Scena II.

[53] Leutrut. Harman. Güldener. Gyssbert. Ian. Joanniscus. Leutrudula.


LEUTRUT lacrymans.

Och, och! mir sind diese zwo nacht,

Geworden eines Jahres lang.

Wie ist mir doch so angst vnd bang?

Ich weis die leute werden sagn,

Ich hab' jhn zu Todt lassen schlagn,

Vnd heimlich vberseit gebracht.

HARMAN.

Was ists Nachbarin das jhr klagt?[53]

LEUTRUT.

Solt ich nicht klagn? ich armes Weib:

Ach mein' Kinder! mein junges leib!

HERMAN.

Ich mücht gern wissn was es mag sein.

LEUTRUT.

Mein Ian bringt mich in diese pein:

Ging am Sontag nach der mahlzeit

Außm haus, ich fragt, wohin? nicht weit,

Sagt er, ich wil balt widerkommn.

Hab jhn aber noch nicht vernommn:

Weiß nicht was jhm mag sein geschehn,

Habt jhr nicht irgens jhn gesehn?


Güldener et Harman simul.


Nein traun.

GISSBERT.

Nachbarin weinet nicht;

Seht ewer Man, seht wie er liegt?

LEUTRUT accedens maritum.

Sagt doch worumb, mein lieber Ian,

Habt jhr mir das zu leid gethan?

IAN evigilans et surgens.

Was ists?

LEUTRUT.

Das jhr aus ewerm hauß

Zwo nachte seid gewesen aus.

IAN.

Leug das der Ritte dich geh an.

LEUTRUT.

Ich liege nicht mein lieber Ian

Ihr seid gewesen aus zwo nacht,

Schier hett' ich mich vmbs leben bracht.

IAN quasi eam verberaturus.

Halts maul ich sag,

Dich rührt die plag,

GISSBERT.

Nachbar, seid nicht ein hastig Man.

IAN.

Sie solt mich vngenarret lan:

Sagt ich sey außgewesn zwo nacht.

GÜLDENER.

Sie hatts zuvohr vns auch geklagt.

IAN.

Sie leugts in jhren hals henein.

LEUTRUT.

Wollan es mag gelogen sein.

JOANNISCUS.

Vater, wo habt jhr gschlaffen heint?

Wir habn vmb euch so sehr geweint.[54]

LEUTRUDULA.

Vater ich kans nicht vnterlassn,

Muß euch eins vmb den halse fassn.

GYSSBERT.

Habt jhr dann hie gehaltn ewr ruh?

IAN.

Liebe Nachbaren hört mir zu:

Gestern gieng ich aufm nachmittag.

LEUTRUT.

Vorgestern wars.

IAN.

Hör was ich sag:

Kam hin auffs marckt, traff d' vngefehr an

Von Antwerpn einen gutn Man,

Mit dem ich in meinn jungen Jahrn

Zu Land vnd Wassr viel meil gefahrn:

Der nam mich mit sich in Stadtkellr,

Ließ zapffen Wein vnd Muscatellr

Macht meinen Ian so satt, so trund,

Das er die trepff kaum finden kunt

Doch ging ich hin ohn strauchln vnd falln,

Biß das ich kam hinter Sanct Galln.

HARMAN.

An Kirchhoff dort, bey den Fischbenckn?

IAN.

Ja, da man thut den Brantwein schenckn:

Da kamn zween Kerll, zween vngenantn,

Doch sinds meine Freund' vnd bekantn,

Ließen mir nach schreiend': halt, halt,

Schlepten mich in Kretschmer mit gwalt,

Soffen mir zu als werens' toll:

Ich ward so aus der massen voll

Das diese nacht ich hie allein

Hab glegen im dreck wie ein Schwein.

GÜLDENER.

Es ist woll eh so viel geschehn.

LEUTRUDULA.

Vater laßt vns nach hause gehn.

IAN.

Ich muß zuuohr erzehln etwas:

Ey meine Nachbarn hört doch das.

Hab' heint gehabt einn seltzam traum,

Ich fürcht' jhr werdt mirs glauben kaum.

Doch weiß noch nicht zu dieser zeit,

Ob mirs widerfahrn in warheit,

Odr obs nur hat getreumet mir:

Für warheit künt ichs halten schier,

So eigentlich noch alles weis[55]

Als hett' ichs auffgeschriebn mit fleiß.

Da man doch sonst nächtlich gesicht

So eben kan behalten nicht.

GYSSBERT.

Nachbar, auff Treum kan man nicht bawn

GÜLDENER.

Treum kan man nicht gleuben noch trawn:

Bringen den Menschen balt in Frewd,

Balt in gross' Angst vnd Trawrigkeit,

Wann man erwacht ists Phantasey,

Betrug vnd eitel Hauteley.

IAN.

Itzt seh ichs an mir selber woll,

Das man mit nicht jhnn gleuben soll:

Mir treumt ich wehr ein Landesherr,

Nun bin ich ein armer Betler.

Mir treumt ich leg' im Himmelbett,

Dazu ein Fürstlichs Hembd an hett:

Nun seh ich das hie im Rinnstein,

Mein Bett gewessn der Koht vnrein.

Mir treumt ich wer Fürstlich staffirt,

Mein' kleider wern mit Golt bordirt,

Mit Golt beschlagn Swert vnd Poignard,

In Perlen gefast mein Plumard.

Von Golt trüg' ich Ketten vnd Ring,

Vnd wie ein Fürst zur Meß hinging.

Nun fehlt es vmb einn Bawrenschrit.


Vicinos abiturientes revocat.


Nachbarn hörts doch zum end ich bitt.

Mich daucht ich hielt Fürstlich Bancket:

Man trug mich auff das best Wiltpret.

Herrnbrot, Pasteten, Vogel, Fisch,

Vnd was mehr ghört aufm Fürsten Tisch:

Wein, Lautertranck, Meth, Malvasier,

Englisch, vnd ander' frembde bier.

Das Trinckgeschir, beid groß vnd klein,

Die kannen draus man gos den Wein,

Teller vnd Schüssel allzumahl,

Warn von Silber: im gantzen Saal

War aus gezieret vnd bereit

Fürstlich zur Ehr vnd Fröligkeit.

Es war da ein' gut' Cantorey,

Vnd Instrument' gar mangerley:

Posaunen, Pfeiffen, Lauten, Geign,

Krumbhörner, Zincken vnd schalmeign.[56]

Das ich von andern sage nicht,

So mir zur Ehr ward angericht:

Mit zierlich tantzen, künstlich springn,

Mit artlich fechten, mänlich ringn.

Der Diener war ein' grosse schar,

Die meiner person nahmen war,

In Seide vnd Sammit wol gekleidt.

Granen, Ritter vnd Edelleut

Stunden fürm Tisch, vnd sonst vmbher,

Thaten mir all' Fürstliche ehr.

Ich spielt im Bredt vnd mit der Chart,

Gewan viel Cronn in kurtzer farth.

In summ': ich lebt' vnd schwebt' in frewd,

In ehr vnd grosser Herrligkeit,

In fried vnd ruh, in glück zugleich,

Als wer ich in dem Himelreich,

Nuh seh ich wie ich bin betrogn,

Vnd das mein Traum mir fürgelogn.

HARMAN.

Ey: Treum sind Treum, vnd bleiben Treum

Muß gehn, das nicht das mein verseum.


Ridentes dilabuntur.


Quelle:
Ludwig Hollonius: Somnium Vitae Humanae. Berlin 1970, S. 53-57.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon