25. Kapitel
Von inbrünstiger Besserung unseres ganzen Lebens.

[51] 1. Sei wachsam und eifrig im Dienste Gottes. Denk oft: Wozu bin ich hieher gekommen, warum habe ich die Welt verlassen? Kamst du nicht hieher, um Gott allein zu leben, und ein geistlicher, neuer Mensch zu werden? Laß es dir also angelegen sein, immer besser zu werden. Denn sieh! bald wird dir der Lohn deiner Arbeit ausbezahlt werden, und dann wird keine Furcht und kein Schmerz mehr deine Seele berühren. Es ist dir noch ein kurzes Tagewerk übrig; darauf folgt eine lange Ruhe, oder vielmehr ewige Freude. Wirst du in deinem Tun eifrig und treu bleiben, oh, dein Gott wird gewiß auch treu und reich im Belohnen sein. Hoffen darfst[51] du immer, daß du den Siegeskranz erringen wirst; aber in Sicherheit soll deine Hoffnung nicht ausarten; sonst könntest du träge oder eitel werden.

2. Ich kenne einen Freund; der ward von Angst ergriffen und schwebte lange zwischen Furcht und Hoffnung. Eines Tages, da ihn der Kummer halb aufgezehrt hatte, warf er sich, aus dem Herzen betend, in der Kirche vor dem Altar nieder und grübelte bei sich: Oh, wenn ich gewiß wüßte, daß ich im Guten bis ans Ende verharre! Da hörte er die göttliche Antwort in seinem Innersten: »Und, wenn du das wüßtest, was wolltest du dann tun? Tu jetzt, was du dann tun wolltest, und du wirst sicher zum Ziele kommen.« Dies Gotteswort tröstete und stärkte ihn, daß er sich ganz dem Willen seines Herrn hingeben konnte, und alle Angst war dahin. Er mochte nimmer neugierig forschen, was da für ihn kommen werde; aber, was Gottes Wille sei, und wie er nach der Richtschnur des göttlichen Wohlgefallens alles Gute anfangen und vollenden könne, darnach forschte er Tag und Nacht.

3. Hoffe auf den Herrn, und tu Gutes, sagt der Prophet (Ps. 37, 3), und du wirst im Lande wohnen, und die Fülle seines Segens genießen. Es ist nur Eines, das viele vom Fortgange im Guten und von der ernsthaften Besserung ihres Lebens zurückhält, und dies Eine heißt: »Es ist so schwer, wider sich selbst zu kämpfen«, und dieses schwere Stück Arbeit scheuen sie. Auf der Bahn der Tugend tun sich aber gerade die vor allen anderen am meisten hervor, welche da, wo ihre Neigungen den heftigsten Widerstand leisten, den stärksten Angriff wagen. Je mehr der Mensch sich selbst überwindet, desto weiter schreitet er im Guten vor, desto größere Gnade verdient er sich.

4. Freilich haben nicht alle gleich viel, das sie überwinden und dem sie absterben sollten. Wer aber das Werk der Selbstüberwindung mit edlem Wetteifer angreift, wenn er auch noch so viele Leidenschaften zu bekämpfen hätte, der wird es im Guten ungleich weiter bringen, als ein anderer, der[52] eine stille, sanfte Gemütsart besitzt, dabei aber den Eifer nicht hat, mit dem die Tugend will errungen sein.

Zwei Dinge kenne ich, die uns in der Besserung mit besonderer Kraft weiter forthelfen: Sich mit Gewalt versagen das, wozu die Natur, wider Ordnung und Pflicht, hinneigt, dies ist das erste. Dem Guten, daran wir besonders arm sind, mit stetigem Eifer nachringen, dies ist das zweite. Auch das, was dir an andern am meisten mißfällt, meide und bekämpfe du an dir selber mit ernstem Fleiß.

5. Sieh du überall darauf, wie du besser werden kannst. Siehst oder hörst du etwas Gutes, so laß in dir die schöne Begierde rege werden: Ich will es auch so machen. Siehst oder hörst du aber etwas, das Tadel verdiente, so laß es dir zur Warnung dienen, dasselbe nie nachzumachen, oder, wenn du es doch einmal getan hast, so nimm es zum Anlaß, den Fehler schnell wieder gut zu machen.

Wie dein Auge auf andere sieht, so sehen andere Augen auf dich. Wie hold und schön ist es doch, Brüder zu sehen, die voll Andacht und Eifer, in Zucht und Ordnung einträchtig wandeln! Wie niederschlagend, Menschen zu sehen, die die Gesetze der Ordnung übertreten und das, was sie nach ihrem Berufe tun sollten, ungetan lassen! Wie schädlich, das zu versäumen, wozu uns unser Beruf und unser Vorsatz verpflichten, und das Herz zu dem zu neigen, was außerhalb unserer Pflicht liegt!

6. Denk an den Entschluß, den du gefaßt hast, und blick hin auf den, der am Kreuze starb. Du hast alle Ursache, schamrot zu werden, wenn du das Leben Jesu zu deinem Spiegel machst – schamrot, daß du dich nicht mehr bemüht hast, ihm gleich zu werden, da du doch schon vor so langer Zeit den Weg zu Gott betreten hast.

Ein Ordensmann und überhaupt jeder Christ, der das allerheiligste Leben und Leiden Jesu zum Muster seines Lebens und Leidens macht, und sich mit Andacht und Eifer nach diesem Muster bildet, wird alles, was ihm nötig und nützlich ist, bei Jesus im Überflusse finden; wird nie in die[53] Lage kommen, außer Jesus etwas Besseres zu suchen. Oh, wenn nur Jesus, der Gekreuzigte, in unser Herz käme: wir würden schnell lernen, und bald genug gelernt haben!

7. Ein eifriger Ordensmann nimmt alles, was ihm aufgelegt wird, willig auf sich und trägt es gern. Ein lauer, träger Ordensmann hat Plage über Plage, und es ist ihm überall zu eng; denn der innere Trost fehlt ihm, und dem äußeren darf er nicht nachlaufen. Ein Ordensmann, der Zucht und Ordnung abschüttelt, hat dem Verderben Tür und Tor angelweit aufgerissen. Wer immer nur das lieber hat, was die Bande der Ordnung weiter macht, dem wird es nimmermehr an Beklemmung und Drude fehlen; denn eines oder das andere wird immer wider seinen Geschmack sein.

8. Denk doch, wie sich andere Ordensleute so leicht in eine weit strengere Lebenszucht einpassen können! Sie gehen selten aus dem Kloster, leben in Abgeschiedenheit und Stille, haben schlechte Kost und ein grobes Tuch auf dem Leibe, arbeiten viel und reden wenig, wachen lange und stehen früh auf, beten lange und lesen viel, und halten sich in allem strenge an die gemeinsame Zucht. Sieh! die Kartäuser, die Zisterzienser und andere Mönche und Nonnen unterbrechen bei Nacht den Schlaf und loben Gott in heiligen Gesängen. Und du wolltest zur Zeit, wo so viele fromme Seelen Gott preisen, das göttliche Werk nur schläfrig treiben? Welche Schande!

9. Oh, daß wir nichts anderes zu tun hätten, als unseren Herrn und Gott von ganzem Herzen und mit freudiger Zunge zu loben! Wäre doch das Bedürfnis zu essen, zu trinken, zu schlafen nicht! Könntest du nur immer Gott loben und in geistlichen Übungen ihm dienen: glücklicher, weit glücklicher wärest du als jetzt, wo du der Sinnlichkeit, wenn auch nur zur Notdurft, dienst. Gäbe es doch keine Bedürfnisse des Leibes und nur Bedürfnisse des Geistes: welch eine Seligkeit, sie zu befriedigen! Und diese Seligkeit, wie selten kosten wir sie!

10. Wenn es der Mensch dahinbringt, daß er bei keinem[54] Geschöpf mehr Trost erbettelt, dann fängt ihm Gott erst recht zu schmecken an; dann wird er bei allem, was geschieht und geschehen mag, zufrieden bleiben. Dann wird ihn nichts Großes erfreuen und nichts Kleines niederschlagen können. Ganz und voll Zuversicht legt er sich dann in Gottes Hand, der ihm alles in allem sein wird, dem nichts stirbt und nichts zugrunde geht, dem alle Dinge leben und auf jeden Wink unverzüglich dienen.

11. Denk immer an das Ende, und daß die verlorene Zeit nie wieder kommt. Ohne Eifer und Fleiß kannst du keine einzige Tugend erlangen. Sobald das Feuer des Eifers nachzulassen anfängt, hört das rechte Wohlsein auf. Wenn du aber im Eifer zu allem Guten anhältst, so wirst du großen Frieden finden, und alle Arbeit wird dir leicht werden; denn Gottes Gnade und die Liebe zur Tugend machen alle Bürden leicht. Wer Eifer und Fleiß hat, der ist zu allem bereitet.

Den Lastern und Leidenschaften Widerstand leisten, ist ein heißeres Tagewerk, als unter herabrinnenden Schweißtropfen die schwerste Handarbeit treiben. Wer geringe Fehler nicht meidet, der wird nach und nach auch größere begehen.

Du wirst immer froh sein am Abend, wenn du den Tag nützlich zugebracht hast. Wache du über dich selbst, erwecke du dich selbst, sprich du dir selbst Mut ein, und, mag es mit deinen Nachbarn so oder so stehen, versäume nur du dich selbst nicht. Endlich: wie viel du dir selbst Gewalt antust, gerade so viel nimmst du im Guten zu. Amen.[55]

Quelle:
Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7663, Stuttgart., S. 51-56.
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