Achte Szene.

[45] Vorige, Frau von Brigge und Karoline beide anständig, aber einfach gekleidet, treten ein.


CHRISTOPH noch an der Tür. Darf ich um den Namen bitten?

FRAU VON BRIGGE. Frau von Brigge.

CHRISTOPH verdutzt. Frau von, – ja – ich bitt' – gnädige Frau – Sie entschuldigen schon – aber der Herr hat diese Stunde bestimmt, um nur die Unglücklichen zu hören; – oder sind vielleicht die gnädige Frau auch ein Bettelweib?

FRAU VON BRIGGE. Ich bin eine Unglückliche – eine verschämte Arme.

CHRISTOPH. Eine Verschämte! So! Und Auf Karolinen deutend. ist das vielleicht auch eine verschämte Arme?

FRAU VON BRIGGE. Es ist meine Tochter.

CHRISTOPH sie wohlgefällig betrachtend. Wenn ich mein Herr wäre, die dürfte schon etwas unverschämt sein.

ROBERT sich nun erst umwendend. Wünschen Sie mit mir zu sprechen?

FRAU VON BRIGGE UND KAROLINE treten gesenkten Hauptes vor. Frau von Brigge seufzt und sieht sich nach Christoph um.

ROBERT gibt Christoph einen Wink, sich zu entfernen.

CHRISTOPH für sich. Sie seufzt mich hinaus. – Aha! 's ist wegen der Verschämung! Ab.

FRAU VON BRIGGE mit gepreßtem Tone. Herr von Starr! Sie glauben nicht, wie unendlich schwer – wie sauer mir dieser Schritt wurde; aber mein Unglück – der Ruf Ihres edeln Herzens – mein Muttergefühl! Ach![46]

KAROLINE tut desgleichen.

ROBERT. Wer sind Sie? –

FRAU VON BRIGGE. Ich bin die Witwe eines herrschaftlichen Beamten ohne Pension, dies meine Tochter; – unsere gänzliche Armut zwingt uns, hier auf dem Lande zu wohnen und uns von unserer Händearbeit kümmerlich zu ernähren; – wir gönnen uns kaum den Schlaf, – und doch reichte unser Fleiß nicht hin, uns schuldenfrei zu erhalten. Ach! In Aufregung Roberts Hand fassend und mit ihm seitwärts tretend. Herr von Starr, ich wurde einem Manne schuldig, welcher, wie ich nun erst erkenne, mit einem Blicke auf Karoline. unsere Not benützen will! Herr von Starr! Begreifen Sie die Verzweiflung einer treusorgenden Mutter! Retten Sie mich – retten Sie die Ehre meiner Tochter- o Himmel, o Himmel! Will, heftig weinend, zu seinen Füßen stürzen.

ROBERT. Madame, – ich begreife Ihren Schmerz und achte Sie deshalb! – Weisen Sie den Mann mit seiner Forderung an meinen Kassier; er soll befriedigt werden.

FRAU VON BRIGGE trotz Roberts Widerstreben, seine Hand an ihre Lippen drückend. O Rettungsengel! – Schutzgeist der Unschuld! – Zu ihrer Tochter. Linchen – Linchen, – komm hieher; – danke diesem edlen Menschenfreunde! Ach! Du kannst es noch nicht fassen, wie unendlich viel er für dich getan hat!

KAROLINE will auch Roberts Hand küssen.

ROBERT selbe zurückziehend. Lassen Sie das liebes Kind; es freut mich, Ihrer Not abhelfen zu können.

FRAU VON BRIGGE drückt seine Hand an ihre Brust und blickt zum Himmel. Ach, daß die Sprache so arm ist – aber – der oben sieht in mein Herz; – er allein kann Ihnen vergelten! – Zu Karolinen.[47] Komm, meine Tochter, komm! Nach langer Zeit sollst du heute deine Mutter wieder heiter sehen! – Geht mit Karoline fort, wendet sich aber an der Tür nochmals mit einem seelenvollen Blicke gegen Robert, deutet mit der Hand gen Himmel, dann ab.

ROBERT. Ja, nur in solchen Augenblicken lernt man das Glück des Reichtums schätzen.


Quelle:
Friedrich Kaiser: Ausgewählte Werke. Band 1, Wien, Teschen, Leipzig [1913], S. 45-48.
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