Vorbericht

Ein bairischer Officier, der in Petersburg die Erbschaft eines Verwandten eingeholt hatte, hielt sich im Jahre 1791 einige Wochen in W. in Lithauen auf. Seine Frau war ihm bei dieser beschwerlichen Reise gefolgt, und von Petersburg aus der Frau von Bohuzsky, der Gemahlin des Castellans des Fürstbischofs von W., empfohlen. Dieser Titel: Castellan, bezeichnet in Polen ein ansehnliches Kronamt, aber auch einen Dienst, den der kleinere Adel bei dem größern bekleidet, und der oft die Aufsicht über einen so großen Umfang von Gütern in sich begreift, daß ihre Eigenthümer in dieser Rücksicht mit den größern deutschen Reichsfürsten hätten verglichen werden können. Dieses war bei dem Fürstbischof der Fall, und Bohuzsky, selbst aus einer sehr guten, aber verarmten Familie, mit der Tochter eines Grafen G–ky vermählt, ein angesehener Mann. Das gastfreie Haus dieses Mannes bot der jungen gebildeten Deutschen einen angenehmen Aufenthalt dar. Neben dem nationellen[145] Charakter von Entschlossenheit, Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit, Selbstsucht, den sie auch in diesem Kreise erblickte, fiel ihr, unter den zahlreichen schönen Weibern, die Tochter des Castellans aus einer ersten Ehe, ein noch sehr junges Mädchen, auf. Sie schien einer ganz andern Welt anzugehören, Hoheit und Hingebung, Kälte und Innigkeit wechselten in ihrem Wesen, und brachten eine sonderbare Disharmonie in Zügen hervor, bei denen die Natur den höchsten Einklang beabsichtigt hatte. Diese Sonderbarkeit zog Eugenie, so hieß unsere Reisende, an, sie näherte sich dem Mädchen Anfangs aus Neugier, bald verband sie sich ihr aber durch theilnehmende Freundschaft; und die nachfolgenden Blätter, Selbstbekenntnisse, welche die junge Polin für ihre Freundin aufsetzte, waren das Resultat dieser Verbindung. Die Fortsetzung ihrer Geschichte ist aus Eugeniens Feder – sie bildete sie aus Bruchstücken, die sie bei einer Reise nach Schlesien im Jahre 1807 einsammelte. Das Ganze mußte unvollkommen bleiben, weil Bohuzsky's Tochter selbst und alle ihre Umgebungen nie daran dachten, daß ihr Schicksal in Zusammenhang sollte gereiht werden, es mußte auch unvollkommen bleiben, weil der Zeitpunkt noch so nahe und die Umstände so wahr sind, daß man an vielen Orten den Zusammenhang der Schonung gegen Lebende und Todte aufopfern mußte. Für ein fühlendes Herz wird aber doch einer daraus hervorgehen, den das Schicksal hineinlegte; es wird ein liebendes Gemüth erblicken, das, im Schoße der Unnatur seine höhere Bestimmung ahnend, die höchste Unnatur, das Klosterleben, zu erreichen[146] strebt, weil es dort Mittel zu lieben und zu wirken vermuthet, ein Gemüth, dem das fürchterlichste Unglück seine Sehnsucht nach Wirksamkeit stillt, und das endlich, durch seinen innern Reichthum gestärkt, im liebenden Vergessen seiner selbst mit der Welt versöhnt wird.

Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt keinen der zahlreichen Mängel dieser Geschichte, er entschuldigt keinen, er zeigt nur den Theil dem Leser an, um dessentwillen er sich jedem billigen Tadel gern aussetzt.[147]

Quelle:
Therese Huber: Erzählungen. Theil 1–6, Teil 1, Leipzig 1830–1833, S. 145-148.
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