Vorwort
[zum Band »Neue Gleise«]

Die nachfolgenden Studien entstanden im Winter 1887 bis 1888 in Nieder-Schönhausen und waren die ersten Ergebnisse unseres Zusammenarbeitens.

In seinem späteren Buche Die Kunst hat der Jüngere von uns das kleine Idyll, das wir damals lebten, nachträglich geschildert:

»Unsere kleine Bude«, heißt es daselbst, »hing luftig wie ein Vogelbauerchen mitten über einer wunderbaren Winterlandschaft; von unseren Schreibtischen aus, vor denen wir dasaßen bis an die Nasen eingemummelt in große, rote Wolldecken, konnten wir fern über ein verschneites Stück Heide weg, das von Krähen wimmelte, allabendlich die märchenfarbensten Sonnenuntergänge studieren, aber die Winde bliesen uns durch die schlechtverkitteten kleinen Fenster von allen Seiten an, und die Finger waren uns trotz der vierzig dicken Preßkohlen, die wir allmorgendlich in den Ofen schoben, oft so frostverklammt, daß wir gezwungen waren, unsere Arbeiten schon aus diesem Grunde zeitweise einzustellen. Denn mitunter mußten wir sie auch noch aus ganz anderen Gründen quittieren. So z.B., wenn wir aus Berlin, wohin wir immer zu Mittag essen gingen – eine ganze Stunde lang, mit ten durch Eis und Schnee, weil es dort ›billiger‹ war – wieder gar zu hungrig in unser Vogelbauerchen zurückgekrochen waren, wenn uns ab und zu um die Dämmerzeit, während draußen die Farben starben und in all der Stille rings die Einsamkeit, in der wir lebten, plötzlich hörbar wurde, hörbar und fühlbar, die Melancholie überfiel oder wenn, was freilich stets das allerbedenklichste war, uns[7] einmal der ›Tobak‹ ausging. Das war dann ein Herzeleid – gar nicht zu beschreiben! Von Cuba waren wir so, allmählig, auf ›Caraballa‹ gesunken, von Caraballa auf ›Paetum optimum‹. Ja, als die Not am größten war, entsinne ich mich, rauchten wir sogar das letzte Stück einer alten Girlande auf. Honni soit qui mal y pense! Unseren schönsten, runden Tisch mit bunter Veloursdecke, der eigentlich hätte vor dem Sofa stehen sollen – dem ›Perserdivan‹, wie es offiziell hieß – hatten wir eigens zwischen unsere beiden Schreibtische gerückt, als würdige Unterlage für die lange Stricknadel, mit der wir unsere langen Pfeifen putzten; eine leere Liebigbüchse diente als Aschbecher. Schließlich, als dann endlich durch unsere Scheiben wieder blau der Frühlingshimmel brach, hatten wir die Genugtuung, konstatieren zu können, daß unser schöner, schneeweißer Hermeskopf, der so lange quer über einem großen, rotgebundenen Don Quixote mitten unter einem Spiegelchen gestanden, aussah wie ein Niggerschädel.

Veröffentlicht von uns, als das erste sichtbare Resultat dieser Kampagne, wurde dann ein Jahr später im Verlage von Carl Reissner in Leipzig: Bjarne P. Holmsen: Papa Hamlet.«

Über die intimere Entstehungsgeschichte dieses Buches sowie über die Bedeutung, die sein Erscheinen damals für unsere junge Bewegung gehabt, gibt das Vorwort zu dem zweiten Teil dieser Schriften genügende Auskunft.

Abermals ein Jahr später erschien dann Die Familie Selicke. Mit ihr hatte unser Zusammenarbeiten seinen natürlichen Abschluß gefunden. Es war von Anfang an nie etwas anderes als ein einziges großes Experiment gewesen, und dieses Experiment war geglückt![8]

Kein Homunculus war unserer Retorte entschlüpft, kein schwindsüchtiges, bejammernswertes Etwas, dessen Lebenslicht man nicht erst auszublasen brauchte, weil es von selbst ausging, sondern eine neue Kunstform hatten wir uns erkämpft, eine neue Technik dem deutschen Drama, unseren Gegnern zum Trotz, die sich triebsicherer senkt in das Leben um uns, keimtiefer als die bisherige, uns überliefert gewesene, und wohin wir zur Zeit blicken in unserer jungen Literatur, überall bereits begegnen wir ihren Spuren ...

Und so mag es denn heute, wo jeder von uns schon längst wieder anderen, weiteren Zielen zugewandt steht, nicht verwundern, wenn wir den Wunsch gehegt, uns nun endlich, und zwar auch äußerlich, mit unserer einstigen sogenannten »Firma«, wie man sie ja wohl nannte, abzufinden. Und das konnten wir nur mit der Herausgabe dieses Buches.

Möge sein Einband seinem Papier leicht werden!


Berlin, August 1891.

Arno Holz

Johannes Schlaf

Quelle:
Arno Holz und Johannes Schlaf: Papa Hamlet. Frankfurt a.M. 1979, S. 7-9.
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