Neunter Auftritt.

[167] Voriger. Herr von Wallenfeld.


HERR VON WALLENFELD rennt schnell herein, den Hut in's Gesicht gedrückt. Zwei Stunden – nur zwei Stunden sind mir noch übrig! Hier Schimpf leiden oder dort Niederträchtigkeit begehen. O Gott! nur Eins kann mich retten – Tod! Tod liegt in der Mitte! Tod rettet von beiden! – Aber – Er wirft sich in einen Stuhl. ich bin Vater!

REKTOR der ihm aufmerksam zuhört und unbeweglich da steht, tritt nun zu ihm. Dann liegt die Pflicht in der Mitte, Herr Landsmann.[167]

HERR VON WALLENFELD springt auf. Wer sind Sie? –

REKTOR. Rektor Berger. Und Sie? –

HERR VON WALLENFELD. Von Wallenfeld.

REKTOR. Ach! so bitte ich tausendmal Ihro Hochwohlgeboren, – – oder wie man Sie sonst titulirt –

HERR VON WALLENFELD halb laut. Unglücklichgeboren, so kann man mich nennen, so.

REKTOR. Da sei Gott vor! Das kann nicht sein.

HERR VON WALLENFELD flüchtig hin. O ja.

REKTOR. Nein, es wird niemand unglücklich geboren. Astra regunt homines, sed regit astra Deus.

HERR VON WALLENFELD. Mein Herr, was verlangen Sie von mir?

REKTOR. Sie sind doch derjenige gnädige – oder vielmehr gute Herr von Wallenfeld, – der auf dem englischen Kaffeehause bei der Spiel- und Schlachtbank eines gewissen einäugigen Korsaren einen jungen Menschen vom Abgrunde gerettet hat?

HERR VON WALLENFELD. Ja, es war ein junger Mensch da, der mit sichtbarer Angst und wenigem Gelde sehr heftig, unvorsichtig und keck spielte –

REKTOR. Ist mein Sohn gewesen, der von meinem bischen Armuth schon sieben Stück Louisd'or verschleudert hatte, und ich bin gekommen, in Ihnen, der ihn vom Lasterwege gerissen hat, das Werkzeug der Vorsehung zu verehren.

HERR VON WALLENFELD. Nein, mein Herr, an mir ist nichts zu verehren.

REKTOR. Diese kostbare Handlung an meinem Sohne –

HERR VON WALLENFELD. War Zufall – bloßer Zufall. Ich war schon ausgeplündert, stand müßig am Spieltische. Die Verlegenheit,[168] die Jugend, das Gesicht des Menschen interessirte mich. Zufall!

REKTOR. Mit nichten! Ich statuire keinen Zufall.

HERR VON WALLENFELD. Keinen Zufall? Nun, so sagen Sie mir, welche Vorsicht ließ mich, der ich Ihren Sohn heute gerettet habe, zum wüthendsten Spieler werden, der sich und Habe und Gut und Weib und Kind so hintangesetzt hat, daß er in diesem Augenblicke nicht über einen Heller Herr ist? nicht über einen Heller! –

REKTOR. Lieber Herr, Sie setzen mich in Erstaunen. – Aber – Sie werden auf die Boten der Vorsicht am Wege, die da rufen: steh still! Sie werden auf die Tonnen bei den Klippen und Untiefen, die da warnen, nicht geachtet haben –

HERR VON WALLENFELD. Kann sein.

REKTOR. Sondern sind im Lustrausch dabei vorübergegangen.

HERR VON WALLENFELD. Mag so sein, ja! Aber nun ist es geschehen. Was nun?

REKTOR. Wenn Sie einem dankbaren Mann ein Wort erlauben wollen, so meine ich, Sie müßten gerade von der guten Handlung an meinem Sohne den neuen Lebenslauf anfangen –

HERR VON WALLENFELD. Damit ist kein fälliger Wechsel gezahlt.

REKTOR. Mit christlichem Muthe fortfahren –

HERR VON WALLENFELD. Davon essen Weib und Kind nicht, die durch meine Schuld hungern.

REKTOR. Hungern? So feine Leute! Standespersonen! – ei, ei! Nun, wenn dem so ist, so biete ich Ihnen aus schwacher Dankbarkeit, – wenn Sie es annehmen wollen, bis auf bessere Zeiten, fünf Louisd'or zum Darleh'n an.[169]

HERR VON WALLENFELD. Ehrlicher Mann, das darf ich nicht annehmen; denn bei mir kommen keine bessere Zeiten.

REKTOR. Keine bessere? Ja, ja! das ist Eure Lehre vom Zufall. Ich aber sage aus der Lehre vom christlichen Vertrauen, es wird besser mit Ihnen werden. So gehen Sie denn gefälligst mit mir. Ich habe von einem Buchhändler für eine Uebersetzung aus dem Griechischen zehn Louisd'or eingenommen, die meine Frau nichts angehen. Halbpart – ehrlicher, unglücklicher Mann!

HERR VON WALLENFELD. Herr Rektor, das ist freilich sehr gut gedacht; Er schlägt sich vor den Kopf. aber ich Elender, ach!

REKTOR. So nehmen Sie denn meinen armen guten Willen an. Bei Occasion meines Sohnes und Ihrer, muß ich doch sagen, daß wir in Europa mit sammt unserer Kultur kuriose Leute sind.

HERR VON WALLENFELD. Wie das?

REKTOR. Bedenken Sie selbst! – wir haben christliche Orden, welche für Gefangene betteln, die von denen Seesäubern genommen sind; dazu geben wir willig unser Geld her; wir fechten gegen die Seeräuber von Algier; gegen Diebe, welche bei Nacht einbrechen oder sonst rauben, bauen wir Galgen an jede Grenze; auch läßt die christliche Obrigkeit, andern zum Exempel, ihnen selbst aber zur wohl verdienten Strafe, sie ab und zu aufknüpfen: – dahingegen sehen wir ruhig zu, und sitzen daneben, wie bei angezündeten Kerzen ein Räuber und Karten-Pirate, mittelst eines geschickten Daumens, in großer Kompagnie – ein Christenkind nach dem andern auszieht, plündert, zur Verzweiflung treibt, oder zu einem Schelme macht!

HERR VON WALLENFELD seufzt. Es ist wahr.[170]

REKTOR. Stiehlt ein armer Kerl ein paar silberne Schnallen – ei! da ist flugs die ganze Justiz auf den Beinen und hinter ihm her; muß aber Weib und Kind betteln, und stürzt sich einer, dem das grüne Tischchen alles abgenommen hat, in's Wasser, so stehen wir bei dem Leichnam, sagen: das Pharo hat ihn ruinirt, und jedermann geht ruhig heim. Der Räuber fährt in Equipage, die Bestohlnen nehmen demüthig die Hüte vor ihm ab, die Justiz sieht es, bleibt sitzen und denkt: das Pharo hat ihm geholfen. – Jedermann findet das alles ganz natürlich. Das ist denn doch aber sehr unnatürlich, und heißt die Lehre vom freien Willen sehr falsch expliciren.

HERR VON WALLENFELD. Ist mir nicht mehr zu helfen, so will ich andern helfen. Kommen Sie zu Ihrem Sohne. Ich will ihn warnen, ihm sagen, wie es jetzt mit mir steht.

REKTOR. Das traurige Bild möchte mehr wirken, als alle Moral. Thun Sie es, um eines alten Vaters willen.

HERR VON WALLENFELD. Ich will es. Der Gedanke, daß ich diesen Menschen von dem Elend rette, worin ich bin, beruhigt vielleicht die Wellen, die in mir toben. Geht ab.


Quelle:
August Wilhelm Iffland: Theater. Band 3, Wien 1843, S. 167-171.
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