Vorwort zur vierten Auflage

[3] Die nachfolgenden Erinnerungsbilder und Rückblicke sollen das Versprechen einlösen, welches die dritte Auflage gab: über die Entstehung des Buches »Es werde Licht!« etwas Näheres zu sagen.

I. Aus dem eigenen Lebensumriß des Verfassers:

»In dem lieblichen Marburg studierte ich bis zum Sommer 1870 Medizin. – Dort entstanden die ›Weinphantasien‹ und ›Das Lustspiel‹«.

Beim Ausbruch des Krieges meldete ich mich freiwillig und ward als Assistenz-Arzt der freiwilligen Krankenpflege dem Etappen-Commando der Südarmee zugetheilt. Ich war drei Monate in dem Kriegslazareth zu Chalons sur Marne thätig und erhielt im Dezember auf mein Ersuchen ein Reconvalescenten-Lazareth auf der Südfront vor Paris zugewiesen. Vor dem Einzugstage nahm ich mir Urlaub und marschirte die Nacht hindurch nach Paris. Ich sah Paris zum ersten Mal. Ich hatte mir von einem meiner Patienten die Adresse eines Hotels geben lassen, welches, in dem nicht occupirten Theile der Stadt gelegen, Deutsche aufnahm. Ich erreichte nach vielen Mühen und Hindernissen spät Abends[4] am 1. März dies Hotel [Rue ville neuve des Capucines. Hôtel National] und hatte nun Gelegenheit, Paris in seinem damaligen Zustande kennen zu lernen und nach allen Richtungen zu durchstreifen. Ich habe so vier unvergeßliche Tage durchlebt. – Beim Friedensschluß erhielt ich meinen Abschied und trat wieder in Berlin in die Oldenbergische Kammercorrespondenz ein.

Der Krieg, von welchem ich die Kehrseite der Medaille zu erkennen Gelegenheit hatte, der Anblick des revolutionär erregten Paris mit den gleich darauf folgenden geschichtlichen Ereignissen, der Erhebung und Niederwerfung der Commune, und vor Allem die um dieselbe Zeit zu Berlin sich erhebende Gründerperiode haben mich zum Sozialisten gemacht. Ende 1878 und 76 erschienen die beiden Teile des Werkes:[5]Die Idee der Entwickelung‹. Ich konnte alle diese Schriften nur in den Zwischenräumen vollenden, welche die den größten Theil des Jahres dauernde, sehr angestrengte Thätigkeit als Stenograph und Berichterstatter in drei Parlamentshäusern mir übrig ließ. Ich habe aber diese letzte, für mich mechanische, Arbeit nicht als ein Hemmniß empfunden, vielmehr als einen Ansporn zu künstlerischem Schaffen.« –

II. Das Buch: »Es werde Licht!« ist von den Gesichtern der Berliner Arbeiter abgeschrieben. Es war damals die wildbewegte Zeit des Berliner Arbeitervereins der Lassalleaner, die späteren Eisenacher hatten noch nicht sehr viele Anhänger in Berlin. Ich versäumte keine der größeren Berliner Arbeiterversammlungen des Jahres 1871, stenographirte alles mir Merkwürdige nach und studirte es zu Haus. Ich las mit Bewußtsein zur Schaffung dieses Buches weder die Schriften von Lassalle, noch das Werk von Marx. Beider Name hatte ich bis dahin nur als wirre, verzerrte Klänge vernommen, wie sie aus den damaligen liberalen Zeitungen in mein Ohr schollen. Ich wollte, zum Sozialismus erwachend, Alles aus dem lebendigen Leben heraus – nicht aus Schriften – selbst prüfen, selbst beobachten, selbst erschließen. Zu diesem Ziele studirte ich den Einzug am 16. Juni; zu diesem Ziele auch schloß ich mich aufs engste einem Studiengenossen und Freunde an, mit welchem ich in diesem Jahre zusammen wohnte und der soeben zum städtischen Armenarzt des[6] Alexanderviertels ernannt worden war. Sein Name ist Hermann Joseph, er war ein Schüler Virchows, von seinem Lehrer geschätzt. Erfüllt von glühendem Eifer arbeitete er rastlos in seiner Wissenschaft, machte Entdeckungen in der Histiologie und Physiologie und sein Name, wird in den größern physiologischen Handbüchern genannt. Er starb noch nicht 28 Jahre alt, und seinen Tod hatte ich vor Augen bei der Erklärung des Wesens der Frage: Warum? und Wie? im zweiten Theile der »Idee der Entwickelung«. Von mir wurde er zum Sozialismus hingelenkt und seine letzten Gedanken waren ganz der neu aufgehenden jungen Sonne der sozialistischen Weltanschauung zugewandt, deren Erwachen er sterbend begrüßte. Er konnte noch den kleinen Aufsatz niederschreiben: »Die Kunst und der Sozialismus«, der noch heute gern von den Arbeitern gelesen, sein Andenken bewahren wird. Mit ihm lernte ich die Kellerwohnungen im Alexanderviertel kennen, das ganze Leben der Fabrikarbeiter und kleinen Handwerker, das Elend des Proletariats. Ich vertrat ihn oft in weniger schweren Fällen und nahm die Eindrücke mancher Szenen des mir neuen Schauspiels in mein Buch auf. –[7]

III. Der in der dritten Auflage erwähnte Brief von Hoffmann von Fallersleben, heute wohl ein literargeschichtliches Denkmal, lautet in seinem Eingang und Schluß:

»Schloß Corwey (Höxter), 27. Januar 1872.


Es werde Licht!

Es freut mich, daß Sie diesem Nothschrei so herrliche Worte geliehen haben und gegen die Lichtfeinde, Dunkelmänner und Verdunkler in Schimpf und Ernst gründlich zu Felde ziehen.

Ich habe Ihr Büchlein sofort gelesen, manche Stellen schon zwei-, dreimal und bin über Form und Inhalt immer erfreut und befriedigt. – – –

Ein neuer Frühling steht der Welt bevor. Fahren Sie fort, auch ihm die Fensterläden zu öffnen, auf daß er frei und fröhlich überall das Dunkel erhelle.

Heute und Immer.

H.v.F.«

Möge diese vierte Auflage sich Freunde erwerben.


Zürich, 1. Januar 1893.


Leopold Jacoby.

Quelle:
Leopold Jacoby Es werde Licht! München 1893, S. 3-8.
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