VIII. Graf Heinrich an Hermann

[639] * den 6. November 1795


Es bedarf keiner Antwort auf die Zeilen Babettens, welche Du mir überschicktest. Sie weiß alles, und wir mögen uns nur die Haare ausraufen, mit den Nägeln unser Antlitz zerfleischen,[639] und dem Kitzel unsres Vaters, der warmen Stunde unsrer Mutter fluchen, welche ein Tier mehr: Mensch genannt, in die Marterkammer, Leben, trieben.

November sollte das ganze Jahr hindurch sein, so schwarz, stürmisch und regnerisch, wie dieser! Der Mai ist eine Lüge, und jeder Sonnenblick ist eine! Da sitzen wir nun; Babette in ihrer Stube, die sie vor mir verschlossen hält, und ich in meiner, und der Vater geht unter dem Burgwalle auf und nieder, und zerstampft das Gras mit seinem Stocke. Unsinn der Welt, Chaos, weites, wüstes Narrenhaus! Die Natur erbaut auf Gefühlen den ganzen großen Tempel des Seins, und wenn wir ihnen folgen, lohnt sie uns mit Verzweiflung ab.

Ich will versuchen, Dir zu erzählen, wenn meine von Weinen geschwollnen Augen, meine zitternden Finger mir erlauben, den Brief zu Ende zu bringen.

Der Zustand Babettens war unzweideutig geworden, ich entschloß mich, in ferne Länder mit ihr zu fliehn, dort mich mit ihr zu verbinden, und für meine deutschen Verhältnisse fortan tot zu sein. Was an diesem Vorsatze unerlaubt war, erschien mir leicht und verzeihlich gegen die Sünde, das Mädchen meines Herzens dem Jammer preiszugeben.

Ich sprach mit ihr davon, arglos willigte sie in alles, schöpfte auch keinen Verdacht, als ich ihr meinen Grafenstand entdeckte, ließ meine Vorwände gelten. Den Taufschein erbat ich mir von Dir, damit kein Priester der Trauung Hindernisse in den Weg legen könnte.

Da muß mein böser Stern unsern Freund Miller in die Nähe des Neckars führen. Du weißt, wie er mich mit seiner Freundschaft verfolgte, wie mir seine übertriebne Empfindsamkeit zuwider war. Er hört durch Zufall von mir, und beim wildesten Wetter steht er auf einmal in meiner Burgzelle vor mir. Ich empfange ihn kalt, verlegen, er macht mir Vorwürfe, aber bleibt, ich rede von einer Reise, die ich sogleich in einem Geschäfte anstellen müsse, er erbietet sich, mich einige Meilen zu begleiten.

Ehe ich noch einen Entschluß fassen, ein unglückliches Zusammentreffen verhindern kann, hat er Babetten gesehen,[640] gesprochen, und mich in ihrer Gegenwart nach meiner Frau, meinem Kinde befragt.

Wenn auch alle Güter, alle Zauber des Lebens sich vereinigten, mich so hoch zu heben, als ich jetzt tief gestürzt bin, den Blick, das Antlitz Babettens werde ich nicht vergessen, womit sie diese Entdeckung anhörte. Die Stunde wird wie ein schwarzer Schatten über meinem Dasein lasten bleiben, und stiegen die Engel mit Schalen voll himmlischer Fluten herunter, meine Seele rein zu waschen. Es war nicht Zorn, nicht Schreck, nicht Bestürzung, was in ihrem Gesichte sich malte, es war, ach, wer kann, wer mag das Furchtbare schildern, wenn treue heiße Liebe auf einen Ruck sich in ihr Gegenteil umsetzt?

Die Donner des Schicksals waren durch den Unberufnen nur beschleunigt, abzuwenden wären sie dennoch nicht gewesen. Nach einem grauenvollen Tage, den ich vergeblich flehend vor Babettens verschloßner Türe zernichtet zubrachte, drang durch Sturm und Regen ihr Vater hieher, der uns durch seine Späher endlich doch ausgekundschaftet hatte. Briefe von den sogenannten Meinigen hatten sich in seine Pfarrwohnung verirrt, und waren von dem argwöhnischen Alten erbrochen worden. Er kannte also alle meine Verhältnisse. Anfangs wollte Babette auch ihn nicht einlassen, die Gewalt der väterlichen Autorität siegte aber endlich, und es gab eine erschütternde Szene.

Ich erklärte mich zu allem bereit, was nur im Umfange menschlicher Kräfte stehe; man nahm meine Versprechungen nicht an, und der Alte bediente sich harter Ausdrücke gegen mich, die ich seinem Kummer zu vergeben hatte.

So ist denn diese Ruine zur Hölle geworden, die im engen Raume drei unselig Leidende vereinigt. Ich bin keiner Entschließungen fähig, mein ganzes Wesen ist eine blutende Wunde, in welcher die scharfen Messer der grimmigsten Reue wühlen. Hast Du ein Wort, ein Zeichen für mich, was mir Rat oder Lindrung geben kann, so laß es mir werden![641]

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 639-642.
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