Erster Auftritt.

[135] Kotzeluch. Franz. Louise.


FRANZ. LOUISE.


Mel.: Hier sitz' ich auf Rasen etc.


Uns trennet kein Schicksal, uns trennet kein Schmerz,

Uns trennet kein Schmerz;

Wir halten zusammen,

In Fluthen und Flammen,

In Freuden und Leiden bewährt sich das Herz.

KOTZELUCH.

Ich will dich schon trennen, rebellische Brut,

Rebellische Brut!

Dich schick' ich zurücke,

Ihr brech' ich das Genicke,

Wenn sie nicht, was ich ihr geboten hab', thut.[135]

FRANZ. Hören Sie, lieber Vater, wir haben, wie Sie wissen, jetzt gerade die langen Ferien, da kehrt der Bursch nicht so leicht zurück. Ich bleib' in Süptitz, bis der letzte Tag da ist. Muß den Winter noch lange genug im Kollegium sitzen und schwitzen.

KOTZELUCH. Aber ich befehle Dir –

FRANZ. Piano, mein Vater! Der Bursch steht unter Niemand's Befehlen, als unter denen seines Senates. Bei dem müssen Sie Ihre Klage anbringen, wenn Sie an mich wollen. Uebrigens gebührt Ihnen, weil Sie mein Vater sind, der Rang jeder andern Civilbehörde und meine Karte ist jederzeit zu Ihren Diensten.

KOTZELUCH hitzig. Bursch! Bürschchen! Du nicht unter meinen Befehlen? Du? Sag' das noch ein Mal, und ich will Dir zeigen, daß meine Hände nicht blos zum Orgel- und Klavierspielen auf der Welt sind.

FRANZ. Ihr Glück, daß zwei Stunden von der Universität kein Komment gilt, sonst wüßt' ich – aber freilich, von Eltern und Mädchen zieht kein Tusch.

KOTZELUCH. Was der Kerl für eine Sprache spricht? »Tusch – Komment – zieht?« Ist das deutsch oder griechisch?

LOUISE. Es ist burschikos.

KOTZELUCH. Das ist ja eine neue Sprache. Welches Volk redet die? Auf welcher Insel wohnen die Burschikosen?

LOUISE. Auf der Insel der Freiheit!

KOTZELUCH. Nun hör' Einer das Mädel! Hat er Dich[136] auch schon beschwindelt? Ich glaube, sie würde am liebsten selbst ein Bruder Studio?

LOUISE. Warum nicht? Von Herzen gern. Ich wollte mit Franz in die Auditorien geh'n und die Herren Professoren, wenn sie nicht gar zu alt und sauertöpfisch wären, würden mein vis-à-vis eben so angenehm finden, als das der jungen Schnurrbärte. Meinen Sie etwa, das Studentenleben wäre mir fremd? Sie irren, Herr Vormund; Sie sind auf höllischen Holzwegen. Zum Exempel:


Mel.: Voll Zärtlichkeit will ich der Dirne sagen etc.


Kaum ist die Sonne lächelnd aufgegangen,

Sieht's mich zur Arbeit hin,

Und ich erfaß' mit sehnendem Verlangen

Der Wissenschaften hohen Sinn.

Ein Mann wie ich horcht die gelehrten Männer aus,

Ein Mann wie ich geht täglich klüger aus dem Haus;

Als Bursche nehm' ich ohne viel zu fragen,

Die Weisheit mit nach Haus.


Mein Kniff ist gut, ich speise beim Philister,

Er liebt den Bruder Studio;

Und sing' ich Ein's, wahrhaftig doppelt ißt er,

Und ißt und trinkt sich jung und froh.

Ein Mann wie ich geht stets willkommen ein und aus,

Ein Mann wie ich nimmt manche Gurke sich heraus;

Als Bursche trink' ich ohne viel zu fragen,

Den besten Wein ihm aus.


Vom Essen geht's, in ungezähmten Sprüngen,

Im Arm das blinkende Rapier,

Zum schönen, wilden Liebesspiel der Klingen,

Gott's Blitz, da schlagen Burschen wir.[137]

Ein Mann wie ich nimmt manche Freiheit sich heraus,

Ein Mann wie ich wischt manche Quart und Prime aus;

Als Bursche trag' ich ohne viel zu fragen,

Selbst eine Schmarre mit nach Haus.

KOTZELUCH. Mir sollst Du keine Schmarre schlagen und meinen Wein sollst Du nicht austrinken, dafür steh' ich Dir.

FRANZ. Weil Sie keinen auf den Tisch geben. Stoßen Sie nur einmal eine anständige Condition; setzen Sie mich nur einmal auf einen Korb guten Rheinwein; Sie werden die aschgraue Möglichkeit sehen.

KOTZELUCH. Jetzt soll ich ihn auf einen Korb setzen! Sei froh, daß Du immer einen Stuhl hast; wenn ich Dich an meinem Tische sitzen lasse; wenn ich Dich nicht zum Hause hinaus jage! Es gehen curiose Gerüchte von Dir hier in Süptitz. Die Wäscherin ist die Frau vom Amtsboten. Der Mann hat ihr das letzte Verzeichniß der fertigen Wäsche weggenommen, – da steh'st Du auch notiert, und danke Gott, leichtsinniger Bube, daß der Bürgermeister Dein Vater ist, sonst wär' es vielleicht um Deine Gurgel und alle die tollen Lieder, die Du mit selbiger anstimmst, geschehen.

FRANZ. Louise, verstehst Du den Vater?

LOUISE. Wenn ich anders die Fährte errathe, auf welcher sein inquisitorischer Geist umherspürt, so hat die mangelhafte Orthographie der Frau Amtsbotin Alles zu vertreten. Eines Deiner Tücher, mein lieber Franz, ein blutig-rothes noch dazu, ist auf dem Wäschezettel nach Stand und Würde als ein buntes aufgeführt. Die[138] Wäscherin aber, die wahrscheinlich nicht weit von der sächsischen Grenze herstammt, hat das harte T in ein weiches D verwandelt und so lasen seine Gestrengen durch den Amtsboten stutzig gemacht: ein Bundestuch, anstatt: ein buntes, was denn freilich bei gegenwärtigen Zeitläuften und dermaliger Farbe des Tuches ein bitterböser Umstand ist.

KOTZELUCH. Wie sie das wendet und dreht, die kleine Hexe.

FRANZ lachend. Sie ist advocatus diaboli.

LOUISE. Was heißt das?

KOTZELUCH. Das heißt: Du bist ein Vertheidiger aller schlechten Sachen; Du bist ein Advokat, der den Teufel im Leibe hat. Aber all' Eure Schwänke und Ränke sollen Euch nichts helfen. Ihr kriegt Euch nicht. Du nimmst den Dir von Deiner alten verstorbenen Pflegemutter bestimmten Mann! – Du gehst auf die hohe Schule zurück! – Punktum.

LOUISE. Wenn nur der mir Bestimmte schon da wäre, daß man ihn eines prüfenden Blickes würdigen könnte?

KOTZELUCH. Er wird kommen, ehe Du Dich seiner versieh'st; wie die heulende Windsbraut wird er da sein. In allen Blättern hab' ich bekannt gemacht: Sucht ein altes Zeitungsblatt hervor. »Nachdem die Wittfrau Anna Rosina Kegel allhier Todes verblichen ist und ihren seit funfzehn Jahren verschollenen Sohn Lorenz zum Erben ihres hinterlassenen Vermögens unter der Bedingung eingesetzt hat, daß er ihrer geliebten Pflegetochter Louise Linse seine Hand[139] reiche, so wird genannter Lorenz hierdurch aufgefordert, sich binnen hier und sechs Monaten vor dem hiesigen Gericht zu melden, zu beweisen, daß er er sei, und nach gehöriger –«

LOUISE ihn unterbrechend. Halten Sie ein! Mich überfällt der Gedanke, daß er wirklich eintreffen und mich erben könne, mit Riesengewalt.

KOTZELUCH. Siehst Du? Recht muß Recht bleiben.

FRANZ. Aber es hätte doch in Ihrer Gewalt gestanden, die Sache zu mildern. Möchte jener Kegel, – den meine Kugel nicht verfehlen wird! – Louisens Geld nehmen, sie selbst sollten Sie dem verlornen Sohne doch nicht an den Hals werfen, um so weniger, als Ihr eigner Sohn sie liebt.

KOTZELUCH. Ei! Erwartest Du solche Gefälligkeiten von mir? Welche hast Du mir denn erwiesen? – Erst bitt' ich ihn, er soll Schulmeister und Kantor in Süptiz, und auf diese Weise Stab und Stütze seines musikliebenden Vaters werden? Gott behüte! Er studiert, legt sich auf die Juristerei und musicirt mit den Akten. Aber ein Instrument will er doch lernen. Nun geh' ich ihn an, um Orgel und Klavier; – vergebens! Er hat keinen Sinn dafür, daß ein Klavier das erste Instrument der Welt ist. Ich will nicht einmal in Anschlag bringen, daß man auf diesem Universal-Ding Alles spielen und ein ganzes Orchester entbehren kann; das ist nicht Jedermanns Sache. Nur von Concerten auf dem Fortepiano will ich reden. Wie die Finger auf und nieder wallen, flüstern, toben, klimpern, donnern, schmeicheln, wüthen, schmollen, rollen,[140] grollen, hüpfen, schlüpfen, necken, sich recken, schillern und trillern; wie solch ein Concert gar kein Ende nimmt, sich immer wieder aus sich selbst gebiert, ... das verschmäht er zu lernen, und lernt, – man sollt's nicht glauben! und lernt das Violoncello! Verächtlich. solch ein kleines, jämmerliches, zwischen die Kniee gepreßtes, knurriges Möbel; ein quitschendes Mittelding zwischen Contrabaß und Geige; ein musikalisches Amphibium! – Auf vier Saiten, was willst Du denn da herausbringen? 'S ist nur lächerlich und auch ridicule. Also wie Du mir, so ich Dir; kein Klavier, keine Louise. Jetzt packt' Euch, geht mir aus den Augen!

FRANZ. Wir gehorchen! Aber Hand in Hand!

LOUISE. Hand in Hand!

FRANZ.


Mel.: Hoch vom Olymp herab kam uns etc.


Ich schwöre, reich an Liebe für Louisen,

Nur ihr mein ganzes Herz zu weihn;

Die Treu' zu halten, die ich stets bewiesen,

Und keiner Andern gut zu sein!

Ja, feierlich schalle der heilige Schwur

Ewiger Liebe durch Küche und Flur!

LOUISE. FRANZ.

Ja, feierlich schalle der heilige Schwur

Ewiger Liebe durch Küche und Flur.


Beide ab.


Quelle:
Karl von Holtei: Theater. Ausgabe letzter Hand in sechs Bänden, Band 3, Breslau 1867, S. 135-141.
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