonst? Hat unser Vater andre Kinder,

die wo im Haus versteckt sind und zu Hülfe

uns kommen könnten? Nein, soviel ich weiß.

CHRYSOTHEMIS.

Wir beide sollen hingehn? Wir? wir zwei?

mit unsern beiden Händen?

ELEKTRA.

Dafür laß

du mich nur sorgen.

CHRYSOTHEMIS.

Wenn du auch ein Messer –

ELEKTRA verächtlich.

Ein Messer!

CHRYSOTHEMIS.

Oder auch ein Beil –

ELEKTRA.

Ein Beil!

Das Beil! das Beil, womit der Vater –

CHRYSOTHEMIS.

Du?

Entsetzliche, du hast es?

ELEKTRA.

Für den Bruder

bewahrt ich es. Nun müssen wir es schwingen.

CHRYSOTHEMIS.

Du? diese Arme den Ägisth erschlagen?

ELEKTRA.

Erst ihn, dann sie; erst sie, dann ihn, gleichviel.

CHRYSOTHEMIS.

Ich fürchte mich. Du bist wie außer dir.

ELEKTRA.

Es schläft niemand in ihrem Vorgemach.

CHRYSOTHEMIS.

Im Schlaf sie morden, und dann weiterleben!

ELEKTRA.

Es handelt sich um ihn, und nicht um uns.

CHRYSOTHEMIS.

Kämst du zu dir, den Wahnsinn einzusehn!

ELEKTRA.

Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen

sie nicht zusamm, könnt ichs allein vollbringen.

So aber mußt du mit.

CHRYSOTHEMIS abwehrend.

Elektra!

ELEKTRA.

Du!

denn du bist stark!


Dicht an ihr.


Wie stark du bist! dich haben

die jungfräulichen Nächte stark gemacht.

Wie schlank und biegsam deine Hüften sind!

Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich

durchs Fenster! Laß mich deine Arme fühlen:

wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst,

fühl ich, was das für Arme sind. Du könntest

erdrücken, was du an dich ziehst. Du könntest

mich, oder einen Mann mit deinen Armen

an deine kühlen festen Brüste pressen,

daß man ersticken müßte! Überall

ist so viel Kraft in dir! Sie strömt wie kühles

verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet

mit deinen Haaren auf die starken Schultern!

herunter!

CHRYSOTHEMIS.

Laß mich!

ELEKTRA.

Nein: ich halte dich!

Mit meinen traurigen verdorrten Armen

umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,

ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken

will ich mich rings um dich und meine Wurzeln

in dich versenken und mit meinem Willen

das Blut dir impfen!

CHRYSOTHEMIS.

Laß mich!


Flüchtet ein paar Schritte.


ELEKTRA wild ihr nach, faßt sie am Gewand.

Nein!

CHRYSOTHEMIS.

Elektra!

laß mich!

ELEKTRA.

Ich laß dich nicht. Wir müssen so

verwachsen ineinander, bis das Messer,

das meinen Leib von deinem reißen wollte,

auch gleich den Tod uns gibt, denn nun sind wir

allein auf dieser Welt.

CHRYSOTHEMIS.

Elektra, hör mich.

Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus,

hilf uns ins Freie.

ELEKTRA ohne sie zu hören.

Du bist voller Kraft,

die Sehnen hast du wie ein Füllen, schlank

sind deine Füße, leicht umschling ich sie

mit meinen Armen wie mit einem Strick.

Ich spüre durch die Kühle deiner Haut

das warme Blut hindurch, mit meiner Wange

spür ich den Flaum auf deinen jungen Armen:

Du bist wie eine Frucht am Tag der Reife.

Von jetzt an will ich deine Schwester sein,

so wie ich niemals deine Schwester war!

Ich will mit dir in deiner Kammer sitzen

und warten auf den Bräutigam, für ihn

will ich dich salben, und ins duftige Bad

sollst du mir tauchen wie der junge Schwan

und deinen Kopf an meiner Brust verbergen,

bevor er dich, die durch die Schleier glüht

wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett

mit starken Armen zieht.

CHRYSOTHEMIS schließt die Augen.

Nicht, Schwester, nicht.

Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.

ELEKTRA.

O ja! weit mehr als Schwester bin ich dir

von diesem Tage an: ich diene dir

wie deine Sklavin. Wenn du liegst in Wehn,

steh ich an deinem Bette Tag und Nacht,

wehr dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser,

und wenn auf einmal auf dem nackten Schoß

dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast,

so heb ich dirs empor, so hoch! damit

sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten

geheimsten Klüfte deiner Seele fällt

und dort das letzte, eisig Gräßliche

vor dieser Sonne schmilzt und dus in hellen

Tränen ausweinen kannst.

CHRYSOTHEMIS.

O bring mich fort!

Ich sterb in diesem Haus!

ELEKTRA an ihren Knieen.

Dein Mund ist schön,

wenn er sich einmal auftut um zu zürnen!

Aus deinem reinen starken Mund muß furchtbar

ein Schrei hervorsprühn, furchtbar wie der Schrei

der Todesgöttin, wenn man unter dir

so daliegt, wie nun ich: wenn man auf einmal

erwacht und wie die Todesgöttin dich

zu Häupten findet! wenn man unter dir

gebunden liegt, und so an dir hinaufsieht,

an deinem schlanken Leib mit starrem Aug

emporschaun muß, so wie Gescheiterte

emporschaun an der Klippe, eh sie sterben.

CHRYSOTHEMIS.

Was redest du?

ELEKTRA aufstehend.

Denn eh du diesem Haus

und mir entkommst, mußt du es tun!

CHRYSOTHEMIS will reden.

ELEKTRA hält ihr den Mund zu.

Dir führt

kein Weg hinaus als der. Ich laß dich nicht,

eh du mir Mund auf Mund es zugeschworen,

daß du es tun wirst.

CHRYSOTHEMIS windet sich los.

Laß mich!

ELEKTRA faßt sie wieder.

Schwör, du kommst

heut nacht, wenn alles still ist, an den Fuß

der Treppe.

CHRYSOTHEMIS.

Laß mich!

ELEKTRA hält sie am Gewand.

Mädchen, sträub dich nicht!

es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften:

schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand

mit reinem Leib ins hochzeitliche Hemd.

CHRYSOTHEMIS.

Laß mich!

ELEKTRA.

Sei nicht zu feige! Was du jetzt

an Schaudern überwindest, wird vergolten

mit Wonneschaudern Nacht für Nacht –

CHRYSOTHEMIS.

Ich kann nicht!

ELEKTRA.

Sag, daß du kommen wirst!

CHRYSOTHEMIS.

Ich kann nicht!

ELEKTRA.

Sieh,

ich lieg vor dir, ich küsse deine Füße!

CHRYSOTHEMIS ins Haustor entspringend.

Ich kann nicht!

ELEKTRA ihr nach.

Sei verflucht!


Vor sich, mit wilder Entschlossenheit.


Nun denn allein!


Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos, wie ein Tier. Hält inne, sieht sich um, gräbt wieder.

Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle sich schwarz abhebend. Er tritt herein. Elektra blickt auf ihn. Er dreht sich langsam um, so daß sein Blick auf sie fällt. Elektra fährt heftig auf, zittert.


ELEKTRA.

Was willst du, fremder Mensch? was treibst du dich

zur dunklen Stunde hier herum, belauerst,

was andre tun! Kann sein, du selber hast

im Sinne, was von andern nicht belauscht

du wünschest. Also laß auch mich in Ruh.

Ich hab hier ein Geschäft. Was kümmerts dich!

Tritt ab und laß mich an der Erde wühlen.

Verstehst du, was man redet? oder läßt

die Neugier dich nicht los? Ich grab nichts ein,

ich grab was aus. Und nicht das Totenbein

von einem kleinen Kind, das ich vor Tagen

verscharrt hab. Nein, mein Bursch, ich gab kein Leben,

so braucht ich auch kein Leben zu ersticken,

noch zu vergraben. Wenn der Leib der Erde

einmal aus meinen Händen was empfängt,

so ists woraus ich kam, nicht was aus mir kam.

Ich grab was aus: kaum wirst du aus dem Licht sein,

so werd ichs haben und es herzen und

es küssen, so wie wenns mein lieber Bruder

und auch mein lieber Sohn in einem wäre.

OREST.

So hast du nichts auf Erden, was dir lieb ist,

daß du ein Etwas aus der Erde scharren

und küssen willst? bist denn du ganz allein?

ELEKTRA.

Ich bin nicht Mutter, habe keine Mutter,

bin kein Geschwister, habe kein Geschwister,

lieg vor der Tür und bin doch nicht der Wachhund,

ich red und stehe doch nicht Rede, lebe

und lebe nicht, hab langes Haar und fühle

doch nichts von dem, was Weiber, heißt es, fühlen:

kurz, bitte, geh und laß mich! laß mich! laß mich!

OREST.

Ich muß hier warten.

ELEKTRA.

Warten?


Eine Pause.


OREST.

Doch du bist

hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden

des Hauses?

ELEKTRA.

Ja, ich diene hier im Haus.

Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich

und geh.

OREST.

Ich sagte dir, ich muß hier warten,

bis sie mich rufen werden.

ELEKTRA.

Die da drinnen?

Du lügst. Weiß ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus.

Und sie, was sollte sie mit dir?

OREST.

Ich und noch einer,

der mit mir ist, wir haben einen Auftrag

hier an die Frau.

ELEKTRA schweigt.

OREST.

Wir sind an sie geschickt,

weil wir bezeugen können, daß ihr Sohn

Orest gestorben ist vor unsren Augen.

Denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.

Ich war so alt wie er, und sein Gefährte

bei Tag und Nacht; der andre, der mit mir ist,

ein alter Mann, der war der Aufseher

und Pfleger, den wir hatten.

ELEKTRA.

Hab ich dich

noch sehen müssen! hast du dich hierher

in meinen traurigen Winkel schleppen müssen,

Herold des Unglücks! Kannst du deine Botschaft

nicht austrompeten dort, wo sie sich freun!

Du lebst – und er, der besser war als du

und edler tausendmal, und tausendmal

so wichtig, daß er lebte – er ist hin!

Dein Aug da starrt mich an und seins ist Gallert.

Dein Mund geht auf und zu und seiner ist

mit Erde vollgestopft. Könnt ich den deinen

mit Flüchen stopfen! geh mir aus den Augen.

OREST.

Was willst du denn? sie nehmens hier im Haus

mit Freude auf. Laß doch den Toten tot sein.

Laß den Orest. Orest ist nun einmal

gestorben, und das alles mußte kommen,

so wie es kam. Er freute sich zu sehr

an seinem Leben, und die Götter droben

vertragen nicht den allzu hellen Laut

der Lust, ein allzu starkes Flügelschlagen

vor Abend widert sie, sie greifen schnell

nach einem Pfeil und nageln das Geschöpf

an seines dunklen Schicksals finstern Baum,

der ihm im stillen irgendwo schon längst

gewachsen war. So mußte er denn sterben.

ELEKTRA.

Wie er vom Sterben redet, dieser Bursche!

Als hätte ers geschmeckt und wieder ausgespien.

Doch ich! doch ich! da liegen, und

zu wissen, daß das Kind nie wiederkommt,

daß die da drinnen leben und sich freuen,

daß dies Gezücht in seiner Höhle lebt

und ißt und trinkt und schläft und sich vermehrt,

indes das Kind da unten in den Klüften

des Grausens lungert, und dem Vater nicht

sich in die Nähe wagt. Und ich hier droben

allein! wie nicht das Tier des Waldes einsam

und gräßlich lebt.

OREST.

Wer bist denn du?

ELEKTRA.

Was kümmerts

dich, wer ich bin. Hab ich gefragt, wer du bist?

OREST.

Ich kann nicht anders, als zu denken: du

muß ein verwandtes Blut zu denen sein,

die starben, Agamemnon und Orest.

ELEKTRA.

Verwandt? ich bin dies Blut! ich bin das hündisch

vergoßne Blut des Königs Agamemnon!

Elektra heiß ich.

OREST.

Nein!

ELEKTRA.

Er leugnets ab.

Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.

Weil ich nicht Vater und nicht Bruder hab,

bin ich der Spott der Buben! Wer des Wegs kommt,

stößt mit dem Fuß nach mir, sie lassen mir

auch meinen Namen nicht!

OREST.

Elektra muß

zehn Jahre jünger sein als du. Elektra

ist groß, ihr Aug ist traurig, aber sanft,

wo deins voll Blut und Haß. Elektra wohnt

abseits der Menschen, und ihr Tag vergeht

mit Hüten eines Grabes. Zwei, drei Frauen

hat sie um sich, die lautlos dienen, Tiere

umschleichen ihre Wohnung scheu und schmiegen

sich, wenn sie geht, an ihr Gewand.

ELEKTRA klatscht in die Hände.

Recht! recht!

Erzähl mir noch was Schönes von Elektra.

Ich werd ihrs wiedersagen, wenn ich sie


Mit erstickter Stimme.


sehe.

OREST.

So seh ich sie? ich seh sie wirklich? du?


Schnell.


So haben sie dich darben lassen oder –

sie haben dich geschlagen?

ELEKTRA.

Wer bist du

mit deinen vielen Fragen?

OREST.

Sag mirs! sag mirs!

Sag!

ELEKTRA.

Beides! beides! beides! Königinnen

gedeihen nicht, wenn man sie mit dem Wegwurf

vom Zugemüse füttert. Priesterinnen

sind nicht geschaffen, daß man nach der Peitsche

sie springen läßt und in so kurzen Lumpen

statt eines wallenden Gewandes. Laß

mein Kleid, wühl nicht mit deinem Blick daran.

OREST.

Elektra!

Was haben sie gemacht mit deinen Nächten!

Furchtbar sind deine Augen.

ELEKTRA verbissen.

Geh ins Haus,

drin hab ich eine Schwester, die bewahrt sich

für Freudenfeste auf!

OREST.

Elektra, hör mich.

ELEKTRA.

Ich will nicht wissen, wer du bist, du sollst mir

nicht näher kommen. Ich will niemand sehen!


Kauert sich, das Gesicht gegen die Wand.


OREST.

Hör zu, ich hab nicht Zeit. Hör zu. Ich darf nicht

laut reden. Hör mich an: Orestes lebt.

ELEKTRA wirft sich herum.

OREST.

Gib keinen Laut von dir. Wenn du dich regst,

verrätst du ihn.

ELEKTRA.

So ist er frei? wo ist er?

Du weißt es, wo? ist er versteckt? er liegt

gefangen! irgendwo in einem Winkel

gekauert wartet er auf seinen Tod!

Ich muß ihn sterben sehn, sie haben dich

geschickt, um mich zu foltern, meine Seele

sollst du aufziehn an einem Strick, und wieder

zu Boden schmettern!

OREST.

Er ist unversehrt

wie ich.

ELEKTRA.

So rett ihn doch! bevor sie ihn

erwürgen. Kannst du ihm kein Zeichen geben?

Ich küsse deine Füße, daß du ihm

ein Zeichen gibst. Bei deines Vaters Leichnam

beschwör ich dich, so schnell du laufen kannst,

lauf hin und bring ihn fort! das Kind muß sterben,

wenn es die Nacht in diesem Haus verbringt.

OREST.

Bei meines Vaters Leichnam! dazu kam

das Kind ins Haus, damit noch diese Nacht

die sterben, welche sterben sollen –

ELEKTRA von seinem Ton getroffen.

Wer

bist du?


Der alte finstre Diener stürzt aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küßt seine Füße, rafft sich auf, angstvoll um sich schauend, und stürzt lautlos wieder ab.


ELEKTRA kaum ihrer mächtig.

Wer bist du denn? Ich fürchte mich.

OREST sanft.

Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,

und meine Schwester nicht?

ELEKTRA schreit auf.

Orest!

OREST fieberhaft.

Wenn einer dich im Haus gehört hat, der

hat jetzt mein Leben in der Hand.

ELEKTRA ganz leise, bebend.

Orest!

Es rührt sich niemand. O laß deine Augen

mich sehen! Nein, du sollst mich nicht berühren!

Tritt weg, ich schäme mich vor dir. Ich weiß nicht,

wie du mich ansiehst.

Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,

mein armes Kind. Ich weiß, es schaudert dich

vor mir. Und war doch eines Königs Tochter!

Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe

ausblies vor meinem Spiegel, fühlte ich

mit keuschem Schauder, wie mein nackter Leib

vor Unberührtheit durch die schwüle Nacht

wie etwas Göttliches hinleuchtete.

Ich fühlte, wie der dünne Strahl des Monds

in seiner weißen Nacktheit badete

so wie in einem Weiher, und mein Haar

war solches Haar, vor dem die Männer zittern,

dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt, dieses!

Verstehst dus, Bruder! diese süßen Schauder

hab ich dem Vater opfern müssen. Meinst du,

wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen

nicht seine Seufzer, drang sein Stöhnen nicht

bis an mein Bette? Eifersüchtig sind

die Toten: und er schickte mir den Haß,

den hohläugigen Haß als Bräutigam.

Da mußte ich den Gräßlichen, der atmet

wie eine Viper, über mich in mein

schlafloses Bette lassen, der mich zwang,

alles zu wissen, wie es zwischen Mann

und Weib zugeht. Die Nächte, weh, die Nächte,

in denen ichs begriff! Da war mein Leib

eiskalt und doch verkohlt, im Innersten

verbrannt. Und als ich endlich alles wußte,

da war ich weise, und die Mörder hielten –

– die Mutter mein ich, und den, der bei ihr ist, –

nicht einen meiner Blicke aus!

Was schaust du ängstlich um dich? sprich zu mir!

sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib!

OREST.

Laß zittern diesen Leib. Meinst du, er würde

nicht noch ganz anders zittern, könnt er ahnen,

was ich für einen Weg ihn führen werde?

ELEKTRA.

Du willst es tun? Allein? Du armes Kind.

Hast du dir keine Freunde mitgebracht?

OREST.

Laß, sprich nicht viel davon. Mein alter Pfleger

ist mit. Doch der es tuen wird, bin ich.

ELEKTRA.

Ich hab die Götter nie gesehn, allein

ich weiß, sie werden da sein, dir zu helfen.

OREST.

Ich weiß nicht, wie die Götter sind. Ich weiß nur,

sie haben diese Tat mir auferlegt,

und sie verwerfen mich, wofern ich schaudre.

ELEKTRA.

Du wirst es tun!

OREST.

Ja, ja. Müßt ich der Mutter

nur nicht vorher in ihre Augen schaun.

ELEKTRA.

Sieh mich doch an, was sie aus mir gemacht hat.

OREST sieht sie traurig an.

ELEKTRA.

Du Kind! du Kind! du kommst, verstohlen bist du

gekommen, von dir selber redest du

als wie von einem Toten, und du lebst!

OREST leise.

Gib acht!

ELEKTRA.

Wer bin denn ich, daß du auf mich

so liebe Blicke heftest? Sieh, ich bin

gar nichts. Ich habe alles, was ich war,

hingeben müssen. Auch die Scham, die süßer

als alles ist, die, wie der Silberdunst,

der milchige, beim Mond, um jedes Weib

herum ist und das Gräßliche von ihr

und ihrer Seele weghält! Meine Scham

hab ich geopfert, so wie unter Räuber

bin ich gefallen, die mir auch das letzte

Gewand vom Leibe rissen! ohne Brautnacht

bin ich nicht, wie die Jungfraun sind, die Qualen

von einer, die gebärt, hab ich gespürt

und habe nichts zur Welt gebracht, und eine

Prophetin bin ich immerfort gewesen

und habe nichts hervorgeholt aus mir

und meinem Leib wie Flüche und Verzweiflung.

Nachts hab ich nicht geschlafen, hab mein Lager

mir auf dem Turm gemacht, und hab geschrieen

im Hofe und gewinselt mit den Hunden.

Verhaßt bin ich geworden und hab alles

gesehen, alles hab ich sehen müssen

so wie der Wächter auf dem Turm, und Tag

ist Nacht, und Nacht ist wieder Tag geworden,

und an der Sonne nicht und an den Sternen

hab ich mich nicht gefreut, denn alles war mir

um seinetwillen nichts, es war mir alles

nur Merkzeichen, und jeder Tag war nur

ein Merkstein auf dem Weg!

OREST.

O meine Schwester.

ELEKTRA.

Was willst du?

OREST.

Schwester, ob die Mutter nicht

dir ähnlich sieht?

ELEKTRA wild.

Mir ähnlich? Nein. Ich will nicht,

daß du ihr ins Gesicht siehst. Wenn sie tot ist,

dann wollen wir zusammen ihr Gesicht

ansehen. Bruder, sie warf unsrem Vater

ein weißes Hemde über, und dann schlug sie

auf das, was vor ihr stand, auf das, was hilflos,

was ohne Augen war und sein Gesicht

nicht nach ihr wenden konnte, was die Arme

nicht freibekommen konnte – hörst du mich? –

auf das schlug sie mit hochgehobnem Beil

von oben zu.

OREST.

Elektra!

ELEKTRA.

Ihr Gesicht

hat sie von ihren Taten.

OREST.

Ich wills tun,

ich will es eilig tuen.

ELEKTRA.

Der ist selig,

der tuen darf! Die Tat ist wie ein Bette,

auf dem die Seele ausruht, wie ein Bett

von Balsam, drauf die Seele ruhen kann,

die eine Wunde ist, ein Brand, ein Eiter

und eine Flamme!


Der Pfleger Orests steht in der Hoftür, ein starker Greis mit blitzenden Augen.


ELEKTRA.

Bruder, wer ist dieser?

DER PFLEGER hastig auf sie zu.

Seid ihr von Sinnen, daß ihr euren Mund

nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts

uns und das Werk verderben kann –

ELEKTRA.

Wer ist das?

OREST.

Kennst du ihn nicht? Wenn du mich liebhast, dank ihm.

Du dankst ihm, daß ich bin. Dies ist Elektra.

ELEKTRA.

Du! du! o nun ist alles wirklich! alles

knüpft sich zusammen! Laß mich deine Hände

dir küssen! Ich weiß von den Göttern nichts,

ich weiß nicht, wie sie sind, drum küß ich lieber

dir deine Hände.

DER PFLEGER.

Still, Elektra, still!

ELEKTRA.

Nein, jubeln will ich über dich, weil du

ihn hast hierhergetrieben. Als ich haßte,

da schwieg ich reichlich. Haß ist nichts, er zehrt

und zehrt sich selber auf, und Liebe ist

noch weniger als Haß, sie greift nach allem

und kann nichts fassen, ihre Hände sind

wie Flammen, die nichts fassen, alles Denken

ist nichts, und was aus einem Mund hervorkommt,

ist ohnmächtige Luft, nur der ist selig,

der seine Tat zu tuen kommt! und selig,

wer ihn anrühren darf, und wer das Beil

ihm aus der Erde gräbt, und wer die Fackel

ihm hält, und wer die Tür ihm auftut, selig,

wer an der Türe horchen darf.

DER PFLEGER faßt sie rauh und drückt seine Hand gegen ihren Mund.

Schweig still!


Zu Orest in fliegender Eile.


Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen

nach dir. Es ist kein Mann im Haus. Orest!


Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend.

Die Tür des Hauses erhellt sich, und es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel, hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im

Dunkel. Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen. Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten. Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schließt einen Augenblick, schwindelnd, die Augen, der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen schnellen Blick. Die Tür schließt sich hinter ihnen.


ELEKTRA allein, in entsetzlicher Spannung. Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenktem Kopf, wie das gefangene Tier im Käfig. Plötzlich steht sie still und sagt.

Ich habe ihm das Beil nicht geben können!

Sie sind gegangen, und ich habe ihm

das Beil nicht geben können. Es sind keine

Götter im Himmel!


Abermals ein furchtbares Warten. Da tönt von drinnen, gellend, der Schrei der Klytämnestra.


ELEKTRA schreit auf wie ein Dämon.

Triff noch einmal!


Von drinnen ein zweiter Schrei.

Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und eine Schar Dienerinnen heraus.

Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepreßt.


CHRYSOTHEMIS.

Es muß etwas geschehen sein.

EINE.

Sie schreit

so aus dem Schlaf.

ZWEITE.

Es müssen Männer drin sein.

Ich habe Männer gehen hören.

DRITTE.

Alle

die Türen sind verriegelt.

VIERTE.

Es sind Mörder!

Es sind Mörder im Haus!

ERSTE schreit auf.

Oh!

ALLE.

Was ist?

ERSTE.

Seht ihr denn nicht, dort an der Tür steht einer!

CHRYSOTHEMIS.

Das ist Elektra! das ist ja Elektra!

ZWEITE.

warum spricht sie denn nicht?

CHRYSOTHEMIS.

Elektra,

warum sprichst du denn nicht?

ERSTE.

Ich will hinaus

und Männer holen.


Läuft rechts hinaus.


CHRYSOTHEMIS.

Mach uns doch die Tür auf,

Elektra!

MEHRERE.

Elektra, laß uns in das Haus!

ERSTE durch die Hoftür zurückkommend, schreit.

Zurück!


Alle erschrecken.


ERSTE.

Ägisth! Zurück in unsre Kammern! schnell!

Ägisth kommt durch den Hof! Wenn er uns findet

und wenn im Hause was geschehen ist,

läßt er uns töten.

ALLE.

Schnell, zurück! zurück!


Sie verschwinden im Hause links.


ÄGISTH am Eingang rechts.

Ist niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner

von allen diesen Schuften? Kann das Volk

mir keine Zucht annehmen!

ELEKTRA nimmt die Fackel aus dem Ring, läuft hinunter, ihm entgegen, neigt sich vor ihm.

ÄGISTH erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht, weicht zurück.

Was ist das für ein unheimliches Weib?

Ich hab verboten, daß ein unbekanntes

Gesicht mir in die Nähe kommt!


Erkennt sie, zornig.


Was, du?

Wer heißt dich, mir entgegengehen?

ELEKTRA.

Darf ich

nicht leuchten?

ÄGISTH.

Nun, dich geht die Neuigkeit

ja doch vor allen an. Wo find ich denn

die fremden Männer, die das von Orest

uns melden?

ELEKTRA.

Drinnen. Eine liebe Wirtin

fanden sie vor, und sie ergetzen sich

mit ihr.

ÄGISTH.

Und melden also wirklich, daß er

gestorben ist, und melden so, daß nicht

zu zweifeln ist?

ELEKTRA.

O Herr, sie meldens nicht

mit Worten bloß, nein, mit leibhaftigen Zeichen,

an denen auch kein Zweifel möglich ist.

ÄGISTH.

Was hast du in der Stimme? Und was ist

in dich gefahren, daß du nach dem Mund

mir reden willst? Was taumelst du so hin

und her mit deinem Licht!

ELEKTRA.

Es ist nichts andres,

als daß ich endlich klug ward und zu denen

mich halte, die die Stärkern sind. Erlaubst du,

daß ich voran dir leuchte?

ÄGISTH.

Bis zur Tür.

Was tanzest du? Gib Obacht.

ELEKTRA indem sie ihn, wie in einem unheimlichen Tanz, umkreist, sich plötzlich tief bückend.

Hier! die Stufen,

daß du nicht fällst.

ÄGISTH an der Haustür.

Warum ist hier kein Licht?

Wer sind die dort?

ELEKTRA.

Die sinds, die in Person

dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,

die oft durch freche unbescheidne Näh

dich störte, will nun endlich lernen, mich

im rechten Augenblick zurückzuziehen.

ÄGISTH geht ins Haus. Eine kleine Stille. Dann Lärm drinnen. Sogleich erscheint Ägisth an einem kleinen Fenster rechts, reißt den Vorhang weg, schreit.

Helft! Mörder! helft dem Herren! Mörder, Mörder!

Sie morden mich!


Er wird weggezerrt.


Hört mich denn niemand? hört

denn niemand?


Noch einmal erscheint sein Gesicht am Fenster.


ELEKTRA reckt sich auf.

Agamemnon hört dich!

ÄGISTH wird fortgerissen.

Weh mir!


Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt.

Die Frauen kommen wild herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen. Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür. Dort machen sie plötzlich halt, wenden sich.


CHRYSOTHEMIS.

Elektra! Schwester! komm mit uns! so komm

mit uns! es ist der Bruder drin im Haus!

es ist Orest, der es getan hat!


Stimmengewirr, Getümmel draußen.


Komm!

Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,

sie küssen seine Füße, alle, die

Ägisth im Herzen haßten, haben sich

geworfen auf die andern, überall

in allen Höfen liegen Tote, alle,

die leben, sind mit Blut bespritzt und haben

selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle

umarmen sich –


Draußen wachsender Lärm, die Frauen sind hinausgelaufen, Chrysothemis allein, von draußen fällt Licht herein.


und jauchzen, tausend Fackeln

sind angezündet. Hörst du nicht, so hörst du

denn nicht?

ELEKTRA auf der Schwelle kauernd.

Ob ich nicht höre? ob ich die

Musik nicht höre? sie kommt doch aus mir

heraus. Die Tausende, die Fackeln tragen

und deren Tritte, deren uferlose

Myriaden Tritte überall die Erde

dumpf dröhnen machen, alle warten sie

auf mich: ich weiß doch, daß sie alle warten,

weil ich den Reigen führen muß, und ich

kann nicht, der Ozean, der ungeheure,

der zwanzigfache Ozean begräbt

mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich

nicht heben!

CHRYSOTHEMIS fast schreiend vor Erregung.

Hörst du nicht, sie tragen ihn,

sie tragen ihn auf ihren Händen, allen

sind die Gesichter ganz verwandelt, allen

schimmern die Augen und die alten Wangen

von Tränen! Alle weinen, hörst dus nicht?

Ah!


Sie läuft hinaus.

Elektra hat sich erhoben. Sie schreitet von der Schwelle herunter.

Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee, sie reckt die Arme aus, es ist ein namenloser Tanz, in welchem sie nach vorwärts schreitet.


CHRYSOTHEMIS erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng, Gesichter von Männern und Frauen.

Elektra!

ELEKTRA bleibt stehen, sieht starr auf sie hin.

Schweig und tanze. Alle müssen

herbei! hier schließt euch an! Ich trag die Last

des Glückes, und ich tanze vor euch her.

Wer glücklich ist wie wir, dem ziemt nur eins:

schweigen und tanzen!


Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes und stürzt zusammen.


CHRYSOTHEMIS zu ihr. Elektra liegt starr. Chrysothemis läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran.

Orest! Orest!


Stille.

Vorhang.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979.
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