7. Das Land der Weiber

[428] Immer noch schlief Tulifäntchen,

Als schon auf den Feuerrädern

Helios' goldner Wagen rollte,

Wach schon lang war Zuckladoro.

Schimmel, nach dem Schläfer horchend,[428]

Sprach bei sich: »Hier gilt nicht zaudern,

Rasch von dannen, in die Weite!

Schlummernd soll mein Herre vorwärts,

Gleich so manchem Tatentäter.«


Sprach's, und hob sich auf die Füße,

Rannte durch die Welt im schrägen

Windelweichen Schaukelpaßgang.


Tulifäntchen träumt' indessen

Von den Drachen, Riesen, Ogern,

Hieb auf gift'ge Ungeheuer,

Fing den Phönix ein, den Vogel,

Wohnt' in Bergkristallengrotten,

Liebend mit der Nixe kost' er.

Doch ein lärmend Rufen kreischte

Jetzt ins Ohr des Schimmels, weckend

Drang es in des Helden Öhrchen.

Rings um ihn erscholl es: »Haltet,

Haltet auf das Pferd, das led'ge,

Auf den Schimmel, den verloffnen!«


Aus dem Ohre höchst gereizet

Sprang der Held Don Tulifäntchen,

Glitt von Haar zu Haar hinunter.

Feu'r vom Wirbel bis zur Zehe,

Trotzig rief er: »Wer da waget

Zu behaupten, daß ein led'ger

Schimmel sei an diesem Platze,

Der verfechte die Behauptung!

Ich beweis' auf Tod und Leben,

Daß ein Schimmel mit dem Reiter

Ist zur Stelle; hier der Reiter!«


Aber als er um sich blickte,

Sah er nichts als Weiber, Schürzen

Sah sein Aug', so weit es reichte.

Und er stand vor einer großen[429]

Stadt, und vor dem großen Stadttor,

Überm Tore prangt' ein mächt'ges

Wappen, und im Wappen stolzte

Eine Kunkel als das Hauptschild.


Frug der Held, Don Tulifäntchen:

»Wo bin ich, und wes das Land hier?«

Und die Nächste, zu ihm tretend,

Eine kräftige Brünette,

Sprach: »Du bist im Land der Weiber,

Vor der Stadt der Weiber stehst du.«


Sinnend fragte Tulifäntchen:

»Leben hier denn keine Männer,

Wie gebräuchlich allerorten?«


Sprach die kräftige Brünette:

»Keine Männer sind geduldet,

Oder nur im Sklavenkittel,

Unterm Schatten jener Kunkel.

Groß ist unser Reich; die Grenzen

Schlossen sich noch nicht, des Landes.

Täglich mehren die Provinzen

Sich durch wachsende Erob'rung.

Frauen führen die Geschäfte

Hier des Orts. In Ehr' und Staatsamt

Siehst du Frauen nur; die Kön'gin

Grandiose herrscht ob allen.«


Frug der Held, Don Tulifäntchen:

»Doch wie kam es, daß das Mannsvolk

Euch gewichen ist? Das sag mir!«


Sprach die kräftige Brünette:

»Unsre Männer hießen girrend

Uns der Schöpfung Meisterstücke,

Engel, ird'sche, ohne Flügel,

Lagen stets zu unsern Füßen,[430]

Nannten sich der Schönheit Knechte.

Dies geschah so lang, bis daß wir

Einstens sprachen: 'Nun, so wollen,

Da wir Engel sind, wir künftig

Wohnen in der Herrschaft Himmel,

Und der Schöpfung Meisterstücke

Soll'n nicht ferner euch, den niedern

Rohen Dutzendfabrikaten

Kochen Supp' und Fleisch, Gemüse.'

Griffen drauf zu unsern Waffen,

Zu den Spindeln, zu den Nadeln,

Schlugen unsre Männer, schwächlich

Waren sie vom Knien geworden,

Trieben sie nach fernen Zonen,

Und so haben wir die Herrschaft.

Doch nicht länger frag, o Fremdling,

Führen muß ich zum Palast dich,

Da du gleichfalls bist ein Mannsbild.«


»Nur noch eines fragen laß mich«,

Sprach Don Tulifäntchen, »sag mir,

Wie erhält wohl euer Staat sich

Ohne Männer für die Folge?«


Sprach die kräftige Brünette:

»Dafür auch ist schon gesorget.

Denn Provinzen, neuerobert,

Grenzen an des Paradieses

Langverschollnen grünen Garten.

Dort wächst eine Art von Bäumen,

So die teuren Schwestern alle

Ohne jenen Spruch des Fluches

Hätt' der Mühe überhoben,

Die seitdem herkömmlich worden.

Denn es reifen an den Ästen

Dicht und voll die schönsten Kinder.

Dieser Baumfleck ist Regale.

Welche nun der Weiber wünschet[431]

Mutterfreuden zu genießen,

Diese löset von der Herrsch'rin

Auf gestempeltem Papiere

Einen Kinderschein, und darf dann

So viel Früchtchen, als sie liebet,

Dort sich von den Zweigen schütteln.

Siehe, Jüngling, so erneut sich

Ohne Männer, ohne Kindsnot

Unser Staat allein durch Baumobst.

Aber jetzt frag mich nicht weiter,

Folge mir zur Kön'gin spornstracks.«


Tulifäntchen blickte glühend

Um sich, rief: »Bin ich denn wehrlos?«

Dann die Hand zur Stirn geführet,

Faßte sich der Held und sagte:

»Weißen Händen gern ergibt sich

Jeder Paladin von Ehre.«

Sprach's mit adliger Gebärde,

Neigend zierlich Haupt und Schwertlein.


Und voran schritt die Brünette,

Hinterdrein schritt Tulifäntchen,

Schimmel folgte, jetzo schüttelnd

Voll Bedenklichkeit das Ohr schwer.

Also schritt der Zug palastwärts

Durch die weiberangefüllten

Straßen, durch die Straßen, voll von

Kindern aus dem Pflanzenreiche.


Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 1, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 428-432.
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